L 28 B 1766/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 AS 20917/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 1766/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
einstweiliger Rechtsschutz; maßgeblicher Zeitpunkt; Anordnungsgrund; Leistungen für die Vergangenheit
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes kann keinen Erfolg haben.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts beurteilt sich das Rechtsschutzgesuch des Antragstellers, soweit er Einstiegsgeld für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 14. April 2007 begehrt, nicht nach § 86 b Abs. 2 SGG, sondern nach Abs. 1 der Vorschrift. Denn mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 13. November 2006, mit dem dem Antragsteller Einstiegsgeld nach § 16 Abs. 2 Nr. 5 und § 29 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Bewilligungszeitraum vom 15. Oktober 2006 bis zum 14. April 2007 in Höhe von 172,50 EUR monatlich bewilligt worden ist, wurde für den vorgenannten Bewilligungszeitraum ein Rechtsgrund geschaffen, aus dem der Antragsteller für die jeweiligen Monate tatsächlich die Auszahlung der von ihm begehrten Leistungen verlangen kann. Wenn der Antragsgegner meint, diese Bewilligung sei rechtswidrig, weil sie "auf der Grundlage falscher Angaben im Finanzierungsplan (Eigenmittel) und wegen eines nachträglich beantragten erheblichen Bedarfs an Ausstattungs- und Ausrüstungsgegenständen für das Geschäft" des Antragstellers erfolgt sei , so bedarf der Bewilligungsbescheid der Rücknahme gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 (SGB II) in Verbindung mit § 330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch und §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch. Dieser Rücknahmebescheid, der hier unter dem 20. Juni 2006 ergangen ist, stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar, weil mit ihm in die mit dem Bewilligungsbescheid vom 13. November 2006 geschaffene und den Antragsteller begünstigende Rechtsposition eingegriffen worden ist.

Gegen den Bescheid vom 20. Juni 2006 hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt, über den bisher noch nicht entschieden worden ist. Da dieser Widerspruch nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz, soweit der Antragsteller Einstiegsgeld für die Zeit vom 1. Januar 2007 begehrt, nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.

Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen wie dem Vorliegenden, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr. 197 ff.). Ist in diesem Sinne eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, ist weiterhin Voraussetzung, dass dem Betroffenen das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, also ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit besteht (Beschluss des Senats vom 6. März 2007 - L 28 B 290/07 AS ER - und bereits Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2006 - L 10 B 191/06 AS ER - , abrufbar unter: www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Hier kann der Senat unentschieden lassen, ob das Hauptsacheverfahren Aussicht auf Erfolg hat. Denn jedenfalls fehlt es an der Eilbedürftigkeit. Der Antragsteller kann mit seinem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 20. Juni 2007 ausschließlich erreichen, dass die ihm mit dem Bewilligungsbescheid vom 13. November 2006 für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 14. April 2007, also für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, gewährten Leistungen nachgezahlt werden. Dass ihm ein Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache insoweit nicht zumutbar ist, ist nach Aktenlage weder ersichtlich noch hat der Antragsteller solches vorgetragen.

Soweit der Antragsteller sinngemäß Einstiegsgeld auch für die Zeit vom 15. April 2007 an begehrt richtet sich der einstweilige Rechtsschutz allerdings nach § 86 b Abs. 2 SGG. Der Antragsteller begehrt mit dem einstweiligen Rechtsschutzantrag nämlich eine über die ihm mit Bescheid vom 13. November 2006 bereits gewährte Rechtsposition hinausgehende Begünstigung. Dies kann er nur mittels einer Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG erreichen. Dabei kann der Senat unentschieden lassen, ob der Antragsgegner über den ausdrücklichen Antrag des Antragstellers vom 23. Oktober 2006 auf Gewährung von Einstiegsgeld auch für den Zeitraum vom 15. April 2007 bis zum 14. Oktober 2008 bisher nicht entschieden hat oder ob er mit Bescheid vom 13. November 2006 sinngemäß die Gewährung von Leistungen für diesen Bewilligungsabschnitt abgelehnt hat. Für die Gewährung von Leistungen für diesen Bewilligungsabschnitt fehlt es jedenfalls an dem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht auch insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die zurückliegenden Zeiträume erforderlich machen würde.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat der Antragsteller auch insoweit nicht vorgetragen. Dies bedeutet, dass effektiver Rechtsschutz auch insoweit, als der Antragsteller Einstiegsgeld vom 15. April 2007 an bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senates begehrt, im Hauptsacheverfahren erlangt und ihm ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.

Entsprechendes gilt schließlich auch für den restlichen Zeitraum vom Zeitpunkt der Entscheidung des Senates an bis zum 14. Oktober 2008, sowie für den Antrag des Antragstellers auf Gewährung eines einmaligen Zuschusses für die Geschäftsausstattung. Der Antragsteller hat insoweit nicht substantiiert dargelegt, dass er ohne die Gewährung dieser Leistungen unwiederbringliche Nachteile erleiden würde, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zu korrigieren wären. Der Antragsteller trägt in seiner Beschwerde-begründung hierzu im Gegenteil vor, dass er für den Fall, dass ihm das Einstiegsgeld und der Zuschuss gewährt würden, "einen weiteren Arbeitsplatz schaffen und sich einen Angestellten leisten könnte". Daraus folgt im Umkehrschluss, dass er ohne die Gewährung der begehrten Leistungen jedenfalls nicht in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist, zumal er nach seinem Vorbringen seine Firma seit dem 16. November 2006 erfolgreich führt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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