L 4 P 218/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 P 2335/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 218/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 05. Oktober 2005 und der Bescheid der Beklagten vom 20. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. April 2003 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger EUR 7.296,00 zu erstatten.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten des Klägers erster Instanz.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 7.296,00 festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt Anspruch auf Erstattung der Kosten von Pflegesachleistungen für seinen inzwischen verstorbenen Vater K. K. (im Folgenden: Versicherter).

Der Kläger ist Alleinerbe des am 1921 geborenen Versicherten, der am 12. Februar 2004 während der Anhängigkeit des Klageverfahrens verstarb. Der Versicherte war Mitglied der Beklagten in der sozialen Pflegeversicherung. Es bestand eine seelische Behinderung bei Hirnabbauprozess im Alter verbunden mit einem erheblichen Alkoholmissbrauch. Als Schädigungsfolgen des Kriegsdienstes waren seit 01. August 1963 anerkannt Rippenteilausschneidung I bis IV links, Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk, Torsionsskoliose der oberen Brustwirbelsäule sowie Narben an der linken Augenbraue, am linken Oberarm und am rechten Knie mit einer Gesamt-MdE um 50 v.H (Bescheid des damaligen Versorgungsamtes Stuttgart vom 17. Oktober 1963). Durch Beschluss des Notariats N. vom 22. November 2001 wurde der Kläger zum Betreuer bestellt. Dieser schloss mit der Kirchlichen Sozialstation N. die Vereinbarung vom 08. Juli 2002 über die Erbringung von Leistungen in den Bereichen allgemeine Grundpflegeleistungen, hauswirtschaftliche Versorgung, Behandlungspflege, Rehabilitation und sonstige Leistungen. Die vom Versicherten zu tragenden monatlichen Aufwendungen betrugen nach dem Kostenvoranschlag der Kirchlichen Sozialstation vom 03. Juli 2002 EUR 968,77.

Der Versicherte beantragte am 02. Juli 2002 für die Inanspruchnahme der Kirchlichen Sozialstation N. als Vertragspartner der Beklagten Leistungen bei Pflegebedürftigkeit. Auf diesen Antrag erstellte Dr. L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) nach einem Hausbesuch am 12. August 2002, bei dem er auch die Pflegedokumentation einsah, das Gutachten vom 13. August 2002. Er kam zum Ergebnis, ein Zeitaufwand für Verrichtungen der Grundpflege bestehe nicht und für die Hauswirtschaft ein solcher von täglich von 45 Minuten. Bedingt durch seine Alkoholkrankheit sei der Versicherte nicht in der Lage, die Notwendigkeit grundpflegerischer Maßnahmen einzusehen und diese verrichten zu lassen. Es sei davon auszugehen, dass dies nach geeigneter Therapie möglich sein werde.

Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. August 2002 den Leistungsantrag ab. Mit dem Widerspruch trug der Versicherte vor, der Zeitaufwand betrage nach seiner Berechnung für Verrichtungen der Grundpflege täglich 75 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung 72 Minuten. Im daraufhin von der Beklagten veranlassten Kurzgutachten nach Aktenlage vom 05. September 2002 verneinte Dr. W. vom MDK erneut Pflegebedürftigkeit. Vorrangig sei eine Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 10. April 2003. Er stützte sich auf die Gutachten des MDK und wies ergänzend darauf hin, nach den Pflegebedürftigkeits-Richtlinien sei die allgemeine Beaufsichtigung, die über die Sicherung der Verrichtungen auch zur Vermeidung von Eigen- und Fremdgefährdung bei diesen hinausgehe, bei der Bemessung des Hilfebedarfs nicht zu berücksichtigen.

