L 2 P 4/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 80/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 4/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I ab August 2005.

Der 1941 geborene Kläger stellte am 26. August 2005 einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Bayern vom 21. Oktober 2005 nach Hausbesuch ein. Danach bestehen eine Herzinsuffizienz, hypertrophische obstruktive Kardiomyopathie, ein Zustand nach Herzschrittmacherimplantation vom Juli 2005, Verhaltensauffälligkeiten und mnestische Störungen durch Alkoholabhängigkeit, ein Bandscheibenschaden sowie ein Zustand nach Pneumonie. Der Zeitbedarf für den Bereich Grundpflege betrage 16 Minuten pro Tag (Körperpflege 6 Minuten, Ernährung 4 Minuten, Mobilität 6 Minuten), für hauswirtschaftliche Versorgung 45 Minuten pro Tag. Im Vordergrund stehe der hauswirtschaftliche Versorgungsbedarf. Die Pflegestufe I sei nicht zu gewähren.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine erneute Stellungnahme des MDK vom 25. November 2005 nach Aktenlage ein. Der MDK vertrat u.a. die Ansicht, dass der Kläger für die Arztbesuche nicht auf Dauer und mindestens einmal wöchentlich Begleitung benötige. In einer erneuten Stellungnahme nach Hausbesuch berücksichtigte der MDK am 23. Februar 2006 auch einen Hilfebedarf beim Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung (4 Minuten). Der Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege betrage 19 Minuten (Körperpflege 7 Minuten, Ernährung 4 Minuten, Mobilität 8 Minuten). Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2006 zurück.

Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Nürnberg begehrte der Kläger Pflegeleistungen mindestens nach der Pflegestufe I. Das Sozialgericht zog die Akte des Zentrums Bayern Familie und Soziales bei und holte einen Befundbericht des Hausarztes Dr. G. ein, der u.a. die Anzahl der Praxisbesuche in der Zeit vom November 2005 bis Juni 2006 auflistete. Der vom Sozialgericht beauftragte Arzt für Innere Medizin Dr. H. ging in seinem Gutachten vom 11. September 2006 vor allem im Bereich der Mobilität von einem erhöhten Zeitbedarf aus, verneinte jedoch einen Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Ingesamt betrage der Zeitaufwand für die Grundpflege 28 Minuten (Körperpflege 4 Minuten, Ernährung 2 Minuten, Mobilität 22 Minuten). Eine Einschränkung für Alltagstätigkeiten bestehe vor allem durch die Herzerkrankung, die Erkrankung der Hüften, einen Diabetes mellitus, eine Fingererkrankung sowie eine Schwerhörigkeit.

Mit Urteil vom 15. Januar 2007 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es folgte dabei weitgehend dem Gutachten des Dr. H. , das auch durch die vorliegenden Arztberichte gestützt werde. Allerdings sei zusätzlich für das Verlassen und Wiederaufsuchen ein Zeitbedarf von 9 Minuten täglich anzusetzen. Insgesamt betrage der Hilfebedarf in der Grundpflege somit 37 Minuten. Die Voraussetzungen für Leistungen der Pflegestufe I seien damit nicht erfüllt.

Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, er sei vollständig taub, weswegen er erheblich Hilfe bedürfe. Im Übrigen habe sich der Gesundheitszustand inzwischen weiter verschlechtert.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, ein Hilfebedarf im Bereich der Mobilität für einen wöchentlichen Arztbesuch sei nicht zu berücksichtigen. Nach der Auskunft des Hausarztes seien im Zeitraum vom 14. November 2005 bis 1. Juni 2006 (29 Wochen) 27 Arztbesuche erforderlich gewesen, so dass diese durchschnittlich weniger als einmal pro Woche angefallen seien.

Der Senat hat eine Auskunft des Hausarztes Dr. G. über die Anzahl der Arztbesuche des Klägers seit August 2005 eingeholt; bei einer Quickkontrolle betrage der Praxisaufenthalt 20 bis 30 Minuten, bei einer Befundkontrolle ca. 1 Stunde. Der HNO-Arztes Dr. B. und der Internist Dr. F. konnten für diesen Zeitraum keine Arztbesuche bestätigen, der Kardiologe Dr. P. für 2006 und 2007 je drei Arztbesuche.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 3. Juni 2007 darauf hingewiesen, die Termine beim Hausarzt müssten zweimal angerechnet werden, da er morgens zur Untersuchung und abends zur Abholung des Ergebnisses und zur Einstellung gekommen sei.

Die Beklagte ist zu dem Ergebnis gelangt, dass innerhalb von 87 Wochen lediglich 82 Arztbesuche stattgefunden hätten.

Der Senat hat ein Gutachten der Dr. B. vom 2. August 2007 eingeholt, die zu einem Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege von 35 Minuten (Körperpflege 11 Minuten, Ernährung 3 Minuten, Mobilität 21 Minuten einschließlich 5 Minuten für Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten gelangt ist. Bei den Arztbesuchen sei vor allem wegen der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit eine Begleitperson notwendig.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 11. August 2007 ergänzend auf Arztbesuche zwischen 19. März und 9. August 2007 (24 Arztbesuche) hingewiesen. Weitere Arztbesuche wie zweimal zum Zahnarzt und zweimal zum Augenarzt müssten berücksichtigt werden. Im Übrigen hat er die Berufung aufrecht erhalten, zumal 20 Minuten für einen Arztbesuch zu knapp bemessen seien.

