L 13 R 109/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 2023/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 109/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 23. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt Anspruch auf höhere Altersrente.

Der 1939 geborene Kläger hat von April 1954 bis März 1957 eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann durchlaufen. Anschließend war er durchgängig als kaufmännischer Angestellter beschäftigt, unterbrochen nur vom Grundwehrdienst von Oktober 1960 bis Dezember 1961, einer unbelegten Zeit von April bis Mai 1963 sowie von Wehrübungen vom 10. bis 22. Mai 1965 und vom 18. April bis 29. April 1966. Zum 1. April 1967 wechselte der Kläger auf eine deutlich höher als die bisherige dotierte Stelle; ab 1973 wurde mehrmals die Beitragsbemessungsgrenze erreicht oder überschritten, in den übrigen Jahren nur knapp unterschritten. Vom 28. Juli bis 31. August 1997 bezog der Kläger Krankengeld. Zum 30. Juni 1999 beendete er (mit Vorausbescheinigung für die letzten drei Monate) die Beschäftigung.

Auf den Antrag vom April 1999 bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 15. Juli 1999 Altersrente für Schwerbehinderte wegen Vollendung des 60. Lebensjahres. Der anfängliche Zahlbetrag ab 1. Juli 1999 belief sich auf 3.141,23 DM bei 65,0492 Entgeltpunkten. Noch nicht berücksichtigt waren die beiden genannten Wehrübungen. Deshalb ergab sich durch Neufeststellungsbescheid vom 11. April 2000 eine geringfügige Erhöhung des Zahlbetrags auf 3.146,01 DM bei 65,1482 persönlichen Entgeltpunkten. Den Bescheid griff der Kläger innerhalb der Rechtsbehelfsfrist nicht an. Demgegenüber nahm er die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 zum Anlass, mit der Beklagten in Korrespondenz zu treten, begründet im Wesentlichen mit Benachteiligung der Rentner gegenüber öffentlich-rechtlichen Ruheständlern, ebenso den Parlamentsabgeordneten; ferner würden Beiträge für Rentenbezieher - insbesondere die Fremdrentner - zweckentfremdet, die solche nicht geleistet hätten. Hätte er die Beiträge selbst günstig verwenden können, so hätte er eine wesentlich höhere Leistung erreichen können. Die Beklagte errechnete (Schreiben vom 23. Januar 2001), der Kläger habe insgesamt 174.069,77 DM an Beiträgen eingezahlt oder mitgetragen. Eine Zinsberechnung über ein hieraus zu erzielendes Kapital sei der Beklagten nicht möglich. Im Übrigen wurde die Rentenberechnung kurz erläutert und bezüglich der Rentenanpassung auf beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren verwiesen. Weitere Erläuterungen ergingen mit Schreiben vom 20. März 2001. Auf ein Schreiben des Klägers vom 23. August 2001, mit welchem er (Stand Juli 1999) einen Zahlbetrag von 4.201,23 DM forderte, erging der Bescheid vom 9. Oktober 2001. Dieser enthielt im Wesentlichen die Aussage, die Rente sei nach den geltenden Bestimmungen zutreffend errechnet. Der Kläger erhob Widerspruch. Mit seinen Beiträgen - zuzüglich Arbeitgeberanteil - hätte er bei einem Zinssatz von 5,5 v.H. eine Summe von über 800.000,00 DM erzielen können. Die Beklagte verblieb im zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2002 dabei, die Rente sei richtig berechnet; die Verfassungsmäßigkeit der angewandten Rechtsvorschriften habe der Versicherungsträger nicht zu prüfen. Die am 5. Februar 2002 zum Sozialgericht Konstanz erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 25. Juni 2002 abgewiesen. Die Rente sei im Sinne der Darlegungen der Beklagten zutreffend berechnet. Die hiergegen am 17. Juli 2002 beim Landessozialgericht eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Senats vom 17. Februar 2004 zurückgewiesen. Die Entscheidung ist rechtskräftig. Ein Schreiben des Klägers vom 25. Oktober 2003 wurde als Antrag gemäß § 44 SGB X auf Änderung der Entscheidung vom 11. April 2000 gewertet und mit Bescheid vom 7. Januar 2004 abgelehnt. Hiergegen legte der Kläger am 14. Januar 2004 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 2004 zurückgewiesen wurde. Dieser Bescheid ist bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2005 wandte sich der Kläger erneut gegen die Höhe der ihm gewährten Rente und begehrte einen weiteren verbindlichen Bescheid, dessen Erlass er in der Folgezeit, auch nachdem er ausführliche Stellungnahmen zu den von ihm angesprochenen Fragen erhalten hatte, mehrfach anmahnte, wobei er mit Schreiben vom 17. März 2006 darlegte, dass er eine um monatlich mindestens 305,- EUR höhere Rente erhalten müsse. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Rücknahme des Bescheids vom 11. April 2000 mit Bescheid vom 10. Mai 2006 erneut ab. Der Widerspruch des Klägers vom 23. Mai 2006 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2006 zurückgewiesen. Auf den Bescheid vom 10. Mai 2006 wurde Bezug genommen.

