S 4 KR 110/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 110/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 178/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Unter Aufhebung der Bescheide vom 26.04.2006, 15.09.2006, 28.02.2007 und unter Abänderung des Bescheides vom 02.04.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2007 wird festgestellt, dass die Klägerin über den 30.04.2007 hinaus freiwilliges Mitglied der Beklagten ist.

2.Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin und der Beigeladenen.

Tatbestand:

Streitig ist die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld II.

Die am 00.00.1943 geborene Klägerin bezog seit dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II von der ARGE T und war bei der Beklagten pflichtversichert.

Mit Bescheid vom 17.01.2006 entzog die ARGE T das Arbeitslosengeld mit Wirkung zum 01.02.2006, da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin weggefallen sei.

Am 23.01.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die freiwillige Weiterversicherung. Mit Bescheid vom 31.01.2006 bestätigte die Beklagte die freiwillige Mitgliedschaft mit Wirkung ab 01.02.2006.

Mit Bescheid vom 26.04.2006 hob die Beklagte den Bescheid vom 31.01.2006 wieder auf und lehnte die Feststellung der freiwilligen Mitgliedschaft ab, da die Vorversicherungszeiten nicht erfüllt wären. Die Mitgliedszeit vom 01.01.2005 bis 31.01.2006 könne als Vorversicherungszeit nicht anerkannt werden, da Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen worden wäre; es würde vermutet, dass die Erwerbsunfähigkeit schon vor dem Ende des Leistungsbezuges vorgelegen hätte.

Den dagegen am 12.05.2006 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass die Vorversicherungszeiten sehr wohl erfüllt wären, da die Bewilligung von Arbeitslosengeld II nicht für die Vergangenheit, sondern ausschließlich für die Zukunft zurückgenommen worden wäre. In dem beigezogenen Gutachten für die Agentur für Arbeit Solingen vom 12.12.2005 heißt es u.a.: Bei der Klägerin bestünde aufgrund der ungeklärten medizinischen Situation keine Leistungsfähigkeit. Ein niedergelassener Arzt würde sicherlich Arbeitsunfähigkeit im Sinne der GKV bescheinigen. Aufgrund der Vielzahl und Schwere der Diagnosen sowie des bisher erkennbaren Verlaufs der Erkrankungen würde aus agenturärztlicher Sicht davon ausgegangen, dass eine Leistungsunfähigkeit für länger als sechs Monate bestehe.

Mit Schreiben vom 15.09.2006 bestätigte die Beklagte nochmals ihre Auffassung, dass eine freiwillige Weiterversicherung ab dem 01.02.2006 nicht möglich sei. Die Beklagte würde die Mitgliedschaft rückwirkend zum 31.01.2006 beenden.
Mit weiterem Bescheid vom 07.02.2007 bestätigte die Beklagte die Mitgliedschaft ab 01.01.2007.

Mit weiterem Bescheid vom 28.02.2007 wiederholte die Beklagte die Ablehnung der freiwilligen Weiterversicherung ab dem 01.02.2006. Zumindest ab Bekanntgabe des Gutachtens vom 12.12.2005 wäre die Klägerin voraussichtlich über sechs Monate vermindert oder nicht leistungsfähig gewesen. Die Voraussetzungen für einen Bezug von Arbeitslosengeld II hätten somit spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vorgelegen. Die erforderlichen Vorversicherungszeiten für die freiwillige Weiterversicherung hätten somit nicht vorgelegen.

Mit Schreiben vom 02.04.2007 hat die Beklagte die Klägerin im Rahmen der Anhörung nach § 24 SGB X davon in Kenntnis gesetzt, dass es sich bei den Bescheiden vom 31.01.2006 und 07.02.2007 um rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte handelt, die gemäß § 45 SGB X für die Zukunft zurückgenommen werden sollen. Soweit der Bescheid vom 31.01.2006 mit Bescheid vom 26.04.2006 rückwirkend aufgehoben worden sei, werde hieran nicht festgehalten. Die Mitgliedschaft werde vielmehr mit Wirkung für die Zukunft zum 30.04.2007 beendet. Da die Klägerin auch ohne die freiwillige Versicherung über § 264 SGB V Anspruch auf Leistungen bei Krankheit gehabt hätte, sei das Vertrauen der Klägerin in die Bestandskraft der rechtswidrigen begünstigenden Bescheide mehr schutzwürdig als das Vertrauen der Beklagten in die vorgenannten Bescheide unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses.

Der aufrecht erhaltene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2007 als unbegründet zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf freiwillige Weiterversicherung ab dem 01.02.2006. Die dennoch begründete freiwillige Mitgliedschaft werde zum 30.04.2007 beendet.

Dagegen hat die Klägerin am 30.07.2007 Klage erhoben. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.

Mit Beschluss vom 16.10.2007 hat das Gericht die Stadt T gemäß § 75 Abs. 2 SGG beigeladen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 26.04.2006, 15.09.2006, 28.02.2007 und unter Abänderung des Bescheides vom 02.04.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2007 festzustellen, dass sie über den 30.04.2007 hinaus freiwillig bei der Beklagten versichert ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an.

