L 7 AS 309/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 208/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 309/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 05.10.2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form von Alg II streitig.

Das Arbeitsverhältnis des 1967 geborenen Kläger zu 1. wurde vom Arbeitgeber zum 30.06.2005 gekündigt. Im Rahmen der Kündigungsschutzklage 4 Ca 1819/05 schlossen die Beteiligten am 11.07. 2005 vor dem Arbeitsgericht R. einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung zum 30.06.2005 endet und der Arbeitgeber an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine soziale Abfindung gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz, 3 Nr.9 EStG in Höhe von 3.500,00 Euro zahlt.

Der Kläger zu 1. erhielt ab 01.07.2005 Alg I in Höhe von täglich 23,04 Euro. Den Antrag auf Bewilligung von Alg II vom 01.07.2005 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.08.2005 mit der Begründung ab, die Kläger seien nicht hilfebedürftig. Auf den Gesamtbedarf von 2.091,94 Euro rechnete sie das Nettoerwerbseinkommen nach Abzug des Freibetrages in Höhe von 857,56 Euro, das Alg I von 691,20 Euro und das Kindergeld von 820,00 Euro, insgesamt 2.338,76 Euro an. Für August stellte sie dem Gesamtbedarf wiederum das Alg I von 691,20 Euro, das Kindergeld von 820,00 Euro und die Abfindung von 3.500,00 Euro gegenüber. Mit Bescheid vom 14.09.2005 stellte sie fest, dass wegen der Abfindung von 3.500,00 Euro, die im August zugeflossen war, der Lebensunterhalt in der Zeit vom 01.08.2005 bis 18.01.2006 bestritten werden könne. Den Widerspruch, mit dem geltend gemacht wurde, die Abfindung sei nicht Einkommen, sondern Vermögen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005 als unbegründet zurück. Für die Zeit ab 01.08.2005 seien auf den Gesamtbedarf von 2.091,94 Euro zunächst das Alg I und das Kindergeld, verringert um die Versicherungspauschale von monatlich 30,00 Euro, insgesamt 1.481,20 Euro, anzurechnen, so dass ein Bedarf von 610,74 Euro monatlich und - geteilt durch 30 - 20,36 Euro täglich verbleibe. Mit der einmaligen Einnahme von 3.500,00 Euro sei somit dieser tägliche Bedarf für einen Zeitraum von 171 Tagen gedeckt.

Die hiergegen erhobene Klage S 8 AS 23/06 hat das Sozialgericht Regensburg (SG) für die Zeit ab 11.11.2005, für die der Kläger erneut Antrag auf Alg II gestellt hatte, woraufhin die Beklagte für die Zeit ab 19.01.2006 Alg II bewilligte, abgetrennt. Die den Zeitraum vor dem 11.11.2005 betreffende Klage hat es mit Urteil vom 20.04.2006 abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung L 7 AS 149/06 haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23.02.2007 zurückgenommen.

Im Rahmen des den Anspruch ab 11.11.2005 betreffenden Klageverfahrens S 8 AS 208/06 haben die Kläger geltend gemacht, die Abfindungssumme sei am 11.11.2005 verbraucht gewesen. Der Kläger zu 1. habe an einen L., bei dem er Schulden gehabt habe, 2.000,00 Euro gezahlt. Weiterhin habe er Schulden beglichen aus Darlehen, die er für den Kauf einer Waschmaschine und eines Herdes aufgenommen habe. Für die Beschaffung von Reisepässen für Familienmitglieder habe er 228,00 Euro aufgewendet. In den Monaten September bis November habe er insgesamt 189,00 Euro an den Kinderhort zahlen müssen, für die schulpflichtigen Kinder habe er für Büchergeld 40,00 Euro gezahlt; für die drei schulpflichtigen Töchter habe er für neue Kleider ca. 200,00 Euro ausgegeben. Anlässlich eines Besuches der Ehefrau und der fünf Kinder bei den Eltern und Schwiegereltern im Kosovo in der Zeit vom 01.08. bis Anfang September 2005 seien Fahrtkosten in Höhe von 496,00 Euro und Verpflegungsgeld von ca. 100,00 Euro angefallen.

In der mündlichen Verhandlung am 05.10.2006 hat das SG die Angaben des Klägers zu 1. zu Protokoll genommen und L. als Zeuge vernommen; bezüglich der Angaben und Aussage wird auf den Inhalt des Protokolls Bezug genommen.

