S 55 AS 147/06 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
55
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 55 AS 147/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Sanktionsbescheid der Antragsgegnerin vom 18. Januar 2006 sowie den darauf beruhenden Bewilligungsbescheid vom 18. Januar 2006 wird angeordnet. 2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

Der nach § 86b Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Antrag, mit dem der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Bescheide vom 18. Januar 2006 begehrt, hat Erfolg.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der gegen die angegriffenen Bescheide, mit denen im Sinne einer Teilaufhebung über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entschieden worden ist, vom Antragsteller unter dem 23. Januar 2006 erhobene Widerspruch hatte nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung (vgl. Berlit, in: LPK-SGB II, 2005, § 31 Rn. 123).

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, wenn im Rahmen einer Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an einem Aufschub des Vollzuges das öffentliche Interesse an dem sofortigen Vollzug des Bescheides überwiegt. Bei der Interessenabwägung sind die nach vorläufiger Prüfung der Rechtslage und summarischer Prüfung der Tatsachenlage bewerteten Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache von Bedeutung.

Danach bestehen vorliegend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide. Der Widerspruch dürfte daher nach dem Erkenntnisstand dieses Eilverfahrens Aussicht auf Erfolg haben.

Durch die mit dem Widerspruch angegriffenen Bescheide verfügte die Antragsgegnerin die Absenkung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 SGB II für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis zum 30. April 2006 um 30 vom Hundert der Regelleistung (104,00 EUR monatlich – die rechnerisch zu ermittelnden 103,50 EUR sind offensichtlich aufgerundet worden, ohne dass hierfür eine Rechtsgrundlage ersichtlich ist). Anlass hierfür war, dass der Antragsteller von seinem Arbeitgeber während der Probezeit gekündigt worden war.

Die Antragsgegnerin bezieht sich zur Begründung auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 lit. c und Abs. 6 SGB II. Diese Begründung geht schon deshalb fehl, weil eine Absenkung auf dieser Rechtsgrundlage einer vorherigen Belehrung bedürfte, die vorliegend fehlte. Der Antragsteller hatte sich aus dem laufenden Arbeitslosengeld II-Bezug heraus selbständig eine Beschäftigung bei dem Zeitarbeitsunternehmen A. GmbH gesucht. Die fehlerhafte Begründung schadet jedoch nicht, denn als taugliche Rechtsgrundlage käme § 31 Abs. 4 Nr. 3 lit. b SGB II in Betracht.

Nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 lit. b SGB II gilt Absatz 1 (Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 30 vom Hundert) entsprechend bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der die in dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Damit ist Bezug genommen unter anderem auf § 144 Abs. 1 SGB III. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitslose durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).

Vorliegend kann nach dem Erkenntnisstand dieses Eilverfahrens jedoch schon nicht hinreichend sicher festgestellt werden, dass der Antragsteller den Sperrzeittatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III verwirklicht hat. Denn eine Arbeitgeberkündigung führt nur dann zu einer Sperrzeit, wenn der Arbeitslose durch sein vertragswidriges Verhalten Anlass für die Kündigung gegeben hat, dieses Verhalten für die Arbeitslosigkeit ursächlich gewesen ist und der Arbeitslose durch sein vertragswidriges Verhalten den Eintritt der Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben.

Vertragswidriges Verhalten aber setzt einen Verstoß gegen den Arbeitsvertrag voraus. Grundbestandteil eines jeden Arbeitsvertrags ist die Verpflichtung des Arbeitnehmers, seine Arbeitskraft anzubieten. Vorliegend hat der Antragsteller sich unstreitig am Montag, dem 28. November 2005 nicht mehr bei der A. GmbH gemeldet, nachdem er am Donnerstag und Freitag, 24. und 25. November 2005, dort seine ersten beiden Arbeitstage gehabt hatte. Auch an den Folgetagen meldete er sich nicht.

