L 4 R 2407/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 3086/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2407/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts S. vom 30. März 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erhebt Anspruch auf kleine Witwenrente für die Dauer von 24 Kalendermonaten.

Die am 1967 geborene Klägerin stammt aus Tunesien. Ihren Angaben zufolge lernte sie dort im Dezember 2000 den am 24. März 1946 geborenen F. W. (im Folgenden: Versicherter) kennen, der seit 1987 in erster Ehe geschieden war und seit 1993 als Waldarbeiter/Gärtner beschäftigt war. Im Sommer 2001 habe eine weitere Begegnung stattgefunden und bei einem weiteren Besuch im Februar 2002 hätten sie den Entschluss gefasst, zu heiraten.

Im Frühjahr 2002 traten beim Versicherten Symptome eines Karzinoms der Speiseröhre auf. Am 17. April 2002 ließ er sich in der Ambulanz der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des M. S. untersuchen. Dort befand er sich vom 21. April bis 03. Mai 2002 in stationärer Behandlung, wobei ein Karzinom der unteren Speiseröhre bestätigt wurde. Die Behandlung bestand in Panendoskopie und Probeexzisionen. Eine chirurgische Therapie lehnte der Versicherte ab. Eine weitere stationäre Behandlung erfolgte vom 05. bis 25. Mai 2002 in der Klinik für Strahlentherapie. In den folgenden Monaten fanden Kontrollen in der Chirurgischen Ambulanz statt.

Am 31. Mai 2002 stellte der Versicherte, der seit 04. März 2002 arbeitsunfähig war und seit 01. Mai 2002 Krankengeld bezog, Rentenantrag. Mit Bescheid vom 23. September 2002 bewilligte die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg, Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagte) Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit vom 01. Oktober 2002 bis 31. Mai 2003. Grundlage war ein Gutachten nach Aktenlage des Internisten/Sozialmediziners Dr. L. vom 10. September 2002, der das Tumorleiden als voraussichtlich nicht heilbar bezeichnete und anhand der bekannten ärztlichen Unterlagen eine Zeitrente von einem Jahr empfahl. Der Versicherte verzichtete im Folgenden auf die Rente, da diese im Zahlbetrag deutlich geringer als das Krankengeld war. Die Beklagte sah deshalb den Bescheid vom 23. September 2002 als zurückgenommen an.

Die Klägerin reiste am 16. November 2002 mit einem für die Zeit vom 16. November 2002 bis 15. Februar 2003 gültigen Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete am selben Tag ihren Wohnsitz in S. an. Am 29. November 2002 heiratete sie den Versicherten. Wegen zunehmender Schluckbeschwerden wurde diesem im Dezember 2002 eine neue Magensonde angelegt. Anfang 2003 kam es zu wiederkehrenden Kopfschmerzen; am 10. Januar 2003 bestand massives Bluterbrechen, an dessen Folgen der Versicherte noch am selben Tag nach Einlieferung auf die Intensivstation des M. verstarb.

Den am 23. Januar 2003 gestellten Antrag der Klägerin, die am 28. Januar 2003 eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte, auf Witwenrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 06. Februar 2003 ab. Der Ehegatte sei innerhalb eines Jahres nach der Heirat verstorben und es seien nach Aktenlage keine Umstände zu erkennen, welche die Annahme rechtfertigten, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat nicht der Erwerb der Hinterbliebenenversorgung gewesen sei. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie hätten sich lange zuvor kennengelernt und das Krebsleiden sei ihr nicht bekannt gewesen. Auch sei der Tod überraschend und unvorhergesehen eingetreten. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 29. April 2003. Der Verstorbene habe im Rentenantrag vom Mai 2002 angegeben, er halte sich u.a. wegen Speiseröhrentumor für erwerbsgemindert. Bereits seit diesem Zeitpunkt habe er über eine Sonde ernährt werden müssen und dies könne der Klägerin nicht verborgen geblieben sein. Die Vermutung einer Versorgungsehe sei nach alledem nicht widerlegt.

Gegen den ihr nach ihren Angaben am 12. Mai 2003 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 12. Juni 2003 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie wiederholte ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Der Versicherte habe im Übrigen vorgehabt, seine Arbeit nochmals aufzunehmen. Unter diesen Umständen müsse die Beklagte den Tatbestand einer Versorgungsehe beweisen. Der Heiratsentschluss sei bereits im Februar 2002 gefasst worden. Der Ehemann habe nicht den Eindruck eines kranken Mannes erweckt. Er habe sie durch regelmäßige Geldüberweisungen unterstützt. Auch hätten regelmäßige Telefonate stattgefunden. Sie legte Überweisungsbelege sowie Schreiben des Versicherten an sie vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30. März 2005 hörte das SG die Klägerin an und vernahm die Nachbarn I.K., T.K. und A.S. sowie A.M., stellvertretender Vorsitzender des tunesischen Vereins in S., als Zeugen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 30. März 2005 (Blatt 38/49 der SG Akte) Bezug genommen.