Mit Urteil vom 05.10.2006 hat das SG die Beklagte verurteilt, für die Zeit vom 11.11.2005 bis 18.01.2006 Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung der Abfindung zu gewähren. Zur Überzeugung des Gerichts habe der Kläger zu 1. dem Zeugen am 15.09.2005 2.000,00 Euro zur Begleichung von Schulden überwiesen. Die zunächst genannte Zahlung von 228,00 Euro für die Ausstellung von Pässen sei bereits im Juli 2005 erfolgt. Wenn auch die Erfüllung von Schuldverpflichtungen und sonstiger Verbrauch vorhandener Mittel an sich keinen Einfluss auf das zu berücksichtigende Einkommen habe und grundsätzlich die Deckung des eigenen Bedarfs Vorrang vor einer Schuldentilgung habe, so liege eine andere Situation dann vor, wenn durch den Verbrauch von an sich einzusetzendem Einkommen eine neue Bedürftigkeit entstanden sei, weil die zugeflossenen Mittel nicht mehr zur Verfügung stünden; dieser Ansicht sei auch das Bayer. Landessozialgericht (Beschluss vom 25.11.2005, L 7 B 422/05 AS ER). Unter Berücksichtigung des Bedarfs von täglich 20,38 Euro sei die Abfindung nach Abzug der Kosten für die im August 2005 durchgeführte Fahrt in den Kosovo von 496,00 Euro und der am 15.09. 2005 erfolgten Überweisung an den Zeugen jedenfalls zum 11.11.2005 verbraucht gewesen.

Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, im Falle eines Mittelzuflusses seien auch diejenigen Anteile als Einkommen zu berücksichtigen und anzurechnen, die für die Bestreitung unabwendbarer Ausgaben benötigt würden, die einer bestimmten Zweckbestimmung unterworfen seien oder an Dritte ausgekehrt worden seien. Die Kläger hätten über einmalige Einkünfte verfügt, die eine Bedarfsdeckung bis 18.01.2006 ermöglichten. Sie hätten auch gewusst, dass die einmaligen Einkünfte den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausschlössen und deshalb zur Lebensführung zu verwenden seien. Die vom SG anerkannten Abzüge vom Einkommen seien durch § 11 Abs.2 SGB II nicht gedeckt. Regelmäßig werde durch die Sozialgerichte die Möglichkeit der Berücksichtigung solcher Abzüge von laufenden Einkünften zu Recht und zutreffend verneint. Dies müsse auch für einmalige Einkünfte gelten, da der Gesetzgeber diesbezüglich keine Unterscheidung getroffen habe. Im Übrigen seien die von den Klägern vorgetragenen Ausgaben für Kinderhort, Bücher und Bekleidung nicht belegt, solche Kosten darüber hinaus Ausgaben der Lebensführung und von den Einkünften ohnehin nicht absetzbar. Die Kläger hätten auch trotz Aufforderung die ab dem Mittelzufluss im August 2005 angefallenen lücklosen Kontoauszüge nicht vorgelegt. Eine Darlehensrückzahlung sei als Absetzbetrag vom Einkommen in § 11 Abs.2 SGB II nicht vorgesehen und daher unbeachtlich. Es widerspreche zudem eklatant jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand in der Zeit, in der er arbeite und Geld verdiene, zusätzlich Geld leihe, um es dann in der Zeit der Arbeitslosigkeit und des Wegfalls des Erwerbseinkommens zurückzuzahlen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 05.10.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 11.11.2005 sei anrechnungsfähiges Einkommen nicht vorhanden gewesen, so dass Bedürftigkeit gegeben gewesen sei. Der Abfluss der Mittel sei auch ausreichend nachgewiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), einen Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Alg II für den streitigen Zeitraum 11.11.2005 bis 18.01.2006, da auch für diesen Zeitraum auf ihren Bedarf noch die Abfindung von 3.500,00 Euro anzurechnen ist.

Zwischen den Beteiligten ist mittlerweile nicht mehr streitig, dass es sich bei der nach dem 01.08.2005 ausgezahlten Abfindung um Einkommen und nicht um Vermögen gehandelt hat. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, der ab dem 01.07.2005 eingetreten ist, gezahlt wurde, und die Nachteile ausgleichen soll, die damit für die Zeit ab 01.07.2005 verbunden sind.

Hinsichtlich der Anrechnung dieser Abfindung ist die Berechnung der Beklagten nicht zu beanstanden. Der Gesamtbedarf setzt sich zusammen aus den Regelleistungen der Kläger zu 1. und 2. von jeweils 311,00 Euro und der Kläger zu 2. bis 7. in Höhe von jeweils 207,00 Euro. Die Kosten der Unterkunft und Heizung betrugen 434,94 Euro monatlich, so dass sich ein Gesamtbedarf von 2.091,94 Euro errechnete. Auf diesen Gesamtbedarf war das Kindergeld von 820,00 Euro und das monatliche Alg I von 691,20 Euro, verringert um die Versicherungspauschale von 30,00 Euro, anzurechnen, so dass ein Bedarf von 610,74 Euro ohne Berücksichtigung der Abfindung verblieb. Hieraus ergibt sich ein täglicher Bedarf von 20,36 Euro.

