L 12 AL 1313/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AL 1577/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1313/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 29.11.2006 und der Bescheid der Beklagten vom 05.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2004 dahingehend abgeändert, dass der Kläger Arbeitslosengeld und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wegen seines nicht mitgeteilten Umzugs lediglich für die Zeit vom 15.05.2003 bis zum 15.07.2003 zu erstatten hat.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 4/5 erstatten

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld im Streit.

Der 1944 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er hat keine abgeschlossene Berufsausbildung und zuletzt als Hilfsarbeiter (im Reinigungsbereich) gearbeitet. Er meldete sich am 27.06.2002 zum 01.07.2002 arbeitslos und gab hierbei als Wohnanschrift die H.str. 13 in Ü. an. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 14.11.2002 Arbeitslosengeld ab dem 11.10.2002 (wegen der Anrechnung einer Entlassungsabfindung) für die Dauer von 960 Tagen.

Der Kläger zog am 15.05.2003 innerhalb seiner Wohngemeinde Ü. in die J.-Str. 37 um, ohne dies der Beklagten mitzuteilen. Er erteilte der Post am 10.07.2003 für die Zeit ab dem 16.07.2003 für die Dauer von 6 Monaten einen Nachsendeauftrag. Am 13. und 24.02.2004 erhielt die Beklagte zwei an die alte Anschrift des Klägers gerichtete Briefe mit dem Vermerk "Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurück. Die Beklagte stellte die Zahlung von Arbeitslosengeld daraufhin mit Ablauf des 31.01.2004 ein. Am 05.03.2004 teilte der Kläger der Beklagten seine neue Anschrift mit. Daraufhin bewilligte die Beklagte erneut Arbeitslosengeld ab dem 13.03.2004. In der Zeit vom 24.02.2004 bis zum 12.03.2004 war der Kläger arbeitsunfähig.

Mit Bescheid vom 05.05.2004 hob die Beklagte wegen der nicht rechtzeitig mitgeteilten Anschriftenänderung die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 15.05.2003 bis zum 04.03.2004 auf und forderte die Erstattung des für den Zeitraum vom 15.05.2003 bis zum 30.01.2004 gezahlten Arbeitslosengeldes sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 10.139,45 Euro. Die Anhörung hierzu holte sie mit Schreiben vom 12.05.2004 nach.

Der Kläger begründete seinen Widerspruch damit, dass er bei seiner örtlichen Postfiliale seit mindestens 15 Jahren ein Postfach besitze. Die Post wisse dies und lege daher von sich aus sämtliche an ihn adressierte Schreiben in dieses Postfach. Auch die Briefe der Bundesagentur hätten ihn in der Vergangenheit regelmäßig auf diesem Wege erreicht. Er sei daher guten Gewissens davon ausgegangen, dass die innerhalb seiner Wohngemeinde Ü. erfolgte Adressänderung für seine postalische Erreichbarkeit keine Bedeutung habe. Dennoch habe er vorsorglich einen Postnachsendeauftrag für sechs Monate gestellt. Eine Nachfrage bei der Post habe jedoch ergeben, dass die entsprechenden Anträge nach Fristablauf nicht aufbewahrt würden und daher eine Kopie des Auftrags nicht vorgelegt werden könne. Er sei 60 Jahre alt, seit ca. Oktober 2002 arbeitslos, und verfüge über keinerlei Vermögen oder Einkommen. Er sei sich nicht dessen bewusst gewesen, dass er Arbeitslosengeld zu Unrecht bezogen habe, und sei auch nicht mehr in der Lage, den Rückerstattungsbetrag aufzubringen. Das Arbeitslosengeld sei in gutem Glauben zur Bestreitung der täglichen Lebenserhaltungskosten verbraucht worden. Das Bankkonto befinde sich mit 4.000,- Euro im Soll.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2004 als unbegründet zurück. Der Bezug von Arbeitslosengeld habe zur Voraussetzung, dass der Arbeitslose den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung stehe, § 119 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), und den Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung Zeit- und Ortsnah Folge leisten könne und dürfe, § 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III. Nach der Erreichbarkeitsanordnung des Verwaltungsrats der Beklagten (EAO) habe der Arbeitslose sicherzustellen, dass die Beklagte ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen könne. Wohn- und Postanschrift müssten identisch sein. Dies sei jedoch bei dem Kläger nach seinem Umzug nicht der Fall gewesen. Ein Postnachsendeauftrag wie vom Kläger gestellt oder eine Postnachsendung auf sonstige Weise (z. B. Postübermittlung durch Familienangehörige oder andere Personen) genüge nicht, worauf auch in dem dem Kläger ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose hingewiesen werde. Die Beklagte habe vom Umzug des Klägers am 15.05.2003 erst am 05.03.2004 Kenntnis erlangt. Der Kläger sei hier zwar innerhalb seiner Wohngemeinde umgezogen, er habe jedoch nicht nachgewiesen, dass er einen Postnachsendeauftrag erteilt habe und daher erreichbar gewesen sei. Er habe damit den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden. Nachdem der Kläger vom 24.02.2004 bis 12.03.2004 arbeitsunfähig gewesen sei, sei ihm zu Recht Arbeitslosengeld erst mit Wirkung ab dem 13.03.2004 wieder bewilligt worden. Die zuvor erfolgte Bewilligung von Arbeitslosengeld sei von der Beklagten nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 sowie Nr. 4 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) i. V. § 330 Abs. 3 SGB III aufzuheben gewesen, da der Kläger eine wesentliche Veränderung nicht mitgeteilt habe und auch hätte wissen müssen, dass dies seinem Leistungsanspruch beeinflusst habe. Das Merkblatt der Beklagten enthalte insoweit verständliche Hinweise. Zusätzlich sei dem Kläger außerdem auch noch das Faltblatt "Was bei Umzug und Reisen zu beachten ist" ausgehändigt worden, welches nähere Informationen enthalte.

