L 13 AS 4664/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 3004/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 4664/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. August 2007 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 2. Juli 2007 gegen den Entziehungsbescheid vom 14. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juni 2007 wird angeordnet.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (vgl. § 174 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), ist zulässig und begründet.

Der Antragsteller, der am 2. Juli 2007 Klage erhoben hat, begehrt mit seinem am 30. Juli 2007 gleichzeitig mit einem bei dem Antragsgegner gestellten Neuantrag auf Gewährung von Leistungen anhängig gemachten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich des Versagungs- und Entziehungsbescheids des Antragsgegners vom 14. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juni 2007. Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung ab 1. Juni 2007 ganz versagt, nachdem ihm zuvor mit bestandskräftigen Bescheid vom 15. März 2007 für die Zeit vom 1. März 2007 bis 31. August 2007 Arbeitslosengeld II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung) in Höhe von 667,00 EUR monatlich bewilligt worden war. Weil die Höhe der Leistung noch nicht endgültig zu beziffern war, kennzeichnete der Antragsgegner die Entscheidung als vorläufig.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wegen der Entziehung der Leistung für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2007 ist auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gerichtet. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Klage haben vorliegend nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Es handelt sich um eine Entscheidung über Leistungen der Grundsicherung von Arbeitssuchenden im Sinn dieser Vorschrift, welche in die durch Verwaltungsakt zuerkannten Rechte, mag die Leistung auch nur vorläufig bewilligt worden sein, eingreift (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Januar 2007 - L 13 AS 4160/06 ER-B - in Juris). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers ist aufgrund von § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Aufl. 2005, Rn. 195).

Nach diesen Grundsätzen hat die Beschwerde Erfolg, weil die in der Hauptsache angegriffene Entscheidung rechtswidrig ist und dem Vollzugsinteresse gegenüber dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung schon deshalb kein Vorrang zukommen kann. Mit der angegriffenen Entscheidung wurde dem Antragsteller in der Sache die für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis 31. August 2007 - vorläufig - bewilligte Leistung entzogen. Ob mit dieser Entscheidung auch Leistungen ab dem 1. September 2007 versagt wurden, bedarf keiner Erörterung, weil der anwaltlich vertretene Antragsteller jedenfalls im Beschwerdeverfahren lediglich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage begehrt und nicht - auch - den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kann der Leistungsträger, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Die Entscheidung über die Entziehung unterliegt hinsichtlich des Ob und des Wie dem Ermessen der Behörde (vgl. Bundessozialgericht (BSG), SozR - 3-1200 § 66 Nr. 3). Der Antragsgegner hat zwar mit Schreiben vom 23. Januar 2007 (Frist bis 9. Februar 2007) und 19. Februar 2007 (Frist bis 8. März 2007) den Antragsteller nach § 66 Abs. 3 SGB I auf seine Mitwirkungspflichten unter Fristsetzung und unter Hinweis auf die Folgen der mangelnden Mitwirkung schriftlich hingewiesen. Der Umfang der hier streitigen Mitwirkungspflicht ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB I. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt, zunächst alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind (Nr. 1); darüber hinaus muss ein solcher Antragsteller Beweismittel bezeichnen und auf Verlagen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorlegen oder ihrer Vorlage zustimmen. Bei einem Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II sind leistungserheblich auch das Einkommen und Vermögen einer Person, mit der der Antragsteller in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt, denn gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist zur Feststellung der Bedürftigkeit bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen oder Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auch eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.