Auf den Bedarf ist zusätzlich die Abfindung von 3.500,00 Euro anzurechnen, die sie eine einmalige Einnahme im Sinne des § 2 Abs.3 der Verordung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) darstellt. Diese Verordnung ist in der bis 30.09.2005 geltenden Fassung für den gesamten Zeitraum anzuwenden, da die Abfindung vor Inkrafttreten der Neufassung am 01.10.2005 zugeflossen ist und deshalb nach der alten Fassung festzustellen ist, für welchen Zeitraum diese Abfindung die Hilfebedürftigkeit beseitigt hat. Denn dieser Zeitraum steht im Zeitpunkt des Zuflusses fest und wird durch spätere Ereignisse nicht beeinflusst, wie noch darzustellen sein wird. Nach § 2 Abs.3 Satz 2 Alg II-V sollen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zahl von ganzen Tagen nicht erbracht werden, die sich bei Zufluss einer einmaligen Zahlung unter Berücksichtigung der monatlichen Einnahme nach Abzug von Freibeträgen und Absetzbeträgen bei Teilung der Gesamteinnahmen durch den ermittelten täglichen Bedarf einschließlich der zu zahlenden Beiträge für eine freiwillige Weiterversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung ergibt. Im vorliegenden Fall waren Beiträge für eine freiwillige Weiterversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung nicht zu zahlen, da die Kläger durch den Alg I-Bezug versichert waren. Deshalb ist die Abfindung lediglich durch den täglichen Bedarf von 20,36 Euro zu teilen, weshalb sich ergibt, dass Hilfebedürftigkeit für 171 Tage nicht besteht.

Dem SG ist nicht darin zu folgen, wenn es ausführt, eine Anrechnung sei nicht mehr vorzunehmen für einen Zeitraum, ab dem die Mittel aus der Abfindung tatsächlich nicht mehr zur Verfügung stehen. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass in § 11 Abs.2 SGB II abschließend geregelt ist, welche Zahlungen und Ausgaben von zugeflossenen Einnahmen abzusetzen sind. Hierbei sind regelmäßig zufließende und einmalige Einnahmen gleich zu behandeln; jedenfalls sieht der Gesetzgeber eine unterschiedliche Verfahrensweise nicht vor. § 2 Abs.3 Alg II-V regelt lediglich die Dauer, für die Hilfebedürftigkeit zu verneinen ist, lässt aber ansonsten keinen Raum für die Anerkennung zusätzlicher Absetzbeträge.

Deshalb sind die Angaben des Klägers über die von ihn getätigten "zusätzlichen" Ausgaben, insbesondere die Rückzahlung eines Darlehens, nicht geeignet, die Anrechnung der Abfindung zu verhindern. Ebenso wie bei regelmäßig zufließenden Einnahmen der Hilfebedürftige nicht einwenden kann, er habe diese Einnahmen für andere Zwecke und nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwendet, kann er solches auch nicht gegenüber der Anrechnung einmaliger Einnahmen einwenden. Vielmehr bestimmt sich der Anrechnungszeitraum ausschließlich nach dem Zeitpunkt des Zuflusses und wird durch spätere Ereignisse grundsätzlich nicht beeinflusst. Er läuft sozusagen kalendermäßig ab. Bei anderer Auslegung wäre die Anrechnung einmaliger Einnahmen in der Praxis kaum möglich, da es der Hilfebedürftige in der Hand hätte, die zugeflossenen Mittel sozusagen "verschwinden" zu lassen.

Nur in Ausnahmefällen kann von diesem Anrechnungsmodus bei Annahme einer besonderen Härte abgesehen werden, wie sich aus der Formulierung "sollen" ergibt. Denkbar wären unvorhersehbare Ereignisse, die einen erhöhten Bedarf bedingen, der durch die Leistungen nach dem SGB II nicht adäquat gedeckt wird. Solches ist hier aber nicht erkennbar. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass für die angebliche Darlehensrückzahlung keine verbindliche vertragliche Regelung bestand, die den Kläger zu 1. verpflichtet hätte, diese Beträge zu diesem Zeitpunkt zurückzuzahlen.

Damit hält der Senat nicht mehr an seiner in dem Beschluss vom 25.11.2005, L 7 B 422/05 AS ER, geäußerten gegenteiligen Auffassung fest; es handelte sich hierbei um eine Entscheidung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes, der eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Grunde lag.

Somit waren das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 05.10.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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