Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 1403/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 5486/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. November 2005 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2003 und des Bescheids vom 05. Januar 2005 verurteilt, der Klägerin einen Blindenführhund zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte Kosten für die Versorgung der Klägerin mit einem Blindenführhund zu übernehmen hat.
Die am 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Rentnerin versichert. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Kinder (1992 und 1993 geboren) und nicht berufstätig. Bei ihr liegt ein Myopie mit Astigmatismus beidseits und eine Aniridie beidseits mit Sehschwäche vor. Deshalb stellte die ärztliche Gemeinschaftspraxis Dr. G./Dr. S. am 24. Oktober 2003 eine Hilfsmittelverordnung über die Versorgung der Klägerin mit einem Blindenführhund aus. Nach Vorlage der Hilfsmittelverordnung bei der Beklagten reichte die Klägerin einen Kostenvoranschlag der Blindenführhundschule Se. in 86633 Neuburg-Zell vom 29. Oktober 2003 bei der Beklagten ein. Der Kostenvoranschlag belief sich auf insgesamt EUR 19.461,16. Enthalten waren Kosten für die Zucht und Aufzucht eines ausbildungsfähigen Hundes, die Ausbildung des Hundes, die Untersuchung des Gesundheitszustands, die Pflege- und Futterkosten während der Ausbildung, das Führhundzubehör, einen Einführungslehrgang inklusive Training am Wohnort des Führhundhalters, die Kosten für Hotelübernachtungen und Fremdverpflegung sowie An- und Rückfahrt. Dr. R., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg Karlsruhe (MDK), forderte zunächst mit seiner Stellungnahme vom 30. Oktober 2003 weitere Befundunterlagen an. Die Klägerin reichte einen Arztbrief des Augenarztes Dr. A. vom 08. Dezember 2003 bei der Beklagten ein. Er gab an, der Visus rechts liege bei cc 1/35 und links bei cc "Handbewegung". Es liege eine Myopie mit Astigmus beidseits, eine Aniridie beidseits mit Sehschwäche, ein Nystagmus, ein Katarakt und eine Microkornea links vor. Eine ophthalmologische Ursache für die Cephalgie und Hinweise wegen der Raumforderung könne er nicht feststellen. Dr. W., MDK, führte hierauf in seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 2003 aus, im Vergleich zur Situation 1997 sei die Sehkraft weiter gemindert worden. Notwendig wäre eine Stellungnahme des Augenarztes, wodurch diese weitere Sehkraftminderung ausgelöst worden sei und ob nicht möglicherweise eine Operation ein Besserung herbeiführen könne. Ob ein Mobilitätstraining durchgeführt worden sei, sei nicht ersichtlich. Dr. A. teilte daraufhin mit, die Ursache der Sehkraftminderung könne er nicht angeben. Eine Besserung durch eine Operation sei theoretisch möglich, könne aber nicht vorhergesagt werden.
Mit Bescheid vom 29. Dezember 2003, dem eine Rechtsmittelbelehrung nicht beigefügt war, lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für den Blindenführhund ab. Kosten für einen solchen könnten erst dann übernommen werden, wenn wirtschaftlichere Alternativen nicht möglich seien. Zunächst sei die Durchführung eines Mobilitätstrainings die wirtschaftlichere Wahl. Die Klägerin teilte daraufhin zunächst mit, sie wünsche ein Mobilitätstraining und legte ein Attest des Arztes für Augenheilkunde Prof. Dr. Ro., Augenklinik im Universitätsklinikum H., vom 19. Januar 2004 vor. Er gab an, bei der Klägerin bestehe beidseits Blindheit im Sinne des Gesetzes infolge einer beidseitigen Aniridie. Die Sehschärfe sei beidseits auf 0,01 herabgesetzt, das Gesichtsfeld beidseits konzentrisch eingeengt. Eine selbstständige Orientierung sei nicht mehr möglich. Zur Erlangung der eigenständigen Orientierung im Straßenverkehr und zum Erlernen von Technik und Einsatz des Blindenstocks sei deshalb die Durchführung eines Mobilitätstrainings dringend erforderlich. Wegen der familiären Situation sei ein ambulantes Training angezeigt. Dr. Gr., MDK, führte hierzu in seiner Stellungnahme vom 11. Februar 2004 aus, es bestehe Blindheit im Sinne des Gesetzes, sodass ein Mobilitätstraining zum Gebrauch des Langstocks medizinisch indiziert sei. Bei der vorliegenden Diagnose werde von den Spitzenverbänden der Krankenkassen von der Arbeitsgruppe M8 "Hilfsmittel/Medizinprodukte" die Kostenübernahme für ein 20-stündiges Training empfohlen. Weiterhin stünden dem Blinden zwei Langstöcke zu. Mit Bescheid vom 14. Februar 2004 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme für ein Mobilitätstraining für maximal 20 Stunden mit einem Stundensatz von EUR 38,86 sowie gegebenenfalls zwei Blindenlangstöcke für maximal EUR 127,82.
Am 16. Februar 2004 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. Dezember 2003 ein. Zweck der Versorgung mit einem Hilfsmittel sei es, die Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse zu sichern. Hierzu gehöre auch die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Blindheit bedeutet den Verlust der Orientierungsfähigkeit und als Folge davon den Verlust der Mobilität. Durch einen Blindenführhund werde die zur Umweltkontrolle erforderliche Sehfähigkeit ausgeglichen. Der Blindenführhund ermögliche allgemeine Verrichtungen des täglichen Lebens, insbesondere die Teilnahme am Straßenverkehr und diene damit elementaren Grundbedürfnissen. Die Ausstattung mit einem Blindenführhund sei nicht deshalb unwirtschaftlich, weil bisher noch kein Mobilitätstraining durchlaufen sei. Sie benötige das Mobilitätstraining und die Ausstattung mit einem Blindenführhund. Sie könne sich zwar innerhalb der Wohnung und in der näheren, ihr bekannten Umgebung mittels eines Blindenlangstocks bewegen. In unbekannter Umgebung könne sie den Langstock jedoch nicht mehr sicher einsetzen und sei auf die Hilfe anderer Personen angewiesen. Zwar sei ihr Ehemann nicht mehr berufstätig, er könne aber nicht längere Zeit gehen. Aus diesem Grund habe die Hausärztin, Dr. S., die das Problem kenne, die Erforderlichkeit eines Blindenführhundes bejaht.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2004 führte die Beklagte aus, bei der Kostenübernahme für einen Blindenführhund sei stets zu beachten, dass mit der Versorgung mit einem Blindenlangstock und einem dazugehörigen Mobilitätstraining der Ausgleich der Behinderung sichergestellt sei. Sie könne nur die Kosten für ein Mobilitätstraining oder einen Blindenführhund übernehmen. Eine Doppelleistung sei nicht vorgesehen. Mit weiterem Schreiben vom 26. Februar 2004 führte die Beklagte aus, zwischenzeitlich habe die Mobilitätstrainerin, Frau Go., mitgeteilt, ein Mobilitätstraining zu EUR 38,86 könne sie nicht durchführen. Der Stundensatz basiere auf einer vertraglichen Regelung zwischen den Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. in Bad Liebenzell und der Krankenkasse. Eine höhere Kostenübernahme sei nicht möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2004 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Das Mobilitätstraining mit Einsatz eines Blindenlangstocks sei zur eigenständigen Orientierung in fremder Umgebung geeignet. Nach Absolvierung eines Mobilitätstrainings sei es unwahrscheinlich, dass die Notwendigkeit eines Führhundes weiterhin bestehe. Das Mobilitätstraining, das auch in dem Attest des Prof. Dr. Ro. vom 19. Januar 2004 für erforderlich gehalten werde, sei daher aus wirtschaftlichen Gründen als ausreichend und zweckmäßig anzusehen.