Der Senat ist ebenso wie das SG davon überzeugt, dass der Antragsteller und Frau K. in einer eheähnlichen Verantwortungs- und Beistandsgemeinschaft leben. Hierfür spricht bereits, dass sie seit mehr als fünf Jahren in so beengten Verhältnissen leben, die selbst vorübergehend nur im Rahmen einer bestehenden Beziehung zumutbar erscheinen. An Frau K. ist in der gemeinsamen Wohnung ein Zimmer, eine Küchenecke, eine Dusche und eine Toilette sowie ein Abstellraum seit dem 1. August 2002 für 150,- EUR monatlich zzgl. 50,- EUR vermietet, ohne dass aus dem Mietvertrag hervorgeht, dass ihr abgesehen von dem Zimmer, nicht die Alleinnutzung, sondern lediglich die Mitbenutzung der gemieteten Räume eingeräumt wird. Weiter wird angegeben, dass der Antragsteller in der gleichen Wohnung zwei Räume, eine Küchennische, Dusche und WC zu einer monatlichen Miete von 250,- EUR zzgl. 100,- EUR Nebenkosten von seiner Mutter gemietet habe. Dementsprechend wird in der insgesamt ca. 38 qm großen Wohnung die Küche sowie Dusche und Toilette gemeinsam genutzt. Daneben steht jedem ein Schlafraum zur Verfügung, in dem sich jeweils ein Doppelbett befindet. Das Zimmer von Frau K. ist direkt unter dem Giebel, weshalb sie ihren Kleiderschrank auch im - nicht von ihr gemieteten - Schlafzimmer des Antragstellers aufgestellt hat, durch das sie gehen muss, um in ihren Raum zu gelangen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb eine solche gegenseitige Einschränkung der Privatsphäre über Jahre erfolgen sollte. So kann schon nicht angenommen werden, dass der Antragsteller es allein wegen zusätzlicher Mieteinnahmen seiner Mutter in Höhe von 150,- EUR hinnimmt, dass er sein Schlafzimmer als Durchgang für die Mieterin ständig offenlassen muss. Auch dass die berufstätige Frau K. trotz der geschilderten Situation eine Suche nach einer geeigneten Wohnung offenbar über Jahre nicht unternimmt, lässt sich allein mit der Kostenersparnis nicht erklären. Die dargelegten Verhältnisse lassen vielmehr nur den Rückschluss zu, dass während der gesamten Zeit der gemeinsamen Nutzung der Wohnung, eine eheähnliche Beziehung zwischen dem Antragsteller und Frau K. weiterhin bestand. Die gegenteiligen Einlassungen können demgegenüber nicht überzeugen. Sie sind in wesentlicher Beziehung zu vage und auch teilweise widersprüchlich. So fällt auf, dass Frau K. seit dem 1. August 2002 in der Wohnung gemeldet ist und auch ein Mietvertrag, der unter dem 1. August 2002 geschlossen worden sein soll, vorgelegt wurde. Gegenüber dem Antragsgegner gab der Antragsteller dagegen zunächst am 2. Februar 2007 an, dass 2001 etwa ein Jahr lang zwischen ihm und Frau K. ein eheähnliches Verhältnis bestanden habe. Sie hätten sich zwar getrennt, aber weiterhin gut verstanden. Mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vom 27. Juli 2007 hat der Antragsteller vortragen lassen, dass er mit Frau K. vor vielen Jahren befreundet gewesen sei, aber diese Beziehung schon seit Jahren nicht mehr bestehe. In der Beschwerdebegründung vom 14. September 2007 wird vorgetragen, dass nach dem Einzug von Frau K. ungefähr ein Jahr lang eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bestanden habe. Dem entsprechen die Angaben in den hierzu vorgelegten Eidesstattlichen Erklärungen vom 30. August 2007. Diese Versicherungen enthalten ebenso wie die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen, in denen auch eine frühere Beziehung nicht eingeräumt wurde, keine konkreten Tatsachen, die die Annahme eines Getrenntlebens unter den darlegten Umständen rechtfertigen könnten. Schon genaue Angaben über Zeit und Dauer des früheren Zusammenlebens sowie Zeitpunkt und Grund der Trennung werden nicht genannt. Es wird auch kein Bild darüber vermittelt, wie das tägliche Leben in der gemeinsamen Wohnung organisiert ist. So mag es sein, dass der Antragsteller und Frau K. jeweils über ein eigenes Schlafzimmer, einen eigenen Fernseher und einen eigenen Kühlschrank verfügen. Darüber wie die Küchen- und Badbenutzung aufgeteilt ist, werden vom Antragsteller keine Angaben gemacht. Zudem stellt sich die Frage, wie er die Kosten seines täglichen Bedarfs einschließlich der Kosten für seinen Pkw aufbringt. Insoweit wird wiederum nur vage geltend gemacht, dass er Geld von Freunden und Bekannten leihe.