Der Kläger hat am 07.07.2004 beim Sozialgericht K. (SG) Klage erhoben und hierbei eine Kopie seines Nachsendeauftrags vorgelegt. Er trug vor, dass er sich in den irrtümlichen Glauben befunden habe, aufgrund seines seit Jahrzehnten bestehenden Postfachs bei seiner örtlichen Postfiliale seine ständige Erreichbarkeit für Schreiben der Beklagten gewährleistet zu haben. Er sei außerdem auch nicht davon ausgegangen, dass die Beklagte ihm aufgrund seines fortgeschrittenen Alters noch ernsthafte Vermittlungsversuche unterbreiten wolle oder würde. Bei seinen Besuchen bei der Beklagten Mitte 2002 sei er auch nicht ausdrücklich auf das Erfordernis der Mitteilung einer neuen Anschrift hingewiesen worden. Die Beklagte hätte ihn zudem konkret belehren können, zumal es bei ihm aufgrund seiner türkischen Staatsangehörigkeit und der vorhandenen Sprachschwierigkeiten gelegentlich auch zu Verständigungsproblemen im Alltag komme. Insofern hätte die Beklagte sein Missgeschick auch dadurch vermeiden können, dass sie ihm entsprechende Hinweise oder Merkblätter auch in türkischer Sprache ausgehändigt hätte. Insgesamt könne ihm aufgrund der genannten Umstände jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit unterstellt werden. Insofern bestehe eine vergleichbare Situation wie in derjenigen, welche dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 01.04.2004 (B 7 AL 52/03 R) zu Grunde liege, in welcher das BSG einen Hinweis in einem Merkblatt im Zusammenhang mit dem Wechsel einer Lohnsteuerklasse als nicht ausreichend angesehen habe und eine weitergehende gesonderte und hervorgehobene Beratung verlangt habe.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29.11.2006 als unbegründet abgewiesen. Zu Recht habe die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X i. V. m. den § 330 Abs. 3 sowie den §§ 117 ff. SGB III in Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 EAO aufgehoben, weil der Kläger Vorschlägen der Beklagten wegen seines nicht mitgeteilten Umzugs nicht mehr zeit- und ortsnah habe Folge leisten können. Der Kläger sei unter der von ihm benannten Anschrift in der H.str. 13 in Ü. ab dem 15.05.2003 für die Beklagte nicht mehr erreichbar gewesen. Das bereits schon Jahre zuvor eingerichtete Postfach und der für die Zeit ab dem 16.07.2003 für eine Dauer von 6 Monaten eingerichtete Nachsendeauftrag änderten hieran nichts. Mit der Einrichtung des Postfachs hätte die Erreichbarkeit nur unter der Voraussetzung bewirkt werden können, dass der Kläger der Beklagten die Postfachanschrift einschließlich der Postfachnummer mitgeteilt hätte und sich darüber hinaus jeden Werktag von Montag bis Freitag von den im Postfach eingehenden Sendungen Kenntnis verschafft hätte (unter Hinweis auf LSG Baden-Württemberg - L 13 AL 4260/02 ER-B - mit weiteren Nachweisen). Der Kläger trage aber selbst nicht vor, dass er der Beklagten Postfachanschrift und Postfachnummer mitgeteilt habe. Der Postnachsendeauftrag genüge insofern deswegen nicht, weil er zum einen nur für die Dauer von 6 Monaten erteilt worden sei, und zum anderen ein Postnachsendeauftrag auch grundsätzlich nicht im Hinblick auf die