L 1 R 1188/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 10 R 2610/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 R 1188/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt, Beschäftigungszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und die tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte anzuerkennen. Er ist 1951 geboren und erhielt am 15. August 1973 von der T D den akademischen Grad eines Diplomingenieurs. Vom 15. August 1973 bis 31. März 1978 war er als Ingenieur im VEB I, im D, im VEB G B sowie im VEB I beschäftigt. Anschließend arbeitete er bis 19. März 1990 in der Einrichtung O Berlin. Ab dem 09. März 1990 war er in der Aufbauleitung Gesundheits- und Sozialeinrichtungen (ABL GSE) beschäftigt. Ausweislich des Statuts des Magistrats von Berlin - Oberbürgermeister vom 04. Januar 1988 war die ABL GSE eine nachgeordnete Einrichtung des Magistrats von Berlin, unterstand der Fachabteilung für Gesundheits- und Sozialwesen und war rechtsfähiger Betrieb im Sinne von § 17 Abs. 2 Arbeitsgesetzbuch.

Die Beklagte lehnte seinen Antrag vom 30. März 2004 auf Feststellung der Beschäftigungszeit vom 01. Oktober 1973 bis 30. Juni 1990 mit Bescheid vom 21. Juni 2004 ab. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und reichte u. a. ein Zeugnis ein, aus welchem sich ergibt, dass er bei der ABL GSE in der Zeit vom 12. März 1990 bis 03. März 1991 als Architekt mit der entwurfstechnischen Planung für die komplexe Umgestaltung zweier Spezialkliniken betraut war. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 17. Mai 2005 zurück.

Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) eingereicht. Die ABL GSE sei zunächst dem Magistrat von Berlin unterstellt gewesen. Die Entlohnung sei nach dem Rahmenkollektiv-Vertrag der kreis- und bezirksgeleiteten volkseigenen Bauindustrie erfolgt. Es habe sich beim Betrieb um ein Planungsbüro gehandelt, also einem als Konstruktionsbüro gleichgestellten Betrieb. Es kämen auch die Zusatzversorgungssysteme Nr. 4 und Nr. 8 der Anlage 1 zum AAÜG in Betracht. Die ABL GSE habe Aufgaben der Planung, Koordinierung und Kontrolle wahrgenommen. Sie sei für Rekonstruktions-, Modernisierungs- und Neubaumaßnahmen hinsichtlich der unterstellten medizinischen Einrichtungen und Kliniken zuständig gewesen. Er selbst sei mit der entwurfstechnischen Planung für die Umgestaltung und Sanierung von zwei Klinikkomplexen (O Klinik in B und P Klinik in S) beschäftigt gewesen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19. Juni 2006 abgewiesen. Die ABL GSE sei kein volkseigener Produktionsbetrieb gewesen und auch kein gleichgestellter Betrieb. Es habe sich insbesondere nicht um ein Konstruktionsbüro gehandelt. Der Betrieb sei zwar auch mit entwurfstechnischer Planung beschäftigt gewesen, aus dem Statut ergebe sich jedoch, dass diese Tätigkeiten dem Betrieb nicht das Gepräge gegeben habe. Der Kläger erfülle auch nicht die Voraussetzung für eine Einbeziehung in die Systeme Nr. 4 und 8 der Anlage 1 zum AAÜG. Das System Nr. 8 habe gemäß § 3 der Anordnung über die freiwillige zusätzliche Versorgung für Ärzte, Zahnärzte, Apotheke und andere Hochschulkader in den Einrichtungen des staatlichen Gesundheits- und Sozialwesens grundsätzlich einen Beitritt vorgesehen. Ein solcher Beitritt sei durch den Kläger zu DDR-Zeiten nicht erfolgt. Das System Nr. 4 differenziere nach der Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR vom 12. Juli 1951 zwischen den vier Teilbereichen, auf die sich dieses Zusatzversorgungssystem erstreckt habe. §§ 2 bis 5 der Verordnung definierten die Angehörigen der medizinischen, wissenschaftlichen, pädagogischen und künstlerischen Intelligenz unterschiedlich, während die betriebsbezogenen Voraussetzungen einheitlich durch eine Aufzählung innerhalb des § 6 der Verordnung definiert worden seien. Aufgrund der Zuordnung der Arbeitsstelle des Klägers zum staatlichen Gesundheits- und Sozialwesens sei eine kombinierte Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen des § 3 und des § 6 der Verordnung erforderlich. Die persönlichen Voraussetzungen erfülle der Kläger jedoch nicht, da § 3 der Verordnung Diplomingenieure nicht als Angehörige der auf dem Gebiet der Medizin tätigen Intelligenz definiere.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er wendet sich gegen die erstinstanzlich zugrunde gelegte sogenannte Stichtagsregelung. Auch sei eine Projektierungseinrichtung sehr wohl mit der Tätigkeit eines Konstruktionsbüros vergleichbar. Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2005 zu verurteilen, für den Zeitraum vom 15. August 1973 bis 30. Juni 1990 die Zugehörigkeit zum System der Anlage 1 zum AAÜG und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer schriftlichen Entscheidung einverstanden erklärt. Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen, dass erwähnte Statut ist eingeführt worden. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten hat vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch, auf Feststellung der begehrten Zeiten als solche der Zugehörigkeit zur AVItech und damit als Tatbestände von gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten (§ 5 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG).