Durch Urteil vom 30. März 2005 verurteilte das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 06. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2003, der Klägerin auf ihren Antrag vom 23. Januar 2003 eine kleine Witwenrente aus der Versicherung des am 10. Januar 2003 verstorbenen Versicherten zu gewähren. Zur Begründung legte es im Wesentlichen dar, aufgrund der Angaben der Klägerin und der Aussagen der Zeugen bestehe die Überzeugung, eine Versorgungsabsicht habe bei der Eheschließung keine Rolle gespielt. Die künftige Situation der Ehefrau bezüglich einer Versorgung nach seinem Tod sei dem Versicherten völlig gleichgültig gewesen. Die Erkrankung sei der Klägerin vor der Einreise nicht bekannt gewesen und sie sei auch danach hierüber im Unklaren gelassen worden. Sie hätte ihn wohl nicht geheiratet, wenn sie von der Erkrankung gewusst hätte.

Gegen das ihr am 30. Mai 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. Juni 2005 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Sie hat zunächst geltend gemacht, der medizinische Sachverhalt sei unzureichend ermittelt worden. Dies müsse nachgeholt werden. Nach Abschluss der Ermittlungen (vgl. hierzu im weiteren) hat die Beklagte zunächst gerügt, dass sich weder aus dem Tenor noch aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergebe, ab wann die der Klägerin zuerkannte Rente zu zahlen sei, und unter Vorlage einer Stellungnahme der Obermedizinalrätin F. vom 06. Oktober 2006 weiter dargelegt, die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordere, dass der volle Beweis des Gegenteils erbracht werde. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe verfolge den Zweck, die Behörde der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben. Demgegenüber stütze sich das angefochtene Urteil auf unsichere Feststellungen sowie auf Vermutungen und Spekulationen. Dass dem Versicherten die finanzielle Situation der Ehefrau gleichgültig gewesen sei, sei höchst spekulativ. Immerhin habe er ihr Geld nach Tunesien geschickt. Auf die Intensität der Liebesbeziehungen komme es nicht an. Etwas anderes gelte nur, wenn sich die Eheschließung als konsequente Verwirklichung eines bereits vor der Erlangung der Kenntnis von einer lebensbedrohlichen Erkrankung bestehenden Entschlusses darstelle. Der Versicherte sei spätestens seit April 2002 über das fortgeschrittene, nur palliativ behandelbare Ösophaguskarzinom informiert gewesen. Es erscheine schwer vorstellbar, dass er die Klägerin hierüber im Unklaren gelassen habe und dass die Klägerin erst am Todestag von der Erkrankung erfahren habe. Bereits seit September 2002 habe er sich nur noch teilweise oral ernähren können. Die Behauptung, sie hätte ihn in Kenntnis der Erkrankung nicht geheiratet, sei vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft. Immerhin habe die Klägerin durch die Heirat auch ein Aufenthaltsrecht erhalten. Der feste Entschluss zur Heirat bereits vor der Erkrankung sei nicht bewiesen. Auch die vorgelegten Briefe datierten erst aus der Zeit seit August 2002.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. März 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass kleine Witwenrente vom 01. Februar 2003 bis 31. Januar 2005 zu zahlen ist.

Sie verbleibt dabei, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei widerlegt. Das SG habe die günstige Entscheidung auf die von den Zeugen bestätigte Tatsache gestützt, dass die Eheschließung bereits seit längerem vor Beginn der Krankheit geplant gewesen sei. Sie hat an sie gerichtete Briefe des Versicherten vom 21. August, 05. September und 07. Oktober 2002 zur Abwicklung der Heiratsformalitäten vorgelegt sowie Nachweise über Geldüberweisungen seit Anfang des Jahres 2002.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. HNO-Facharzt Diplommediziner D. hat unter dem 30. März 2006 bekundet, er habe den Versicherten von Februar bis Dezember 2002 mittels Palliativtherapie im Wechsel mit dem M., dem Hausarzt und dem Lungenarzt behandelt. Der Versicherte habe sich im Dezember 2002 noch so gut gefühlt, dass er habe wieder arbeiten wollen, er sei freilich über die schlechte Prognose eindeutig informiert gewesen. Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. E. hat (Eingang 13. April 2006) angegeben, der Versicherte sei über die Erkrankung informiert gewesen, sei sich jedoch wohl der Schwere der Erkrankung nicht bewusst gewesen. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. C. hat unter dem 13. April 2006 ausgesagt, er sei seinerseits vom Patienten über das Krebsleiden informiert worden, habe diesen aber nach dem 06. Dezember 2002 nicht mehr gesehen. Ärztlicher Direktor Prof. Dr. St. vom M. hat in der Aussage vom 20. Juli 2006 über die stationären Behandlungen im Jahr 2002 berichtet. Schließlich hat Privatdozent Dr. H., M. S., unter dem 05. September 2006 unter Beifügung zahlreicher Arztbriefe erläutert, nach Radiotherapie und Chemotherapie von Mai bis Juli 2002 sei es im September 2002 eindeutig zu zunehmenden Schluckbeschwerden gekommen und der Patient habe sich nur noch teilweise oral flüssig ernähren können. Eine chirurgische oder strahlentherapeutische Heilung der Tumorerkrankung habe von Anfang an nicht möglich erschienen.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten (23 240346 W 041) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG hat die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden den Antrag der Klägerin auf Witwenrente zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) haben Witwen und Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist (Satz 2 der Vorschrift in der seit 01. Januar 2002 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 6 Buchst. a) des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001 (BGBl. I. S. 403)).