Erfordernisse in § 1 Abs. 1 ERO ausreiche (unter Hinweis auf BSGE 88, 172). Im Hinblick auf die erleichterten Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld nach 428 SGB III gelte insoweit nichts anderes, da der Kläger von der Möglichkeit des erleichterten Bezugs von Arbeitslosengeld erst nach dem streitbefangenen Zeitraum Gebrauch gemacht habe, nämlich mit seiner Erklärung vom 08.04.2004. Da der Kläger auch durch die Merkblätter der Beklagten hinreichend belehrt worden sei, wobei die deutsche Sprache insofern wegen § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB X ausreichend sei, sei von einem grob fahrlässigen Verhalten des Klägers auszugehen. Schließlich sei auch nicht das von dem Klägerbevollmächtigten zitierte Urteil des BSG zum Steuerklassenwechsel von Ehegatten einschlägig, da es sich insoweit um einen komplexen steuerrechtlichen Sachverhalt handele, der mit dem schlichten Gebot, eine Änderung der Wohnanschrift mitzuteilen, nicht zu vergleichen sei. Die Entscheidung der Beklagten verstoße schließlich auch nicht gegen das Übermaßverbot. Der Kläger habe infolge eines Versehens der Beklagten bei einer Anspruchsdauer von ursprünglich 960 Tagen im Zeitraum vom 14.10.2002 bis 31.03.2006 Arbeitslosengeld für 1219 Tage erhalten. Selbst bei einer Erstattung des Arbeitslosengeldes für den streitgegenständlichen Zeitraum (262 Tage), habe er danach die Höchstanspruchsdauer von 960 Tagen noch fast (bis auf 3 Tage) ausgeschöpft. Eine übermäßige Belastung durch die Erstattungsforderung sei auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu erkennen. Das Urteil des SG wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 26.02.2007 zugestellt.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 12.03.207 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Die vom SG zitierte Entscheidung des BSG vom 30.06.2005 (B 7a /7 AL 98/04 R) zu § 428 SGB III sei vorliegend zumindest analog anzuwenden, so dass eine entsprechende Rückforderung nur als schikanös zu bezeichnen wäre. Die Beklagte habe dem Kläger über Jahre hinweg keinerlei Vermittlungsangebote zukommen lassen und ihre Vermittlungsbemühungen unstreitig wohl auch vollständig eingestellt. Im Hinblick auf die über 8 Monate dauernde fruchtlosen Vermittlungsbemühungen müsse es ausreichen, wenn der Kläger zumindest in zumutbarer zeitlicher Hinsicht auf Schreiben der Beklagten reagieren könne. Insofern erscheine der vom SG geforderte Zwang, der Arbeitslose müsse eine ständige Kommunikation mit der Arbeitsverwaltung aufrecht erhalten, als sinn-zweckwidriger Formalismus. Im Ergebnis führe dieser Formalismus zu dem letztlich dazu, den Kläger auf schikanöse Art und Weise neben dem beruflichen Aus auch in ein finanzielles Desaster zu stürzen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts K. vom 29.11.2006 sowie den Bescheid von der Beklagten vom 05.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält, das angefochtene Urteil für rechtmäßig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des Sozialgerichts sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. SGG zulässige Berufung ist zum größten Teil begründet.

