L 4 KR 1878/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 1206/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1878/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 13. März 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1963 geborene Klägerin ist verheiratet und Mutter eines Kindes. Ihr Ehemann ist Mitglied der Beklagten. Vom 30. Dezember 2005 bis 31. Oktober 2006 war sie familienversichertes Mitglied der Beklagten. Seit 1. November 2006 ist sie Beamtin auf Widerruf, erhält Anwärterbezüge für den höheren Dienst (Referendariat) und ist deshalb auch beihilfeberechtigt.

Anlässlich eines Beratungsgesprächs im KundenCenter B. der Beklagten erhielt die Klägerin einen Vordruck für die Mitgliedschaftserklärung zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung. Diesen Vordruck übersandte sie ausgefüllt unter dem 2. November 2006 der Beklagten und gab an, ab 1. November 2006 freiwilliges Mitglied werden zu wollen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin lediglich vom 30. Dezember 2005 bis 31. Oktober 2006 bei ihr (der Beklagten) gesetzlich krankenversichert gewesen und daher die erforderliche Vorversicherungszeit nicht erreicht sei (Bescheid vom 3. November 2006). Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie verwies darauf, bei den bisherigen Gesprächen mit Mitarbeitern der Beklagten den Eindruck erhalten zu haben, dass die formalen Voraussetzungen für die Mitgliedschaft erfüllt seien. Sie bitte deshalb, von den fehlenden 54 Tagen abzusehen und einer freiwilligen Weiterversicherung zuzustimmen. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2007). Die Klägerin erfülle die Vorversicherungszeiten von 24 Monaten bzw. unmittelbar ununterbrochen vor dem Ausscheiden von 12 Monaten nicht.

Die Klägerin hat beim Sozialgericht Freiburg am 12. Februar 2007 Klage erhoben (S 11 KR 823/07), die noch anhängig ist, und am 28. Februar 2007 im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihr (der Klägerin) als freiwilliges Mitglied Versicherungsschutz zu gewähren. Für das Beitrittsrecht nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) sei es grundsätzlich unerheblich, aus welchen Gründen die Familienversicherung ende. Anders als in den Fällen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V müsse die Vorversicherungszeit nicht zwingend durch den Beitrittberechtigten selbst erfüllt werden. Erfülle der zuvor Familienversicherte die Vorversicherungszeit nicht, sei notwendig und ausreichend, dass die Vorversicherungszeit durch den Elternteil, der zuvor die Familienversicherung vermittelt gehabt habe, erfüllt werde. Dass der Gesetzestext nicht erwähne, dass ein bisher familienversicherter Erwachsener zum Beitritt berechtigt sein müsse, wenn er selbst oder der bisher stammversicherte Ehegatte die Vorversicherungszeit erfülle, sei vom Gesetzgeber offensichtlich übersehen worden (Hinweis auf Peters in Kasseler Kommentar, § 9 SGB V "Rdnr. 21" (Stand: Juni 2007 [54. Ergänzungslieferung] Rdnr. 24 am Ende)). Der Erlass der einstweiligen Anordnung sei erforderlich, weil sie außerhalb der Beihilfeberechtigung gegenwärtig keinen Krankenversicherungsschutz genieße.

