L 1 KR 356/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 2506/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 356/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit zwischen den Beteiligten ist, welches Einkommen der freiwilligen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung der Klägerin für den Zeitraum ab dem 01. Januar 2004 zugrunde zu legen ist; ausschlaggebend ist dabei, ob bei einer vorläufigen Beitragsbemessung, die sich im Nachhinein als für das Mitglied ungünstig erweist, eine niedrigere Beitragsbemessung erfolgen kann.

Das Sozialgericht hat hierzu folgenden Sachverhalt festgestellt, den sich der Senat nach eigener Prüfung zu Eigen macht:

Die bei der Beklagten freiwillig krankenversicherte Klägerin war ab dem 01. Oktober 2003 selbstständig erwerbstätig und bezog für den Zeitraum vom 01. Oktober 2003 bis zum 30. September 2006 einen Existenz-gründungszuschuss von der Bundesagentur für Arbeit. Daneben erzielte sie Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung in Höhe von 100,00 EUR monatlich. Unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch den vorzulegenden ersten Einkommenssteuerbescheid setzte die Beklagte den zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung zu leistenden Beitrag ab dem 01. Januar 2004 auf 163,01 EUR sowie auf 20,52 EUR fest. Nach Vorlage des ersten Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2003 vom 06. Juli 2004, aus dem sich Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb in Höhe von 6 225,00 EUR ergaben, korrigierte die Beklagte mit Bescheid vom 15. November 2004 die Beitragsfestsetzung. Sie legte als Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit monatlich 2 075,00 EUR zugrunde sowie Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung in Höhe von 100,00 EUR (für die Beiträge zur Pflegeversicherung) sowie Unterhaltsleistungen in Höhe von 200,00 EUR. Ab dem 01. Januar 2004 betrage der Beitrag zur Krankenversicherung 307,13 EUR und der Beitrag zur Pflegeversicherung 40,38 EUR. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, dem die Beklagte mit Abhilfebescheid vom 20. Dezember 2004 insoweit abhalf, als Unterhaltszahlungen nicht mehr berücksichtigt wurden, so dass sich ein Beitrag ab den 01. Januar 2004 in Höhe von 280,13 EUR sowie von 36,98 EUR zur Kranken- bzw. zur Pflegeversicherung ergab (Abhilfebescheid vom 20. Dezember 2004). Zudem wurde mit diesem Bescheid der Beitrag ab dem 01. Januar 2005 unter Berücksichtigung des nunmehr gegebenen Anspruchs auf Krankengeld ab dem 22. Tag entsprechend dem Begehren der Klägerin festgesetzt.

Während des Vorverfahrens legt die Klägerin zudem den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 23. Februar 2005 vor, aus dem sich nunmehr nur noch Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb in Höhe von 13 775,00 EUR ergaben. Mit Bescheid vom 24. März 2005 setzte die Beklagte daraufhin die Beiträge auf der Grundlage von Mindesteinnahmen bei Bezug eines Existenzgründungszuschusses für die Krankenversicherung in Höhe von 175,53 EUR und für die Pflegeversicherung (unter zusätzlicher Berücksichtigung des Einkommens aus geringfügiger Beschäftigung) in Höhe von 23,71 EUR ab dem 01. März 2005 fest. Der Widerspruch wurde sodann, soweit ihm nicht abgeholfen worden war, mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2005 zurückgewiesen. Die Beklagte stützte sich darauf, dass eine rückwirkende Bemessung nach Mindesteinnahmen nach den gesetzlichen Regelungen nicht möglich sei.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 02. November 2005 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, dass das Einkommen, welches durch den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 23. Februar 2005 nachgewiesen worden ist, rückwirkend ab dem 01. Januar 2004 für die Beitragsbemessung zugrunde zu legen sei. Dieses ergebe sich daraus, dass ein Bescheid, mit dem eine Beitragsfestsetzung erfolgt sei, bisher nicht in Bestandskraft erwachsen sei, so dass der Ausschluss der rückwirkenden Änderung der Bemessung nach § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V nicht einschlägig sei. Zudem habe sie durch Vorlage von betriebswirtschaftlichen Auswertungen durch den Steuerberater bereits zu einem früheren Zeitpunkt nachgewiesen, dass sich die Einkommensverhältnisse wesentlich geändert hätten. Die höheren Einnahmen in den letzten drei Monaten des Jahres 2003, die allein in den Einkommenssteuerbescheid 2003, den die Beklagte zugrunde gelegt habe, eingeflossen seien, hätten auf einer nur befristet gegebenen besonderen Auftragslage beruht, welche im Jahr 2004 nicht mehr vorgelegen habe.

