L 26 B 1688/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 34 AS 20003/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 B 1688/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
aufschiebende Wirkung; einstweilige Anordnung; Leistungen für die Vergangenheit
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. September 2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. September 2007 ist gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.

Das vorliegende Verfahren beurteilt sich, soweit die Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. August 2007 bis zum 30. September 2007 die Zahlung von Arbeitslosengeld II in Höhe des ungekürzten Regelsatzes von 347,00 EUR begehrt, nach § 86 b Abs. 1 SGG. Denn mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 6. März 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20. April 2007, mit dem der Antragstellerin u. a. für den vorgenannten Bewilligungszeitraum Arbeitslosengeld II in Höhe des ungekürzten Regelsatzes gewährt worden ist, hat der Antragsgegner einen Rechtsgrund geschaffen, aus dem die Antragstellerin für die jeweiligen Monate die Auszahlung der von ihr begehrten Leistungen verlangen kann. Wenn der Antragsgegner meint, diese Leistungsbewilligung sei für diesen Zeitraum jedenfalls zum Teil zu Unrecht erfolgt, weil die Antragstellerin die Aufnahme einer ihr zumutbaren Arbeit trotz Belehrung über die Rechtsfolgen vereitelt habe, so bedarf der Bewilligungsbescheid der Aufhebung gemäß §§ 31 Abs. 6 Satz 1, 40 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialgesetzbuch. Diese Entscheidung, die hier mit den Bescheiden vom 18. Juli 2007 (Sanktionsbescheid und Änderungsbescheid) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007 ergangen ist, stellt eine die Antragstellerin belastende Maßnahme dar, weil mit ihr in die mit dem Bewilligungsbescheid vom 6. März 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20. April 2007 geschaffene und die Antragstellerin begünstigende Rechtsposition eingegriffen worden ist.

Gegen die Entscheidung des Antragsgegners hat die Antragstellerin am 27. September 2007 Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben. Da diese Klage gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat, richtet sich der einstweiliger Rechtsschutz, soweit die Antragstellerin die Auszahlung des ungekürzten Regelsatzes begehrt nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.

Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen wie dem Vorliegenden, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr. 197 ff.). Ist in diesem Sinne eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, ist weiterhin Voraussetzung, dass dem Betroffenen das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, also ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit besteht (Beschlüsse des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 6. März 2007 - L 28 B 290/07 AS ER - und vom 2. Mai 2007 - L 28 B 517/07 AS ER - sowie bereits Beschluss vom 12. Mai 2006 - L 10 B 191/06 AS ER -, und Beschluss des Senats vom 15. Mai 2007 - L 26 B 521/07 AS ER - jeweils abrufbar unter: www.sozialgerichtsbarkeit.de).

An diesen Grundsätzen gemessen war die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die angefochtene Entscheidung des Antragstellers nicht anzuordnen. Dabei kann der Senat in diesem einstweiligen Rechtsschutzverfahren letztlich offen lassen, ob diese Klage eine hinreichende Erfolgsausicht besitzt.

Jedenfalls fehlt es im vorliegenden Fall an der notwendigen Eilbedürftigkeit der begehrten Entscheidung. Die Antragstellerin kann mit ihrem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Entscheidung des Antragsgegners insoweit ausschließlich erreichen, dass die ihr mit dem vorgenannten Bewilligungsbescheid für den Bewilligungsabschnitt vom 1. August 2007 bis zum 30. September 2007 gewährten Leistungen, also für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, nachgezahlt werden. Dass ihr insoweit ein Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache insoweit nicht zumutbar ist, ist nach Aktenlage weder ersichtlich noch hat die Antragstellerin Entsprechendes vorgetragen.

Soweit die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sinngemäß die Gewährung von Arbeitslosengeld II in Höhe des ungekürzten Regelsatzes für den Monat Oktober 2007 begehrt, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 2 SGG. Denn der Antragsgegner hat nach Aktenlage über diesen Anspruch mit Bescheid vom 24. September 2007 entschieden und den Anspruch der Antragstellerin auf Arbeitslosengeld II wegen des Eintritts einer Sanktion für diesen Monat um 104,00 EUR gemindert Die Antragstellerin begehrt mit ihrem einstweiligen Rechtsschutzantrag also eine ihr über die ihr mit dem Bescheid vom 24. September 2007 hinausgehende Rechtsposition. Dies kann sie nur mittels einer Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG erreichen. Hierfür fehlt es aber ebenfalls an dem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht auch insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung für diesen Zeitraum erforderlich machen würde.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat die Antragstellerin aber weder hinsichtlich der Tage des Monats Oktober 2007 substantiiert vorgetragen, die im Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses bereits vergangen sind noch hinsichtlich der verbleibenden restlichen, in etwa 15 Tage dieses Bewilligungszeitraumes. Dies bedeutet, dass effektiver Rechtsschutz auch insoweit im Hauptsacheverfahren erlangt und ihm ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.

Nachdem die G z F d A mbH & Co KG unter dem 1. Oktober 2007 mitgeteilt hat, dass eine noch nach dem 24. Mai 2007 erfolgte Bewerbung der Antragstellerin Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, weil noch im Juli, August und September 2007 Einstellungen erfolgt seien, muss im Übrigen eine Klärung der Frage, ob sich die Antragstellerin, eine allein erziehende Mutter von vier Kindern zwischen 14 und 18 Jahren, hinsichtlich ihres Versäumnisses, sich nicht bei dem potentiellen Arbeitgeber beworben zu haben, im Hinblick auf ihren Vortrag, durch den im Mai 2007 durchgeführten Umzug, ihrer Scheidung und aufgrund von aufgetretenen Erziehungsproblemen auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II berufen kann, allerdings ebenso dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, wie die von der Antragstellerin aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen. Ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren ist hierfür grundsätzlich nicht der geeignete Ort.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für dieses Beschwerdeverfahren war mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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