L 28 B 1089/07 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 19 AS 345/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 1089/07 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 23. November 2006 wird aufgehoben. Der Klägerin wird mit Wirkung vom 3. Juli 2006 für das Verfahren vor dem Sozialgericht Potsdam Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T K, KStr., F beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), der das Sozialgericht (SG) Potsdam nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Der Klägerin ist für das Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam nach § 7 3a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nach den genannten Vorschriften davon abhängig, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Daher beurteilt das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes. Steht eine höchstrichterliche Klärung von im Hauptsacheverfahren noch entscheidungserheblichen Fragen aus, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Denn dadurch würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. zuletzt Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 -, BvR 656/06, zitiert nach juris, RdNr. 13 mwN).

An diesen Grundsätzen gemessen hat die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Prüfung der Angemessenheit der Kosten einer Unterkunft, die vorliegend in Streit steht, setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteile vom 7. November 2006 B 7b AS 18/06 R, zitiert nach juris und B 7b AS 10/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 2), von der abzuweichen der Senat nach erster Prüfung keinen Anlass sieht, eine Einzelfallprüfung voraus, wobei zunächst die maßgebliche Größe der Unterkunft zu bestimmen ist, und zwar typisierend (mit der Möglichkeit von Ausnahmen) anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. Danach sind zwar die vom SG unter Rückgriff auf diese Vorschriften zugrunde gelegten Wohnflächen für eine allein stehende Person grundsätzlich angemessen groß. Bislang ist aber in der Rechtsprechung ungeklärt, ob unter Berücksichtigung der zeitweisen Aufnahme der im streitigen Zeitraum noch minderjährigen Tochter in den Haushalt der Klägerin zur Wahrnehmung des Umgangsrechts Ausnahmen von diesen typisierenden Größen zu machen sind. Selbst wenn dieser Gesichtspunkt nicht notwendigerweise zu einem eigenen Anspruch der Klägerin auf die gesamten, dann angemessenen Kosten der Unterkunft führt, weil die Tochter selbst bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als Bedarfsgemeinschaftsmitglied Anspruchsinhaberin für Teilzeiträume wäre (dazu BSG Urteil vom 7. November 2006- B 7b AS 14/06 R, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1), genügt die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen im vorliegenden Verfahren für die Bejahung der notwendigen Erfolgsaussichten. Es erscheint dagegen nicht nahe liegend, dass auch die Enkelin zeitweise in die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin aufgenommen worden ist, da es sich offenbar lediglich um eine regelmäßige Betreuung in den Abendstunden gehandelt hat. Zur Ausübung ihres Umgangsrechts nach § 1685 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist die Vorhaltung eines eigenen Zimmers für die Enkelin aus den vom SG aufgeführten Gründen wohl nicht erforderlich.

Erfolgsaussichten bestehen daneben unter anderen Gesichtspunkten: Letztlich kommt es bei der Prüfung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung darauf an, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte Produkttheorie, vgl. BSG aaO). Als Vergleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort heranzuziehen. Dies ist vorliegend bisher offenbar nicht geschehen. Soweit sich dies der Akte entnehmen lässt, beruht die Annahme einer Grundmiete zuzüglich Betriebskosten in Höhe von 245,00 Euro durch die Beklagte nicht auf einer Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten des Wohnungsmarktes. Dies wird das SG – das seinerseits allein ausgehend von der Größe der Wohnung den Schluss auf die Unangemessenheit der Kosten gezogen hat – zu ermitteln haben.

Schließlich wird zu überprüfen sein, ob nach der Struktur des Wohnungsmarktes in L die Klägerin tatsächlich auch die konkrete Möglichkeit hatte, zum 1. Juni 2006 eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret auf dem Wohnungsmarkt anmieten zu können. Die von der Klägerin innegehabte Wohnung wird von dem städtischen Wohnungsunternehmen der Stadt L vermietet, die das zahlenmäßig größte Mietwohnungsangebot von mehr als 3.800 Wohnungen in L verwaltet. Dort sind jedenfalls derzeit (und waren nach Aktenlage auch im streitigen Zeitraum) keine freien Wohnungen in der von der Beklagten als angemessen angesehenen Preis verfügbar. Eine Umkreissuche über das größte Immobilienportal im deutschsprachigen Internet ergibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass in der Stadt L (mit knapp 25.000 Einwohnern) auch von anderen Anbietern keinerlei Wohnungen in der fraglichen Größe zu einem annähernd dem von der Beklagten als angemessen angesehenen Preis angeboten werden. Die günstigsten, derzeit freien Wohnungen unterschreiten den von der Klägerin geschuldeten Mietpreis nur unwesentlich. Zwar muss sich der räumliche Vergleichsmaßstab nicht strikt am kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der "Gemeinde" nach dem jeweiligen landesrechtlichen Kommunalrecht orientieren. Bei der Bildung des räumlichen Vergleichsmaßstabs kann es - insbesondere im ländlichen Raum - geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsgebiete zusammenzufassen (vgl. BSG Urteil vom 7. November 2006 B 7b AS 18/06 R, juris RdNr. 21). Eine weitere Konkretisierung durch die Rechtsprechung, welcher räumliche Bereich in solchen Fällen zugrunde zu legen ist, ist aber bislang nicht erfolgt. Im Übrigen hat auch eine Umkreisrecherche mit einem Radius von 10 km zum derzeitigen Zeitpunkt ein derart geringes Wohnungsangebot im hier streitigen Mietsegment ergeben, dass fraglich ist, ob Wohnungen zu der von der Beklagten als angemessen erachteten Größe und zu dem von ihr als angemessen erachteten Preis überhaupt im streitigen Zeitraum verfügbar waren. Es liegt nahe anzunehmen, dass die nächstgelegen freien Wohnungen in der streitigen Größe im etwa 15 km entfernten Berlin verfügbar sind. Soweit die Beklagte sich insoweit darauf bezieht, die Klägerin sei offenbar im März 2005 (also 4 Monate vor dem streitigen Zeitraum) bereit gewesen, nach Berlin zu verziehen, wo der Wohnungsmarkt entspannt sei, genügt dies für die zu treffenden Feststellungen nicht. Ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, kann von ihr im Regelfall nicht verlangt werden. Aus den wenigen Angaben der Klägerin zu möglichen Wohnungsangeboten in Berlin lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass sie zu einem Wegzug nach Berlin im Juni 2005 nach Änderung ihrer persönlichen Verhältnisse (Auszug der älteren Tochter) tatsächlich (noch) bereit war.

Da der vorliegende Rechtsstreit damit eine Reihe von rechtlichen und tatsächlichen Fragen aufwirft, die im Rahmen einer nur summarischen Prüfung im PKH-Verfahren nicht geklärt werden können und die jedenfalls einen Teilerfolg der Klägerin durchaus wahrscheinlich machen, sind die notwendigen Erfolgsaussichten zu bejahen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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