Deswegen hat die Klägerin am 07. April 2004 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Unstreitig habe sie grundsätzlich Anspruch auf Versorgung mit Blindenhilfsmitteln. Sie sei nicht in der Lage, sich ohne Blindenhilfsmittel zu orientieren und fortzubewegen. Der durch die Blindheit bedingte Verlust der Orientierungsfähigkeit und als Folge davon der Verlust der Mobilität könne nur durch einen Blindenführhund ausgeglichen werden. Ein bloßes Mobilitätstraining bewirke keinen ausreichenden Ausgleich der Sehbehinderung. Ein Blindenführhund sei dem Blindenlangstock funktional deutlich überlegen. Der Langstock stelle nur einen "verlängerten Zeigefinger" dar, der Blindenführhund könne darüber hinausgehende optische Wahrnehmungen zumindest teilweise ersetzen und ausgleichen. Dadurch könne ein blinder Mensch zügig, entspannt und zielsicher gehen, auch in offenem Gelände, durch Menschenansammlungen an Baustellen oder auf einer Schneedecke. Zum ausreichenden Ausgleich der Sehbehinderung sei deshalb sowohl ein Orientierungs- und Mobilitätstraining als auch die Versorgung mit einem Blindenführhund erforderlich.
Die Beklagte hat die Stellungnahme des Dr. Gr., MDK, vom 09. Juli 2004 vorgelegt, worin er darauf hingewiesen hat, dass sowohl bei Anträgen auf Mobilitätstraining als auch auf Versorgung mit einem Blindenführhund zu beachten sei, dass das elementare Grundbedürfnis auf Fortbewegung nur die Fortbewegung im näheren Umfeld, nicht aber auch in fremder Umgebung umfasse. Es müsse ein erfolgreich abgeschlossenes Mobilitätstraining nachgewiesen werden. Weiter sei zu klären, ob die häuslichen Voraussetzungen für das Halten eines Hundes gegeben seien.
Im Laufe des Klageverfahrens hat die Klägerin vom 22. bis 26. November 2004 ein Mobilitätstraining im Rehazentrum im Rudolf-Kraemer-Haus, Bad Liebenzell, absolviert. In einem Beurteilungsbogen vom 29. November 2004 hat das Rehazentrum mitgeteilt, die Klägerin sei nun in der Lage, die täglichen Wege selbstständig zu gehen. Für die weitere Sicherheit im Straßenverkehr werde die Ausrüstung mit einem Führhund empfohlen.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 05. Januar 2005 die Versorgung mit einem Blindenführhund "definitiv" abgelehnt und statt dessen angeboten, eventuell vorhandene Lücken im Bereich der Mobilität durch weitere ergänzende Stunden Mobilitätstraining aufzufüllen. Mobilitätstraining mit ausreichender Stundenzahl mache in aller Regel einen Blindenführhund entbehrlich. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin mit Schreiben vom 10. Januar 2005 Widerspruch eingelegt.
Die Klägerin hat weiterhin die Versorgung mit einem Blindenführhund für notwendig erachtet und ergänzend ausgeführt, bis vor kurzem habe sich noch ihr Ehemann bei Wegen außer Haus um sie gekümmert. Ihr Ehemann sei jedoch gesundheitlich wegen eines massiven Rückenleidens sehr angeschlagen, sodass er sie nicht mehr ohne weiteres begleiten könne. Sie sei deshalb gezwungen, jetzt selbstständiger zu werden und die alltäglichen Geschäfte außer Haus (Einkaufen von Lebensmitteln und Gegenstände des täglichen Bedarfs sowie Arztbesuche) selbst zu erledigen. Deshalb habe sie zwischenzeitlich auch ein Mobilitätstraining absolviert. Der beantragte Blindenführhund sei zur Erfüllung dieser Bedürfnisse notwendig. Ein Blindenlangstock reiche hierfür nicht aus. Sie hat auf eine gutachterliche Stellungnahme des Richters am Landgericht i. R. E. R. im Auftrag des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V. vom 29. Januar 2002 (www.dbsv.org) verwiesen.
Die Beklagte hat ergänzend ausgeführt, gerade das Mobilitätstraining mit Einsatz eines Blindenlangstocks sei zur eigenständigen Orientierung in fremder Umgebung geeignet und die Wege zum Einkaufen und zum Arzt könnten auch mit dem Blindenlangstock antrainiert werden. Viele Patienten würden in die Lage versetzt werden, so auch Wege in der weiteren Umgebung zurückzulegen, ohne dass dafür ein Blindenführhund benötigt werde.
In einem Beweisaufnahmetermin vom 26. September 2005 hat das SG die Klägerin sowie als Zeugen P. S., Mobilitätstrainerin, und den öffentlich beeidigten Sachverständige für das Blindenführhundwesen W. Se. gehört. Wegen ihrer Angaben wird auf die Niederschrift vom 16. September 2005 verwiesen. Mit Urteil vom 29. November 2005 hat das SG die Klage - auch gegen den Bescheid vom 05. Januar 2005 - abgewiesen. Ein Hilfsmittel diene zur Befriedigung von Grundbedürfnissen. Hierzu gehöre auch das Erschließen eines gewissen körperlichen Freiraums. Dabei sei nur auf die Zurücklegung von Entfernungen abzustellen, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklege. Der Blindenführhund diene nur in unwesentlichem Umfang dem Ausgleich vorhandener Einschränkungen der Mobilität. Ein Blindenführhund sei zwar in der Lage, eine Erweiterung des körperlichen Freiraums über den Nahbereich hinaus und im Nahbereich bei ungewohnten und schwierigen Verkehrssituationen im Sinne einer zusätzlichen Sicherheit und Bewegungssicherheit zu gewähren. Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln beschränke sich jedoch nur auf einen Funktionsausgleich im Sinne eines Basisausgleichs. Maßstab hierfür sei letztlich der Nahbereich der Wohnung der Klägerin. In diesem Bereich bietet der Blindenführhund keine wesentlichen Vorteile. Die Wegstrecken seien teilweise (Begleitung der elf und zwölf Jahre alten Kinder zur Schule) nicht notwendig, teilweise (Spaziergänge, Wegstrecken ohne besondere Verkehrsverhältnisse) ohne Blindenführhund möglich. Soweit darüber hinaus Strecken zurückzulegen seien, die bei der Erledigung von Alltagsgeschäften anfielen und mit vermehrten Ängsten der Klägerin verbunden seien, bedürfe sie ohnehin einer Begleitung (z.B. Einkäufe) oder dem Ehemann sei im Rahmen der ehelichen Beistandspflichten eine Begleitung seiner Ehefrau zumutbar.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten erster Instanz am 02. Dezember 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Dezember 2005 beim SG Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht sich die Klägerin im Wesentlichen auf ihre bisherigen Ausführungen. Das SG verkenne, dass es bei blinden Menschen nicht um den Ausgleich des Grundbedürfnisses Mobilität, sondern um den Ausgleich des Grundbedürfnisses im Bereich des Sehens gehe. Zu den Grundbedürfnissen würden die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens, wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, gehören. Dazu gehöre auch die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Der Blindenführhund diene unmittelbar dem Ausgleich der Sehbehinderung. Dies habe auch das Bundessozialgericht - BSG - (Urteil vom 25. Februar 1981, 5a/5 RKn 35/78 = SozR 2200 § 182b Nr. 199) speziell zur Blindenführhundversorgung grundlegend festgestellt. Der Blindenführhund ersetze und gleiche die fehlende optische Wahrnehmung aus. Der Blindenlangstock sei keine ausreichende Versorgung. Das SG habe auch zu Unrecht ergänzend darauf abgestellt, dass sie sich den Nahbereich mit Hilfe ihres arbeitslosen Ehemannes erschließen könne. Eine solche eheliche Beistandspflicht bestehe nicht. Darüber hinaus sei der Ehemann gesundheitlich schwer angeschlagen. Sie mache auch vorsorglich geltend, dass die Beklagte entsprechend dem Kostenvoranschlag EUR 21.500,00 zu erstatten habe. Es gebe keinen gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zugelassenen Leistungserbringer für die Versorgung mit dem Hilfsmittel Blindenführhund. Es liege somit eine Versorgungslücke bzw. eine Systemstörung vor. Rechtsfolge der Systemstörung sei, dass die Beklagte abweichend vom Sachleistungsgrundsatz die Kosten des von ihr (der Klägerin) benötigten selbst beschafften