Die Beklagte ist der Klage und dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung entgegengetreten. Sie hat auf ein Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger verwiesen, in dem diese geregelt hätten, dass nur für Kinder eine Ausnahme gelte, sodass wenn diese die Vorversicherungszeiten nicht erfüllen könnten, diese aber in der Person des bisherigen Stammversicherten erfüllt seien, eine freiwillige Versicherung durchgeführt werden könne. Es mangele an einem Anordnungsgrund, weil kein wesentlicher Nachteil für die Klägerin aus der Ablehnung der freiwilligen Versicherung entstehe. Sie könne vielmehr alternativ eine den Beihilfeanspruch ergänzende private Krankenversicherung wählen.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abgelehnt (Beschluss vom 13. März 2007). Es fehle zwar nicht an dem Anordnungsgrund, weil die Klägerin lediglich über einen teilweisen Krankenversicherungsschutz auf Grund eines Beihilfeanspruchs verfüge und sie sich auch nicht wegen der vertraglichen Bindungswirkung auf die Möglichkeit einer eventuellen privaten Krankenversicherung verweisen lassen müsse. Es fehle jedoch am Anordnungsanspruch. Die nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zu fordernde Vorversicherungszeiten erfülle die Klägerin nicht, weil sie nur für 306 Tage in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen sei. Auf Vorversicherungszeiten ihres Ehegatten könne nach dem eindeutigen Wortlaut nicht abgestellt werden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Nichtberücksichtigung von Vorversicherungszeiten eines Ehegatten um eine planwidrige Lücke handle. Nach der Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 1 in der Fassung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 - GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 - (Bundestags-Drucksache 14/1245) könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber im Falle eines vorzeitigen, das heißt vor Erfüllung der Vorversicherungszeit erfolgenden Ausscheidens eines Ehegatten aus der Familienversicherung, die Folgen übersehen habe. Ehegatten, die vor der Begründung einer Familienversicherung nicht zu dem Personenkreis der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten und ihren Versicherungsschutz bei einer privaten Krankenversicherung begründeten, sollten nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn sie vor Erfüllung der Vorversicherungszeiten aus der Familienversicherung ausscheiden, wieder zur privaten Krankenversicherung zurückkehren.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 16. März 2007 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 4. April 2007 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 10. April 2007). Sie macht wiederum geltend, ihr stehe ein Anspruch auf Beitritt zur freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten zu, weil es sich bei der Nichtberücksichtigung von Vorversicherungszeiten des stammversicherten Ehegatten in § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V um eine planwidrige Regelungslücke handle. Die vom Sozialgericht angeführte Gesetzesbegründung ziele darauf ab, einen Missbrauch zu verhindern. Ein solcher liege jedoch bei der vorliegenden Konstellation nicht vor. Die Auslegung durch das Sozialgericht erscheine zudem systemwidrig, da auch § 9 Abs. 1 Nr. 4 SGB V die Vorversicherungszeit durch einen Ehegatten für ausreichend halte.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 13. März 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr (der Klägerin) vorläufig als freiwilliges Mitglied Versicherungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, eine planwidrige Regelungslücke in § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V liege nicht vor.

II.

Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist statthaft (§ 172 SGG) und zulässig, aber nicht begründet. Der Senat weist die Beschwerde der Klägerin aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Denn das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG, die Beklagte zu verpflichten, ihr (der Klägerin) vorläufig Versicherungsschutz als freiwilliges Mitglied zu gewähren, zu Recht abgelehnt. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für einen Beitritt zur freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht, weil sie lediglich 306 Tage (30. Dezember 2005 bis 31. Oktober 2006) familienversichertes Mitglied der Beklagten war und sich die Familienversicherung auch nicht von einem Elternteil, sondern von ihrem Ehemann ableitete. Unter Berücksichtigung der Begründung des Gesetzgebers zu § 9 Abs. 1 SGB V in der seit 1. Januar 2000 geltenden Fassung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 (Bundestags-Drucksache 14/1245, S. 60) hat das Sozialgericht auch zutreffend dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung auf (im Gesetzeswortlaut nicht genannte) Ehegatten nicht gegeben sein dürften, weil nicht von einer planwidrige Lücke ausgegangen werden kann.

Die Ausführungen der Klägerin in der Beschwerdebegründung können unter Berücksichtigung des derzeitigen Sach- und Streitstandes im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung des Begehrens zu keiner anderen Entscheidung führen.

Ob im konkreten Fall ein Missbrauch gegeben ist oder nicht, dürfte nicht erheblich sein. Dem Gesetzeswortlaut lässt sich nicht entnehmen, dass Vorversicherungszeiten eines Ehegatten nur dann nicht für den Beitritt zur freiwilligen Versicherung berücksichtigt werden können, wenn sich einen Missbrauch feststellen lässt. Der Ausschluss bislang nur kurze Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherter Personen, um die Krankenkassen nicht mit den Risiken bislang versicherungsfremder Personen zu belasten und damit von vornherein jeden Missbrauch auszuschließen, dürfte auf Grund des großen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Gestaltung sozialer Sicherungssysteme keinen rechtlichen Bedenken unterliegen. Mit der Forderung nach vorheriger Zurücklegung einer bestimmten Vorversicherungszeit vor dem Beitritt wird vor allem der Kreis derjenigen, die überhaupt Zugang zur Krankenversicherung haben sollen, enger gezogen, um die Krankenkassen durch eine Verringerung der Zeit der Beitrittberechtigten zu entlasten.

Auch die Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 SGB V dürfte die von der Klägerin vertretene Auffassung nicht stützen, weil der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden großen Gestaltungsspielraums auch in anderen Bereichen schwerbehinderten Menschen besondere Vergünstigungen einräumt.

Gegen eine planwidrige Lücke spricht des Weiteren, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit zum Beitritt zur freiwilligen Versicherung differenziert für verschiedene Fallgestaltungen geregelt hat, sodass die verschiedenen Tatbestände nicht miteinander vermengt werden können.

Schließlich spricht gegen eine planwidrige Lücke auch, dass der Gesetzgeber bei den zahlreichen Änderungen des SGB V seit dem 1. Januar 2000 die Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nicht änderte, so zuletzt auch nicht mit dem am 1. April 2007 in Kraft getretenen Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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