Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 SB 8/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 21/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 72/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1962 geborene Kläger ist schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs.2 und § 69 Abs.1 des Sozialgesetzubuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Er begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Der Kläger ist am 11.10.2000 in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als LKW-Fahrer schwer verunglückt. Die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF) hat mit Bescheid vom 10.10.2002 eine Teilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. bis auf Weiteres bewilligt. Berücksichtigt worden sind als Unfallfolgen: Operativ mittels künstlichem Hüftgelenk versorgter Bruch des linken Oberschenkelhalses und des linken Hüftgelenkspfannendaches. Verletzung des linken Nervus ischiadicus mit Betonung des peronealen Anteils; Bewegungseinschränkung im Hüft-, Knie- und im oberen und unteren Sprunggelenk links mit stark hinkendem Gangbild; Muskelverschmächtigung am linken Bein; Weichteilverkalkungen in beiden Ellenbogen- und Kniegelenken und in der linken Hüfte und dadurch bedingte Bewegungseinschränkungen; abgeheilte Lungenprellung und Gehirnerschütterung; versorgte Verletzung des Zahnes 45 ; Ausfall des Achillessehnenreflexes, Missempfindungen am linken Unterschenkel und Fuß; subjektive belastungsabhängige Beschwerden.
Auf den Erstantrag nach dem SGB IX vom 13.02.2001 hat der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 09.01.2002 die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt. Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 23.01.2003 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 05.09.2003 zurückgewiesen worden.
Im Rahmen einer internen Überprüfung hat die BGF mit Nachricht vom 01.10.2004 das fachchirurgische Gutachten von Prof. Dr.V.B. vom 25.02.2003 übersandt. Danach bestehe bei dem Kläger eine glaubhafte stark eingeschränkte Gehstrecke. Aufgrund der Nervenlähmung links und der bestehenden Schmerzen sei er auf die Benützung von Unterarmgehstützen beiderseits angewiesen. Die Gehstrecke betrage nach eigenen Angaben des Klägers ca 200 bis 300 m und sei zeitlich auf ca. zehn Minuten beschränkt; danach müsse er innehalten oder sich hinsetzen. Beigefügt gewesen ist das nervenärztliche Zusatzgutachten von Dr.L.N. vom 27.05.2003 sowie eine Abschrift des Bescheides der BGF vom 11.09.2003 mit einer unverändert bestehenden Teilrente nach einer MdE von 80 v.H. (= monatlich 1.328,24 EUR).
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 30.08.2005 beantragt, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen. Dr.W. hat mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 07.10.2005 in Auswertung der vorstehend bezeichneten Gutachten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. darauf hingewiesen, dass die Gehstrecke mit allen verordneten orthopädischen Hilfsmitteln mit 200 bis 300 m angegeben worden sei. Dementsprechend hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern II vom 12.10.2005 den Antrag auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" abgelehnt. Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 20.10.2005 ist mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 30.11.2005 zurückgewiesen worden. Eine Gleichstellung mit einem Doppeloberschenkel- oder Doppelunterschenkelamputierten sei nicht möglich. Wenn im Widerspruch argumentiert werde, dass durch die Bewegungseinschränkung im linken Knie ein Aus- und Einsteigen aus einem PKW aus Platzgründen nicht möglich sei, werde dies durch die medizinische Befundlage nicht gedeckt. Danach sei eine Beugung der linken Hüfte bis auf 90 Grad möglich; im Bereich der rechten Hüfte bestehe keine nennenswerte Einschränkung. Die Kniegelenke selber könnten links bis 100 Grad bzw. rechts bis 115 Grad gebeugt werden. Die Feststellung des Merkzeichens "aG" sei somit nicht möglich.
