Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 664/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 2478/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. Mai 2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2003 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Bescheide vom 12. September 2002, 13. September 2002, 14. Januar 2003, 16. April 2003, 23./24. Juli 2003 und 25. August 2003 hinsichtlich der erfolgten Abzweigung von Leistungen i. H. v. EUR 4,05 täglich bzw. EUR 28,35 wöchentlich aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Ansonsten sind keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen die Abzweigung eines Teilbetrages der ihm vorläufig bewilligten Arbeitslosenhilfe.
Der im Jahre 1941 im heutigen Polen geborene Kläger lebt seit 1981 im Bundesgebiet. Er ist seit 1987 verheiratet und Vater einer im Jahre der Eheschließung geborenen Tochter sowie eines im Jahre 1981 geborenen, in Polen lebenden Sohnes aus einer früheren Beziehung.
Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet stand der Kläger überwiegend im Leistungsbezug der Beklagten. Eine im Jahre 1994 zu Gunsten des Sohnes erfolgte Abzweigung eines Teils der dem Kläger bewilligten Arbeitslosenhilfe wurde von der Beklagten im Rahmen eines beim Sozialgericht Reutlingen eingeleiteten Klageverfahrens mit Blick auf eine aus den Bescheiden nicht ersichtliche Ermessensbetätigung wieder aufgehoben.
Am 02.04.2002 beantragte der Kläger die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe. Dabei legte er Bescheinigungen über vorläufige Verluste aus dem Gewerbebetrieb seiner Ehefrau für das Kalenderjahr 2001 vor. Mit Bescheid vom 24./25.04.2002 bewilligte ihm die Beklagte daraufhin vorläufig Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich EUR 256,06 für die Zeit vom 29.04.2002 bis zum 28.04.2003. Die Entscheidung ergehe vorläufig, da zur Feststellung des Anspruchs voraussichtlich noch längere Zeit erforderlich sei. Einkommen der Ehefrau des Klägers sei grundsätzlich auf dessen Arbeitslosenhilfe anzurechnen. Eine endgültige Entscheidung sei erst nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides 2002 möglich und werde nach vollständiger Klärung der Sach- und Rechtslage ergehen.
Unter dem 25.07.2002 beantragte das den in Polen lebenden und studierenden Sohn bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen vertretende Bundesverwaltungsamt bei der Beklagten die Abzweigung eines angemessenen Betrages von den laufenden Leistungen des Klägers. Zugleich legte es vollstreckbare Entscheidungen über eine monatliche Unterhaltsschuld i. H. v. Zloty 500,00 vor. Diese erfülle der Kläger nicht bzw. nicht vollständig und pünktlich. Nach erfolgter Umrechnung des Unterhaltsanspruchs in einen Tagesbetrag von EUR 4,05 wurde der Kläger wegen der beabsichtigten Entscheidung über einen Abzweigungsantrag eines seinem Sohn Unterhalt gewährenden Sozialamtes angehört und dabei auf eine nach Aktenlage in der genannten Höhe mögliche Abzweigung hingewiesen.
Mit an das Bundesverwaltungsamt und den Kläger gerichteten Bescheiden vom 12.09.2002 verfügte die Beklagte bezogen auf die Zeit ab dem 01.09.2002 die Abzweigung von täglich EUR 4,05 von den dem Kläger zustehenden laufenden Geldleistungen; dieser Betrag werde für den Antragsteller, das Bundesverwaltungsamt, einbehalten und an diesen ausbezahlt.
Im daraufhin ergangenen Bewilligungs-Änderungsbescheid vom 13.09.2002 brachte die Beklagte ab dem 01.09.2002 vom dem Kläger zustehenden wöchentlichen Leistungsbetrag i. H. v. EUR 256,06 einen abzuzweigenden Anteil von EUR 28,35 in Abzug. Abzweigungen in dieser Höhe weisen auch der nachfolgende Änderungsbescheid vom 14.01.2003, die wiederum nur vorläufige Weiterbewilligung der Arbeitslosenhilfe vom 16.04.2003 in der Gestalt des - die Vorläufigkeit wiederholenden - Änderungsbescheides vom 25.08.2003 sowie die erneut lediglich vorläufige Weiterbewilligung von Arbeitslosenhilfe vom 23./24.07.2003 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.08.2003 aus. Die dem entsprechend bis zum 31.12.2003 erfolgten Zahlungen wurden mit an das Bundesverwaltungsamt und den Kläger gerichteten Bescheiden vom 12.01.2004 wegen Renteneintritts des Klägers am 01.01.2004 eingestellt.