Blindenführhunds in der entstandenen Höhe zu erstatten habe. Solange die Krankenkassen keine Versorgungsverträge nach § 127 SGB V und keine Preisvereinbarungen mit Blindenführhundlieferanten abgeschlossen hätten, keine Qualitätskontrollen der Schulen durchgeführt würden und kein einheitlicher Qualitätsstandard garantiert sei, könnten Preisunterschiede einzelner Blindenführhundschulen nicht zu Lasten der Versicherten gehen. Die Klage werde deshalb dahingehend erweitert, dass nicht mehr nur die Versorgung mit einem Blindenführhund begehrt werde, sondern die Beklagte verpflichtet werde, die Kosten in Höhe von EUR 21.500,00 zu übernehmen. Ein bestehender Sachleistungsanspruch, gerichtet auf die Versorgung mit einem Blindenführhund, wandle sich in einen Kostenerstattungsanspruch. Die Klägerin bezieht sich auf Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 17. Juni 1998 (L 4 KR 56/96), des SG Frankfurt vom 21. Februar 2002 (S 25 KR 2166/99), des SG Marburg vom 27. Mai 2004 (S 6 KR 108/03), des Hessischen LSG vom 04. Mai 2006 (L 8/14 KR 148/02), des SG für das Saarland vom 10. Oktober 2006 (S 1 ER 31/06 KR) und des SG Aachen vom 29. Mai 2007 (S 13 KR 99/06). Sie hat eine Fotodokumentation zu ihrer örtlichen Situation vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. November 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2004 sowie den weiteren Bescheid der Beklagten vom 05. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie mit einem Blindenführhund aus der Blindenführhundschule Se. zu versorgen, hilfsweise sie von den Kosten in Höhe von EUR 21.500,00 abzüglich EUR 10,00 Eigenanteil freizustellen bzw. die Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer bisherigen Auffassung fest. Die Versorgung mit einem Blindenführhund sei unwirtschaftlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG und die Senatsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2003, mit dem die Beklagte die Versorgung mit einem Blindenführhund ablehnte sowie der Bescheid vom 05. Januar 2005, mit dem die Beklagte nochmals eine Entscheidung im Hinblick auf den nach dem Mobilitätstraining erneut gestellten Antrag der Klägerin auf Versorgung mit einem Blindenführhund traf. Dieser Bescheid wurde entsprechend § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens. Nicht streitgegenständlich ist das Schreiben vom 16. Februar 2004. Bei diesem Schreiben handelt es sich nicht um einen auf eine Regelung gerichteten Verwaltungsakt im Sinne des § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Mit diesem Schreiben brachte die Beklagte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens lediglich ihre bisherige Rechtsauffassung nochmals zum Ausdruck. Ein eigenständiger Regelungsgehalt kommt diesem Schreiben nicht zu.
II.
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG zulässige und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 29. Dezember 2003 und 05. Januar 2005 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Beklagte einen (Sachleistungs-)Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Blindenführhund ablehnte. Die Klägerin hat einen (Sachleistungs-)Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund, allerdings nicht konkretisiert auf einen der Blindenführhundschule Se ...
Da die Klägerin einen Blindenführhund bislang nicht erworben hat und auch keine Verträge geschlossen hat, die sie zur Abnahme eines Blindenführhundes und zur Zahlung einer entsprechenden Vergütung verpflichten, kommt ein Anspruch auf Kostenübernahme oder auf Freistellung von Kosten in bestimmter Höhe nicht in Betracht. Die Klägerin muss vielmehr die Versorgung mit einem Blindenführhund durch die Beklagte begehren. Dem hat sie mit der Antragstellung zum Hauptantrag in der mündlichen Verhandlung des Senats Rechnung getragen.
Die Klägerin hat Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund durch die Beklagte als Sachleistung. Der Anspruch ergibt sich aus § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung u.a. mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihren Gebrauch (bis 31. März 2007 § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB V, seit 01. April 2007 § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB V).
Ein Blindenführhund stellt für Blinde ein solches "Hilfsmittel" dar (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 199). Ein Blindenführhund dient dem Ausgleich einer Behinderung. Im Falle der Blindheit oder einer nahezu vollständigen Blindheit, wie im Falle der Klägerin, dient der Blindenführhund dem Ersatz des vollständig oder weitgehend verlorenen Sehvermögens. Er dient damit auch der Orientierung im Raum und der Mobilität, die infolge des Verlusts der Sehfähigkeit eingeschränkt oder völlig weggefallen sind.
Die Versorgung mit einem Blindenführhund ist im Falle der Klägerin erforderlich, um die bei ihr bestehende Behinderung durch den nahezu vollständigen Verlust des Sehvermögens auszugleichen. Der durch die Versorgung mit einem Hilfsmittel angestrebte Behinderungsausgleich erstreckt sich nicht nur auf einen möglichst weitgehenden Ausgleich der Behinderung selbst, sondern soll in der Tendenz möglichst weitgehend auch mittelbare Folgen der Behinderung ausgleichen. Der Behinderungsausgleich, den die Krankenkassen zu leisten haben, bezieht sich allerdings nicht auf eine berufliche oder soziale Rehabilitation, sondern erfasst einen möglichen Behinderungsausgleich im Bereich des täglichen Lebens und dabei auf die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn. 31 und 32). Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören die grundlegenden Verrichtungen, wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, selbstständiges Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29). Das Grundbedürfnis des Erschließens eines Freiraums hat die Rechtsprechung bislang immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den Möglichkeiten des Gesunden verstanden und dabei nur auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder zu Fuß zurücklegt sowie auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Hierzu zählt z.B. das Einkaufen, die Erledigung von Post- und Bankgeschäften sowie der Besuch von Apotheken, Ärzten und Therapeuten (vgl. BSG, Urteil vom 19. April 2007, B 3 KR 9/06 R, mit weiteren Nachweisen). Die Versorgung mit einem Blindenführhund ist grundsätzlich geeignet, das Grundbedürfnis des Sehens sowie das Grundbedürfnis der Erschließung eines körperlichen und geistigen Freiraums auszugleichen. Ein Blindenführhund bringt für die Klägerin gerade auch im Nahbereich und im unmittelbaren häuslichen Umfeld entscheidende Vorteile mit sich. Insbesondere die bei ihr bestehende Angst und Unsicherheit beim Gehen nur mit dem Blindenlangstock wird durch den Einsatz eines Blindenführhundes gemildert bzw. beseitigt. Die Klägerin wird deshalb unter Verwendung eines Blindenführhundes in die Lage versetzt, Verkehrswege auch im unmittelbaren häuslichen Umfeld sicher und zielstrebig zurückzulegen. Dies ergibt sich aus den Angaben der vom SG gehörten Zeugin S. in ihrer Vernehmung in der nichtöffentlichen Sitzung vom 16. September 2005. Sie gab an, dass die Klägerin bei dem Mobilitätstraining darin unterrichtet wurde, allein aus dem Haus zu gehen und die wichtigsten Wege in ihrem unmittelbaren häuslichen Umfeld zurückzulegen. Dabei fiel auf, dass die Klägerin unter Angst und deshalb entstehender Unsicherheit litt. Insbesondere der Einfluss von Verkehrslärm, Baustellen und Hindernissen erforderten hohe Konzentration und Nervenkraft. Auch die Zeugin S. hielt deshalb den Einsatz eines Führhundes für wünschenswert, weil er der Klägerin in jeder Hinsicht Entlastung bringen könnte.