Der Kläger hat zunächst keine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG in direkter Anwendung. Er ist in der DDR niemals in das Versorgungssystem der AVItech einbezogen worden. Bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht einbezogen waren und auch nicht nachfolgend auf Grund originären Bundesrechts (Art. 17 Einigungsvertrag) einbezogen wurden, ist allerdings auf Grund einer vom Bundessozialgericht (BSG) vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts noch nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. die Urteile vom 9. und 10. April 2002 in SozR 3-8570 § 1 Nrn. 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8). Anzuwenden sind insoweit § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVtI-VO) vom 17. August 1950 und § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie § 2 der zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zur AVtI-VO vom 24. Mai 1951. Danach hängt der Anspruch von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab. Generell war die AVItech eingerichtet für (1) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen und (2) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar (3) in einem volkseigenen oder diesem gleichgestellten Produktionsbetrieb (Industrie, Bauwesen). Die betriebliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung eines Betroffenen in die AVItech zum 1. August 1991 ist nur erfüllt, wenn der VEB ein Produktionsbetrieb der In¬dustrie oder des Bauwesens war. Materiell-rechtlich kommt es allein darauf an, ob der vom arbeitgebenden VEB tatsächlich verfolgte Hauptzweck auf die industrielle Fertigung (Fabrika¬tion, Herstellung, Produktion) von Sachgütern ausgerichtet war. Das BSG hat in seinem Urteil vom 9. April 2002 (B 4 RA 41/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 6) ausführlich begründet, dass nach dem maßgeblichen Sprachgebrauch der DDR die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz sich nur auf volkseigene Produktionsbetriebe der Industrie und des Bauwesens erstreckte. Entscheidend dafür spricht, dass durch § 1 Abs. 2 der 2. DB bestimmte Einrichtungen "(d)en volkseigenen Produktionsbetrieben" gleichgestellt werden – und gerade nicht den volkseigenen Betrieben schlechthin. Bereits nach § 1 der Ersten Durchführungsbestimmung vom 26. September 1950 (GBl. S. 1043), die durch § 10 Abs. 2 der 2. DB aufgehoben wurde, zählten zum Kreis der Versorgungsberechtigten nur (bestimmte) Beschäftigte in einem Produktionsbetrieb. An diese – auch in anderen Vorschriften des Rechts der DDR zu findende - Unterscheidung zwischen volkseigenen Betrieben im Allgemeinen und volkseigenen Produktionsbetrieben im Besonderen knüpft § 1 Abs. 2 der 2. DB an und lässt so erkennen, dass die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz nur zu gewähren war bei Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens (oder einer der durch § 1 Abs. 2 der 2. DB ausdrücklich gleichgestellten Einrichtungen).

Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30. Juni 1990, die ABL GSE, war bereits kein VEB und zudem auch kein (Bau-)Produktionsbetrieb. Ein solcher zeichnet sich dadurch aus, dass der von ihm verfolgte Hauptzweck die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion (fordistisches Produktionsmodell) von Sachgütern gewesen ist (BSG, Urt. v. 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 6). Maßgebend für die Zuordnung eines bestimmten VEB zur industriellen Produktion ist, welche Aufgabe dem VEB das Gepräge gegeben hat. Die Frage, was der tatsächliche Hauptzweck eines bestimmten VEB war, ist keine Rechtsfrage; sie betrifft vielmehr die Haupttatsache, von deren Vorliegen die Erfüllung der o. g. betrieblichen Voraussetzung abhängt. Welche Aufgabe dies war, kann allein aufgrund der konkreten tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen VEB beurteilt werden (BSG, Urteil vom 6. Mai 2004, Az: B 4 RA 44/03 R). Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse des Betriebs, die auf der Grundlage der tatsächlich übernommen Aufgaben, der Organisation und der Mittelverwendung zu bestimmen sind.

Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers hat ausweislich seines Status (konkret § 2 Abs. 3), welcher insoweit im Urteil des SG vollständig wiedergegeben ist, Aufgaben der Koordinierung, der Planung und Überwachung ausgeübt, aber nicht selbst gebaut, schon gar nicht in Massenbauweise. Maßgeblich für diese Einstufung sind nicht die konkrete Tätigkeit des Klägers und die Feststellung, dass eine identische auch bei einem normalen Baubetrieb möglich gewesen wäre. Es spielt auch keine Rolle, dass die Projektierung eines Bauvorhabens notwendiger erster Teil der Realisierung ist und durch den Arbeitgeber als Hauptauftraggeber oder Generalunternehmer auch Aufgaben der Bauüberwachung durchgeführt wurden. Diese Dienstleistungen sind etwas anderes als die Bauerrichtung selbst (ebenso für Projektierungsbetriebe: Urteil des Senats vom 2. März 2007 – L 1 R 263/06; ferner Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26. 1. 2007 – L 22 R 742/06 –, vom 19. 10. 2006 – L 1 R 66/06 –, und vom 22. 6. 2006 – L 21 RA 295/03 -; speziell zu Generalauftragnehmern: vom 15. 11. 2006 – L 22 RA 288/04- und vom 14. 2. 2006 – L 12 RA 24/03 -).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den grundsätzlichen Ausschluss einer nachträglichen Einbeziehung nach dem 30. Juni 1990 und die Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG durch das BSG bestehen nicht, auch wenn die Kriterien den Betroffenen ungerecht erscheinen. Insbesondere ist der Gesetzgeber nicht aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz) gehalten, davon abzusehen, an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR anzuknüpfen. Er ist nicht verpflichtet, sich daraus ergebende Ungleichheiten rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nicht verletzt, da der Kläger in der DDR keine Versorgungszusage erhalten hatte, mithin nicht davon ausgehen konnte, dass seine Entgelte ohne die entsprechende Versicherung unbeschränkt berücksichtigt würden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04, 203/05, 445/05 und 1144/05 –; Beschluss vom 1. März 2006 - 1 BvR 320/06 -).

Zu Recht hat das SG auch die Annahme eines Konstruktionsbüros verneint. Das BSG hat klargestellt, dass im Versorgungsrecht der DDR nicht benannten Projektierungsbetriebe mit den ausdrücklich gleichgestellten Konstruktionsbüros nicht identisch waren. Es hat zugleich in Bestätigung seiner ständigen Rechtsprechung zum Neueinbeziehungsverbot entschieden, dass eine Einbeziehung von Projektierungsbetrieben durch eine den Text des Versorgungsrechts erweiternde Auslegung das aus dem Neueinbeziehungsverbot des Einigungsvertrages folgende Analogieverbot entgegensteht (Urteile vom 07. September 2006 - B 4 RA 41/05 R = SozR 48570 § 1 Nr. 11 und - B 4 RA 39/05 R -). Dem folgt der Senat in ständiger Rechtsprechung. Das SG hat auch bereits zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Einbeziehung in weitere Versorgungssysteme nicht vorliegen. Auf die Ausführungen wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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