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht München nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen mit Beweisanordnung vom 27.04.2006 Dr.A. T. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat mit fachorthopädischem Gutachten vom 20.05.2006 zusammenfassend ausgeführt, dass der Grad der Behinderung (GdB) auch nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 2004, 2005" 80 betrage. Aus seiner Sicht könne die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht befürwortet werden. Der Kläger benötige keine Peronäusschiene. Im Übrigen habe er angegeben, dass er an guten Tagen auch 1 km weit gehen könne. Nachdem sich der Kläger innerhalb der Wohnung mit einem Gehstock und außerhalb mit zwei Unterarmgehstützen fortbewegen müsse und er auf längeren Distanzen auch auf einen Rollstuhl angewiesen sei, sei lediglich das bereits zuerkannte Merkzeichen "G" gerechtfertigt.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 20.06.2006 nochmals darauf hingewiesen, dass es dem Kläger aus eigener Kraft nicht möglich sei aus einem PKW auszusteigen, ohne die Autotür bis zum Anschlag zu öffnen. Dies sei aber bei normal bemessenen Parkplätzen nicht möglich. Gerade aus diesem Grunde benötige der Kläger einen Behindertenparkplatz bzw. das Merkzeichen "aG".
Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr.A. T. vom 07.08.2006 hat das Sozialgericht München die Klage mit Urteil vom 19.12.2006 abgewiesen. Zwar sei es dem Gericht durchaus nachvollziehbar, dass der Kläger aufgrund seiner erheblichen Behinderungen nur bei völlig geöffneter PKW-Tür aussteigen könne, jedoch knüpften die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "aG" gerade nicht an solche Tatbestände an.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 07.02.2007 ging am 09.02.2007 im Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG) ein. Von Seiten des BayLSG wurden die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen.
Die Bevollmächtigten des Klägers betonten mit Berufungsbegründung vom 12.03.2007 nochmals, dass der Kläger nur bei völlig geöffneter PKW-Tür selbständig ein- und aussteigen könne. In Hinblick auf § 46 der Straßenverkehrsordnung (StVO) habe er daher Anspruch auf die Nutzung entsprechender Behindertenparkplätze bzw. auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Das BayLSG bestellte mit Beweisanorodnung vom 26.03.2007 Dr.G. L. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser kam mit orthopädischem Fachgutachten vom 19.04.2007 zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund der bei ihm vorliegenden Befunde aus medizinischer Sicht nicht außergewöhnlich gehbehindert im Sinne der VwV zu § 46 StVO sei (Rz.27 Abs.4 bzw. Rz.31 Abs.4 der "Anhaltspunkte 2004"). Der spezifische Teil der Problematik des Klägers (Notwendigkeit der vollständigen Öffnung von PKW-Türen zum Ein- und Aussteigen) bedürfe der rein rechtlichen Bewertung.
Das BayLSG machte die Bevollmächtigten des Klägers mit Nachricht vom 26.04.2007 darauf aufmerksam, dass die besondere Problematik des Öffnens von PKW-Türen zugunsten Schwerbehinderter landesrechtlich nur (richtig) im Land Sachsen-Anhalt in Ausführungsbestimmungen zu § 46 StVO geregelt sei (Gemeinsamer Runderlass des MWV und MA vom 01.08.2001-52-30051 unter Bezugnahme auf 24.02.1998-52-05132), nicht jedoch im Freistaat Bayern. Außerdem wären insoweit die Straßenverkehrsbehörden zuständig, nicht jedoch die Versorgungsverwaltung.
Die Bevollmächtigten des Klägers erwiderten mit Schriftsatz vom 11.06.2007, wenn die gesetzliche Regelung diesbezüglich aber den Kläger ohne nachvollziehbaren Grund benachteilige, sei dieser in seinen Grundrechten aus Art.1, Art.2 und Art.3 des Grundgesetzes (GG) verletzt.
In der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2007 stellt der Bevollmächtigte des Klägers entsprechend seinem Schriftsatz vom 12.03.2007 den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.12.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 12.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.12.2006 als unbegründet zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht München hat die Klage mit Urteil vom 19.12.2006 - S 9 SB 8/06 - zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern II vom 12.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 30.11.2005 ist zutreffend ergangen. Dem Kläger steht das Merkzeichen "aG" nicht zu.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.2 SGB IX im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs.1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs.1 SGB IX).
Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004 und 2005" ausgefüllt.
Die "Anhaltspunkte 2004, 2005" in Rz.31 Abs.3 ff. und Rz.27 Abs.4 auf § 46 der Straßenverkehrsordnung (StVO) und die hierzu ergangenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften (VwV zu § 46 StVO) bestimmen, dass als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen sind, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Nach den übereinstimmenden gerichtsärztlichen Auffassungen von Dr.A. T. mit erstinstanzlichem fachorthopädischen Gutachten vom 20.05.2006 und Dr.G. L. mit zweitinstanzlichem orthopädischen Fachgutachten vom 19.04.2007 sind die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht gegeben. Das BayLSG verkennt nicht, dass der Kläger innerhalb der Wohnung einen Gehstock benutzen muss und außerhalb der Wohnung auf zwei Unterarmgehstützen angewiesen ist. Aufgrund der Belastungsminderung vor allem wegen der bestehenden Muskelverschmächtigung benötigt er auf längeren Distanzen auch einen Rollstuhl. Die durchschnittliche Gehfähigkeit beträgt etwa 200 bis 300m; in Ausnahmefällen bzw. an "guten Tagen" ist der Kläger sogar in der Lage, 1 km weit zu gehen. Seine Gehfähigkeit ist danach deutlich besser als die eines Doppeloberschenkelamputierten. Wenn Doppelunterschenkelamputierte mit gut sitzenden Prothesen ähnliche Entfernungen überwinden, ist dies die Ausnahme und nicht die Regel. Eine Gleichstellung mit diesem Personenkreis ist somit nicht möglich.
Soweit der Kläger auf die besondere Problematik der Notwendigkeit des vollständigen Öffnens von PKW-Türen hinweist, gebietet dies auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine Gleichbehandlung mit dem vorstehend beschriebenen Personenkreis im Sinne der VwV zu § 46 StVO. Denn das Bundessozialgericht hat zuletzt mit Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - bestätigt, dass es nicht allein auf Fußwegstrecken von etwa 100 m ankomme, in denen unter Umständen sogar mehrfach pausiert werden müsse. Vielmehr komme es insbesondere darauf an, ob Kläger sich nur unter großen körperlichen Anstrengungen zu Fuß fortbewegen können. Dabei können u.a. Art und Umfang schmerz- oder erschöpfungsbedingter Pausen von Bedeutung sein.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist somit entscheidungserheblich, ob Kläger nur unter großen körperlichen Anstrengungen ihr Ziel zu Fuß erreichen können. Nicht von Bedeutung sind jedoch die gegebenenfalls bestehenden Schwierigkeiten beim Verlassen eines PKW (hier: Notwendigkeit des vollständigen Öffnens der PKW-Türe). Dies hat das BSG bereits mit Urteil vom 03.02.1988 - 9/9a RVs; 19/86 - (SozR 3870 § 3 Nr.28) ausdrücklich angesprochen. Dem ist aus der Sicht des erkennenden Senats unverändert beizupflichten. Denn diese Problematik ist nicht nur abhängig von dem Ausmaß der konkret bei den Betroffenen bestehenden Funktionsstörungen, sondern auch von anderen Umständen wie z.B. konstruktionsbedingten Merkmalen des jeweils verwendeten PKW. Außerdem sind Behindertenparkplätze in nennenswerter Zahl längs und nicht quer zur Fahrbahn angeordnet. Die Notwendigkeit bei längs angeordneten Behindertenparkplätzen auch den Gegenverkehr verstärkt zu beobachten, wirkt sich nicht auf die Fortbewegungsfähigkeit als solche aus und ist daher nicht entscheidungserheblich.