Die Gewährung von Arbeitslosengeld erfolgt durch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, dessen Aufhebung sich bei einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse, die bei seinem Erlass herrschten, nach den Voraussetzungen von § 48 SGB X richtet.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteilige Änderungen der Verhältnisse, vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 und 4 SGB X). Liegen die in § 48 Abs.1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nach § 330 Abs. 3 SGB III in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung aufzuheben.

Arbeitslos ist gemäß § 118 Abs. 1 Ziff. 2 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung u.a. ein Arbeitnehmer, der eine versicherungspflichtige mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung (Beschäftigungssuche) sucht. Gemäß § 119 Abs.1 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung sucht eine Beschäftigung, wer u.a. den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Nach Abs. 3 Ziff. 3 dieser Vorschrift ist arbeitsfähig ein Arbeitsloser, der den Vorschlägen des Arbeitsamts zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf. Gemäß § 1 Abs.2 und 4 EAO i. V. mit § 152 SGB III in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung, kann Vorschlägen des Arbeitsamts zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten, wer in der Lage ist, u.a. unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamts persönlich zur Kenntnis zu nehmen und das Arbeitsamt aufzusuchen. Der Arbeitslose hat deshalb sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort unter der von ihm genannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann. Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn der Arbeitslose die an einem Samstag oder an einem Tag vor einem gesetzlichen Feiertag eingehende Post erst am folgenden Sonn- bzw. Feiertag zur Kenntnis nehmen kann.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits entschieden, dass sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO die Obliegenheit arbeitsloser Leistungsbezieher ergibt, dem zuständigen Arbeitsamt einen Wohnungswechsel persönlich und unverzüglich anzuzeigen, weshalb ein Postnachsendeantrag regelmäßig nicht genügt. Danach sind die Regelungen des § 1 Abs 1 EAO mit der gesetzlichen Ermächtigung vereinbar und halten sich im gesetzlichen Rahmen; die §§ 152 Nr. 2, 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III genügen auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von gesetzlichen Ermächtigungen zu untergesetzlicher Rechtsetzung (BSGE 88, 172).

Insofern ist jedoch auf die Dienstanweisung (DA) Nr 3.4.1 zu § 119 SGB III hinzuweisen, die weitgehend mit dem Erlass des Präsidenten der Beklagten vom 25.11.1998 übereinstimmt. Der Erlass und die genannte DA sehen vor, es sei typisierend grundsätzlich davon auszugehen, dass bei einem Umzug innerhalb der Wohngemeinde oder in eine Nachbargemeinde bei rechtzeitiger Stellung eines Nachsendeantrages die Briefpost den Arbeitslosen ohne Verzögerung erreicht und dass für die Zeit der Wirksamkeit des Nachsendeantrages Erreichbarkeit vorliegt.

Vorliegend sind mehrere Zeiträume zu unterscheiden, nämlich

1. der Zeitraum ab dem Umzug vom 15.05.2003 bis zum 15.07.2003, 2. der sich anschließende sechsmonatige Zeitraum ab dem Wirksamwerden des Nachsendeauf- trags am 16.07.2003, 3. der anschließende Zeitraum, in den die Postrückläufe der Beklagen fallen, 4. sowie die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 24.02.2004 bis zum 12.03.2004.

Für die sechs Monate nach seinem Umzug, in denen ein Nachsendeauftrag erteilt war, erfüllt der Kläger die Voraussetzungen der vorstehend genannten beiden Regelungen, da er innerhalb seiner Wohngemeinde umgezogen ist und einen Nachsendeauftrag für sechs Monate gestellt hat. Nach der DA Nr. 3.4.1 zu § 119 SGB III und dem Erlass des Präsidenten der Beklagten vom 25.11.1998 erfüllt der Kläger in diesem Zeitraum die Voraussetzungen für seine Erreichbarkeit nach dem SGB III und der EAO. Es ist auch nicht aktenkundig oder sonst wie vorgetragen oder bekannt, dass die Beklagte Probleme gehabt hätte, den Kläger in diesen sechs Monaten schriftlich oder auf sonstige Weise zu erreichen.

Inwieweit die Dienstanweisung und der genannte Erlass rechtmäßig sind, kann vorliegend offen gelassen werden (vgl. aber die Kritik hieran in BSG SozR 3-4300 § 119 Nr. 4). Zwar könnte der Kläger aus einer Verwaltungsübung, die nicht dem geltenden Recht entspricht, keine Rechte herleiten, und auch keinen Anspruch auf etwaige Gleichbehandlung mit anderen nach der DA abgewickelten Fällen ableiten, da es keinen Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" gibt (vgl. BSG a.a.O. m.w.N.).

Jedoch wäre es für die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld zusätzlich erforderlich, dass der Kläger im Sinne des § 48 SGB X grob fahrlässig gehandelt hat, wovon der Senat sich vorliegend nicht überzeugen kann.

Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt ist. Nach der zivil- und verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung liegt grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des Kennenmüssens dann vor, die in der Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maß verletzt worden ist bzw. wenn außer Acht gelassen worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Hierbei genügt für die Kenntnis der Rechtwidrigkeit eine Parallelwertung in der Laiensphäre. Ein Kennenmüssen ist erst dann zu bejahen, wenn der Versicherte die Fehlerhaftigkeit des Bescheids ohne Mühe erkennen konnte (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 45 Rn. 23 f. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Die Nichtbeachtung einer nachweislich ausgehändigten Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand begründet im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit, wenn dieses so abgefasst ist, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkannt hat oder jedenfalls ohne weiteres hätte erkennen können und die Aushändigung des Merkblattes nicht zu lange zurücklag (BSG, Urteil vom 24.04.1997 - 11 RA 89/96 -). Dieser in der Sozialgerichtsbarkeit vielfach vertretene Grundsatz entbindet indes nicht von der Prüfung der Verhältnisse im Einzelfall (BSG, a.a.O.).

Zutreffend hat das SG entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet sein kann, jedem Leistungsbezieher Belehrungen oder Merkblätter in ihrer jeweiligen Landessprache zukommen zu lassen. Vielmehr ist es Aufgabe des Leistungsempfängers, sich die Kenntnis der ihm gegenüber erteilten Belehrungen zu verschaffen.

Angesichts der Gesamtumstände im vorliegenden Fall, zu denen insbesondere das weit fortgeschrittene Alter des Klägers, sein niedriger Bildungsstand, die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache sowie die nicht erkennbaren Vermittlungsbemühungen der Beklagten gehören, kann nach Auffassung des Senats jedoch vom Kläger kein größerer Sorgfaltsmaßstab verlangt werden als von einem durchschnittlichen Mitarbeiter der Beklagten, der sich an die DA und den Erlass des Präsidenten der Beklagten vom 25.11.1998 hält. Anderenfalls würde man vom Kläger verlangen, dass er die vom BSG (s.o.) aufgezeigten Bedenken gegenüber der DA und diesem Erlass besser kennen und bewerten muss als die Beklagte selbst, was zu weit ginge.

Im Ergebnis ist eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers daher für die Zeit des Nachsendeauftrags zu verneinen (oben 2.).

Für die nachfolgende Zeit (oben 3.) kann dem Kläger allerdings vorgeworfen werden, seinen Nachsendeauftrag nach dem Ablauf von sechs Monaten nicht verlängert zu haben. Da in der vorausgegangen Zeit indes keine Probleme mit dem Nachsendeauftrag für den Kläger ersichtlich geworden sind - insbesondere auch hinsichtlich der Verbindung zu der Beklagten sowohl für die Zeit vor als auch die Zeit nach der Einrichtung des Nachsendeauftrags - sieht es der Senat jedenfalls nicht als Fahrlässigkeit in grober Form an, wenn der Kläger davon abgesehen oder es vergessen haben sollte, den Nachsendeauftrag nach seinem Auslaufen zu verlängern.

Da der Kläger vom 24.02.2004 bis 12.03.2004 und damit während des Bezugs von Leistungen arbeitsunfähig geworden ist (oben 4.), steht ihm nach § 126 SGB III auch für diese Zeit Arbeitslosengeld zu.

Etwas anderes ergibt sich allein für den Zeitraum ab dem Umzug bis zum Inkrafttreten des Nachsendeauftrags vom 15.05.2003 bis zum 15.07.2003 (oben 1.). In diesem Zeitraum konnte auch der Kläger nicht davon ausgehen, dass Post der Beklagten ihn ohne wesentlichen Zeitverlust erreichen würde. Die Behauptung des Klägers, er habe bei der Post seit 15 Jahren ein Postfach, in das alle an ihn adressierte Post einsortiert werde, sieht der Senat durch den zweifachen Postrücklauf in tatsächlicher Hinsicht als widerlegt an. Dem Kläger hätte bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt auch klar sein müssen, dass wenigstens ein Postnachsendeauftrag erforderlich war, um seine Erreichbarkeit sicherzustellen. Zum einen ergeben sich Hinweise hierauf aus dem Merkblatt der Beklagten, welches auch der Kläger erhalten hat. Zusätzlich ergibt sich dies für den Senat auch daraus, dass der Kläger von sich aus schließlich zum 16.07.2003 noch einen Nachsendeauftrag eingerichtet hat, um seine postalische Erreichbarkeit zu gewährleisten.

Der Senat lässt angesichts der erheblichen Kürzung der Erstattungsforderung die vom die vom SG nach seiner Rechtsauffassung wohl zu Recht aufgeworfene Frage offen, ob die ursprüngliche Rückforderung der Beklagten angesichts des vorliegenden Lebenssachverhaltes als unverhältnismäßig zu bezeichnen gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved