L 7 SO 6420/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SO 3805/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 6420/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten streitig ist vorliegend die Gewährung von Hilfeleistungen zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) für die Zeit vom 11. Oktober 2005 bis zum 16. Juli 2006.

Die am 1956 geborene Klägerin zog am 11. Oktober 2005 von Stuttgart nach Karlsruhe um, wo sie sich in der Folgezeit aufhielt; in Stuttgart hatte die Klägerin vom dortigen Sozialhilfeträger zuletzt Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bezogen. Seit Oktober 2007 hält sich die Klägerin in Mannheim auf, wo sie in einem städtischen Übernachtungsheim Unterkunft gefunden hat.

Nach dem Umzug nach Karlsruhe stellte die Klägerin am 8. Dezember 2005 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), den die ARGE Jobcenter Karlsruhe (im Folgenden: ARGE) als zuständiger Leistungsträger mit Bescheid vom 17. Oktober 2005 ablehnte mit der Begründung, die Klägerin sei nicht erwerbsfähig. Sie stützte sich dabei auf eine Bescheinigung der (ehemaligen) Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA; heute: Deutsche Rentenversicherung Bund, im Folgenden: DRV Bund) vom 26. Januar 2004, in der festgestellt wurde, dass die Klägerin bereits seit mindestens dem 1. Januar 2003 unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert i.S. des § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und eine Behebung der vollen Erwerbsminderung unwahrscheinlich sei.

Mit Bescheid vom 17. August 2006 bewilligte die ARGE der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 17. Juli 2006 bis 31. Januar 2007. Am 30. August 2006 entschied die gemeinsame Einigungsstelle bei der ARGE unter Bezugnahme auf die zitierte Bescheinigung des Rentenversicherungsträgers, dass zuständiger Leistungsträger für die Klägerin das Sozialamt der Stadt Karlsruhe als zuständiger Träger nach dem SGB XII sei und nicht der Träger der SGB II-Leistungen. Mit Bescheid vom 28. September 2006 hob die ARGE daraufhin die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung vom 1. Oktober 2006 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit auf. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2006 zurückgewiesen mit der Begründung, die ARGE sei aufgrund der Bescheinigung der DRV Bund bereits seit dem Zuzug der Klägerin nach Karlsruhe der Ansicht gewesen, dass eine Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB II nicht bestehe. Die Stadt Karlsruhe als SGB XII-Träger habe aber zumindest ab Juli 2006 die gegenteilige Ansicht vertreten, weswegen die ARGE bis zur Entscheidung der gemeinsamen Einigungsstelle nach § 44a Satz 3 SGB II in Vorleistung getreten sei. Durch die Entscheidung der gemeinsamen Einigungsstelle sei jedoch hierfür kein Raum mehr. Die vorangegangene Leistungsbewilligung sei daher zwingend aufzuheben gewesen.

Durch Bescheid vom 19. Dezember 2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII ab mit der Begründung, die Klägerin sei dauerhaft erwerbsgemindert. Sie zähle deshalb nicht zu dem Personenkreis, der Hilfe nach dem dritten Kapitel des SGB XII beanspruchen könne. Die Klägerin habe aber die Möglichkeit, Leistungen nach dem vierten Kapitel des SGB XII zu beantragen. Der Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Durch weiteren Bescheid vom 14. Juli 2006 lehnte die Beklagte erneut die Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII ab. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2006 zurückgewiesen mit der Begründung, die Klägerin habe nach ihrem eigenen Vorbringen dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Dies schließe einen Anspruch auf Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB XII aus.

Am 9. August 2006 hat die Klägerin dagegen Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben mit dem Ziel, für die Zeit vom 11. Oktober 2005 bis zum 16. Juli 2006 Leistungen nach dem dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) zu erhalten. Im Erörterungstermin vor dem SG am 29. September 2006 hat die Klägerin vorgetragen, sie halte sich selbst für voll erwerbsfähig und habe deshalb keinen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung nach dem vierten Kapitel des SGB XII gestellt und werde einen solchen Antrag auch nicht stellen.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. November 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB XII. Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII sei Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen könnten. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII sei Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den besonderen Voraussetzungen des vierten Kapitels des SGB XII Personen zu leisten, die das 65. Lebensjahr vollendet hätten oder das 18. Lebensjahr vollendet hätten und dauerhaft voll erwerbsgemindert seien, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen könnten. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gingen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII vor. Ausgehend von ihrem eigenen Vorbringen, wonach sie voll erwerbsfähig sei, habe die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, wie sie die ARGE ab dem 17. Juli 2006 auch erbracht habe. Bereits der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II dem Grunde nach schließe einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII aus, selbst wenn der Berechtigte einen entsprechenden Leistungsantrag nicht stelle.