Aus diesem Grund greift die Erwägung des SG, wonach ein Blindenführhund lediglich außerhalb des Nahbereichs entscheidende Vorteile bringe, nicht durch. Richtig ist zwar, dass das BSG im Hinblick auf die Ermöglichung eines Bewegungsradius auf die Fähigkeit, Entfernungen, die üblicherweise zu Fuß erreicht werden, abgestellt hat (BSG aaO). Allerdings zeigen sich bei der Klägerin erhebliche Gebrauchsvorteile auch im Nahbereich und in der unmittelbaren Umgebung der Wohnung. Insofern stellt die Verwendung eines Blindenführhundes eine wesentliche Steigerung der Sicherheit auch im Nahbereich dar. Es kommt deshalb nicht entscheidend darauf an, ob der Blindenführhund auch in räumlich weiter entfernten Umgebungen Einsatzvorteile bringt oder nicht. Insofern kann die Klägerin nicht darauf verwiesen werden, dass bereits ein Mobilitätstraining absolviert worden ist und sich die Beklagte bereit erklärt hat, weitere Stunden an Mobilitätstraining zu gewähren. Wie sich aus den Angaben der Zeugin S. ergibt, besteht trotz des Mobilitätstrainings seitens der Klägerin Angst und ein unsicheres Verhalten beim Gehen mit dem Blindenlangstock im Nahbereich.
Da der Blindenführhund auch im Nahbereich gesteigerte und erhebliche Gebrauchsvorteile mit sich bringt, ist ein Vergleich der entstehenden Kosten bei Versorgung mit einem Blindenführhund mit den Kosten eines Mobilitätstrainings nicht zulässig. Ein Wirtschaftlichkeitsvergleich wäre nur dann angezeigt, wenn mehrere Versorgungsmöglichkeiten, die aber denselben Erfolgsgrad erreichen, gegeben wären. Gerade dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die Klägerin muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, sie habe jahrelang ohne einen Blindenführhund gelebt. Die Frage, ob und wie sie ihr tägliches Leben in den zurückliegenden Jahren gemeistert hat, spielt für die Frage, ob ein Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel jetzt besteht, keine Rolle. Der Anspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Ehemann der Klägerin diese bei verschiedenen Gängen begleitet hat und auch in Zukunft begleiten könnte. Die Versorgung mit Hilfsmitteln soll einen möglichst weitgehenden Grad der Unabhängigkeit auch von Hilfen anderer Personen erreichen. Zudem kann eine Situation eintreten, in der die Begleitperson nicht zur Verfügung steht (z.B. notwendiger Krankenhausaufenthalt der Begleitperson). Darüber hinaus besteht keine Verpflichtung des Ehemannes, etwa aufgrund seiner ehelichen Beistandspflichten, die Klägerin immer und überall zu begleiten. Unerheblich ist dabei, dass der Ehemann der Klägerin nach Vortrag der Klägerin aufgrund gesundheitlicher Belastungen nicht oder nicht mehr im bisherigen Umfang in der Lage ist, die Klägerin bei deren Wege zu führen.
Wie sich aus den für den Senat glaubhaften Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergibt, stehen auch die Wohnverhältnisse der Klägerin (Wohnungsgröße 100 m2) einer artgerechten Haltung eines Blindenführhundes nicht entgegen.
Da ein Blindenführhund weder ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist noch nach § 34 Abs. 4 SGB V als Heil- oder Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen ausgeschlossen ist und auch ein Höchstbetrag nach § 33 Abs. 2 SGB V in Verbindung mit § 36 SGB V nicht festgesetzt ist sowie die ärztliche Verordnung der Dres. G./S. vom 24. Oktober 2003 vorliegt, ist die Beklagte grundsätzlich verpflichtet, der Klägerin im Wege der Sachleistung einen Blindenführhund zur Verfügung zu stellen. In welcher Weise die Beklagte den bestehenden Versorgungsanspruch der Klägerin erfüllt, obliegt ihr. Sinnvoller Weise ist wegen der Besonderheiten der Versorgung mit einem Blindenführhund eine Einbindung der Klägerin in die Auswahl des Leistungserbringers angezeigt. Deshalb war eine Begrenzung auf die Versorgung mit einem Blindenführhund aus einer bestimmten Blindenführhundschule nicht auszusprechen.
Es mag zwar sein, dass, wie die Klägerin vorträgt, die Krankenkassen bisher noch keine Verträge über die Versorgung mit Blindenführhunden als Hilfsmittel im Sinne des § 127 Abs. 1 SGB V geschlossen haben. Dies ändert aber nichts daran, dass grundsätzlich die Krankenkassen verpflichtet sind, den Versicherten erforderliche Hilfsmittel im Wege der Sachleistung nach § 2 Abs. 2 SGB V zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend sieht der Versorgungsweg vor, dass die Vergütung der Leistung nicht über den Versicherten, sondern unmittelbar zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer erfolgt. Eine Durchbrechung des Sachleistungsprinzips gemäß § 13 Abs. 1 SGB V bzw. § 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) ist nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen möglich. Ein solcher Ausnahmefall liegt nach derzeitigem Sachstand nicht vor. Denn ein Anspruch auf Kostenerstattung oder auf Freistellung von Kosten besteht nicht. Denn die Klägerin hat bisher einen Blindenführhund noch nicht erworben, so dass ihr Kosten nicht entstanden sind. Auch besteht - wie die Klägerin auf Frage in der mündlichen Verhandlung des Senats erklärte - keine wirksame Verpflichtung, etwa aufgrund eines bereits geschlossenen Vertrags mit einer Blindenführhundschule, zukünftig Kosten in einer bestimmten Höhe zahlen zu müssen. Allein aufgrund des vorgelegten Kostenvoranschlags der Blindenführhundschule Se. ergibt sich noch keine Verpflichtung der Klägerin, einen Blindenführhund von dieser Schule abzunehmen und den dafür verlangten Preis zu zahlen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Sachleistung Erfolg hatte, hält es der Senat für angemessen, der Beklagten die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge in vollem Umfang aufzugeben.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte Kosten für die Versorgung der Klägerin mit einem Blindenführhund zu übernehmen hat.