Landesrechtlich wird von den jeweils zuständigen Verordnungsgebern bzw. Ministerien der besonderen Problematik einzelner Behinderter oder Behinderungsgruppen gesondert Rechngung getragen. Im Freistaat Bayern können unter anderem schwerbehinderte Menschen eine blauen Parkausweis erhalten, die allein für die Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) einen GdB von wenigstens 80 und die Merkzeichen "G" und "B" zuerkannt bekommen haben oder die allein für die Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) einen GdB von wenigstens 70 zuerkannt bekommen haben und gleichzeitig durch Funktionsstörungen des Herzens und der Atmungsorgane, die wenigstens einen GdB von 50 bedingen, beeinträchtigt sind sowie die Merkzeichen "G" und "B" erhalten haben (= sogenanntes "Bayern-aG").
Andere Bundesländer berücksichtigen beispielhaft die besondere Situation von Personen, die an einem "imperativen Stuhl- oder Harndrang" leiden und somit öffentliche Toiletten in kürzester Zeit aufsuchen können müssen. Lediglich (richtig) im Land Sachsen-Anhalt ist die besondere Problematik des Öffnens von PKW-Türen zugunsten Schwerbehinderter wie dem Kläger landesrechtlich in Ausführungsbestimmungen zu § 46 StVO geregelt.
Wenn die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 11.06.2007 u.a. nochmals auf die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung aus verfassungsrechtlichen Gründen hingewiesen haben, ist dies nicht anspruchsbegründend. Denn Maßstab der richterlichen Nachprüfung sind die bereits wiederholt erwähnten "Anhaltspunkte 2004, 2005". Dort sind die allgemeinen Verwaltungsvorschriften (VwV) zu § 46 StVO zugrunde gelegt worden. Sonderproblematiken wie den vorstehend aufgezeigten oder derjenigen des hiesigen Klägers kann jedoch nicht Rechnung getragen werden. Denn aufgrund des Prinzips der Gewaltenteilung obliegt es den jeweils landesrechtlich zuständigen Verordnungsgebern bzw. Ministerien, Abhilfe zu schaffen, soweit dies dort auch unter übergeordneten Gesichtspunkten des Straßenverkehrs für erforderlich gehalten wird.
Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.12.2006 zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1962 geborene Kläger ist schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs.2 und § 69 Abs.1 des Sozialgesetzubuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Er begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Der Kläger ist am 11.10.2000 in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als LKW-Fahrer schwer verunglückt. Die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF) hat mit Bescheid vom 10.10.2002 eine Teilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. bis auf Weiteres bewilligt. Berücksichtigt worden sind als Unfallfolgen: Operativ mittels künstlichem Hüftgelenk versorgter Bruch des linken Oberschenkelhalses und des linken Hüftgelenkspfannendaches. Verletzung des linken Nervus ischiadicus mit Betonung des peronealen Anteils; Bewegungseinschränkung im Hüft-, Knie- und im oberen und unteren Sprunggelenk links mit stark hinkendem Gangbild; Muskelverschmächtigung am linken Bein; Weichteilverkalkungen in beiden Ellenbogen- und Kniegelenken und in der linken Hüfte und dadurch bedingte Bewegungseinschränkungen; abgeheilte Lungenprellung und Gehirnerschütterung; versorgte Verletzung des Zahnes 45 ; Ausfall des Achillessehnenreflexes, Missempfindungen am linken Unterschenkel und Fuß; subjektive belastungsabhängige Beschwerden.
Auf den Erstantrag nach dem SGB IX vom 13.02.2001 hat der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 09.01.2002 die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt. Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 23.01.2003 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 05.09.2003 zurückgewiesen worden.
Im Rahmen einer internen Überprüfung hat die BGF mit Nachricht vom 01.10.2004 das fachchirurgische Gutachten von Prof. Dr.V.B. vom 25.02.2003 übersandt. Danach bestehe bei dem Kläger eine glaubhafte stark eingeschränkte Gehstrecke. Aufgrund der Nervenlähmung links und der bestehenden Schmerzen sei er auf die Benützung von Unterarmgehstützen beiderseits angewiesen. Die Gehstrecke betrage nach eigenen Angaben des Klägers ca 200 bis 300 m und sei zeitlich auf ca. zehn Minuten beschränkt; danach müsse er innehalten oder sich hinsetzen. Beigefügt gewesen ist das nervenärztliche Zusatzgutachten von Dr.L.N. vom 27.05.2003 sowie eine Abschrift des Bescheides der BGF vom 11.09.2003 mit einer unverändert bestehenden Teilrente nach einer MdE von 80 v.H. (= monatlich 1.328,24 EUR).