Es ist dennoch fraglich, ob der Antragsteller im Hinblick auf die Aufforderungen vom 23. Januar 2007 und vom 19. Februar 2007 zur Vorlage der Lohnabrechnungen der letzten 3 Monate auch von Frau K., deren Kontoauszüge und Vermögensnachweise einschließlich Sozialversicherungs- und Krankenversicherungsnummer, ihres Arbeitsvertrages und einer Frau K. betreffenden Ausweiskopie seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist. Denn es besteht für den Hilfebedürftigen nur eine Verpflichtung zu solchen Angaben und zur Vorlage solcher Beweismittel, die ihm selbst bekannt oder zugänglich sind und von ihm auch geleistet bzw. vorgelegt werden können (vgl. BSG SozR 1200 § 66 Nr. 13, BSGE 72, 118, 120). Sind ihm Informationen und Unterlagen nicht zugänglich, weil diese einen Dritten betreffen, der ihm diese nicht zugänglich macht und auch nicht hierzu verpflichtet ist, bleibt der Behörde nur die Möglichkeit, eigene Ermittlungen durchzuführen, wobei Partner eines Hilfebedürftigen i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II - wie hier Frau K. - verpflichtet sind, dem Leistungsträger Auskünfte über ihr Einkommen und Vermögen zu erteilen (§ 60 Abs. 4 SGB II; vgl. Armbort, Verfahrensfragen zur Auskunftspflicht nichtehelicher Partner, info also 2007, 147; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2007 - L 7 AS 1703/06 - veröffentlicht in Juris). Der Auskunftsanspruch kann mittels Verwaltungsakt konkretisiert werden, welcher für vorläufig vollziehbar erklärt und ggf. mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. April 2007 - L 13 AS 40/07 ER veröffentlicht in Juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2007 a.a.O.). Darüber hinaus ist die Auskunftspflicht auch bußgeldbewehrt (§ 63 SGB II) und ein Auskunftspflichtiger, welcher vorsätzlich oder fahrlässig die Auskunft nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erteilt, macht sich zudem schadenersatzpflichtig (§ 62 Nr. 2 SGB II). Die hier verfügte Entziehung scheitert ferner daran, dass der Antragsgegner das nach § 66 Abs. 3 SGB I geforderte förmliche Verfahren nicht eingehalten hat. Zwar hat der Antragsgegner in seinen Aufforderungsschreiben vom 23. Januar 2007 und 19. Februar 2007 den von der Rechtsprechung geforderten (vgl. BSG SozR 1200 § 66 Nr. 13) konkreten und unmissverständlichen Hinweis erteilt, er werde bei Nichtvorlage der Urkunden innerhalb der angemessenen Frist bis zuletzt 8. März 2007 die Geldleistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagen bzw. entziehen. Obwohl der Antragsteller mit dem am 7. März 2007 eingegangenen Schreiben vom 3. März 2007 mitgeteilt hatte, er sehe sich nicht in der Lage, die geforderten Unterlagen von bzw. über Frau K. zu beschaffen und auch Frau K. dem Antragsgegner gegenüber schriftlich ihr Unverständnis mit der Vorlage von sie betreffenden Unterlagen zum Ausdruck gebracht hatte, hat der Antragsgegner mit dem Bescheid vom 15. März 2007 für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2007 Arbeitslosengeld II in Höhe von 667 EUR (Regelleistung 345 EUR, Kosten für Unterkunft/Heizung 322 EUR) bewilligt und in der Bescheidbegründung die Höhe der Leistung unter einen Vorläufigkeitsvorbehalt gestellt, obwohl es sich nach Sachlage nicht um einen gekürzten, sondern nur um den vollen Leistungsbetrag handeln konnte. Mit dieser Bewilligung hat der schriftliche Hinweis und die davon ausgehende Warnfunktion ihre Wirkung verloren. Wenn der Antragsgegner zwei Monate später die Leistung entziehen wollte, musste er den Antragsteller zuvor erneut zur Mitwirkung auffordern und dies mit dem schriftlichen Hinweis nach § 66 Abs. 3 SGB I verbinden. Die von den früheren Hinweisen ausgehende Signalwirkung war durch die zwischenzeitliche Bewilligung in unverminderter Höhe erloschen.

