L 12 AL 2879/07 PKH-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 AL 3464/06 PKH-A
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2879/07 PKH-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 19.04.2007 aufgehoben und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt E. bewilligt.

2. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache die Gewährung von Arbeitslosengeld im Streit.

Der 1965 geborene, in Deutschland wohnende Kläger war vom 26.07.1999 bis zum 30.06.2005 als Grenzgänger in der Schweiz beschäftigt und dort nach Schweizer Recht in der Arbeitslosenversicherung versichert. Bereits am 10.09.2004 war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog deswegen aus der Schweiz "Taggeld" bis zur Anspruchserschöpfung am 06.09.2006.

Am 15.08.2006 beantragte der Kläger in Deutschland die Gewährung von Arbeitslosengeld. Er legte eine Bescheinigung E 301 der Schweizer Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 11.08.2006 vor, nach der seit dem 30.06.2005 keine Versicherungs- oder gleichgestellten Zeiten vorliegen.

Die Beklagte lehnt die Gewährung von Arbeitslosengeld mit der Begründung ab, in der Rahmenfrist nach § 123 SGB III seien nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungsverhältnis zurückgelegt worden. Der Kläger erhielt darauf Leistungen nach dem SGB II.

Der Kläger erhob am 08.12.2006 wegen der Verweigerung von Arbeitslosengeld Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) und beantragte die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Mit Beschluss vom 19.04.2007 lehnte das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Hinweis auf Art. 1 Buchstabe r und s, Art. 13 Buchstabe a und Art. 67 Abs. 2 EWG-VO Nr. 1408/71 ab. Danach seien zwar Versicherungszeiten aus Mitgliedsstaaten wie eigene Versicherungszeiten zu behandeln, doch sei für die Frage, ob solche Versicherungszeiten vorliegen, das ausländische Recht des Beschäftigungsstaates maßgeblich. Insofern sei der Bezug von Taggeld nach Schweizer Recht im Falle des Klägers aber gerade nicht als gleichgestellte Zeit bescheinigt worden.

Am 16.05.2007 hat der Kläger Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die PKH-Akten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II. Die nach den § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist begründet.

Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält gemäß § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Vorliegend fehlt es der Klage in der Hauptsache nicht an der hinreichenden Aussicht auf Erfolg. Insoweit ist für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht Voraussetzung, dass der Erfolg in der Hauptsache gewiss oder jedenfalls absehbar ist. Die Voraussetzungen dürfen unter dem grundrechtlichen Aspekt der Rechtsschutzgleichheit für Bemittelte und Unbemittelte nicht überspannt werden (BVerfGE 81, 347). Die Gewährung von Prozesskostenhilfe kann aus diesem Aspekt dann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr. 19).

In der Hauptsache werden Fragen des internationalen Sozialversicherungsrechts aufgeworfen, so dass bereits die Komplexität der Rechtsmaterie aus dem Gesichtspunkt der "Waffengleichheit" die Gewährung von Prozesskostenhilfe nahelegen würde, wenn ein Erfolg in der Hauptsache nicht mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen wäre.

Dem SG ist einzuräumen, dass nach der Mitteilung der Schweizer Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 11.08.2006 nach dem 30.06.2005 keine Versicherungs- oder gleichgestellten Zeiten vorliegen und daher nach der Aktenlage entsprechend den zutreffenden rechtlichen Ausführungen des SG die Anwartschaftszeit nach dem SGB III nicht erfüllt zu sein scheint. Zutreffend ist das SG auch davon ausgegangen, dass für diese Frage das Recht der Schweiz einschlägig sein dürfte.

Allerdings sieht das Schweizer Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 25.06.1982 in der Fassung vom 01.12.2007 (Arbeitslosenversicherungsgesetz - AVIG -; unter http://www.admin.ch/ch/d/sr/837 0/index.htmlid-3-2) in seinem Art. 14 Satz 1 Buchstabe a) vor, dass von der Erfüllung der Beitragszeit Personen befreit sind, die - wie vorliegend der Kläger - innerhalb der Rahmenfrist während insgesamt mehr als zwölf Monaten nicht in einem Arbeitsverhältnis standen und die Beitragszeit wegen Krankheit nicht erfüllen konnten.

Zwar sieht die Vorschrift vor, dass diese Regelung nur für den Fall gilt, dass ein Wohnsitz in der Schweiz bestand, was die Verneinung von gleichgestellten Zeiten in dem Formular der Schweizer Sozialversicherung erklären könnte. Der Kläger könnte insofern aber geltend machen, gegenüber einem in der Schweiz lebenden Deutschen in rechtlich unzulässiger Weise benachteiligt zu sein.

Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, inwiefern nicht nur ein Verstoß gegen deutsche Rechtsnormen, sondern auch gegen die vorrangigen Normen des internationalen Sozialrechts, insbesondere etwa das am 01.06.2002 in Kraft getretene Abkommen über die Personenfreizügigkeit EU-Schweiz - APF - (juris = EGFreizügAbk CHE; vgl. hierzu Bergmann, NZS 2003, 175) vorliegen könnte.

Die schwierigen hiermit aufgeworfenen und noch offenen Fragen lassen einen Erfolg in der Hauptsache als nicht nur fernliegende Möglichkeit erscheinen. Denn der Kläger ist in einer vergleichbaren Lage wie ein in der Schweiz erkrankter deutscher Wanderarbeitnehmer, der nach Art. 14 Satz 1 Buchstabe a) AVIG (Schweiz) unter Umständen einen Anspruch auf weiteres Taggeld/Arbeitslosengeld geltend machen könnte. Insofern wird er gerade aufgrund seiner Eigenschaft als Grenzgänger bzw. aufgrund seines ausländischen Wohnsitzes benachteiligt, was aufgrund der vorstehend genannten internationalen Rechtsvorschriften eigentlich prinzipiell vermieden werden soll.

Die Voraussetzung der Bedürftigkeit für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls gegeben, weil der Kläger Leistungen nach dem SGB II bezieht.

Dieser Beschluss beruht auf den §§ 73a SGG, 114 ff. ZPO und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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