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 30.08.2005 beantragt, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen. Dr.W. hat mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 07.10.2005 in Auswertung der vorstehend bezeichneten Gutachten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. darauf hingewiesen, dass die Gehstrecke mit allen verordneten orthopädischen Hilfsmitteln mit 200 bis 300 m angegeben worden sei. Dementsprechend hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern II vom 12.10.2005 den Antrag auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" abgelehnt. Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 20.10.2005 ist mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 30.11.2005 zurückgewiesen worden. Eine Gleichstellung mit einem Doppeloberschenkel- oder Doppelunterschenkelamputierten sei nicht möglich. Wenn im Widerspruch argumentiert werde, dass durch die Bewegungseinschränkung im linken Knie ein Aus- und Einsteigen aus einem PKW aus Platzgründen nicht möglich sei, werde dies durch die medizinische Befundlage nicht gedeckt. Danach sei eine Beugung der linken Hüfte bis auf 90 Grad möglich; im Bereich der rechten Hüfte bestehe keine nennenswerte Einschränkung. Die Kniegelenke selber könnten links bis 100 Grad bzw. rechts bis 115 Grad gebeugt werden. Die Feststellung des Merkzeichens "aG" sei somit nicht möglich.
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht München nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen mit Beweisanordnung vom 27.04.2006 Dr.A. T. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat mit fachorthopädischem Gutachten vom 20.05.2006 zusammenfassend ausgeführt, dass der Grad der Behinderung (GdB) auch nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 2004, 2005" 80 betrage. Aus seiner Sicht könne die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht befürwortet werden. Der Kläger benötige keine Peronäusschiene. Im Übrigen habe er angegeben, dass er an guten Tagen auch 1 km weit gehen könne. Nachdem sich der Kläger innerhalb der Wohnung mit einem Gehstock und außerhalb mit zwei Unterarmgehstützen fortbewegen müsse und er auf längeren Distanzen auch auf einen Rollstuhl angewiesen sei, sei lediglich das bereits zuerkannte Merkzeichen "G" gerechtfertigt.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 20.06.2006 nochmals darauf hingewiesen, dass es dem Kläger aus eigener Kraft nicht möglich sei aus einem PKW auszusteigen, ohne die Autotür bis zum Anschlag zu öffnen. Dies sei aber bei normal bemessenen Parkplätzen nicht möglich. Gerade aus diesem Grunde benötige der Kläger einen Behindertenparkplatz bzw. das Merkzeichen "aG".
Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr.A. T. vom 07.08.2006 hat das Sozialgericht München die Klage mit Urteil vom 19.12.2006 abgewiesen. Zwar sei es dem Gericht durchaus nachvollziehbar, dass der Kläger aufgrund seiner erheblichen Behinderungen nur bei völlig geöffneter PKW-Tür aussteigen könne, jedoch knüpften die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "aG" gerade nicht an solche Tatbestände an.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 07.02.2007 ging am 09.02.2007 im Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG) ein. Von Seiten des BayLSG wurden die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen.