Bereits am 27.11.2002 hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf den Änderungsbescheid vom 13.09.2002 sowie die von Seiten der Beklagten erfolgte Aufhebung der im Jahre 1994 ergangenen Abzweigungsentscheidung um Mitteilung gebeten, aus welchen Gründen nunmehr eine Abzweigung i. H. v. EUR 28,35 wöchentlich erfolge. Zugleich hatte er eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Klägers nach Ausstellung des Vollstreckungstitels geltend gemacht.
Die Beklagte wertete dies als Antrag auf Überprüfung des Bewilligungs-Änderungsbescheides vom 13.09.2002 und lehnte die Zurücknahme dieser Entscheidung mit Bescheid vom 29.11.2002 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2003 zurück. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, angesichts des rechtskräftigen und vollstreckungsfähigen Unterhaltstitels sowie in Ermangelung einer rechtserheblichen Verringerung des Einkommens des Klägers müsse sie sich auf die Bindungswirkung berufen.
Am 13.03.2003 hat der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Das Sozialgericht hat das Bundesverwaltungsamt notwendig zum Verfahren beigeladen und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14.05.2004 abgewiesen. Gegenstand des Verfahrens sei die eine Rücknahme des Änderungsbescheides vom 13.09.2002 ablehnende und mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2003 bestätigte Überprüfungsentscheidung der Beklagten vom 29.11.2002. Der später ergangene Weiterbewilligungsbescheid sei demgegenüber nicht gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Verfahrensgegenstand, da er den angefochtenen Bescheid weder abändere noch ersetze und insbesondere einen neuen Bewilligungsabschnitt betreffe. In der Sache hat das Sozialgericht auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die in der Vergangenheit erfolgte Aufhebung einer Abzweigungsentscheidung wegen nicht erkennbarer Ermessensbetätigung stelle die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides vom 13.09.2002 nicht in Frage. Diese Entscheidung ist dem Kläger am 17.05.2004 zugestellt worden.
Am 14.06.2004 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er trägt vor, der der Abzweigungsentscheidung zu Grunde liegende polnische Unterhaltstitel sei rechtswidrig. Seine Inanspruchnahme stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Möglicherweise seien die Ansprüche verjährt. Im Übrigen seien die Ermessenserwägungen der Beklagten zu beanstanden.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Reutlingen vom 13. Mai 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 12. September 2002, 13. September 2002, 14. Januar 2003, 16. April 2003, 23./24. Juli 2003 und 25. August 2003 hinsichtlich der erfolgten Abzweigung von Leistungen i. H. v. EUR 4,05 täglich bzw. EUR 28,35 wöchentlich aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die erfolgte Abzweigung sei als Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. Sofern ein vom Gericht unter Zugrundelegung der "Düsseldorfer Tabelle" mit Blick auf Unterhaltsberechtigungen auch der Ehefrau und der Tochter des Klägers angesprochener Mangelfall vorliege, ergebe sich bezogen auf die Zeit vom 01.09.2002 bis zum 31.12.2003 eine Nachzahlung i. H. v. EUR 974,37.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Er verweist auf die von ihm vorgelegten Unterlagen und trägt ergänzend vor, ein Mangelfall werde angesichts der fehlenden Einkommensnachweise der Ehefrau des Klägers für den maßgeblichen Zeitraum bestritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats die beigezogenen Akten des Sozialgerichts Reutlingen aus dem erstinstanzlichen Klageverfahren und dem vorangegangenen Verfahren S 8 Ar 1669/04 sowie die gleichfalls beigezogenen Leistungsakten der Beklagten (1 Band) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Beteiligt am vorliegenden Verfahren ist neben dem Kläger und der Beklagten die vom Sozialgericht in der Sache - mangels Beteiligtenfähigkeit (§ 70 SGG) des Bundesverwaltungsamts - beigeladene Bundesrepublik Deutschland, die in Unterhaltsverfahren nach dem UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.06.1956 (BGBl.1959 II, 149 ff. i. d. F. d. Art. 4 Abs. 8 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamts für Justiz vom 17.12.2006, BGBl. I, 3171 ff.) seit dem 01.01.2008 nicht mehr vom Bundesverwaltungsamt, sondern vom Bundesamt für Justiz vertreten wird (Art. 4 Abs. 8 i. V. m. Art. 5 d. G. vom 17.12.2006, a. a. O., 3173, 3174). Die Voraussetzungen für eine (notwendige) Beiladung des Sohnes des Klägers (§ 75 Abs. 2 SGG) lagen und liegen nicht vor, nachdem die Beklagte - wie unten weiter auszuführen sein wird - in den zur Überprüfung gestellten Bescheiden keine Abzweigung zu dessen Gunsten, sondern zu Gunsten des Bundesverwaltungsamts vorgenommen hat. Demgemäß ist auch die von Seiten des Sozialgerichts erfolgte Beiladung zutreffend.