Der Versicherte erhob am (Montag) 12. Mai 2003 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) mit dem Begehren, Pflegesachleistungen zu gewähren. Er wohne allein und sei aus gesundheitlichen und altersbedingten Gründen nicht mehr in der Lage, sich ohne Hilfeleistungen Dritter zu versorgen. Der Hirnabbauprozess beruhe in erste Linie auf Altersgründen, sodass die empfohlene Behandlung der Alkoholkrankheit für die Beseitigung oder Verbesserung der seelischen Behinderung nicht geeignet und ausreichend sei. In den Bereichen Körperpflege und Ernährung sei eine Betreuung von weit mehr als 45 Minuten erforderlich. Der Kläger legte die amtsärztliche Stellungnahme der Dr. F. vom 04. Juli 2002, die diese im Betreuungsverfahren gegenüber dem Amtsgericht Esslingen abgab, vor. Der Versicherte sei nicht mehr geschäftsfähig und bedürfe dauerhaft einer umfassenden Betreuung, da er sich um seine gesamten Angelegenheiten nicht mehr selbst ausreichend kümmern könne. Nach dem Tod des Versicherten führte der Kläger den Rechtsstreit fort, legte die Rechnungen der Kirchlichen Sozialstation N. mit den Leistungsnachweisen für den Zeitraum vom 01. Juli 2002 bis 31. Januar 2004 vor und führte weiter aus, in diesem Zeitraum seien Pflegesachleistungen in Höhe von EUR 17.326,09 erbracht und berechnet worden. Diese Rechnungen und Leistungsnachweise stellten nur einen Ausschnitt der notwendigen Pflegeleistungen dar. Die Sozialstation habe auch Hilfeleistungen bei der Zubereitung und beim Einkauf der Mahlzeiten für erforderlich angesehen. Dieser zusätzlich als erforderlich angesehene Pflegeaufwand sei vertraglich nicht vereinbart gewesen und die finanziellen Möglichkeiten des Versicherten hätten eine weitergehende Fremdbetreuung nicht zugelassen. Im Übrigen seien weitere Pflegeleistungen durch Angehörige und Nachbarn erbracht worden. Aufgrund der Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei ab Januar 2004 eine Ganztagsbetreuung durch eine polnische Staatsangehörige aufgenommen worden.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie wies zunächst darauf hin, da ein Kostenerstattungsanspruch für die selbstbeschafften Sachleistungen bis zum Tod des Versicherten nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen sei, sondern erst im Klageverfahren geltend gemacht worden sei, bestünden Zweifel bezüglich des Übergangs des Anspruchs auf den Erben. Im Übrigen ergebe sich aus den vorgelegten Leistungsnachweisen ein durchschnittlicher Hilfebedarf von 36 Minuten täglich in der Grundpflege, selbst wenn man von einer vollständigen Übernahme der Verrichtungen und nicht lediglich von einer Beaufsichtigung oder Unterstützung ausgehe. Auch seien die Verrichtungen allein dem Bereich der Körperpflege zuzuordnen, sodass nicht mindestens zwei Verrichtungen der Grundpflege erfüllt seien.