Die Bevollmächtigten des Klägers betonten mit Berufungsbegründung vom 12.03.2007 nochmals, dass der Kläger nur bei völlig geöffneter PKW-Tür selbständig ein- und aussteigen könne. In Hinblick auf § 46 der Straßenverkehrsordnung (StVO) habe er daher Anspruch auf die Nutzung entsprechender Behindertenparkplätze bzw. auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Das BayLSG bestellte mit Beweisanorodnung vom 26.03.2007 Dr.G. L. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser kam mit orthopädischem Fachgutachten vom 19.04.2007 zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund der bei ihm vorliegenden Befunde aus medizinischer Sicht nicht außergewöhnlich gehbehindert im Sinne der VwV zu § 46 StVO sei (Rz.27 Abs.4 bzw. Rz.31 Abs.4 der "Anhaltspunkte 2004"). Der spezifische Teil der Problematik des Klägers (Notwendigkeit der vollständigen Öffnung von PKW-Türen zum Ein- und Aussteigen) bedürfe der rein rechtlichen Bewertung.
Das BayLSG machte die Bevollmächtigten des Klägers mit Nachricht vom 26.04.2007 darauf aufmerksam, dass die besondere Problematik des Öffnens von PKW-Türen zugunsten Schwerbehinderter landesrechtlich nur (richtig) im Land Sachsen-Anhalt in Ausführungsbestimmungen zu § 46 StVO geregelt sei (Gemeinsamer Runderlass des MWV und MA vom 01.08.2001-52-30051 unter Bezugnahme auf 24.02.1998-52-05132), nicht jedoch im Freistaat Bayern. Außerdem wären insoweit die Straßenverkehrsbehörden zuständig, nicht jedoch die Versorgungsverwaltung.
Die Bevollmächtigten des Klägers erwiderten mit Schriftsatz vom 11.06.2007, wenn die gesetzliche Regelung diesbezüglich aber den Kläger ohne nachvollziehbaren Grund benachteilige, sei dieser in seinen Grundrechten aus Art.1, Art.2 und Art.3 des Grundgesetzes (GG) verletzt.
In der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2007 stellt der Bevollmächtigte des Klägers entsprechend seinem Schriftsatz vom 12.03.2007 den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.12.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 12.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.12.2006 als unbegründet zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht München hat die Klage mit Urteil vom 19.12.2006 - S 9 SB 8/06 - zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern II vom 12.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 30.11.2005 ist zutreffend ergangen. Dem Kläger steht das Merkzeichen "aG" nicht zu.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.2 SGB IX im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs.1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs.1 SGB IX).
Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004 und 2005" ausgefüllt.
Die "Anhaltspunkte 2004, 2005" in Rz.31 Abs.3 ff. und Rz.27 Abs.4 auf § 46 der Straßenverkehrsordnung (StVO) und die hierzu ergangenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften (VwV zu § 46 StVO) bestimmen, dass als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen sind, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Nach den übereinstimmenden gerichtsärztlichen Auffassungen von Dr.A. T. mit erstinstanzlichem fachorthopädischen Gutachten vom 20.05.2006 und Dr.G. L. mit zweitinstanzlichem orthopädischen Fachgutachten vom 19.04.2007 sind die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht gegeben. Das BayLSG verkennt nicht, dass der Kläger innerhalb der Wohnung einen Gehstock benutzen muss und außerhalb der Wohnung auf zwei Unterarmgehstützen angewiesen ist. Aufgrund der Belastungsminderung vor allem wegen der bestehenden Muskelverschmächtigung benötigt er auf längeren Distanzen auch einen Rollstuhl. Die durchschnittliche Gehfähigkeit beträgt etwa 200 bis 300m; in Ausnahmefällen bzw. an "guten Tagen" ist der Kläger sogar in der Lage, 1 km weit zu gehen. Seine Gehfähigkeit ist danach deutlich besser als die eines Doppeloberschenkelamputierten. Wenn Doppelunterschenkelamputierte mit gut sitzenden Prothesen ähnliche Entfernungen überwinden, ist dies die Ausnahme und nicht die Regel. Eine Gleichstellung mit diesem Personenkreis ist somit nicht möglich.