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden; denn auf diese Möglichkeit war in der Ladung hingewiesen worden (§ 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Der Kläger erstrebt mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Aufhebung des seinen Antrag nach § 44 SGB X ablehnenden Bescheides vom 29.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2003 sowie eine Verurteilung der Beklagten (allein) zur Aufhebung der ihn belastenden Abzweigung (vgl. zur isolierten Anfechtung von unmittelbar angegriffenen Abzweigungsentscheidungen BSG, Urt. vom 13.07.2006 - B 7 AL 24/05 R -, SozR 4-1200 § 48 Nr. 2 = Breith. 2006, 966 ff.) mit der Folge eines dann in voller Höhe bestehenden Anspruchs auf Auszahlung der bewilligten Leistungen für die Zeit vom 01.09.2002 bis zum 31.12.2003. In diesem Rahmen begehrt er die behördliche Aufhebung nicht nur des von seinem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 27.11.2002 in Bezug genommenen Änderungsbescheides vom 13.09.2002, sondern der Abzweigungsbescheide vom 12.09.2002 und der Abzweigungsentscheidungen in den nachfolgenden Bewilligungs- und Änderungsbescheiden insgesamt. Denn die Bescheide vom 12.09.2002 bilden mit besagten Bewilligungs- und Änderungsbescheiden insoweit eine rechtliche Einheit, als letztere die getroffene Abzweigungsregelung (lediglich) umsetzen (vgl. zu den parallelen Fallgestaltungen eines Sperrzeitbescheides bzw. eines Schreibens über den Eintritt einer Obliegenheitsverletzung nach § 37b SGB III nebst Minderung des Arbeitslosengeldes nach § 140 SGB III a. F. und einer jeweils nachfolgenden Leistungsbewilligung BSG, Urt. vom 09.02.2006 - B 7a/7 AL 48/04 R -, zit. nach juris, sowie Urt. vom 18.08.2005 SozR 4-1500 § 95 Nr. 1 = Breith. 2006, 345 ff.) und sind damit vom Überprüfungsbegehren des Klägers nach § 44 SGB X umfasst. Darauf, ob der Kläger angesichts dessen am 27.11.2002, dem Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens seines Prozessbevollmächtigten vom 22.11.2002 bei der Beklagten, noch fristgerecht hätte Widerspruch gegen die Abzweigung einlegen können, kommt es nicht an. Denn dem genannten Anwaltsschreiben lässt sich - im Ergebnis ohne Nachteil für den Kläger - allenfalls ein von der Beklagten auch angenommener Überprüfungsantrag entnehmen.
Die so gefasste Berufung ist zulässig und begründet. Denn der Kläger hat Anspruch auf Zurücknahme der nach den oben gemachten Ausführungen einheitlichen Abzweigungsentscheidung der Beklagten in den Bescheiden vom 12.09.2002, 13.09.2002, 14.01.2003, 16.04.2003, 23./24.07. 2003 und 25.08.2003. Hierzu ist die Beklagte mithin unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides vom 29.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2003 zu verurteilen.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die materielle Beweislast für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts trägt dabei - auch im Falle abweichender Beweislastverteilung bei Erlass des Ursprungsbescheides - derjenige, der sie geltend macht (vgl. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, RdNr. 30 zu § 44 SGB X).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn die von der Beklagten vorgenommene Abzweigung eines Teilbetrages der dem Kläger vorläufig bewilligten Arbeitslosenhilfe war von Beginn an zu Lasten des Klägers rechtswidrig.
Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Nach § 48 Abs 1 Satz 4 SGB I kann die Auszahlung auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt. Der Zweck des § 48 SGB I liegt nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 7/868 S, 31 zu § 48 SGB I) in einer schnellen Verwirklichung des Unterhaltsanspruchs von Ehegatten und Kindern eines Leistungsempfängers, um finanzielle Notsituationen zu vermeiden. Die Regelung soll vor allem den nächsten Familienangehörigen einen raschen, kostensparenden Zugriff auf die auch teilweise zur Befriedigung ihres Lebensunterhalts dienenden Leistungen ohne die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes und die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen im Zivilprozess ermöglichen (vgl. BSG, Urt. vom 13.07.2006, a. a. O.).