Die am 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Rentnerin versichert. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Kinder (1992 und 1993 geboren) und nicht berufstätig. Bei ihr liegt ein Myopie mit Astigmatismus beidseits und eine Aniridie beidseits mit Sehschwäche vor. Deshalb stellte die ärztliche Gemeinschaftspraxis Dr. G./Dr. S. am 24. Oktober 2003 eine Hilfsmittelverordnung über die Versorgung der Klägerin mit einem Blindenführhund aus. Nach Vorlage der Hilfsmittelverordnung bei der Beklagten reichte die Klägerin einen Kostenvoranschlag der Blindenführhundschule Se. in 86633 Neuburg-Zell vom 29. Oktober 2003 bei der Beklagten ein. Der Kostenvoranschlag belief sich auf insgesamt EUR 19.461,16. Enthalten waren Kosten für die Zucht und Aufzucht eines ausbildungsfähigen Hundes, die Ausbildung des Hundes, die Untersuchung des Gesundheitszustands, die Pflege- und Futterkosten während der Ausbildung, das Führhundzubehör, einen Einführungslehrgang inklusive Training am Wohnort des Führhundhalters, die Kosten für Hotelübernachtungen und Fremdverpflegung sowie An- und Rückfahrt. Dr. R., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg Karlsruhe (MDK), forderte zunächst mit seiner Stellungnahme vom 30. Oktober 2003 weitere Befundunterlagen an. Die Klägerin reichte einen Arztbrief des Augenarztes Dr. A. vom 08. Dezember 2003 bei der Beklagten ein. Er gab an, der Visus rechts liege bei cc 1/35 und links bei cc "Handbewegung". Es liege eine Myopie mit Astigmus beidseits, eine Aniridie beidseits mit Sehschwäche, ein Nystagmus, ein Katarakt und eine Microkornea links vor. Eine ophthalmologische Ursache für die Cephalgie und Hinweise wegen der Raumforderung könne er nicht feststellen. Dr. W., MDK, führte hierauf in seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 2003 aus, im Vergleich zur Situation 1997 sei die Sehkraft weiter gemindert worden. Notwendig wäre eine Stellungnahme des Augenarztes, wodurch diese weitere Sehkraftminderung ausgelöst worden sei und ob nicht möglicherweise eine Operation ein Besserung herbeiführen könne. Ob ein Mobilitätstraining durchgeführt worden sei, sei nicht ersichtlich. Dr. A. teilte daraufhin mit, die Ursache der Sehkraftminderung könne er nicht angeben. Eine Besserung durch eine Operation sei theoretisch möglich, könne aber nicht vorhergesagt werden.
Mit Bescheid vom 29. Dezember 2003, dem eine Rechtsmittelbelehrung nicht beigefügt war, lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für den Blindenführhund ab. Kosten für einen solchen könnten erst dann übernommen werden, wenn wirtschaftlichere Alternativen nicht möglich seien. Zunächst sei die Durchführung eines Mobilitätstrainings die wirtschaftlichere Wahl. Die Klägerin teilte daraufhin zunächst mit, sie wünsche ein Mobilitätstraining und legte ein Attest des Arztes für Augenheilkunde Prof. Dr. Ro., Augenklinik im Universitätsklinikum H., vom 19. Januar 2004 vor. Er gab an, bei der Klägerin bestehe beidseits Blindheit im Sinne des Gesetzes infolge einer beidseitigen Aniridie. Die Sehschärfe sei beidseits auf 0,01 herabgesetzt, das Gesichtsfeld beidseits konzentrisch eingeengt. Eine selbstständige Orientierung sei nicht mehr möglich. Zur Erlangung der eigenständigen Orientierung im Straßenverkehr und zum Erlernen von Technik und Einsatz des Blindenstocks sei deshalb die Durchführung eines Mobilitätstrainings dringend erforderlich. Wegen der familiären Situation sei ein ambulantes Training angezeigt. Dr. Gr., MDK, führte hierzu in seiner Stellungnahme vom 11. Februar 2004 aus, es bestehe Blindheit im Sinne des Gesetzes, sodass ein Mobilitätstraining zum Gebrauch des Langstocks medizinisch indiziert sei. Bei der vorliegenden Diagnose werde von den Spitzenverbänden der Krankenkassen von der Arbeitsgruppe M8 "Hilfsmittel/Medizinprodukte" die Kostenübernahme für ein 20-stündiges Training empfohlen. Weiterhin stünden dem Blinden zwei Langstöcke zu. Mit Bescheid vom 14. Februar 2004 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme für ein Mobilitätstraining für maximal 20 Stunden mit einem Stundensatz von EUR 38,86 sowie gegebenenfalls zwei Blindenlangstöcke für maximal EUR 127,82.
Am 16. Februar 2004 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. Dezember 2003 ein. Zweck der Versorgung mit einem Hilfsmittel sei es, die Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse zu sichern. Hierzu gehöre auch die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Blindheit bedeutet den Verlust der Orientierungsfähigkeit und als Folge davon den Verlust der Mobilität. Durch einen Blindenführhund werde die zur Umweltkontrolle erforderliche Sehfähigkeit ausgeglichen. Der Blindenführhund ermögliche allgemeine Verrichtungen des täglichen Lebens, insbesondere die Teilnahme am Straßenverkehr und diene damit elementaren Grundbedürfnissen. Die Ausstattung mit einem Blindenführhund sei nicht deshalb unwirtschaftlich, weil bisher noch kein Mobilitätstraining durchlaufen sei. Sie benötige das Mobilitätstraining und die Ausstattung mit einem Blindenführhund. Sie könne sich zwar innerhalb der Wohnung und in der näheren, ihr bekannten Umgebung mittels eines Blindenlangstocks bewegen. In unbekannter Umgebung könne sie den Langstock jedoch nicht mehr sicher einsetzen und sei auf die Hilfe anderer Personen angewiesen. Zwar sei ihr Ehemann nicht mehr berufstätig, er könne aber nicht längere Zeit gehen. Aus diesem Grund habe die Hausärztin, Dr. S., die das Problem kenne, die Erforderlichkeit eines Blindenführhundes bejaht.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2004 führte die Beklagte aus, bei der Kostenübernahme für einen Blindenführhund sei stets zu beachten, dass mit der Versorgung mit einem Blindenlangstock und einem dazugehörigen Mobilitätstraining der Ausgleich der Behinderung sichergestellt sei. Sie könne nur die Kosten für ein Mobilitätstraining oder einen Blindenführhund übernehmen. Eine Doppelleistung sei nicht vorgesehen. Mit weiterem Schreiben vom 26. Februar 2004 führte die Beklagte aus, zwischenzeitlich habe die Mobilitätstrainerin, Frau Go., mitgeteilt, ein Mobilitätstraining zu EUR 38,86 könne sie nicht durchführen. Der Stundensatz basiere auf einer vertraglichen Regelung zwischen den Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. in Bad Liebenzell und der Krankenkasse. Eine höhere Kostenübernahme sei nicht möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2004 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Das Mobilitätstraining mit Einsatz eines Blindenlangstocks sei zur eigenständigen Orientierung in fremder Umgebung geeignet. Nach Absolvierung eines Mobilitätstrainings sei es unwahrscheinlich, dass die Notwendigkeit eines Führhundes weiterhin bestehe. Das Mobilitätstraining, das auch in dem Attest des Prof. Dr. Ro. vom 19. Januar 2004 für erforderlich gehalten werde, sei daher aus wirtschaftlichen Gründen als ausreichend und zweckmäßig anzusehen.
