L 6 AL 186/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 70 AL 3464/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 AL 186/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Januar 2003 bis zum 31. März 2003.

Der Kläger stand vom 21. Oktober 2002 bis zum 31. März 2003 in einem Arbeitsverhältnis als Eisenflechter zur T - E- und S GmbH (im Folgenden GmbH); seit dem 15. März 2003 machte der Kläger wegen rückständigen Lohns von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch und fuhr die Baustellen der GmbH nicht mehr an.

Mit Schreiben vom 20. März 2003, das dem Kläger am selben Tag zuging, wurde das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2003 unter Hinweis auf die schlechte Auftragslage gekündigt. Unterschrieben war das Schreiben vom Geschäftsführer der GmbH, allerdings in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer niederländischen Firma.

Am 24. März 2003 mandatierte der Kläger die Rechtsanwälte F & A jedenfalls zur Durchsetzung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche gegen die GmbH.

Am 02. April 2003 erhoben diese namens des Klägers vor dem Arbeitsgericht (ArbG) O Klage gegen die GmbH mit dem Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch das Kündigungsschreiben vom 20. März 2003 aufgelöst sei; außerdem beantragten sie namens des Klägers die GmbH zur Zahlung von rückständigen Lohn für die Zeit vom 01. Januar 2003 bis zum 14. März 2003 nebst Zinsen zu verurteilen. Die Klage ist im Laufe des vorliegenden Berufungsverfahrens zurückgenommen.

Im Gütetermin vom 21. Mai 2003 vor dem ArbG O bestritt die GmbH, einen Arbeitsvertrag mit dem Kläger geschlossen zu haben; Arbeitgeber sei vielmehr die bereits erwähnte niederländische Firma.

Am 01. Juli 2003 eröffnete das Amtsgericht (AG) O das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2003 informierte das ArbG O die den Kläger vor dem ArbG O vertretenen Rechtsanwälte von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die ihrerseits den Kläger Mitte August 2003 von diesem Umstand in Kenntnis setzten.

Am 18. November 2003 beantragte der Kläger die Zahlung von Insolvenzgeld für die Monate Januar bis März 2003; beigefügt war eine vom Insolvenzverwalter der GmbH ausgefüllte Arbeitsbescheinigung vom 08. Oktober 2003. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger habe die zweimonatige Ausschlussfrist versäumt habe. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Nachfrist seien nicht gegeben, da er spätestens am 14. Juli 2003 durch die Mitteilung des ArbG O erfahren habe, dass über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei (Bescheid vom 17. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2004).

Das anschließend vor dem Sozialgericht (SG) Berlin durchgeführte Klageverfahren ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid vom 27. Februar 2006).

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren mit der Begründung weiter, es sei ihm die Nachfrist einzuräumen. Im Übrigen ist er Auffassung, dass die Antragsfrist nicht mit der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (80/987/EWG) vom 20. Oktober 1980 in Einklang stehe.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2006 und den Bescheid vom 17. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01. Januar 2003 bis zum 31. März 2003 Insolvenzgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Berichterstatter des Senats hat am 09. Januar 2007 einen Erörterungstermin durchgeführt; in diesem Termin sind die Beteiligten auf eine Entscheidung des 12. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13. September 2005 – L 12 AL 30/01, info also 2006, 256) hingewiesen worden; die Beteiligten haben jeweils eine Kopie des Abdrucks dieser Entscheidung erhalten.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den den Kläger betreffenden Insolvenzgeldvorgang der Beklagten sowie die Akte des ArbG O (3 Ca 229/03) Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 155 Abs 3, 4 und 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Dem Kläger steht der mit der erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) geltend gemachte Anspruch auf Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Januar 2003 bis zum 31. März 2003 nicht zu, weil er den entsprechenden Leistungsantrag verspätetet gestellt hat.

Gemäß § 183 Abs 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Nr 1) – dem vorliegend einzig in Betracht kommenden Insolvenzereignis – für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Insolvenzgeld ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen (§ 324 Abs 3 Satz 1 SGB III). Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs 3 Satz 2 und Satz 3 SGB III).

Maßgebendes Insolvenzereignis ist vorliegend die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH durch Beschluss des AG O vom 01. Juli 2003. Die zweimonatige Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III beginnt bei allen Insolvenzereignissen mit deren Eintritt ohne Rücksicht darauf, ob dem Arbeitnehmer diese Ereignisse bekannt sind oder nicht (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 10. April 1985 – 10 RAr 11/84 = SozR 4100 § 141e Nr 8 mwN; BSG, Urteil vom 04. März 1999 – B 11/10 AL 3/98 R = DBlR 4524, AFG § 141e). Eine wirksame Antragstellung bis zum Ende dieser Ausschlussfrist am 01. September 2003 ist nicht erfolgt; der Kläger hat erst am 18. November 2003 Insolvenzgeld beantragt.