In Anwendung dieser Regelungen verletzt die vorgenommene Abzweigung den Kläger bereits deshalb in seinen Rechten und ist sie mithin von der Beklagten aufzuheben, weil sie ausweislich der Bescheide vom 12.09.2002 (allein) zu Gunsten des den unterhaltsberechtigten Sohn des Klägers lediglich vertretenden, nicht hingegen selbst unterhaltsberechtigten oder dem Sohn Unterhalt gewährenden Bundesverwaltungsamts erfolgt ist. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 01.08.2002 nicht zu einem Abzweigungsantrag seines Sohnes, sondern eines diesem Unterhalt gewährenden Sozialamtes angehört worden war, lässt sich nämlich auch aus den genannten Bescheiden vom 12.09.2002 - die nachfolgenden Änderungs- und Bewilligungsbescheiden geben zu dieser Frage nichts her - keine Abzweigung an den Sohn entnehmen; vielmehr ist ausdrücklich das Bundesverwaltungsamt als Antragsteller und Abzweigungsbegünstigter aufgeführt. In Ermangelung jedweder Anhaltspunkte für eine Abzweigung zu Gunsten des Sohnes des Klägers in den Bescheiden verbietet sich mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X auch eine diesem Zweck entsprechende Auslegung (vgl. zur erforderlichen Bestimmtheit des Abzweigungsbegünstigten BSG, Urt. vom 13.07.2006 - B 7a AL 24/05 R -, SozR 4-1200 Nr. 2 = Breith. 2006, 966 ff.).
Unabhängig davon ist die Abzweigung aber jedenfalls deshalb zu Lasten des Klägers rechtsfehlerhaft, weil die Beklagte insoweit trotz der gem. § 328 SGB III lediglich vorläufig erfolgten und angesichts des eingeschränkten Regelungsgehalts der ergangenen Anpassungs- bzw. Änderungsbescheide (vgl. BSG, Urteil vom 15.08.2002 - B 7 AL 38/01 R -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 21 = FEVS 54, 101 ff. = Breith. 2003, 154 ff. = NZS 2003, 500 ff.) unverändert nur vorläufigen Leistungsbewilligung eine endgültige Entscheidung getroffen hat:
Als Auszahlung laufender Geldleistungen an Dritte i. S. des § 48 Abs. 1 SGB I setzt die Abzweigung eine Leistungsberechtigung des Unterhaltsschuldners und mithin eine zu dessen Gunsten ergangene Leistungsbewilligung voraus. Der Umfang der Bewilligung zieht daher - unabhängig von der Frage der Angemessenheit i. S. des i. S. des § 48 Abs. 1 SGB I - die äußere Grenze für die Zulässigkeit der Abzweigung.
Diese Grenze ist hier aber deshalb überschritten, weil die ohne einschränkende Nebenbestimmung (endgültig) verfügte Abzweigung in ihrem rechtlichen Geltungsanspruch über die gem. § 328 SGB III lediglich vorläufig erfolgte Leistungsbewilligung hinausgeht. Denn die vorläufige Leistungsbewilligung erzeugt als einstweilige Regelung keine Bindung in Bezug auf die Voraussetzungen des ihr zu Grunde liegenden Leistungsanspruchs (vgl. Gagel, SGB III, Stand September 2007, Rdnr. 36 zu § 328); sie kann daher im Falle ihrer Unrichtigkeit jederzeit und ohne Bindung an die Voraussetzungen und Fristen der § 44 ff. SGB X durch eine endgültige Entscheidung nach § 328 Abs. 2 SGB III ersetzt werden (vgl. Niesel, SGB III, 4. Aufl. 2007, Rdnr. 19 zu § 328). Demgegenüber entfaltet die nicht entsprechend beschränkte Abzweigung als von vorn herein endgültige Entscheidung für die Beteiligten mit Eintritt der Bestandskraft Bindungswirkung und kommt insoweit eine Aufhebung oder Abänderung nach Eintritt der Bestandskraft nur noch in Anwendung der § 44 ff. SGB X in Betracht.
Diese qualitative Überschreitung des Umfangs der Leistungsbewilligung durch die verfügte Abzweigung verletzt den Kläger in seinen Rechten. Insbesondere mit Blick auf die Fristen der §§ 44 Abs. 4, 48 Abs. 4 SGB X besteht nämlich im Falle der Verschlechterung der Leistungsbewilligung - durch Ersetzung der vorläufigen durch eine ihm ungünstigere endgültige Bewilligungsentscheidung - die Gefahr, dass sich der Kläger auf die drittbegünstigende Bindungswirkung selbst einer i. S. des i. S. des § 48 Abs. 1 SGB I unangemessenen Abzweigung verweisen lassen muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Ansonsten sind keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen die Abzweigung eines Teilbetrages der ihm vorläufig bewilligten Arbeitslosenhilfe.