Das SG wies durch Urteil vom 05. Oktober 2005 die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, in Zusammenschau der Rechnungen und Leistungsnachweise der Kirchlichen Sozialstation mit den Begutachtungs-Richtlinien ergebe sich ein Wochenwert der Grundpflege in Höhe von 161,77 Minuten, mithin eine Hilfe von täglich durchschnittlich 23,11 Minuten. Hierbei sei zugunsten des Versicherten noch nicht berücksichtigt, dass wohl eine vollständige Übernahme in diesen Bereichen nicht erforderlich gewesen sei, nachdem bereits der MDK-Gutachter Dr. L. darauf hingewiesen habe, der Versicherte sei in der Lage gewesen, die Toilette selbst aufzusuchen.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten erster Instanz am 16. Dezember 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Januar 2006 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, weitere Leistungen der Grundpflege und die gesamte hauswirtschaftliche Versorgung seien von Nachbarschaftshilfe, von ihm, seiner Lebensgefährtin B. und deren Vater erbracht worden. Bereits durch die anerkannte Kriegsbeschädigung sei die Pflege erheblich erschwert gewesen. Weit gravierender sei jedoch die auftretende Abwehrhaltung des Versicherten gewesen. Dies habe aus dem altersbedingten Hirnabbau sowie der Alkoholkrankheit hergerührt. Wegen massiver Inkontinenzen habe regelmäßig eine Ganzkörperreinigung erfolgen müssen. Der Versicherte sei nicht in der Lage gewesen, die Pflegeverrichtungen zu unterstützen. Die große Toilette/Vollbad habe jeweils mindestens 35 bis 40 Minuten gedauert, bei durchschnittlich 12,42 Gesamtkörperwaschungen monatlich mithin durchschnittlich täglich mehr als 14,5 Minuten. Für die kleine Toilette/Teilwäsche sei ein Mindestaufwand von 15 Minuten notwendig gewesen, bei durchschnittlich 18,05 Teilwäschen monatlich mithin durchschnittlich täglich neun Minuten. Im Übrigen habe der Versicherte aus krankheitsbedingten psychischen Gründen die Toilette nicht bzw. nicht rechtzeitig aufgesucht. Hierfür sei er zu verwahrlost gewesen. Für Hilfe bei Ausscheidungen ergebe sich ein mittlerer Wert von 21,5 Minuten pro Tag. Die Nahrungsaufnahme habe überwacht werden müssen. Der tägliche Aufwand hierfür seien mindestens 17,3 Minuten gewesen. Dies habe die Sozialstation nicht abgerechnet. Nach alledem ergebe sich ein Mindestaufwand von täglich 62,8 Minuten. Die hauswirtschaftliche Versorgung habe mehr als 45 Minuten betragen. Mithin liege Pflegestufe I vor. Da bei dem Versicherten die Einsicht in die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme vollständig gefehlt habe, sei der Zeitaufwand der Beaufsichtigung mindestens genau so groß, wie wenn er hätte gefüttert werden müssen. Zusätzlich zu dem Betrag von EUR 17.326,09 für die Kirchliche Sozialstation seien für die Tätigkeit der Nachbarschaftshilfe EUR 4.750,00 gezahlt worden. Geltend gemacht werde der Höchstbetrag für Pflegesachleistungen bei Pflegestufe I von monatlich EUR 384,00, also für 19 Monate EUR 7.296,00. Es sei nochmals zu betonen, dass die tatsächliche Durchführung der Pflege oft gegen den Willen des Versicherten habe stattfinden müssen und einen erhöhten Zeitbedarf notwendig gemacht habe. Dies habe insbesondere bei der Nahrungsaufnahme gegolten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 05. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. April 2003 zu verurteilen, ihm EUR 7.296,00 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das angefochtene Urteil und ihr Vorbringen in der Vorinstanz. Wesentlich neue Gesichtspunkte seien hiergegen nicht vorgetragen worden.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. April 2003 ist rechtswidrig, weil die Beklagte zu Unrecht die Bewilligung von Pflegesachleistungen in Höhe von monatlich EUR 384,00 gegenüber dem Versicherten abgelehnt und der Kläger als Erbe deshalb Anspruch auf Erstattung der durch den Versicherten selbstbeschafften Pflegesachleistungen hat.

In der Pflegeversicherung gilt wie in anderen Bereichen der Sozialversicherung das Sachleistungsprinzip (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB XI ). Die Pflegekasse hat die Leistungen grundsätzlich als Sachleistung oder Naturalleistung zu gewähren. Ein unmittelbarer Kostenerstattungsanspruch für selbstbeschaffte Leistung ist in der Regel nicht gegeben. Ausnahmsweise wird aber ein Anspruch auf Erstattung der Kosten selbstbeschaffter Leistungen zuerkannt, wenn der Sozialversicherungsträger die Leistungen zu Unrecht verweigert hatte oder aus anderen Gründen eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Eine Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen findet dann unter den Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 13 Abs. 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) statt (vgl. für die gesetzliche Unfallversicherung Bundessozialgericht - BSG - SozR 3 2200 § 567 Nr. 3 m.w.N.). Da die Beklagte den Antrag des Versicherten auf Pflegesachleistungen ablehnte, machte der Versicherte jedenfalls für Zeit, in der er Aufwendungen selbst zahlte, sinngemäß einen Kostenerstattungsanspruch geltend.

§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der Anspruch aus § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse bzw. bei der entsprechenden Anwendung im Bereich der sozialen Pflegeversicherung gegen seine Pflegekasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen bzw. Pflegekassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 10).

Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Diese wird durch geeignete Pflegekräfte erbracht, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind (vgl. Satz 3). Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung umfassen Hilfeleistungen bei den in § 14 SGB XI genannten Verrichtungen (§ 36 Abs. 2 1. Halbsatz). Der Anspruch auf häusliche Pflegehilfe umfasst je Kalendermonat für Pflegebedürftige der Pflegestufe I Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von EUR 384,00 (Abs. 3 Nr. 1).

Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bedürfen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung (Körperpflege), beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung (Ernährung) sowie beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität).

Der Zeitaufwand des Hilfebedarfs beim Versicherten betrug täglich mindestens 90 Minuten, wobei auf die Verrichtungen der Grundpflege ein Zeitaufwand von mehr als 45 Minuten entfiel.