Darüber hinaus kam eine hier angesprochene Entziehung bereits bewilligter Leistungen nur unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 SGB I, der der Behörde Ermessen einräumt, in Betracht. Der Entziehungsbescheid ist bereits deswegen rechtswidrig, weil die Behörde nicht von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat (zu den Anforderungen an die Ermessensausübung vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 25. Juni 2002 - L 13 AL 4894/01 - in Juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2007 a.a.O.). Der angefochtene Bescheid vom 14. Mai 2007 lässt auch nicht ansatzweise erkennen, dass der Antragsgegner die Entziehung als in sein Ermessen gestellt ansah. Auch der Widerspruchsbescheid enthält keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner vorliegend überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Die Aussage am Schluss des Widerspruchsbescheids, dass auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Widerspruchsbegründung habe keine andere Entscheidung erfolgen können, der angegriffene Bescheid nicht zu beanstanden sei und die getroffene Entscheidung den Maßstäben pflichtgemäßen Ermessens entspreche, lässt bei dieser Formulierung nicht auf eine Ermessensausübung durch die Widerspruchsstelle schließen. Damit liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Die Entziehung wäre daher nur dann rechtmäßig, wenn eine Ermessensreduzierung auf nur eine mögliche Entscheidung (Ermessensreduzierung auf Null) vorläge, eine andere als die von dem Antragsgegner getroffene Entscheidung also auch nach dem Zweck der Entziehungsermächtigung nicht in Betracht käme. Dies ist nach Auffassung des Senats hier nicht der Fall. Zwar dürfen vor einer Leistungsbewilligung Leistungen, wenn alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft und die Anspruchsvoraussetzungen nicht bewiesen sind, nicht gewährt werden. Dies gilt unanhängig davon, ob die abschließende Klärung an der mangelnden Mitwirkung des die Leistung Begehrenden oder Beziehenden oder eines Dritten endgültig gescheitert ist. Eine Entziehungsentscheidung kann im Unterschied zur Rücknahme oder Aufhebung der bindend gewordenen Bewilligung nur erfolgen, wenn der verpflichtete Leistungsträger solche tatsächlichen Umstände ohne Mitwirkung des Berechtigten nicht aufklären kann, deren Vorliegen zur Minderung oder zum Fortfall eines Leistungsanspruchs führen oder den Schuldner zur Einstellung der Leistung berechtigen würde. Die Vorschrift trifft eine ausgewogene und verhältnismäßige Regelung. Sie schützt einerseits die Versichertengemeinschaften bzw. die Allgemeinheit vor der Bewirkung von Leistungen, die dem (vermeintlich) Berechtigten nach materiellem Recht in Wirklichkeit nicht zustehen; andererseits schützt sie den (wirklich) Berechtigten, der "nur" seine Mitwirkungspflichten verletzt hat, durch den Fortbestand des subjektiven Leistungsrechts i.V.m. dem Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch nach § 67 SGB I vor einem endgültigen Rechtsverlust (BSG SozR 3-1200 § 66 Nr. 3). Wann eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommt, bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Erörterung. Der aufgezeigte Schutzzweck der Entziehungsermächtigung rechtfertigt hier nicht in jedem Fall eine völlige Entziehung. Angesichts dessen, dass der Antragsgegner hier ohne Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Frau K. verfrüht Arbeitslosengeld II in vollem Umfang bewilligt hatte und in den die geforderte Mitwirkung betreffenden Verhältnissen vor der Bewilligung und bis zur Entziehung keine Änderung eingetreten war, hätte es dem Zweck der Ermächtigung auch entsprochen, in die Interessenabwägung auch diese Gesichtspunkte einzubeziehen und die Leistung nur teilweise zu entziehen und im Übrigen noch das Ergebnis eines Auskunftsverlangens gegenüber Frau K. bis zum Verstreichen einer dieser gesetzten Frist abzuwarten.

Eine Umdeutung des streitgegenständlichen, auf § 66 Abs 1 SGB I gestützten Entziehungsbescheides in einen Aufhebungsbescheid nach § 45 SGB X ist nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des Bescheides sowie des Widerspruchsbescheides nicht möglich. Eine Umdeutung scheitert jedenfalls an § 43 Abs 1 SGB X, aber auch an § 43 Abs 2 Satz 1 SGB X, da die Rechtsfolgen der Entziehung gemäß § 66 SGB I im Hinblick auf § 67 SGB I für den Betroffenen günstiger sind als die der endgültigen Aufhebung nach § 45 SGB X (vgl. BSG SozR 4-1200 § 66 Nr. 3 zu § 48 SGB X Senatsurteil vom 25. Juni 2002 a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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