Der im Jahre 1941 im heutigen Polen geborene Kläger lebt seit 1981 im Bundesgebiet. Er ist seit 1987 verheiratet und Vater einer im Jahre der Eheschließung geborenen Tochter sowie eines im Jahre 1981 geborenen, in Polen lebenden Sohnes aus einer früheren Beziehung.
Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet stand der Kläger überwiegend im Leistungsbezug der Beklagten. Eine im Jahre 1994 zu Gunsten des Sohnes erfolgte Abzweigung eines Teils der dem Kläger bewilligten Arbeitslosenhilfe wurde von der Beklagten im Rahmen eines beim Sozialgericht Reutlingen eingeleiteten Klageverfahrens mit Blick auf eine aus den Bescheiden nicht ersichtliche Ermessensbetätigung wieder aufgehoben.
Am 02.04.2002 beantragte der Kläger die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe. Dabei legte er Bescheinigungen über vorläufige Verluste aus dem Gewerbebetrieb seiner Ehefrau für das Kalenderjahr 2001 vor. Mit Bescheid vom 24./25.04.2002 bewilligte ihm die Beklagte daraufhin vorläufig Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich EUR 256,06 für die Zeit vom 29.04.2002 bis zum 28.04.2003. Die Entscheidung ergehe vorläufig, da zur Feststellung des Anspruchs voraussichtlich noch längere Zeit erforderlich sei. Einkommen der Ehefrau des Klägers sei grundsätzlich auf dessen Arbeitslosenhilfe anzurechnen. Eine endgültige Entscheidung sei erst nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides 2002 möglich und werde nach vollständiger Klärung der Sach- und Rechtslage ergehen.
Unter dem 25.07.2002 beantragte das den in Polen lebenden und studierenden Sohn bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen vertretende Bundesverwaltungsamt bei der Beklagten die Abzweigung eines angemessenen Betrages von den laufenden Leistungen des Klägers. Zugleich legte es vollstreckbare Entscheidungen über eine monatliche Unterhaltsschuld i. H. v. Zloty 500,00 vor. Diese erfülle der Kläger nicht bzw. nicht vollständig und pünktlich. Nach erfolgter Umrechnung des Unterhaltsanspruchs in einen Tagesbetrag von EUR 4,05 wurde der Kläger wegen der beabsichtigten Entscheidung über einen Abzweigungsantrag eines seinem Sohn Unterhalt gewährenden Sozialamtes angehört und dabei auf eine nach Aktenlage in der genannten Höhe mögliche Abzweigung hingewiesen.
Mit an das Bundesverwaltungsamt und den Kläger gerichteten Bescheiden vom 12.09.2002 verfügte die Beklagte bezogen auf die Zeit ab dem 01.09.2002 die Abzweigung von täglich EUR 4,05 von den dem Kläger zustehenden laufenden Geldleistungen; dieser Betrag werde für den Antragsteller, das Bundesverwaltungsamt, einbehalten und an diesen ausbezahlt.
Im daraufhin ergangenen Bewilligungs-Änderungsbescheid vom 13.09.2002 brachte die Beklagte ab dem 01.09.2002 vom dem Kläger zustehenden wöchentlichen Leistungsbetrag i. H. v. EUR 256,06 einen abzuzweigenden Anteil von EUR 28,35 in Abzug. Abzweigungen in dieser Höhe weisen auch der nachfolgende Änderungsbescheid vom 14.01.2003, die wiederum nur vorläufige Weiterbewilligung der Arbeitslosenhilfe vom 16.04.2003 in der Gestalt des - die Vorläufigkeit wiederholenden - Änderungsbescheides vom 25.08.2003 sowie die erneut lediglich vorläufige Weiterbewilligung von Arbeitslosenhilfe vom 23./24.07.2003 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25.08.2003 aus. Die dem entsprechend bis zum 31.12.2003 erfolgten Zahlungen wurden mit an das Bundesverwaltungsamt und den Kläger gerichteten Bescheiden vom 12.01.2004 wegen Renteneintritts des Klägers am 01.01.2004 eingestellt.