Soweit das SG die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin die kleine Witwenrente ohne zeitliche Befristung zu bewilligen, ist das Urteil bereits deshalb aufzuheben. Denn Anspruch auf unbefristete Rente besteht hier nicht. Nach § 242a Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI (eingefügt mit Wirkung ab 01. Januar 2002 durch Art. 1 Nr. 46 des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001) besteht Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate, wenn der Ehegatte vor dem 01. Januar 2002 verstorben ist. Dies gilt auch, wenn mindestens ein Ehegatte vor dem 02. Januar 1962 geboren ist und die Ehe vor dem 01. Januar 2002 geschlossen wurde. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben weil weder der Ehegatte vor dem 01. Januar 2002 verstorben ist noch die Ehe vor dem 01. Januar 2002 geschlossen wurde.

§ 46 Abs. 2a SGB VI in der durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b) des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001 eingefügten Fassung bestimmt: Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass der alleinige oder überwiegende Grund der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Auch insoweit vermag die Klägerin nicht die für die vor dem 01. Januar 2002 geschlossenen Ehen geltende Übergangsvorschrift des § 242a Abs. 3 SGB VI in Anspruch zu nehmen.

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Satz 1 SGB VI für einen Anspruch auf Witwenrente. Der Ehemann hatte die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (vgl. § 50 Abs. 1 SGB VI) erfüllt. Die Klägerin hat innerhalb zwei Jahren nach dem Tod des Ehemannes nicht wieder geheiratet. Sie hat gleichwohl keinen Anspruch auf kleine Witwenrente für 24 Monate, weil die Ehe von der Trauung am 29. November 2002 bis zum Tod des Versicherten am 10. Januar 2003 weniger als ein Jahr gedauert hat und die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt ist.

Der in der gesetzlichen Rentenversicherung vor dem 01. Januar 2002 nicht bestehende Anspruchsausschluss entspricht den Regelungen, wie sie bis dahin nur im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB VII]) und der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes -BVG -) bestanden hatten. Die Anknüpfung an eine Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel einer Eheschließung war (so Bundestags-Drucksache 14/4595 S. 44). Diese gesetzliche Vermutung ist widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen. Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert den vollen Beweis des Gegenteils (vgl. Bundessozialgericht - BSG - BSGE 60, 204 = SozR 3100 § 38 Nr. 5). Ergeben sich anhand des konkreten Einzelfalles nicht genügend beweiskräftige Anhaltspunkte gegen die Annahme, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente zu begründen, verbleibt es bei der Annahme einer Versorgungsehe. Auch wenn die maßgeblichen Umstände von Amts wegen zu ermitteln und zu bewerten sind, trifft die materielle Beweislast, also die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises, denjenigen, der den Anspruch auf Versorgung geltend macht (BSGE 30, 278 = SozR Nr. 84 zu § 128 SGG). Die gesetzliche Vermutung folgt einer Typisierung und verfolgt auch den Zweck, den Leistungsträger und das Gericht der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben. Zu würdigen ist freilich, dass das Motiv, Betreuung und Pflege des Erkrankten sicherzustellen, nicht mit einer Versorgungsehe gleichgesetzt werden darf, jedenfalls dann nicht, wenn das Ableben nach den gesundheitlichen Verhältnissen zur Zeit der Eheschließung nicht in absehbarer Zeit zu erwarten war (vgl. nochmals BSGE 60, 204). Andererseits ist zu fordern, dass keine deutlichen Anhaltspunkte für die Besorgnis eines vorzeitigen Ablebens bestanden haben, die Ehe also ihrem Wesen entsprechend auf Dauer eingegangen war (vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar, § 46 SGB VI, RdNr. 46a ff.).