Da der Kläger mit seinem Antrag vom 18. November 2003 die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III versäumt hat, hätte ihm die weitere Zwei-Monats-Nachfrist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III nur zur Verfügung gestanden, wenn er die erste Frist aus Gründen, die von ihm nicht zu vertreten sind, versäumt hätte. Dies ist indes nicht der Fall.

Nicht entscheidungserheblich ist in diesem Zusammenhang, ob – wie die Beklagte und ihm folgend das SG angenommen haben - seine Prozessbevollmächtigten im arbeitsgerichtlichen Verfahren bereits am 14. Juli 2003 Kenntnis vom Eintritt des Insolvenzereignisses erhalten hatten. Denn diese hätte nur dann die fristgemäße Beantragung von Insolvenzgeld für den Kläger schuldhaft unterlassen mit der Folge, dass ihm deren Verschulden zugerechnet werden könnte, wenn sie zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Insolvenzereignis im Rahmen des ihnen vom Kläger erteilten Auftrages befugt gewesen wären, nicht nur seine arbeitsrechtlichen Ansprüche durchzusetzen, sondern auch etwaige Ansprüche auf Insolvenzgeld zu wahren (vgl dazu grundsätzlich: BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 10 RAr 14/91 = SozR 3-4100 § 141e Nr 2). Ob ein solcher vollumfänglicher Auftrag vom Kläger erteilt worden ist, bedarf indes keiner Klärung.

Entscheidend ist vielmehr, dass der Kläger selbst Mitte August 2003 Kenntnis vom Eintritt des Insolvenzereignisses hatte, so dass er bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt die Möglichkeit hatte, die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III einzuhalten. Diesem Ergebnis kann der Kläger nicht entgegenhalten, dass er erst mit Übersendung der Arbeitsbescheinigung des Insolvenzverwalters vom 08. Oktober 2003 – und damit nach dem 01. September 2003, dem Ende der zweimonatigen Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III - Kenntnis davon erlangt habe, dass es sich bei der GmbH auch tatsächlich um seine Arbeitgeberin gehandelt habe. Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum er zwar am 02. April 2003 in der Lage war, vor dem ArbG O Kündigungsschutzklage (und Lohnklage) gegen die GmbH zu erheben, er aber andererseits nicht wenigstens nach Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen Mitte August 2003 vorsorglich einen Insolvenzgeldantrag bei der Beklagten stellen konnte. Er hat die Versäumung der Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III somit zu vertreten, ohne dass nach seiner Kenntnisnahme vom Insolvenzereignis die weitere Frist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III eröffnet war. Die Eröffnung der Zwei-Monats-Nachfrist, die mit dem Wegfall des Hindernisses beginnt, setzt nämlich voraus, dass die Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III unvertretbar versäumt ist. Fällt das Hindernis – wie hier – schon während des Laufs der ersten Frist weg, so ist damit die weitere Frist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III nicht eröffnet. Maßgeblich bleibt vielmehr die erste Frist (vgl zu der gleich lautenden Vorgängerregelung in § 141e Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz: BSG, Urteil vom 10. April 1985 – 10 RAr 11/84, juris).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die in § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III geregelte Ausschlussfrist auch europarechtskonform.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem auf Vorlage des SG Leipzig ergangenen Urteil vom 18. September 2003 – C- 125/01 (=SozR 4-4300 § 324 Nr 1) die Vereinbarkeit einer Ausschlussfrist mit der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (80/987/EWG) vom 20. Oktober 1980 bestätigt, wenn die Ausschlussfrist, binnen deren ein Arbeitnehmer nach nationalem Recht einen Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld nach Maßgabe dieser Richtlinie stellen muss, so ausgestaltet ist, dass die betreffende Frist nicht weniger günstig ist als bei gleichartigen innerstaatlichen Anträgen (Grundsatz der Gleichwertigkeit) und nicht so ausgestaltet ist, dass sie die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Grundsatz der Effektivität). Wegen der in § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III eingeräumten Nachfrist erfüllt § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III die beiden europarechtlichen Vorgaben der Gleichwertigkeit und Effektivität (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. September 2005 – L 12 AL 30/01, info also 2006, 256; Sächsisches LSG, Urteil vom 17. April 2007 – L 1 AL 282/04, juris RdNr 50 ff; Leitherer in Eicher/Schlegel, SGB III, RdNr 46 zu § 324, Stand August 2004; Hünecke in Gagel, SGB III, RdNrn 21a f, 30a zu § 324, Stand Dezember 2006).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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