Bereits am 27.11.2002 hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf den Änderungsbescheid vom 13.09.2002 sowie die von Seiten der Beklagten erfolgte Aufhebung der im Jahre 1994 ergangenen Abzweigungsentscheidung um Mitteilung gebeten, aus welchen Gründen nunmehr eine Abzweigung i. H. v. EUR 28,35 wöchentlich erfolge. Zugleich hatte er eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Klägers nach Ausstellung des Vollstreckungstitels geltend gemacht.
Die Beklagte wertete dies als Antrag auf Überprüfung des Bewilligungs-Änderungsbescheides vom 13.09.2002 und lehnte die Zurücknahme dieser Entscheidung mit Bescheid vom 29.11.2002 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2003 zurück. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, angesichts des rechtskräftigen und vollstreckungsfähigen Unterhaltstitels sowie in Ermangelung einer rechtserheblichen Verringerung des Einkommens des Klägers müsse sie sich auf die Bindungswirkung berufen.
Am 13.03.2003 hat der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Das Sozialgericht hat das Bundesverwaltungsamt notwendig zum Verfahren beigeladen und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14.05.2004 abgewiesen. Gegenstand des Verfahrens sei die eine Rücknahme des Änderungsbescheides vom 13.09.2002 ablehnende und mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2003 bestätigte Überprüfungsentscheidung der Beklagten vom 29.11.2002. Der später ergangene Weiterbewilligungsbescheid sei demgegenüber nicht gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Verfahrensgegenstand, da er den angefochtenen Bescheid weder abändere noch ersetze und insbesondere einen neuen Bewilligungsabschnitt betreffe. In der Sache hat das Sozialgericht auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die in der Vergangenheit erfolgte Aufhebung einer Abzweigungsentscheidung wegen nicht erkennbarer Ermessensbetätigung stelle die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides vom 13.09.2002 nicht in Frage. Diese Entscheidung ist dem Kläger am 17.05.2004 zugestellt worden.
Am 14.06.2004 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er trägt vor, der der Abzweigungsentscheidung zu Grunde liegende polnische Unterhaltstitel sei rechtswidrig. Seine Inanspruchnahme stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Möglicherweise seien die Ansprüche verjährt. Im Übrigen seien die Ermessenserwägungen der Beklagten zu beanstanden.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Reutlingen vom 13. Mai 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 12. September 2002, 13. September 2002, 14. Januar 2003, 16. April 2003, 23./24. Juli 2003 und 25. August 2003 hinsichtlich der erfolgten Abzweigung von Leistungen i. H. v. EUR 4,05 täglich bzw. EUR 28,35 wöchentlich aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die erfolgte Abzweigung sei als Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. Sofern ein vom Gericht unter Zugrundelegung der "Düsseldorfer Tabelle" mit Blick auf Unterhaltsberechtigungen auch der Ehefrau und der Tochter des Klägers angesprochener Mangelfall vorliege, ergebe sich bezogen auf die Zeit vom 01.09.2002 bis zum 31.12.2003 eine Nachzahlung i. H. v. EUR 974,37.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Er verweist auf die von ihm vorgelegten Unterlagen und trägt ergänzend vor, ein Mangelfall werde angesichts der fehlenden Einkommensnachweise der Ehefrau des Klägers für den maßgeblichen Zeitraum bestritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats die beigezogenen Akten des Sozialgerichts Reutlingen aus dem erstinstanzlichen Klageverfahren und dem vorangegangenen Verfahren S 8 Ar 1669/04 sowie die gleichfalls beigezogenen Leistungsakten der Beklagten (1 Band) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Beteiligt am vorliegenden Verfahren ist neben dem Kläger und der Beklagten die vom Sozialgericht in der Sache - mangels Beteiligtenfähigkeit (§ 70 SGG) des Bundesverwaltungsamts - beigeladene Bundesrepublik Deutschland, die in Unterhaltsverfahren nach dem UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.06.1956 (BGBl.1959 II, 149 ff. i. d. F. d. Art. 4 Abs. 8 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamts für Justiz vom 17.12.2006, BGBl. I, 3171 ff.) seit dem 01.01.2008 nicht mehr vom Bundesverwaltungsamt, sondern vom Bundesamt für Justiz vertreten wird (Art. 4 Abs. 8 i. V. m. Art. 5 d. G. vom 17.12.2006, a. a. O., 3173, 3174). Die Voraussetzungen für eine (notwendige) Beiladung des Sohnes des Klägers (§ 75 Abs. 2 SGG) lagen und liegen nicht vor, nachdem die Beklagte - wie unten weiter auszuführen sein wird - in den zur Überprüfung gestellten Bescheiden keine Abzweigung zu dessen Gunsten, sondern zu Gunsten des Bundesverwaltungsamts vorgenommen hat. Demgemäß ist auch die von Seiten des Sozialgerichts erfolgte Beiladung zutreffend.