Deswegen hat die Klägerin am 07. April 2004 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Unstreitig habe sie grundsätzlich Anspruch auf Versorgung mit Blindenhilfsmitteln. Sie sei nicht in der Lage, sich ohne Blindenhilfsmittel zu orientieren und fortzubewegen. Der durch die Blindheit bedingte Verlust der Orientierungsfähigkeit und als Folge davon der Verlust der Mobilität könne nur durch einen Blindenführhund ausgeglichen werden. Ein bloßes Mobilitätstraining bewirke keinen ausreichenden Ausgleich der Sehbehinderung. Ein Blindenführhund sei dem Blindenlangstock funktional deutlich überlegen. Der Langstock stelle nur einen "verlängerten Zeigefinger" dar, der Blindenführhund könne darüber hinausgehende optische Wahrnehmungen zumindest teilweise ersetzen und ausgleichen. Dadurch könne ein blinder Mensch zügig, entspannt und zielsicher gehen, auch in offenem Gelände, durch Menschenansammlungen an Baustellen oder auf einer Schneedecke. Zum ausreichenden Ausgleich der Sehbehinderung sei deshalb sowohl ein Orientierungs- und Mobilitätstraining als auch die Versorgung mit einem Blindenführhund erforderlich.
Die Beklagte hat die Stellungnahme des Dr. Gr., MDK, vom 09. Juli 2004 vorgelegt, worin er darauf hingewiesen hat, dass sowohl bei Anträgen auf Mobilitätstraining als auch auf Versorgung mit einem Blindenführhund zu beachten sei, dass das elementare Grundbedürfnis auf Fortbewegung nur die Fortbewegung im näheren Umfeld, nicht aber auch in fremder Umgebung umfasse. Es müsse ein erfolgreich abgeschlossenes Mobilitätstraining nachgewiesen werden. Weiter sei zu klären, ob die häuslichen Voraussetzungen für das Halten eines Hundes gegeben seien.
Im Laufe des Klageverfahrens hat die Klägerin vom 22. bis 26. November 2004 ein Mobilitätstraining im Rehazentrum im Rudolf-Kraemer-Haus, Bad Liebenzell, absolviert. In einem Beurteilungsbogen vom 29. November 2004 hat das Rehazentrum mitgeteilt, die Klägerin sei nun in der Lage, die täglichen Wege selbstständig zu gehen. Für die weitere Sicherheit im Straßenverkehr werde die Ausrüstung mit einem Führhund empfohlen.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 05. Januar 2005 die Versorgung mit einem Blindenführhund "definitiv" abgelehnt und statt dessen angeboten, eventuell vorhandene Lücken im Bereich der Mobilität durch weitere ergänzende Stunden Mobilitätstraining aufzufüllen. Mobilitätstraining mit ausreichender Stundenzahl mache in aller Regel einen Blindenführhund entbehrlich. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin mit Schreiben vom 10. Januar 2005 Widerspruch eingelegt.
Die Klägerin hat weiterhin die Versorgung mit einem Blindenführhund für notwendig erachtet und ergänzend ausgeführt, bis vor kurzem habe sich noch ihr Ehemann bei Wegen außer Haus um sie gekümmert. Ihr Ehemann sei jedoch gesundheitlich wegen eines massiven Rückenleidens sehr angeschlagen, sodass er sie nicht mehr ohne weiteres begleiten könne. Sie sei deshalb gezwungen, jetzt selbstständiger zu werden und die alltäglichen Geschäfte außer Haus (Einkaufen von Lebensmitteln und Gegenstände des täglichen Bedarfs sowie Arztbesuche) selbst zu erledigen. Deshalb habe sie zwischenzeitlich auch ein Mobilitätstraining absolviert. Der beantragte Blindenführhund sei zur Erfüllung dieser Bedürfnisse notwendig. Ein Blindenlangstock reiche hierfür nicht aus. Sie hat auf eine gutachterliche Stellungnahme des Richters am Landgericht i. R. E. R. im Auftrag des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V. vom 29. Januar 2002 (www.dbsv.org) verwiesen.
Die Beklagte hat ergänzend ausgeführt, gerade das Mobilitätstraining mit Einsatz eines Blindenlangstocks sei zur eigenständigen Orientierung in fremder Umgebung geeignet und die Wege zum Einkaufen und zum Arzt könnten auch mit dem Blindenlangstock antrainiert werden. Viele Patienten würden in die Lage versetzt werden, so auch Wege in der weiteren Umgebung zurückzulegen, ohne dass dafür ein Blindenführhund benötigt werde.
In einem Beweisaufnahmetermin vom 26. September 2005 hat das SG die Klägerin sowie als Zeugen P. S., Mobilitätstrainerin, und den öffentlich beeidigten Sachverständige für das Blindenführhundwesen W. Se. gehört. Wegen ihrer Angaben wird auf die Niederschrift vom 16. September 2005 verwiesen. Mit Urteil vom 29. November 2005 hat das SG die Klage - auch gegen den Bescheid vom 05. Januar 2005 - abgewiesen. Ein Hilfsmittel diene zur Befriedigung von Grundbedürfnissen. Hierzu gehöre auch das Erschließen eines gewissen körperlichen Freiraums. Dabei sei nur auf die Zurücklegung von Entfernungen abzustellen, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklege. Der Blindenführhund diene nur in unwesentlichem Umfang dem Ausgleich vorhandener Einschränkungen der Mobilität. Ein Blindenführhund sei zwar in der Lage, eine Erweiterung des körperlichen Freiraums über den Nahbereich hinaus und im Nahbereich bei ungewohnten und schwierigen Verkehrssituationen im Sinne einer zusätzlichen Sicherheit und Bewegungssicherheit zu gewähren. Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln beschränke sich jedoch nur auf einen Funktionsausgleich im Sinne eines Basisausgleichs. Maßstab hierfür sei letztlich der Nahbereich der Wohnung der Klägerin. In diesem Bereich bietet der Blindenführhund keine wesentlichen Vorteile. Die Wegstrecken seien teilweise (Begleitung der elf und zwölf Jahre alten Kinder zur Schule) nicht notwendig, teilweise (Spaziergänge, Wegstrecken ohne besondere Verkehrsverhältnisse) ohne Blindenführhund möglich. Soweit darüber hinaus Strecken zurückzulegen seien, die bei der Erledigung von Alltagsgeschäften anfielen und mit vermehrten Ängsten der Klägerin verbunden seien, bedürfe sie ohnehin einer Begleitung (z.B. Einkäufe) oder dem Ehemann sei im Rahmen der ehelichen Beistandspflichten eine Begleitung seiner Ehefrau zumutbar.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten erster Instanz am 02. Dezember 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Dezember 2005 beim SG Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht sich die Klägerin im Wesentlichen auf ihre bisherigen Ausführungen. Das SG verkenne, dass es bei blinden Menschen nicht um den Ausgleich des Grundbedürfnisses Mobilität, sondern um den Ausgleich des Grundbedürfnisses im Bereich des Sehens gehe. Zu den Grundbedürfnissen würden die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens, wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, gehören. Dazu gehöre auch die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Der Blindenführhund diene unmittelbar dem Ausgleich der Sehbehinderung. Dies habe auch das Bundessozialgericht - BSG - (Urteil vom 25. Februar 1981, 5a/5 RKn 35/78 = SozR 2200 § 182b Nr. 199) speziell zur Blindenführhundversorgung grundlegend festgestellt. Der Blindenführhund ersetze und gleiche die fehlende optische Wahrnehmung aus. Der Blindenlangstock sei keine ausreichende Versorgung. Das SG habe auch zu Unrecht ergänzend darauf abgestellt, dass sie sich den Nahbereich mit Hilfe ihres arbeitslosen Ehemannes erschließen könne. Eine solche eheliche Beistandspflicht bestehe nicht. Darüber hinaus sei der Ehemann gesundheitlich schwer angeschlagen. Sie mache auch vorsorglich geltend, dass die Beklagte entsprechend dem Kostenvoranschlag EUR 21.500,00 zu erstatten habe. Es gebe keinen gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zugelassenen Leistungserbringer für die Versorgung mit dem Hilfsmittel Blindenführhund. Es liege somit eine Versorgungslücke bzw. eine Systemstörung vor. Rechtsfolge der Systemstörung sei, dass die Beklagte abweichend vom Sachleistungsgrundsatz die Kosten des von ihr (der Klägerin) benötigten selbst beschafften