Der Kläger hat sein Begehren weiterverfolgt und am 26. Juli 2006 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Er hat einen Anspruch auf eine monatliche Rente in Höhe von mindestens 2.006,98 EUR geltend gemacht. Zur Begründung hat er sich u.a. auf in der Presse wiedergegebene Aussagen des Richters am Bundessozialgericht Spellbrink. und des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Papier berufen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit Urteil vom 23. November 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen auf das Urteil des Senats vom 17. Februar 2004 Bezug genommen.

Gegen das ihm am 13. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. Januar 2007 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Er macht geltend, ihm stünde aufgrund eines überdurchschnittlichen Werts seiner Rentenbeiträge eine Rente in Höhe von mindestens 2.006,98 EUR. Allein der Jahreszins aus einem Kapital von 500.000,- EUR sei höher als seine Jahresrente. Die Beklagte ist der Berufung aus den Gründen der angegriffenen Bescheide für rechtmäßig und das Urteil des SG für zutreffend.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 23. November 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2007 zu verpflichten, den Bescheid vom 11. April 2000 sowie die ergangen Änderungsbescheid teilweise zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, rückwirkend ab dem 1. Juli 1999 eine monatliche Rente von 2.006,98 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf ihren bisherigen Vortrag Bezug.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin entscheiden.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die auf Aufhebung der Ablehnung eines Rücknahmeanspruchs durch Bescheid vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2007 gerichtete Anfechtungsklage und die damit verbundene auf Verpflichtung zum Erlass eines Rentenbescheids mit höherem Monatsbetrag der Rente sowie Zahlung derselben gerichtete Verpflichtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen.

Es kann offen bleiben, ob die Berufung keinen Erfolg haben kann, weil die Klage bereits unzulässig war. Hierfür könnte sprechen, dass über den hier geltend gemachten Überprüfungsanspruch nach § 44 SGB X bereits ablehnend mit Rechtskraftwirkung entschieden worden ist. Allerdings geht der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 5. September 2006 (SozR 4-2700 § 8 Nr. 18) in Abgrenzung zu Entscheidungen des 9. und des 4. Senats des BSG (BSG vom 3. Februar 1988 - 9/9a RV 18/86 - BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr. 33 und BSG vom 3. April 2004 - B 4 RA 22/00 R - BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr. 20) davon aus, dass der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme eines Verwaltungsakts, der rechtswidrig ist, unabhängig davon hat, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde. Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt habe, dürfe die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten müsse sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18 m.w.N.; vgl. auch Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 44 Rn. 13 m.w.N.). Unabhängig davon, ob die Beklagte sich ganz oder teilweise auf eine Bindungswirkung ihres früheren Bescheids berufen hat, stünde damit die Rechtskraft des vorangegangenen Urteils auch bei unveränderter Sach- und Rechtslage der erneuten sachlichen Prüfung der Voraussetzungen des § 44 SGB X nicht entgegen.

Die aufgeworfene Frage bedarf hier keiner Entscheidung. Auch wenn man unterstellt, dass eine andere rechtliche Beurteilung auf Grund eines Antrages nach § 44 SGB X ohne weiteres zulässig und daher stets eine erneute rechtliche Prüfung vorzunehmen ist, so liegen jedenfalls die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine andere Entscheidung im vorliegenden Fall nicht vor. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ob bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem zu jenem Zeitpunkt maßgebenden, ggf. jedoch aus heutiger Sicht "geläuterten" Recht (vgl. BSGE 90, 136, 138; Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 2, § 44 SGB X Rn. 29 m.w.N.). Deshalb sind für die Frage, ob Sozialleistungen im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu Unrecht vorenthalten worden sind, auch Rechtsänderungen, die nach Erlass des Ausgangsbescheids eintreten, aber auf diesen Zeitpunkt zurückwirken, zu beachten (BSG, Urteile vom 21. Juni 2005 - B 8 KN 8/04 R und B 8 KN 9/04 R - veröffentlicht in Juris).