Dr. G. hat bestätigt, dass bei den vom Kläger genannten Terminen ein zweimaliges Aufsuchen der Arztpraxis erforderlich war. Auf Nachfrage hat er erläutert, dass der Kläger zwar tatsächlich an diesen Tagen zweimal in die Praxis gekommen sei, dass aber das Ergebnis der Untersuchung auch einer anderen Vertrauensperson mitgeteilt werden könnte.

Die Beklagte hat weiterhin die Ansicht vertreten, dass Zeiten für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung nicht angerechnet werden könnten, da eine Begleitung des Klägers zu den Arztbesuchen nicht durchschnittlich mindestens einmal pro Woche angefallen sei. Das zweimalige Aufsuchen der Praxis sei nicht erforderlich.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündlicher Verhandlung zugestimmt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2006 zu verurteilen, ihm Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I ab August 2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Januar 2007 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.

Der Senat konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.

Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).

Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI muss dazu der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfeleistungen der Grundpflege täglich mehr als 45 Minuten (Grundpflegebedarf), für solche der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen mindestens 90 Minuten (Gesamtpflegebedarf) betragen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) zu verstehen.

Zur Grundpflege zählen: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung;

2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung; 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

Zutreffend ging das Sozialgericht davon aus, dass dem Kläger keine Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I zustehen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird hierzu abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Ergebnis wird durch das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten der Dr. B. bestätigt, die einen zeitlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 35 Minuten feststellte. Dabei entfallen auf den Bereich Körperpflege 11 Minuten, auf den Bereich Ernährung drei Minuten sowie auf den Bereich Mobilität 21 Minuten. Bei letzterem berücksichtigte sie u.a. für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung fünf Minuten. Der Hilfebedarf ist besonders im Bereich der Mobilität gegeben, da Einschränkungen in der Beweglichkeit, Feinmotorikstörungen, Beeinträchtigungen durch die starke Schwerhörigkeit und Atemlosigkeit bei Anstrengung den Pflegebedarf beeinflussen. Ein Hilfebedarf beim Waschen, Duschen, Kämmen, Rasieren, bei der Zahnpflege und bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung ist vor allem bedingt durch die Feinmotorikstörungen in beiden Händen. Verschiedene Tätigkeiten des Grundpflegebereichs kann der Kläger allerdings noch selbstständig durchführen, z.B. kann er selbstständig essen. Auch das Aufstehen und Zubettgehen gelingt meist selbst.

Nach der Herzschrittmacherimplantation im Juli 2005 ist ein wöchentlicher Arztbesuch, meist zur Quickkontrolle sowie gelegentlich zur Befundkontrolle beim Hausarzt, notwendig. In der Zeit vom 15. August 2005 bis 13. April 2007 (87 Wochen) fanden 82 Arztbesuche statt, wie sich aus den Auflistungen des Dr. G. und des Dr. P. ergibt. Unter Berücksichtigung der Auflistung des Klägers für die Zeit bis 9. August 2007 ergeben sich 104 Arztbesuche in 104 Wochen. Da noch vereinzelte Besuche weiterer Fachärzte, insbesondere Augen- und Zahnarzt, glaubhaft gemacht sind, besteht die Notwendigkeit, wöchentlich durchschnittlich mindestens einmal und somit regelmäßig eine Arztpraxis aufzusuchen. Aufgrund der bestehenden, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit ist eine Begleitung des Klägers erforderlich. Zu Recht setzten deshalb sowohl die Sachverständige als auch der Vorgutachter Dr. H. sowie der MDK in seiner Stellungnahme vom 23. Februar 2006 hierfür einen Zeitbedarf an. Dr. G. gab an, der Praxisaufenthalt betrage bei der Quickkontrolle 20 bis 30 Minuten, bei der Befundkontrolle ca. 60 Minuten. Die Entfernung vom Wohnort des Klägers zur Praxis des Allgemeinarztes ist nur gering, wie das Sozialgericht zutreffend ausführte. Bei einer angenommenen hälftigen Mischkalkulatur von Quickkontrolle und Befundkontrolle ergeben sich deshalb auf den Tag gerechnet 11 bis 12 Minuten, so dass der Grundpflegebedarf maximal 42 Minuten und somit nicht mehr als 45 Minuten beträgt.

Der bei Weitem seltener aufgesuchte Kardiologe Dr. P. schätzte die Wartezeit ebenfalls auf durchschnittlich 60 Minuten. Zwar ist die Anreise nach F. deutlich länger, doch erfolgten lediglich drei Arztbesuche in 2006 und drei in 2007, so dass sich auf den Tag gerechnet ebenfalls keine maßgebliche Erhöhung des Grundpflegebedarfs ergibt.

Es ist zwar zutreffend, dass der Kläger an den Tagen mit Besuch des Hausarztes diesen zweimal aufsuchte. Dies ist jedoch nicht erforderlich und somit nicht zu berücksichtigen, da das Ergebnis des morgendlichen Tests auch einer Vertrauensperson mitgeteilt werden kann, wie der Arzt bestätigte. Auch weitere Übertragungswege wie insbesondere durch Telefon sind denkbar.

Der Senat gelangte daher zu dem Ergebnis, dass der Grundpflegebedarf derzeit noch knapp unter 46 Minuten liegt, so dass die Beklagte zu Recht die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe I ablehnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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