Gehe man demgegenüber im Anschluss an die Mitteilung der (damaligen) BfA vom 26. Januar 2004 davon aus, dass die Klägerin bereits seit vor dem 1. Januar 2003 auf Dauer voll erwerbsgemindert sei, habe sie einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem vierten Kapitel des SGB XII. Diese Leistungen seien jedoch antragsabhängig, wie sich aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 1 SGB X ergebe. Sie gingen zudem den Leistungen nach dem dritten Kapitel vor. Einen solchen Antrag habe die Klägerin indessen nicht gestellt. Da sie sich zudem wiederholt, zuletzt im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und hartnäckig weigere, diesen Antrag zu stellen, scheide auch eine Umdeutung ihres Antrags auf Leistungen nach dem dritten Kapitel in einen solchen nach dem vierten Kapitel SGB XII aus. Die sonach fehlende und zudem ausdrücklich verweigerte Antragstellung führe allerdings auch nicht zu einer Leistungsberechtigung nach dem dritten Kapitel des SGB XII, denn insoweit verstoße die Klägerin gegen den in § 2 Abs. 1 5GB XII enthaltenen Grundsatz der Selbsthilfe. Angesichts dessen sei die Weigerung der Beklagten, der Klägerin im hier streitigen Zeitraum Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII zu gewähren, nicht zu beanstanden.

Gegen den ihr am 14. November 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. Dezember 2006 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, die sie im Wesentlichen damit begründet hat, sie sei erwerbsfähig; die entgegenstehende Feststellung des Rentenversicherungsträgers, wonach sie voll erwerbsgemindert sei, sei unzutreffend. Sie habe daher Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II und dürfe nicht auf Leistungen nach dem SGB XII verwiesen werden. Da die ihr zustehenden Leistungen nach dem SGB II aber vom zuständigen Träger verweigert würden, habe sie Anspruch auf vorläufige Leistungsgewährung nach dem dritten Kapitel des SGB XII. Bis zur Klärung des für sie zuständigen Trägers stünden diese Leistungen ihr gemäß § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zur Vermeidung von Nachteilen zu. Es sei ihr unzumutbar, einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem vierten Kapitel des SGB XII zu stellen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. November 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juli 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr vorläufig für die Zeit vom 11. Oktober 2005 bis 16. Juli 2006 Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, ihre Klage gegen die Aufhebung der SGB II-Bewilligung sei noch vor dem SG Karlruhe anhängig. Sie übernachte derzeit in einem städtischen Übernachtungsheim in Mannheim, wo sie auch Frühstück und Abendessen erhalte; sonstige Leistungen erhalte sie nicht. Sie sei erwerbsfähig, was durch den in Kopie vorgelegten Entlassungsbericht der P.K. Karlsruhe vom 8. Dezember 2005 belegt werde. Es sei nicht erforderlich, dass sie sich einer medizinischen Begutachtung ihrer Erwerbsfähigkeit unterziehe. Zu einer solchen Begutachtung sei sie auch nicht bereit; mit den Ärzten habe sie abgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung ist statthaft, da der Beschwerdewert von 500,- Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) erreicht wird und ist auch sonst zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Wegen der weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es nach seiner vom SG zutreffend zitierten Rechtsprechung nicht in der Hand des Hilfebedürftigen liegt, durch Verweigerung der Mitwirkung (vgl. hierzu § 60 SGB I) das Eintreten eines bestimmten Leistungsträgers zu erzwingen (Beschluss vom 1. Juni 2005 -L 7 SO 1840/05 ER-B - FEVS 57, 170). In gleicher Weise steht es einem Leistungsberechtigten nicht frei, innerhalb eines Leistungssystems durch die Unterlassung bzw. Verweigerung notwendiger Mitwirkungshandlungen, wie hier der Stellung eines notwendigen Grundsicherungsantrags (vgl. § 41 SGB XII), die Inanspruchnahme bestimmter, vielleicht als missliebig empfundener Leistungen zu vereiteln und die Gewährung anderer, ihrerseits nicht antragsgebundener Leistungen zu erreichen. Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt eine solche vorläufige Leistungspflicht der Beklagten weder aus dem Charakter der Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB XII noch unter dem Gesichtspunkt des § 43 SGB I. Richtig daran ist, dass die Hilfe zum Lebensunterhalt eine "Auffangleistung" in der Weise darstellt, dass sie (nur) denjenigen Bedürftigen zusteht, denen aufgrund anderer Rechtsvorschriften sonst keine Leistungen zustehen, also weder Arbeitslosengeld II (Alg II) (als erwerbsfähige Personen im Alter von 15 bis 65 Jahren) noch Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem vierten Kapitel (als 65-Jährige oder Ältere bzw. als dauerhaft voll Erwerbsgeminderte). Die Hilfe zum Lebensunterhalt ist allerdings nicht konzipiert für Personen, die - wie die Klägerin - ausweislich einer Entscheidung der gemeinsamen Einigungsstelle nach § 44a SGB II voll erwerbsgemindert sind, somit - zumindest bis auf Weiteres - unter den Kreis der Leistungsberechtigten nach dem vierten Kapitel des SGB XII fallen, einen solchen Antrag aber nicht stellen. In diesen Fällen besteht weder eine vorläufige Einstandspflicht des zuerst angegangenen Leistungsträgers nach § 43 SGB I (vgl. Beschlüsse des Senats vom 1. Juni 2005, L 7 SO 1840/05 ER-B, FEVS 57, 170 und vom 7. September 2006, L 7 SO 4520/06 ER-B) noch folgt aus dieser Bestimmung ein Anspruch auf Gewährung vorläufiger Leistungen nach einem thematisch nicht einschlägigen Leistungskapitel.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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