Soweit der Kläger auf die besondere Problematik der Notwendigkeit des vollständigen Öffnens von PKW-Türen hinweist, gebietet dies auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine Gleichbehandlung mit dem vorstehend beschriebenen Personenkreis im Sinne der VwV zu § 46 StVO. Denn das Bundessozialgericht hat zuletzt mit Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - bestätigt, dass es nicht allein auf Fußwegstrecken von etwa 100 m ankomme, in denen unter Umständen sogar mehrfach pausiert werden müsse. Vielmehr komme es insbesondere darauf an, ob Kläger sich nur unter großen körperlichen Anstrengungen zu Fuß fortbewegen können. Dabei können u.a. Art und Umfang schmerz- oder erschöpfungsbedingter Pausen von Bedeutung sein.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist somit entscheidungserheblich, ob Kläger nur unter großen körperlichen Anstrengungen ihr Ziel zu Fuß erreichen können. Nicht von Bedeutung sind jedoch die gegebenenfalls bestehenden Schwierigkeiten beim Verlassen eines PKW (hier: Notwendigkeit des vollständigen Öffnens der PKW-Türe). Dies hat das BSG bereits mit Urteil vom 03.02.1988 - 9/9a RVs; 19/86 - (SozR 3870 § 3 Nr.28) ausdrücklich angesprochen. Dem ist aus der Sicht des erkennenden Senats unverändert beizupflichten. Denn diese Problematik ist nicht nur abhängig von dem Ausmaß der konkret bei den Betroffenen bestehenden Funktionsstörungen, sondern auch von anderen Umständen wie z.B. konstruktionsbedingten Merkmalen des jeweils verwendeten PKW. Außerdem sind Behindertenparkplätze in nennenswerter Zahl längs und nicht quer zur Fahrbahn angeordnet. Die Notwendigkeit bei längs angeordneten Behindertenparkplätzen auch den Gegenverkehr verstärkt zu beobachten, wirkt sich nicht auf die Fortbewegungsfähigkeit als solche aus und ist daher nicht entscheidungserheblich.
Landesrechtlich wird von den jeweils zuständigen Verordnungsgebern bzw. Ministerien der besonderen Problematik einzelner Behinderter oder Behinderungsgruppen gesondert Rechngung getragen. Im Freistaat Bayern können unter anderem schwerbehinderte Menschen eine blauen Parkausweis erhalten, die allein für die Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) einen GdB von wenigstens 80 und die Merkzeichen "G" und "B" zuerkannt bekommen haben oder die allein für die Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) einen GdB von wenigstens 70 zuerkannt bekommen haben und gleichzeitig durch Funktionsstörungen des Herzens und der Atmungsorgane, die wenigstens einen GdB von 50 bedingen, beeinträchtigt sind sowie die Merkzeichen "G" und "B" erhalten haben (= sogenanntes "Bayern-aG").
Andere Bundesländer berücksichtigen beispielhaft die besondere Situation von Personen, die an einem "imperativen Stuhl- oder Harndrang" leiden und somit öffentliche Toiletten in kürzester Zeit aufsuchen können müssen. Lediglich (richtig) im Land Sachsen-Anhalt ist die besondere Problematik des Öffnens von PKW-Türen zugunsten Schwerbehinderter wie dem Kläger landesrechtlich in Ausführungsbestimmungen zu § 46 StVO geregelt.
Wenn die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 11.06.2007 u.a. nochmals auf die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung aus verfassungsrechtlichen Gründen hingewiesen haben, ist dies nicht anspruchsbegründend. Denn Maßstab der richterlichen Nachprüfung sind die bereits wiederholt erwähnten "Anhaltspunkte 2004, 2005". Dort sind die allgemeinen Verwaltungsvorschriften (VwV) zu § 46 StVO zugrunde gelegt worden. Sonderproblematiken wie den vorstehend aufgezeigten oder derjenigen des hiesigen Klägers kann jedoch nicht Rechnung getragen werden. Denn aufgrund des Prinzips der Gewaltenteilung obliegt es den jeweils landesrechtlich zuständigen Verordnungsgebern bzw. Ministerien, Abhilfe zu schaffen, soweit dies dort auch unter übergeordneten Gesichtspunkten des Straßenverkehrs für erforderlich gehalten wird.
Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.12.2006 zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
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