Ein vertragswidriges Handeln kann damit jedoch noch nicht sicher festgestellt werden, weil der Antragsteller vorträgt, ihm sei am Freitag, 25. November 2005, gesagt worden, er werde nach dem Wochenende arbeitgeberseitig angerufen und so seinen nächsten Einsatzort erfahren. Dieser Vortrag erscheint auch nach der im Erörterungstermin vom 16. Februar 2006 durchgeführten Beweisaufnahme nicht von vornherein unglaubhaft. Die Zeugen P. und L. haben sich insbesondere hinsichtlich des Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses (Anruf durch A.? - Erstgespräch im Büro bei Bewerbung oder am Einstellungstag? – geplante Dauer des Einsatzes im H.-Lager, Verfahren zur Mitteilung des nächsten Einsatzortes (oder nur der Zeit?)) derartig widersprüchlich geäußert, dass gerade angesichts der weiteren – noch nicht bewiesenen – Darstellung des Antragstellers zur fehlenden Arbeit am Freitag, 25. November 2005, und zum angedeuteten Einsatz als Staplerfahrer eine Bestätigung der Richtigkeit des Vortrags des Antragstellers in einer weiteren Beweisaufnahme nicht unwahrscheinlich erscheint. Insbesondere kommt die Einvernahme des Lagerleiters und ggf. weiterer Arbeitskollegen in Betracht.

Auch die Ursächlichkeit eines eventuellen Verstoßes gegen die arbeitsvertraglichen Pflicht, die Arbeitskraft anzubieten, erscheint vor dem Hintergrund fraglich, dass die fristlose Kündigung bereits am Nachmittag des Montags, 28. November, erstellt wurde, ohne dass eine Rücksprache mit dem Antragsteller erfolgt war. Dies könnte – gerade im Zusammenhang mit Andeutungen der Zeugen in Schriftstücken und im Termin zu "unangenehmen Verhalten" des Antragstellers – den Verdacht nahe legen, dass andere Gründe ausschlaggebend für die Kündigung waren. In jedem Fall kann das Sich-nicht-Melden des Antragstellers am Dienstag und Mittwoch, dem Tag des Erhalts des Kündigungsschreibens per Post, bei der Beurteilung keine Rolle spielen, weil zu diesem Zeitpunkt die Kündigung längst gefertigt und abgesandt worden war.

Auch dürfte es nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens daran fehlen, dass der Antragsteller vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Vorsatz lässt sich ebenso wie grobe Fahrlässigkeit, die voraussetzt, dass man die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, nicht feststellen. Es erscheint nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller sich zunächst selbständig eine Beschäftigung suchen und schon nach zwei Arbeitstagen von sich aus durch provozierte Kündigung wieder beenden sollte. Noch weniger nachvollziehbar erscheint, dass der Antragsteller noch am Mittwoch, 30. November, früh morgens bei der Antragsgegnerin die Aufnahme der Beschäftigung anzeigte und die Förderung nach dem sog. Hamburger Modell für sich und die A. GmbH beantragte, wenn er denn schon wegen vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Vertragsverstoß mit der Kündigung hätte rechnen müssen. Auch dies deutet vielmehr darauf hin, dass eine Fortsetzung der Beschäftigung durch den Antragsteller gewollt war.

Das Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit kann daher nicht schlicht unterstellt werden. Weitergehende, eigene Ermittlungen der Antragsgegnerin sind nicht ersichtlich. Weitere Ermittlungen des Gerichts über die im Erörterungstermin durchgeführten hinaus waren in diesem Verfahren des gerichtlichen Eilrechtsschutzes nicht angezeigt. Zweifel an dem Vorliegen der von der Antragsgegnerin zu beweisenden Sperrzeitvoraussetzungen bestehen nach wie vor. Der Umfang der nunmehr noch durchzuführenden Ermittlungen würde den zeitlichen Rahmen dieses Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes sprengen. Dafür steht gegebenenfalls das Hauptsacheverfahren zur Verfügung.

Deshalb war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Sanktion anzuordnen. Die Absenkung nach § 31 SGB II darf mithin einstweilen nicht vollzogen werden und im Rahmen des Leistungsbezugs aufgrund des Bewilligungsbescheids vom 12. Dezember 2005 nicht berücksichtigt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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