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden; denn auf diese Möglichkeit war in der Ladung hingewiesen worden (§ 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Der Kläger erstrebt mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Aufhebung des seinen Antrag nach § 44 SGB X ablehnenden Bescheides vom 29.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2003 sowie eine Verurteilung der Beklagten (allein) zur Aufhebung der ihn belastenden Abzweigung (vgl. zur isolierten Anfechtung von unmittelbar angegriffenen Abzweigungsentscheidungen BSG, Urt. vom 13.07.2006 - B 7 AL 24/05 R -, SozR 4-1200 § 48 Nr. 2 = Breith. 2006, 966 ff.) mit der Folge eines dann in voller Höhe bestehenden Anspruchs auf Auszahlung der bewilligten Leistungen für die Zeit vom 01.09.2002 bis zum 31.12.2003. In diesem Rahmen begehrt er die behördliche Aufhebung nicht nur des von seinem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 27.11.2002 in Bezug genommenen Änderungsbescheides vom 13.09.2002, sondern der Abzweigungsbescheide vom 12.09.2002 und der Abzweigungsentscheidungen in den nachfolgenden Bewilligungs- und Änderungsbescheiden insgesamt. Denn die Bescheide vom 12.09.2002 bilden mit besagten Bewilligungs- und Änderungsbescheiden insoweit eine rechtliche Einheit, als letztere die getroffene Abzweigungsregelung (lediglich) umsetzen (vgl. zu den parallelen Fallgestaltungen eines Sperrzeitbescheides bzw. eines Schreibens über den Eintritt einer Obliegenheitsverletzung nach § 37b SGB III nebst Minderung des Arbeitslosengeldes nach § 140 SGB III a. F. und einer jeweils nachfolgenden Leistungsbewilligung BSG, Urt. vom 09.02.2006 - B 7a/7 AL 48/04 R -, zit. nach juris, sowie Urt. vom 18.08.2005 SozR 4-1500 § 95 Nr. 1 = Breith. 2006, 345 ff.) und sind damit vom Überprüfungsbegehren des Klägers nach § 44 SGB X umfasst. Darauf, ob der Kläger angesichts dessen am 27.11.2002, dem Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens seines Prozessbevollmächtigten vom 22.11.2002 bei der Beklagten, noch fristgerecht hätte Widerspruch gegen die Abzweigung einlegen können, kommt es nicht an. Denn dem genannten Anwaltsschreiben lässt sich - im Ergebnis ohne Nachteil für den Kläger - allenfalls ein von der Beklagten auch angenommener Überprüfungsantrag entnehmen.
Die so gefasste Berufung ist zulässig und begründet. Denn der Kläger hat Anspruch auf Zurücknahme der nach den oben gemachten Ausführungen einheitlichen Abzweigungsentscheidung der Beklagten in den Bescheiden vom 12.09.2002, 13.09.2002, 14.01.2003, 16.04.2003, 23./24.07. 2003 und 25.08.2003. Hierzu ist die Beklagte mithin unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides vom 29.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2003 zu verurteilen.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die materielle Beweislast für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts trägt dabei - auch im Falle abweichender Beweislastverteilung bei Erlass des Ursprungsbescheides - derjenige, der sie geltend macht (vgl. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, RdNr. 30 zu § 44 SGB X).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn die von der Beklagten vorgenommene Abzweigung eines Teilbetrages der dem Kläger vorläufig bewilligten Arbeitslosenhilfe war von Beginn an zu Lasten des Klägers rechtswidrig.
Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Nach § 48 Abs 1 Satz 4 SGB I kann die Auszahlung auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt. Der Zweck des § 48 SGB I liegt nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 7/868 S, 31 zu § 48 SGB I) in einer schnellen Verwirklichung des Unterhaltsanspruchs von Ehegatten und Kindern eines Leistungsempfängers, um finanzielle Notsituationen zu vermeiden. Die Regelung soll vor allem den nächsten Familienangehörigen einen raschen, kostensparenden Zugriff auf die auch teilweise zur Befriedigung ihres Lebensunterhalts dienenden Leistungen ohne die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes und die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen im Zivilprozess ermöglichen (vgl. BSG, Urt. vom 13.07.2006, a. a. O.).