Der Senat ist aufgrund des Ergebnisses der medizinischen Ermittlungen davon überzeugt, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung am 29. November 2002 eine Überlebenswahrscheinlichkeit des Versicherten von einem Jahr höchst ungewiss war und dies den Eheleuten - worauf es als subjektive Voraussetzung letztlich nicht ankommt - ausreichend bekannt war. Laut dem Bericht des Facharztes D. an Allgemeinarzt Dr. C. vom 29. November 2002 - also dem Hochzeitstag - war die Prognose "problematisch"; die jetzige Therapie wurde als rein palliativ bezeichnet. Arzt Dr. C., bei dem der Versicherte am 28. November und 06. Dezember 2002 vorstellig war, ist von diesem selbst über das Krebsleiden informiert worden. Facharzt D. hat in der Zeugenaussage vom 30. März 2006 bekundet, der Versicherte habe zwar entgegen anderslautenden Empfehlungen wieder arbeiten wollen, sei aber über die schlechte Prognose eindeutig informiert gewesen. Wenn auch bei Krebserkrankungen Hoffnung oder "Verdrängung" das Bewusstsein beherrschen mag, ist die Lebensbedrohlichkeit eines - hier in den Arztbriefen als "groß" bezeichneten - Karzinoms der Speiseröhre offensichtlich. Bei Anwendung nur noch von Palliativmaßnahmen wird eine Überlebenszeit von etwa sechs Monaten angegeben (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Ösophaguskarzinom). Im November 2002 wurden von Facharzt D. (vgl. nochmals dessen Bericht vom 29. November 2002) wegen Schluckbeschwerden Medikamente verordnet (Novalgin, Fersubin). Bereits seit Mai 2002 war eine Magensonde angelegt; im Herbst 2002 konnte sich der Versicherte nur noch teilweise oral flüssig ernähren. Auch führte die Erkrankung zu einer Heiserkeit, welche der Versicherte relativ früh bemerkte (vgl. Aussage Privatdozent Dr. H. vom 05. September 2006). Es ist unmöglich, dass all dies einer Ehefrau verborgen geblieben sein konnte. In dem Brief an die Klägerin vom 07. Oktober 2002 (Blatt 25 der LSG-Akte) sprach der Versicherte auch von Krankengeld und kündigte an, sobald dies bei ihm eingetroffen sei, werde er auch wieder der Klägerin etwas Geld schicken. Die Hoffnung, nochmals eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können, war trügerisch; der Verzicht auf die unstreitig zugesprochene Erwerbsminderungsrente war auch nicht deshalb erfolgt, sondern wegen der geringen Höhe der Rente gegenüber dem Krankengeld. Eine Ehe zwischen dem damals 56-jährigen Versicherten und der 35-jährigen Klägerin konnte unter diesen Umständen nicht ernstlich auf Dauer angelegt sein. Die Klägerin hat einen kranken Mann geheiratet, dem die Prognose zu diesem Zeitpunkt hinlänglich bekannt war.

Unter diesen Umständen vermögen die sonstigen Motive für die Eheschließung am 29. November 2002 die gesetzliche Vermutung für eine Versorgungsehe nicht zu widerlegen. An Letzteres wäre zu denken, wenn trotz ersichtlich lebensbedrohenden Charakters einer Erkrankung sich die Heirat als konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis bestehenden Entschlusses darstellt (so für das Beamtenrecht Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 01. Dezember 1998 - 3 B 95.3050 -; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. Februar 2007 - 1 ZU 1948/06 - beide in Juris). Hierfür reichen lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, noch ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin, nicht aus, sodass die Äußerungen des Versicherten gegenüber den vom SG gehörten Zeugen über eine geplante Hochzeit mit der Klägerin nicht genügen. Ebenso wenig beweisen die noch vor Beginn der Erkrankung getätigten Geldüberweisungen nach Tunesien einen konkreten Heiratsplan. Die vorgelegten Briefe beginnen erst mit dem 21. August 2002, also nach den stationären Behandlungen des Versicherten. Dieser hat offensichtlich die Heirat in Kenntnis seines ungünstigen Zustands organisiert und eingeleitet. Indem die Klägerin einwendet, sie sei wegen der in Aussicht stehenden eigenen Erwerbstätigkeit nicht auf eine Versorgung angewiesen gewesen, muss dies unerheblich bleiben, andernfalls wären gut situierte Hinterbliebene bei der Prüfung der gesetzlichen Vermutung und deren Widerlegung bevorzugt. Immerhin hat die Klägerin, wie die Beklagte zu Recht vorbringt, durch die Heirat Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis im Inland erlangt. Dass der Betrag der befristeten Witwenrente gering gewesen wäre (im Sterbevierteljahr monatlich EUR 297,28, anschließend ein Viertel hiervon, vgl. § 67 Nr. 5 SGB VI), bleibt ebenfalls unerheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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