Die Sozialstation erbrachte nach den Leistungsnachweisen, die der Senat - wie bereits das SG - seiner Entscheidung zu Grunde legt, die Leistungen "Große Toilette/Vollbad", "Kleine Toilette" und "Hilfe bei Ausscheidungen". Es handelte sich insoweit um die im Bereich Körperpflege genannten Verrichtungen Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren sowie Darm- und Blasenentleerung. Wie das SG geht auch der Senat davon aus, dass die Leistung "Große Toilette/Vollbad" die Ganzkörperwäsche und die Leistung "Kleine Toilette" die Teilwäsche umfasste. Dem ist der Kläger auch in seiner Berufungsbegründung gefolgt. Diese Leistungen wurden nach den zutreffenden Berechnungen des SG, die auch weder der Kläger noch die Beklagte angegriffen haben, 3,33-mal wöchentlich ("Große Toilette") und 4,17-mal wöchentlich ("Kleine Toilette") erbracht. Hinsichtlich des Zeitaufwands für die einzelnen Verrichtungen geht der Senat - wie auch das SG - von den Zeitorientierungswerten der Begutachtungs-Richtlinien aus, hält es jedoch für sachgerecht, soweit Zeitspannen genannt sind, den jeweiligen Höchstwert für die Berechnung zu Grunde zu legen. Dies rechtfertigt sich nach Auffassung des Senats aus dem Umstand, dass der Versicherte bezüglich der Körperpflege nicht einsichtig war. Dies ergibt sich übereinstimmend aus dem Vortrag des Klägers und auch dem Gutachten des Dr. L. vom 13. August 2002. Die Durchführung der jeweiligen Verrichtungen war deshalb nach dem schlüssigen Vortrag des Klägers mit Schwierigkeiten verbunden.

Nach den in Nr. 4.1. der Begutachtungs-Richtlinien in der Fassung vom 11. Mai 2006 genannten Zeitorientierungswerten (bezüglich der Körperpflege unverändert im Vergleich zu den in Nr. 7 der zuvor geltenden Begutachtungs-Richtlinien in der Fassung vom 22. August 2001), die Erfahrungswerte darstellen, beträgt der Hilfebedarf für die Ganzkörperwäsche 20 bis 25 Minuten, für die Teilwäsche Oberkörper acht bis 10 Minuten und für die Teilwäsche Unterkörper 12 bis 15 Minuten. Ausgehend von 25 Minuten für die Ganzkörperwäsche und von 15 Minuten für die Teilwäsche ergibt sich dann ein durchschnittlicher täglicher Zeitaufwand für die "Große Toilette/Vollbad" von 11,9 Minuten (25 Minuten x 3,33: 7) und für die "Kleine Toilette" von 8,9 Minuten (15 Minuten x 4,17: 7). Hinzu kommt, worauf der Kläger zu Recht hinweist, ein täglicher Zeitaufwand für Zahnpflege, Kämmen und Rasieren, nach den Zeitorientierungswerten der Begutachtungs-Richtlinien für die Zahnpflege fünf Minuten, für das Kämmen ein bis drei Minuten und für das Rasieren fünf bis zehn Minuten. Berücksichtigt man wiederum die oberen Werte, ergibt sich ein weiterer täglicher Zeitaufwand von 18 Minuten. insgesamt ergibt sich dann ein täglicher Zeitaufwand von 38,8 Minuten.