Diese Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die vom Kläger begehrte Zugunsten-entscheidung liegen nicht vor. Der Kläger hat keinen Rücknahmeanspruch aus § 44 SGB X bezüglich des Rentenbescheids vom 11. April 2000. Die Beklagte hat bei Erlass des Rentenbescheids vom 11. April 2000 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich aus heutiger Sicht als unrichtig erweist. Dem Kläger steht ein Anspruch auf höhere Altersrente nicht zu. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten in der Gestalt der Widerspruchsbescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte hat die einfachgesetzlichen Vorgaben zutreffend umgesetzt. Auch von Seiten des Klägers wird nicht geltend gemacht, dass die Beklagte die einfachgesetzlichen Vorgaben über die Rentenberechnung und -anpassung missachtet hätte. Entsprechende Bedenken sind auch nicht ersichtlich. Namentlich begehrt auch der Kläger keine Überprüfung der im - bestandskräftigen - Bescheid 11. April 2000 ermittelten Summe der persönlichen Entgeltpunkte. Ebenso wenig rügt der Kläger, dass die Beklagte den einfachgesetzlichen Vorgaben der §§ 65, 68, 255e SGB VI über die - unter der Voraussetzung einer Neufestsetzung des Rentenwertes jeweils zum 1. Juli eines Jahres vorzunehmende - Anpassung der Renten fehlerhaft angewandt habe.

Der Kläger stützt sein Begehren vielmehr darauf, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen zur Gewährung einer höheren Rente bzw. weitergehenden Anhebung der Renten im streitigen Zeitraum verpflichtet gewesen sei. Nach Überzeugung des Senats ist jedoch die Rechtslage, auf der der Rentenbescheids vom 11. April 2000 beruht, verfassungsgemäß, so dass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz ausscheidet. Eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Zu den von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen können zwar grundsätzlich auch öffentlichrechtliche Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung gehören (vgl. BVerfGE 53, 257, 289 f.). Sie genießen Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen und seiner Existenzsicherung dienen (BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86 - BVerfGE 97, 271). Insbesondere Altersrentenansprüche stehen damit unter dem Schutz der Eigentumsgarantie. Dies bedeutet allerdings schon nicht, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen generell daran gehindert wäre, Kürzungen der Rentenbruttobeträge vorzusehen. Rentenansprüche und Anwartschaften weisen zwar einen hohen personalen Bezug auf. Zugleich stehen sie jedoch in einem ausgeprägt sozialen Zusammenhang. Deswegen verleiht Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber auch die Befugnis, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken, Leistungen zu kürzen und Ansprüche und Anwartschaften umzugestalten, sofern dies einem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfG, Beschluss vom 29. Dezember 1999 - 1 BvR 679/98 - SozR 3-2600 § 158 Nr. 2). Vor diesem Hintergrund ist kein Raum für eine Interpretation der verfassungsrechtlichen Vorgaben im Sinne des Klägers. Denn die Verfassung verleiht dem Versicherten keinen Anspruch darauf, dass die an ihn zu erbringenden Rentenzahlungen gemessen an den persönlich erbrachten individuellen Beiträgen im Ergebnis eine bestimmte Rendite im Sinne etwa einer Garantieverzinsung beinhalten.

Soweit der Kläger sinngemäß auch die nach seinem Rentenbeginn (1. Juli 1999) erfolgten Änderungen angreift, lässt sich die Verfassungswidrigkeit der Höhe seiner Rente ebenfalls nicht begründen. Weder die ab dem 1. Juli 2000 erfolgten, nicht mehr an der Lohn- und Gehaltsentwicklung, sondern an der Inflationsrate orientierten Rentenanpassungen (vgl. im einzelnen BSGE 90, 11 ff.), noch die Aussetzung der Rentenanpassung im Jahr 2004 (BSG, Urteil vom 27. März 2007 – B 13 R 37/06 R - veröffentlicht in Juris) sind verfassungswidrig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
Saved