Blindenführhunds in der entstandenen Höhe zu erstatten habe. Solange die Krankenkassen keine Versorgungsverträge nach § 127 SGB V und keine Preisvereinbarungen mit Blindenführhundlieferanten abgeschlossen hätten, keine Qualitätskontrollen der Schulen durchgeführt würden und kein einheitlicher Qualitätsstandard garantiert sei, könnten Preisunterschiede einzelner Blindenführhundschulen nicht zu Lasten der Versicherten gehen. Die Klage werde deshalb dahingehend erweitert, dass nicht mehr nur die Versorgung mit einem Blindenführhund begehrt werde, sondern die Beklagte verpflichtet werde, die Kosten in Höhe von EUR 21.500,00 zu übernehmen. Ein bestehender Sachleistungsanspruch, gerichtet auf die Versorgung mit einem Blindenführhund, wandle sich in einen Kostenerstattungsanspruch. Die Klägerin bezieht sich auf Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 17. Juni 1998 (L 4 KR 56/96), des SG Frankfurt vom 21. Februar 2002 (S 25 KR 2166/99), des SG Marburg vom 27. Mai 2004 (S 6 KR 108/03), des Hessischen LSG vom 04. Mai 2006 (L 8/14 KR 148/02), des SG für das Saarland vom 10. Oktober 2006 (S 1 ER 31/06 KR) und des SG Aachen vom 29. Mai 2007 (S 13 KR 99/06). Sie hat eine Fotodokumentation zu ihrer örtlichen Situation vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. November 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2004 sowie den weiteren Bescheid der Beklagten vom 05. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie mit einem Blindenführhund aus der Blindenführhundschule Se. zu versorgen, hilfsweise sie von den Kosten in Höhe von EUR 21.500,00 abzüglich EUR 10,00 Eigenanteil freizustellen bzw. die Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer bisherigen Auffassung fest. Die Versorgung mit einem Blindenführhund sei unwirtschaftlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG und die Senatsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2003, mit dem die Beklagte die Versorgung mit einem Blindenführhund ablehnte sowie der Bescheid vom 05. Januar 2005, mit dem die Beklagte nochmals eine Entscheidung im Hinblick auf den nach dem Mobilitätstraining erneut gestellten Antrag der Klägerin auf Versorgung mit einem Blindenführhund traf. Dieser Bescheid wurde entsprechend § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens. Nicht streitgegenständlich ist das Schreiben vom 16. Februar 2004. Bei diesem Schreiben handelt es sich nicht um einen auf eine Regelung gerichteten Verwaltungsakt im Sinne des § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Mit diesem Schreiben brachte die Beklagte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens lediglich ihre bisherige Rechtsauffassung nochmals zum Ausdruck. Ein eigenständiger Regelungsgehalt kommt diesem Schreiben nicht zu.
II.
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG zulässige und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 29. Dezember 2003 und 05. Januar 2005 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Beklagte einen (Sachleistungs-)Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Blindenführhund ablehnte. Die Klägerin hat einen (Sachleistungs-)Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund, allerdings nicht konkretisiert auf einen der Blindenführhundschule Se ...
Da die Klägerin einen Blindenführhund bislang nicht erworben hat und auch keine Verträge geschlossen hat, die sie zur Abnahme eines Blindenführhundes und zur Zahlung einer entsprechenden Vergütung verpflichten, kommt ein Anspruch auf Kostenübernahme oder auf Freistellung von Kosten in bestimmter Höhe nicht in Betracht. Die Klägerin muss vielmehr die Versorgung mit einem Blindenführhund durch die Beklagte begehren. Dem hat sie mit der Antragstellung zum Hauptantrag in der mündlichen Verhandlung des Senats Rechnung getragen.
Die Klägerin hat Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund durch die Beklagte als Sachleistung. Der Anspruch ergibt sich aus § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung u.a. mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihren Gebrauch (bis 31. März 2007 § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB V, seit 01. April 2007 § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB V).
Ein Blindenführhund stellt für Blinde ein solches "Hilfsmittel" dar (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 199). Ein Blindenführhund dient dem Ausgleich einer Behinderung. Im Falle der Blindheit oder einer nahezu vollständigen Blindheit, wie im Falle der Klägerin, dient der Blindenführhund dem Ersatz des vollständig oder weitgehend verlorenen Sehvermögens. Er dient damit auch der Orientierung im Raum und der Mobilität, die infolge des Verlusts der Sehfähigkeit eingeschränkt oder völlig weggefallen sind.
Die Versorgung mit einem Blindenführhund ist im Falle der Klägerin erforderlich, um die bei ihr bestehende Behinderung durch den nahezu vollständigen Verlust des Sehvermögens auszugleichen. Der durch die Versorgung mit einem Hilfsmittel angestrebte Behinderungsausgleich erstreckt sich nicht nur auf einen möglichst weitgehenden Ausgleich der Behinderung selbst, sondern soll in der Tendenz möglichst weitgehend auch mittelbare Folgen der Behinderung ausgleichen. Der Behinderungsausgleich, den die Krankenkassen zu leisten haben, bezieht sich allerdings nicht auf eine berufliche oder soziale Rehabilitation, sondern erfasst einen möglichen Behinderungsausgleich im Bereich des täglichen Lebens und dabei auf die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn. 31 und 32). Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören die grundlegenden Verrichtungen, wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, selbstständiges Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29). Das Grundbedürfnis des Erschließens eines Freiraums hat die Rechtsprechung bislang immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den Möglichkeiten des Gesunden verstanden und dabei nur auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder zu Fuß zurücklegt sowie auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Hierzu zählt z.B. das Einkaufen, die Erledigung von Post- und Bankgeschäften sowie der Besuch von Apotheken, Ärzten und Therapeuten (vgl. BSG, Urteil vom 19. April 2007, B 3 KR 9/06 R, mit weiteren Nachweisen). Die Versorgung mit einem Blindenführhund ist grundsätzlich geeignet, das Grundbedürfnis des Sehens sowie das Grundbedürfnis der Erschließung eines körperlichen und geistigen Freiraums auszugleichen. Ein Blindenführhund bringt für die Klägerin gerade auch im Nahbereich und im unmittelbaren häuslichen Umfeld entscheidende Vorteile mit sich. Insbesondere die bei ihr bestehende Angst und Unsicherheit beim Gehen nur mit dem Blindenlangstock wird durch den Einsatz eines Blindenführhundes gemildert bzw. beseitigt. Die Klägerin wird deshalb unter Verwendung eines Blindenführhundes in die Lage versetzt, Verkehrswege auch im unmittelbaren häuslichen Umfeld sicher und zielstrebig zurückzulegen. Dies ergibt sich aus den Angaben der vom SG gehörten Zeugin S. in ihrer Vernehmung in der nichtöffentlichen Sitzung vom 16. September 2005. Sie gab an, dass die Klägerin bei dem Mobilitätstraining darin unterrichtet wurde, allein aus dem Haus zu gehen und die wichtigsten Wege in ihrem unmittelbaren häuslichen Umfeld zurückzulegen. Dabei fiel auf, dass die Klägerin unter Angst und deshalb entstehender Unsicherheit litt. Insbesondere der Einfluss von Verkehrslärm, Baustellen und Hindernissen erforderten hohe Konzentration und Nervenkraft. Auch die Zeugin S. hielt deshalb den Einsatz eines Führhundes für wünschenswert, weil er der Klägerin in jeder Hinsicht Entlastung bringen könnte.