Soweit die Klägerin eine Änderung der Bemessung auch für den Zeitraum vom 01. Oktober 2003 bis zum 31. Dezember 2003 mit der Klageerhebung verfolgt hatte, hat sie die Klage zurückgenommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2004 in der Gestalt der Bescheide vom 20. Dezember 2004 und vom 24. März 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2005 insoweit abzuändern, als die Beitragsbemessung ab dem 01. Januar 2004 bis zum 28. Februar 2005 nicht auf der Grundlage der gesetzlichen Mindesteinnahmen für Bezieher eines Existenzgründerzuschusses und hinsichtlich der Beiträge für die Pflegekasse nicht auf der Grundlage von monatlichen Einnahmen in Höhe von 1 247,92 EUR festgesetzt worden sind, und die Beklagte zur Erstattung der überzahlten Beiträge zu verurteilen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Nachweis über die Einkommensverhältnisse sei erst mit Vorlage des Einkommenssteuerbescheides vom 23. Februar 2005 geführt worden. Diese Änderung sei nach § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V nur mit Wirkung für die Zukunft zu berücksichtigen und eine Wirkung für die Vergangenheit könne nicht erfolgen. Es könne nicht angehen, dass nur Änderungen, die sich für Versicherte positiv auswirken, mit Wirkung für die Vergangenheit berücksichtigt werden müssten, während Änderungen der Einkommensverhältnisse, die sich für die Versicherten im Sinne der Festsetzung höherer Beiträge negativ auswirken, nicht rückwirkend zu einer höheren Beitragsfestsetzung führen dürften.

Das Sozialgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die angefochtenen Bescheide insoweit aufgehoben, als die Beitragsbemessung ab dem 01. Januar 2004 bis zum 28. Februar 2005 nicht auf der Grundlage der gesetzlichen Mindesteinnahmen für Bezieher eines Existenzgründerzuschusses und für die Pflegekasse nicht auf der Grundlage von monatlichen Einnahmen in Höhe von 1 247,92 EUR vorgenommen wurden.

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt:

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 15. November 2004 in der Fassung der Bescheide vom 20. Dezember 2004 und vom 24. März 2005 (welcher den Bescheid vom 28. Februar 2005 ersetzt hat) und des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2005. Mit dem Bescheid vom 15. November 2004 wurde durch die Beklagte erstmals eine endgültige Beitragsfestsetzung vorgenommen, nachdem die Beitragsfestsetzung ab dem 01. Oktober 2003 nur unter "Vorbehalt der Bestätigung durch den vorzulegenden ersten Einkommenssteuerbescheid" und damit vorläufig vorgenommen worden war.

Rechtsgrundlage für die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder ist § 240 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Nach dessen Abs. 1 wird die Beitragsbemessung durch die Satzung geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Verpflichtende Vorgaben für die Beitragsbemessung für bestimmte Versichertengruppen trifft zudem § 240 Abs. 4 SGB V. Danach gilt als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bemessungsgröße. Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, beim Nachweis niedriger Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste, für freiwillige Mitglieder, die Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründerzuschuss nach § 421 des Dritten Buchs oder eine entsprechende Leistung nach § 16 des Zweiten Buches haben, der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden.

Die Beitragsfestsetzung durch die Beklagte entspricht dieser Regelung nur zum Teil. Zwischen den Beteiligten ist es unstreitig, dass die von der Klägerin begehrte Beitragsbemessung den tatsächlichen Einnahmen für das Jahr 2004 entspricht. Umstritten ist nur, ob sich aus § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V ergibt, dass die Berücksichtigung dieser Einnahmen erst mit Wirkung ab dem 01. März 2005 zu erfolgen hat oder schon mit Wirkung ab dem 01. Januar 2004. Die Beklagte stützt sich dabei zu Unrecht darauf, dass erst durch die Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2004 der Nachweis niedriger Einnahmen geführt worden sei und dass eine rückwirkende Festsetzung nicht zulässig sei. Der Ausschluss der rückwirkenden Berücksichtigung von niedrigen Einnahmen vor dem Zeitpunkt der Vorlage des Nachweises nach § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V setzt voraus, dass eine bestandskräftige erste Beitragsfestsetzung vorliegt (vgl. LSG Berlin vom 27. März 2002 - L 15 KR 286/01, vom 27. Oktober 2004 - L 15 KR 76/02). Eine solche bestandskräftig gewordene Festsetzung existiert jedoch nicht. Die Beitragsbemessung ab dem 01. Oktober 2003 erfolgte nur unter Vorbehalt; die sodann abschließende Festsetzung mit Bescheid vom 15. November 2004 ist streitbefangen und somit nicht bestandskräftig geworden. Der Ausschluss der Berücksichtigung von Änderungen mit Wirkung für die Vergangenheit greift somit nicht.

Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob schon die betriebswirtschaftlichen Auswertungen, die die Klägerin der Beklagten vorgelegt hat, als Nachweis niedrigerer Einnahmen ausreichen, da jedenfalls der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2004 einen solchen Nachweis darstellt. Da sich aus dem Einkommenssteuerbescheid Einnahmen ergeben, die unter den Mindesteinnahmen nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V liegen, sind für die Bemessung der Krankenversicherungsbeiträge die gesetzlich vorgeschriebenen Mindesteinnahmen zugrunde zu legen.

Hinsichtlich der Beiträge zur Pflegeversicherung, deren Bemessung sich nach § 57 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch in entsprechender Anwendung des § 240 SGB V ergibt, ist zunächst festzuhalten, dass die Beklagte in ihrer Funktion als Krankenkasse nicht zur Festsetzung von Beiträgen für die Pflegekasse zuständig ist. Insoweit hat die Klägerin die Beitragsbemessung jedoch nur teilweise hinsichtlich der Höhe der Beiträge angefochten; dieses Klagebegehren war schon nach materiellrechtlich aufgrund der entsprechenden Anwendung des § 240 SGB V durchgreifend, so dass es auf die Zuständigkeit der Beklagten insoweit nicht ankam.

Dahinstehen kann auch, auf welche Rechtsgrundlage sich die rückwirkende Festsetzung durch Bescheid vom 15. November 2004 stützen kann. Das Gericht geht davon aus, dass die Festsetzung durch den Bescheid vom 22. Oktober 2003 ab dem 01. Oktober 2003, welche die Beklagte "unter Vorbehalt" vorgenommen hat, als vorläufige Festsetzung anzusehen ist, welche eine endgültige Festsetzung ohne Bindung an die Voraussetzungen der § 45 oder § 48 SGB X ermöglicht (vgl. BSG vom 22. März 2006 - B 12 KR 14/05 R).

Soweit die sich somit teilweise als rechtswidrig erweisenden Beitragsfestsetzungen schon vollzogen worden sind, war gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 SGG auszusprechen, dass die Vollziehung durch die Erstattung der überzahlten Beiträge rückgängig zu machen ist.

Gegen dieses der Beklagten am 25. April 2007 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 21. Mai 2007, zu deren Begründung die Beklagte erneut vorträgt, eine Änderung für die Vergangenheit könne nicht erfolgen. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. März 2006 B 12 KR 14/05 R.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2007 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung über die Berufung erklärt.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten zur streitigen Beitragsbemessung verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.

Über sie konnte der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§§ 124, 155 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil unterliegt keiner Beanstandung, da es zutreffend und übereinstimmend mit der Rechtsprechung des BSG festgestellt hat, dass dann, wenn lediglich eine einstweilige Beitragseingruppierung vorliegt, anschließend eine endgültige Festsetzung auch für die Vergangenheit erfolgen muss.

Das Landessozialgericht sieht insoweit, um bloße Wiederholungen zu vermeiden, von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es die Berufung der Beklagten aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass, wie sich aus dem Urteil des BSG vom 22. März 2006 B 12 KR 14/05 R ergibt, die Auffassung des Sozialgerichts nicht unzutreffend ist. Die Beklagte hat dies behauptet, ohne dazu weiter auszuführen. Der erkennende Senat entnimmt dieser Entscheidung, dass immer dann, wenn wie hier keine Nachweise über das Einkommen vorgelegt werden und infolge dessen lediglich ein einstweiliger Bescheid erlassen wurde, bei der endgültigen Beitragsfestsetzung der Versicherungsträger nicht an die einstweilige Festsetzung der Beitragshöhe gebunden ist (Leitsatz 2 des Amtlichen Umdrucks der Entscheidung). Wenn dann im Nachhinein Beitragsnachforderungen möglich sind, so müssen im umgekehrten Fall auch Beitragserstattungen möglich sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Berufungsverfahrens.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG hierfür nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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