L 8 SB 111/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 3256/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 111/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.

Die 1947 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige; sie ist in Besitz einer am 22.12.1989 erteilten unbefristeten Aufenthaltsberechtigung. Den von der Klägerin im November 2003 gestellten Erstantrag nach dem SGB IX lehnte das Versorgungsamt Stuttgart (VA) mit Bescheid vom 22.03.2004 ab und begründete dies damit, die bei ihr vorliegenden Funktionsstörungen Bronchialasthma, Allergie sowie depressive Verstimmung bedingten keinen GdB von wenigstens 20. Die weiter angegebenen Gesundheitsstörungen Verlust der Gebärmutter, Verlust der Schilddrüse, Sehminderung, Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks und Schwerhörigkeit stellten keine Funktionsbeeinträchtigungen dar.

Am 06.06.2005 stellte die Klägerin beim Landratsamt (LRA) einen erneuten Antrag nach dem SGB IX. Sie gab an, sie leide an Rückenschmerzen, Handkrämpfen, einem Gallensteinleiden und befinde sich wegen ihrer Depression in psychotherapeutischer Behandlung. Ferner habe sie sich einer Knieoperation unterziehen müssen und werde eine Lungen- und Bronchialtherapie durchgeführt. Das LRA befragte ihren Hausarzt, den Internisten Dr. O., der die Gesundheitsstörungen der Klägerin nannte und die ihm vorliegenden neuesten ärztlichen Unterlagen übersandte. Er gab an, im Vordergrund der multiplen Beschwerden der Klägerin stünden psychische Veränderungen mit Colon irritabile und ein Asthma bronchiale. Eine Besserung der Beschwerden habe sich im Vergleich zur letzten Anfrage nicht ergeben. Im beigefügten Bericht über die Kur der Klägerin vom 08.12.2004 bis 05.01.2005 wurden als Entlassungsdiagnosen eine depressive Störung mit muskulo-skelettaler Schmerzprojektion, eine beginnende Retropatellararthrose, ein Impingement-Syndrom betont linke Schulter und eine Adipositas angegeben. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme zu den vorgelegten ärztlichen Unterlagen stellte das LRA mit Bescheid vom 07.02.2006 unter Berücksichtigung eines Bronchialasthmas und einer Allergie, einer depressiven Verstimmung, eines chronischen Schmerzsyndroms, einer funktionellen Störung des Dickdarms (Colon irritabile), einer Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks, einer Mittelnervendruckschädigung rechts (Carpaltunnelsyndrom), Knorpelschäden am Kniegelenk, degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und einer chronisch-venösen Insuffizienz beidseits einen GdB von 30 seit 06.06.2005 fest. Die Gallenbeschwerden bedingten keine Funktionsstörung mit einem GdB von wenigstens 10.

Dagegen legte die Klägerin am 20.02.2006 Widerspruch ein und machte einen GdB von deutlich über 50 geltend. Ihre Funktionsbeeinträchtigungen seien im angefochtenen Bescheid richtig und vollständig dargestellt. Ein GdB von 30 werde ihren tatsächlichen Beeinträchtigungen jedoch in keiner Weise gerecht. Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2006 zurück.

Am 08.05.2006 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der sie einen GdB von wenigstens 50 geltend machte. Zur Begründung brachte sie vor, angesichts ihrer erheblichen Beschwerden einerseits im physisch-orthopädischen und andererseits im psychischen Bereich erscheine ein GdB von 30 in jedem Fall unangemessen. Hinzu komme, dass in den angefochtenen Bescheiden nicht berücksichtigt worden sei, dass sie - ärztlicherseits attestiert - seit längerem unter chronischen Magenschmerzen leide und deshalb auf die regelmäßige Einnahme von starken Schmerzmitteln angewiesen sei.

Das SG hörte Dr. O. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser berichtete am 22.08.2006 über die von der Klägerin angegebenen Beschwerden und die von ihm gestellten Diagnosen und gab an, die dem Widerspruchsbescheid zugrunde liegenden Diagnosen stimmten mit seinen Erhebungen überein. Die funktionellen Beschwerden stünden im Vordergrund. Die versorgungsärztliche Bewertung vom 21.04.2006 entspreche seiner Auffassung.

Mit Urteil vom 21.11.2006 wies das SG die Klage im Wesentlichen gestützt auf die Angaben von Dr. O. ab. Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 07.12.2006 zugestellt.

Dagegen hat die Klägerin am 05.01.2007 Berufung eingelegt, mit der sie weiterhin einen GdB von wenigstens 50 geltend macht. Sie hält einen GdB von lediglich 30 nicht für gerechtfertigt und bringt vor, bei der Bildung des Gesamt-GdB seien hier sechs verschiedene Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 und 10 zu berücksichtigen, sodass von einem GdB von wenigstens 50 auszugehen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2006 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 7. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf die Beurteilungskriterien der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", 2004 (AHP).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, aber nicht begrünet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid des Beklagten ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 07.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2006, mit dem der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 30 festgestellt hat. Die Klägerin macht geltend, dass ihre verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen in der Gesamtschau einen GdB von mindestens 50 rechtfertigten.

Der Beklagte hat bei der - nach § 69 SGB IX allein maßgeblichen (vgl. Urteil des BSG vom 20.06.2007 - R 9 SB 1400/06 R) - Beurteilung des Gesamtzustandes der Behinderung der Klägerin als einzelne Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt:

1. eine depressive Verstimmung, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine funktionelle Störung des Dickdarms (von ihm bewertet mit einem Einzel-GdB von 20) 2. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20) 3. ein Bronchialasthma und eine Allergie (Einzel-GdB 10) 4. eine chronisch-venöse Insuffizienz beidseits (Einzel-GdB 10) 5. eine Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks und eine Mittelnervendruckschädigung rechts (Einzel-GdB 10) 6. Knorpelschäden am Kniegelenk (Einzel-GdB 10)

Diese Bewertungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen hält der Senat für zutreffend. Er stützt sich hierbei auf die Angaben von Dr. O. gegenüber dem SG vom 22.08.2006, der die vom Beklagten angenommenen Einzel-GdB-Werte ohne Einschränkung bestätigt hat, und die weiteren aktenkundigen ärztlichen Unterlagen, die keine Hinweise enthalten, dass die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin höher zu bewerten sind. Die Klägerin macht auch nicht geltend, dass der Beklagte seiner Entscheidung nicht alle ihre Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde gelegt habe oder die berücksichtigten Funktionsbeeinträchtigungen oder einzelne davon einen höheren Einzel-GdB bedingten.

Die hier lediglich umstrittene Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen durch den Senat führt zu dem Ergebnis, dass der Gesamtzustand der Behinderung der Klägerin mit einem GdB von 30 angemessen bewertet ist. Bei dieser Gesamtwürdigung ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Nach Nr. 19 Abs. 4, S. 26 der AHP führen - von Ausnahmefällen (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen - zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Hier ist bei der Gesamtbeurteilung von einer der beiden einen GdB von 20 bedingenden Funktionsbeeinträchtigungen auszugehen. Zu dem GdB von 20 für die psychische Erkrankung der Klägerin einschließlich des chronischen Schmerzsyndroms und der funktionellen Störung des Dickdarms kommt mithin ein GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden hinzu, wodurch das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung nach Überzeugung des Senats um 10 erhöht wird, sodass insgesamt ein GdB von 30 anzunehmen ist. Eine Erhöhung um 20 Punkte auf 40 wäre nicht sachgerecht, zumal dies eine - nach Nr. 19 Abs. 1, S. 24 der AHP nicht zulässige - Addition der Einzel-GdB-Werte darstellen würde.

Die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin bedingen allesamt nur einen GdB von jeweils 10. Diese führen nach Nr. 19 Abs. 4, S. 26 der AHP nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. Diese Beurteilungsregel ist vom Bundessozialgericht ausdrücklich bestätigt worden (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 28). Dass im vorliegenden Fall vier Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 vorliegen, ändert hieran nichts. Auch ein Ausnahmefall, der mit der in Nr. 19 Abs. 4, S. 26 der AHP genannten Art vergleichbar wäre, liegt nicht vor. Insgesamt ergibt sich daher kein höherer GdB als 30.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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