Die Beklagte bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und über den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Beklagte hat zu Unrecht die Feststellung der freiwilligen Weiterversicherung ab 01.02.2006 abgelehnt. Da die Beklagte aus Vertrauensgründen aufgrund der begünstigenden Bescheide vom 31.01.2006 und 07.02.2007 die freiwillige Mitgliedschaft bis zum 30.04.2007 fortgeführt hat, ist der Streitgegenstand hier auf die Berechtigung zur freiwilligen Weiterversicherung ab 01.05.2007 beschränkt. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V (in der Fassung des 5. Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 22.12.2005, BGBl. I, 3676) können der freiwilligen Krankenversicherung Personen beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert waren. Dabei sind Zeiten, in denen die Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen wurde, nicht zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2. Halbsatz SGB V). Die Mitgliedschaft der in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V genannten Versicherungsberechtigten beginnt nach § 188 Abs. 2 SGB V mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht. Nach § 188 Abs. 3 SGB V ist der Beitritt schriftlich zu erklären und den Krankenkassen innerhalb von drei Monaten anzuzeigen (§ 9 Abs. 2 Ziff. 1 SGB V). Die Klägerin ist der Beklagten wirksam zum 01.02.2006 beigetreten. Sie hat vom 01.01.2005 bis 31.01.2006 Arbeitslosengeld II von der ARGE T bezogen. Nach § 5 Abs. 1 Ziff. 2a SGB V war sie somit während dieser Zeit bei der Beklagten pflichtversichert. Den Beitritt hat sie rechtzeitig schon am 23.01.2006 schriftlich erklärt. Somit bestand ab 01.02.2006 durchgehend, also auch über den 30.04.2007 hinaus, das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung.

Zu Unrecht geht die Beklagte davon aus, dass die Vorversicherungszeiten von mindestens 12 Monaten unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht hier nicht vorliegen. Die Beklagte war nicht berechtigt festzustellen, das Arbeitslosengeld II in dem Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.01.2006 oder während eines Teiles dieses Zeitraumes, insbesondere ab Bekanntgabe des Gutachtens des Arbeitsamtes T vom 12.12.2005 zu Unrecht bezogen worden war. Zwar lässt der Wortlaut der Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz SGB V nicht eindeutig erkennen, ob die Krankenkasse berechtigt ist, die materiellen Voraussetzungen des Bezuges von Arbeitslostengeld II zu überprüfen. Durch die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz SGB V sollte verhindert werden, dass ein unrechtmäßiger Bezug von Arbeitslosengeld II zu einer dauerhaften freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung führen kann. Ohne diese Regelung in § 9 wäre das Recht auf freiwillige Weiterversicherung auch dann gegeben, wenn der Leistungsträger des Arbeitslosengeldes II die Leistung rückwirkend entzieht oder die Leistung zurückfordert oder die Leistung zurückgezahlt werden soll: Nach § 5 Abs 1 Nr. 2a SGB V bleibt nämlich die Krankenversicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II selbst für den Fall erhalten, dass die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V knüpft allein an den tatsächlichen Bezug von Arbeitslosengeld II an. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung ergeben sich jedoch Hinweise dahingehend, dass den Krankenkassen ein eigenes Prüfungsrecht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezuges zustehen soll (vgl. Beschluss des LSG Schleswig-Holstein vom 19.09.2006, 5 B 376/06 KR ER und Urteil des LSG NW vom 19.09.2007, R 11 KR 2/07). Ein eigenes Prüfungsrecht der Krankenkassen würde gegen den Grundsatz verstoßen, dass innerhalb eines gegliederten Sozialleistungssystems die anderen Träger die Regelungsbefugnis des zuständigen Trägers zu akzeptieren haben. Soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes anordnet, muss jeder Träger die Entscheidung der anderen Träger respektieren und inhaltlich seinen Entscheidungen zugrundelegen (vgl. BSG SozR 1300 § 103 Nr. 2 und LSG NW Urteil vom 19.09.2007 aaO).

Gegen ein eigenständiges Prüfungsrecht der Krankenkassen spricht auch die Regelung in § 54a SGB II: Danach stellt die Agentur für Arbeit fest, ob der Arbeitsuchende erwerbsfähig ist. Bei Meinungsverschiedenheit zwischen der Agentur für Arbeit und dem Sozialhilfeträger entscheidet die Einigungsstelle. Bis zur Entscheidung der Einigungsstelle erbringen die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. § 44a SGB II wurde durch das Gesetz vom 20.07.2006 dahingehend geändert, dass den Krankenkassen ein Widerspruchsrecht gegen die Feststellung der Agentur für Arbeit eingeräumt wurde, der Arbeitssuchende sei erwerbsfähig und hilfebedürftig. Diese Regelung beinhaltet jedoch lediglich ein Widerspruchsrecht mit der Konsequenz, dass die gemeinsame Einigungsstelle zu entscheiden hat. Im Hinblick auf die freiwillige Weiterversicherung wäre diese Regelung nicht erforderlich, wenn die Krankenkasse ein originäres Prüfungsrecht über die Frage hätte, ob der Arbeitssuchende erwerbsfähig oder erwerbsunfähig war.

Im Übrigen wird zur Begründung auf die Ausführungen des LSG NW im Urteil vom 19.09.2007 - L 11 KR 2/07 - verwiesen.

Die Klägerin hat damit wirksam ihren Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung ab 01.02.2006 erklärt. Diese freiwillige Weiterversicherung besteht über den 30.04.2007 hinaus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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