In Anwendung dieser Regelungen verletzt die vorgenommene Abzweigung den Kläger bereits deshalb in seinen Rechten und ist sie mithin von der Beklagten aufzuheben, weil sie ausweislich der Bescheide vom 12.09.2002 (allein) zu Gunsten des den unterhaltsberechtigten Sohn des Klägers lediglich vertretenden, nicht hingegen selbst unterhaltsberechtigten oder dem Sohn Unterhalt gewährenden Bundesverwaltungsamts erfolgt ist. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 01.08.2002 nicht zu einem Abzweigungsantrag seines Sohnes, sondern eines diesem Unterhalt gewährenden Sozialamtes angehört worden war, lässt sich nämlich auch aus den genannten Bescheiden vom 12.09.2002 - die nachfolgenden Änderungs- und Bewilligungsbescheiden geben zu dieser Frage nichts her - keine Abzweigung an den Sohn entnehmen; vielmehr ist ausdrücklich das Bundesverwaltungsamt als Antragsteller und Abzweigungsbegünstigter aufgeführt. In Ermangelung jedweder Anhaltspunkte für eine Abzweigung zu Gunsten des Sohnes des Klägers in den Bescheiden verbietet sich mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X auch eine diesem Zweck entsprechende Auslegung (vgl. zur erforderlichen Bestimmtheit des Abzweigungsbegünstigten BSG, Urt. vom 13.07.2006 - B 7a AL 24/05 R -, SozR 4-1200 Nr. 2 = Breith. 2006, 966 ff.).
Unabhängig davon ist die Abzweigung aber jedenfalls deshalb zu Lasten des Klägers rechtsfehlerhaft, weil die Beklagte insoweit trotz der gem. § 328 SGB III lediglich vorläufig erfolgten und angesichts des eingeschränkten Regelungsgehalts der ergangenen Anpassungs- bzw. Änderungsbescheide (vgl. BSG, Urteil vom 15.08.2002 - B 7 AL 38/01 R -, SozR 3-1300 § 24 Nr. 21 = FEVS 54, 101 ff. = Breith. 2003, 154 ff. = NZS 2003, 500 ff.) unverändert nur vorläufigen Leistungsbewilligung eine endgültige Entscheidung getroffen hat:
Als Auszahlung laufender Geldleistungen an Dritte i. S. des § 48 Abs. 1 SGB I setzt die Abzweigung eine Leistungsberechtigung des Unterhaltsschuldners und mithin eine zu dessen Gunsten ergangene Leistungsbewilligung voraus. Der Umfang der Bewilligung zieht daher - unabhängig von der Frage der Angemessenheit i. S. des i. S. des § 48 Abs. 1 SGB I - die äußere Grenze für die Zulässigkeit der Abzweigung.
Diese Grenze ist hier aber deshalb überschritten, weil die ohne einschränkende Nebenbestimmung (endgültig) verfügte Abzweigung in ihrem rechtlichen Geltungsanspruch über die gem. § 328 SGB III lediglich vorläufig erfolgte Leistungsbewilligung hinausgeht. Denn die vorläufige Leistungsbewilligung erzeugt als einstweilige Regelung keine Bindung in Bezug auf die Voraussetzungen des ihr zu Grunde liegenden Leistungsanspruchs (vgl. Gagel, SGB III, Stand September 2007, Rdnr. 36 zu § 328); sie kann daher im Falle ihrer Unrichtigkeit jederzeit und ohne Bindung an die Voraussetzungen und Fristen der § 44 ff. SGB X durch eine endgültige Entscheidung nach § 328 Abs. 2 SGB III ersetzt werden (vgl. Niesel, SGB III, 4. Aufl. 2007, Rdnr. 19 zu § 328). Demgegenüber entfaltet die nicht entsprechend beschränkte Abzweigung als von vorn herein endgültige Entscheidung für die Beteiligten mit Eintritt der Bestandskraft Bindungswirkung und kommt insoweit eine Aufhebung oder Abänderung nach Eintritt der Bestandskraft nur noch in Anwendung der § 44 ff. SGB X in Betracht.
Diese qualitative Überschreitung des Umfangs der Leistungsbewilligung durch die verfügte Abzweigung verletzt den Kläger in seinen Rechten. Insbesondere mit Blick auf die Fristen der §§ 44 Abs. 4, 48 Abs. 4 SGB X besteht nämlich im Falle der Verschlechterung der Leistungsbewilligung - durch Ersetzung der vorläufigen durch eine ihm ungünstigere endgültige Bewilligungsentscheidung - die Gefahr, dass sich der Kläger auf die drittbegünstigende Bindungswirkung selbst einer i. S. des i. S. des § 48 Abs. 1 SGB I unangemessenen Abzweigung verweisen lassen muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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