Aus diesem Grund greift die Erwägung des SG, wonach ein Blindenführhund lediglich außerhalb des Nahbereichs entscheidende Vorteile bringe, nicht durch. Richtig ist zwar, dass das BSG im Hinblick auf die Ermöglichung eines Bewegungsradius auf die Fähigkeit, Entfernungen, die üblicherweise zu Fuß erreicht werden, abgestellt hat (BSG aaO). Allerdings zeigen sich bei der Klägerin erhebliche Gebrauchsvorteile auch im Nahbereich und in der unmittelbaren Umgebung der Wohnung. Insofern stellt die Verwendung eines Blindenführhundes eine wesentliche Steigerung der Sicherheit auch im Nahbereich dar. Es kommt deshalb nicht entscheidend darauf an, ob der Blindenführhund auch in räumlich weiter entfernten Umgebungen Einsatzvorteile bringt oder nicht. Insofern kann die Klägerin nicht darauf verwiesen werden, dass bereits ein Mobilitätstraining absolviert worden ist und sich die Beklagte bereit erklärt hat, weitere Stunden an Mobilitätstraining zu gewähren. Wie sich aus den Angaben der Zeugin S. ergibt, besteht trotz des Mobilitätstrainings seitens der Klägerin Angst und ein unsicheres Verhalten beim Gehen mit dem Blindenlangstock im Nahbereich.
Da der Blindenführhund auch im Nahbereich gesteigerte und erhebliche Gebrauchsvorteile mit sich bringt, ist ein Vergleich der entstehenden Kosten bei Versorgung mit einem Blindenführhund mit den Kosten eines Mobilitätstrainings nicht zulässig. Ein Wirtschaftlichkeitsvergleich wäre nur dann angezeigt, wenn mehrere Versorgungsmöglichkeiten, die aber denselben Erfolgsgrad erreichen, gegeben wären. Gerade dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die Klägerin muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, sie habe jahrelang ohne einen Blindenführhund gelebt. Die Frage, ob und wie sie ihr tägliches Leben in den zurückliegenden Jahren gemeistert hat, spielt für die Frage, ob ein Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel jetzt besteht, keine Rolle. Der Anspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Ehemann der Klägerin diese bei verschiedenen Gängen begleitet hat und auch in Zukunft begleiten könnte. Die Versorgung mit Hilfsmitteln soll einen möglichst weitgehenden Grad der Unabhängigkeit auch von Hilfen anderer Personen erreichen. Zudem kann eine Situation eintreten, in der die Begleitperson nicht zur Verfügung steht (z.B. notwendiger Krankenhausaufenthalt der Begleitperson). Darüber hinaus besteht keine Verpflichtung des Ehemannes, etwa aufgrund seiner ehelichen Beistandspflichten, die Klägerin immer und überall zu begleiten. Unerheblich ist dabei, dass der Ehemann der Klägerin nach Vortrag der Klägerin aufgrund gesundheitlicher Belastungen nicht oder nicht mehr im bisherigen Umfang in der Lage ist, die Klägerin bei deren Wege zu führen.
Wie sich aus den für den Senat glaubhaften Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergibt, stehen auch die Wohnverhältnisse der Klägerin (Wohnungsgröße 100 m2) einer artgerechten Haltung eines Blindenführhundes nicht entgegen.
Da ein Blindenführhund weder ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist noch nach § 34 Abs. 4 SGB V als Heil- oder Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen ausgeschlossen ist und auch ein Höchstbetrag nach § 33 Abs. 2 SGB V in Verbindung mit § 36 SGB V nicht festgesetzt ist sowie die ärztliche Verordnung der Dres. G./S. vom 24. Oktober 2003 vorliegt, ist die Beklagte grundsätzlich verpflichtet, der Klägerin im Wege der Sachleistung einen Blindenführhund zur Verfügung zu stellen. In welcher Weise die Beklagte den bestehenden Versorgungsanspruch der Klägerin erfüllt, obliegt ihr. Sinnvoller Weise ist wegen der Besonderheiten der Versorgung mit einem Blindenführhund eine Einbindung der Klägerin in die Auswahl des Leistungserbringers angezeigt. Deshalb war eine Begrenzung auf die Versorgung mit einem Blindenführhund aus einer bestimmten Blindenführhundschule nicht auszusprechen.
Es mag zwar sein, dass, wie die Klägerin vorträgt, die Krankenkassen bisher noch keine Verträge über die Versorgung mit Blindenführhunden als Hilfsmittel im Sinne des § 127 Abs. 1 SGB V geschlossen haben. Dies ändert aber nichts daran, dass grundsätzlich die Krankenkassen verpflichtet sind, den Versicherten erforderliche Hilfsmittel im Wege der Sachleistung nach § 2 Abs. 2 SGB V zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend sieht der Versorgungsweg vor, dass die Vergütung der Leistung nicht über den Versicherten, sondern unmittelbar zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer erfolgt. Eine Durchbrechung des Sachleistungsprinzips gemäß § 13 Abs. 1 SGB V bzw. § 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) ist nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen möglich. Ein solcher Ausnahmefall liegt nach derzeitigem Sachstand nicht vor. Denn ein Anspruch auf Kostenerstattung oder auf Freistellung von Kosten besteht nicht. Denn die Klägerin hat bisher einen Blindenführhund noch nicht erworben, so dass ihr Kosten nicht entstanden sind. Auch besteht - wie die Klägerin auf Frage in der mündlichen Verhandlung des Senats erklärte - keine wirksame Verpflichtung, etwa aufgrund eines bereits geschlossenen Vertrags mit einer Blindenführhundschule, zukünftig Kosten in einer bestimmten Höhe zahlen zu müssen. Allein aufgrund des vorgelegten Kostenvoranschlags der Blindenführhundschule Se. ergibt sich noch keine Verpflichtung der Klägerin, einen Blindenführhund von dieser Schule abzunehmen und den dafür verlangten Preis zu zahlen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Sachleistung Erfolg hatte, hält es der Senat für angemessen, der Beklagten die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge in vollem Umfang aufzugeben.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
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