Bei der von der Sozialstation erbrachten Hilfe zu Ausscheidungen handelte es sich um Tätigkeiten, die der Verrichtung Darm- und Blasenentleerung zuzuordnen sind. Der Versicherte bedurfte zwar keiner Hilfe beim Toilettengang. Denn er war in seiner Gehfähigkeit nicht derart eingeschränkt, dass er die Toilette nicht selbst aufsuchen konnte. Die entsprechende Feststellung des Dr. L. im Gutachten vom 13. August 2002 wird auch vom Kläger selbst nicht in Frage gestellt. Aufgrund der vorhandenen Erkrankungen, insbesondere des altersbedingten Hirnabbauprozesses, sind Einschränkungen in der Gehfähigkeit auch nicht erkennbar, auch nicht aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen, die seit August 1963 unverändert bestanden. Dies wird dadurch bestätigt, dass der Versicherte in der Lage war, eigenständig sein von ihm bewohntes Haus zu verlassen und wieder in dieses zurückzukehren, vorrangig um sich selbst mit alkoholischen Getränken zu versorgen. Das Problem bestand nach dem Vortrag des Klägers vielmehr darin, dass der Versicherte aus krankheitsbedingten psychischen Gründen die Toilette nicht bzw. nicht rechtzeitig aufsuchte. Aufgrund dessen erfolgten Tätigkeiten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Toilettengang nicht, insbesondere keine Hilfe beim Wasserlassen oder Stuhlgang (Intimhygiene, Toilettenspülung). In alkoholisierten Zustand bestand allerdings eine Harn- und Stuhlinkontinenz, die die Versorgung mit Windeln erforderlich machte. Dies ergibt sich auch aus dem Gutachten des Dr. L. vom 13. August 2002 und wird vom Kläger glaubhaft bestätigt. Die Zeitorientierungswerte der Begutachtungs-Richtlinien gehen für einen Wechseln von Windeln (Intimhygiene, Entsorgung) nach Wasserlassen von vier bis sechs Minuten und nach Stuhlgang von sieben bis zehn Minuten aus. Nach den insoweit ebenfalls zutreffenden Berechnungen des SG erfolgte die Hilfe bei Ausscheidungen 9,72-mal wöchentlich. Berücksichtigt man auch hier wieder den oberen Wert von täglich zehn Minuten, ergibt sich ein täglicher Zeitaufwand von 13,9 Minuten (zehn Minuten x 9,72: 7). Zuzüglich zu dem täglichen Zeitaufwand von 38,8 Minuten für die anderen Verrichtungen im Bereich der Körperpflege ergibt sich dann ein täglicher Zeitaufwand im Bereich der Körperpflege von insgesamt 52,7 Minuten. Selbst wenn man nur eine täglich einmalige Hilfe bei Ausscheidungen von täglich zehn Minuten berücksichtigte, ergäbe sich ein täglicher Zeitaufwand von 48,8 Minuten (38,8 Minuten plus zehn Minuten).

Der Senat vermag - wie bereits auch das SG - dem Gutachten des Dr. L. vom 13. August 2002 insoweit nicht zu folgen, als er jeglichen Zeitaufwand für Verrichtungen bei der Körperwäsche verneinte. Auch wenn man mit ihm davon ausginge, eine Therapie der Alkoholerkrankung (Entgiftung und Entwöhnung) wäre erforderlich gewesen und hätte eine Erfolgsaussicht gehabt, bestand ein tatsächlicher Hilfebedarf jedenfalls bis zum Beginn einer solchen Therapie. Zudem beschreibt der Arzt bei erniedrigtem Alkoholspiegel das Auftreten eines Tremors mit der Unfähigkeit, grundpflegerische Maßnahmen durchzuführen.

Der täglichen Zeitaufwand für die hauswirtschaftlichen Verrichtungen betrug mindestens 45 Minuten. Für den Versicherten musste eingekauft und Mahlzeiten zubereitet sowie die Wohnung und die Wäsche gereinigt werden. Dies ergibt sich übereinstimmend aus dem Vortrag des Klägers, den von ihm vorgelegten Leistungsnachweisen der Sozialstation und auch aus dem Gutachten des Dr. L. vom 13. August 2002.

Da schon für Verrichtungen der Körperpflege ein Zeitaufwand von mehr als 45 Minuten für die Verrichtungen der Grundpflege sich ergibt, braucht der Senat nicht darüber entscheiden, ob auch in den Bereichen Ernährung und Mobilität ein Hilfebedarf bestand oder ob insbesondere im Bereich der Ernährung lediglich ein allgemeiner Aufsichts- und Betreuungsbedarf bestand, der nicht der physischen Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme gleichgesetzt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 01. September 2005 - B 3 P 5/04 R -).

Da der von der Beklagten zu zahlende Betrag für die Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen monatlich EUR 384,00 beträgt, ergibt sich für 19 Monate der Betrag von EUR 7.296,00.

Die Kostenentscheidung beruht bezüglich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 193 SGG und bezüglich des Berufungsverfahrens auf §§ 197a SGG, 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Versicherte gehörte als ursprünglicher Kläger des erstinstanzlichen Verfahrens zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis, sodass das erstinstanzliche Verfahren (gerichts-)kostenfrei ist. Der (Berufungs-)Kläger, der Erbe und nicht Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I) ist, gehört nicht zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5), sodass im Berufungsverfahren keine in § 183 SGG genannte Person beteiligt war.

Gründe zur Zulassung der Revision bestehen nicht.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 1 Nr. 4, 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Für die Festsetzung des Streitwerts war maßgebend die Höhe der geltend gemachten Forderung von EUR 7.296,00.
Rechtskraft
Aus
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