L 1 U 814/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 1766/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 814/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. November 2006 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Schwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen ist.

Der 1958 geborene Kläger machte mit dem am 05.03.2003 eingegangenen Schreiben bei der damaligen E.- und U.-Berufsgenossenschaft, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten - im folgenden nur noch Beklagte -, eine Hörminderung als Berufskrankheit geltend. Der Kläger war seit 1974 mit Unterbrechungen bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. Eigenen Angaben zufolge war er in den Beschäftigungsverhältnissen von Januar 1976 bis Februar 1984 und zuletzt von 1998 bis 31.10.2001 lärmgefährdet eingesetzt (Angaben des Klägers im Vordruck vom 17.06.2003). Vom 05.07. bis 30.11.2001 - mit Ausnahme der Werktage vom 24. bis 27.09.2001 – war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig wegen Angst und depressiver Störung erkrankt (Leistungsverzeichnis der Innungskrankenkassen C.-N.-N. vom 08.07.2003). Seit November 2001 ist der Kläger berentet.

Die Präventionsabteilung der Beklagten errechnete für die Tätigkeit des Klägers vom November 1998 bis einschließlich November 2001 bei der Firma W. T. GmbH (Bericht vom 02.02.2004) für den Zeitraum bis Oktober 2000 einen Lärmbelastung von 87 dB(A) und von November 2000 bis einschließlich November 2001 eine Lärmbelastung von 84 dB(A); für die Tätigkeit des Klägers von Januar 1976 bis 01.10.1976 bei der Firma R. wie auch für die Tätigkeit von Oktober 1976 bis April 1980 bei der Firma Z. wurde im ergänzenden Aktenvermerk vom 22.03.2004 ein Beurteilungspegel von 90 bis 95 dB(A) errechnet.

Dr. M. diagnostizierte im Februar 2003 beim Kläger eine beidseitige mittelgradige pancochleäre Schallperzeptionsschwerhörigkeit ohne für einen Lärmhörschaden typische Hochtonschwerhörigkeit. Es liege eine kombinierte Ursache der Schwerhörigkeit vor (Arztbrief von Dr. M. vom 26.02.2003). In dem von der Beklagten veranlassten HNO-ärztlichen Gutachten vom 14.05.2004 mit Ergänzung vom 09.06.2004 bewertete Dr. K. die von ihm diagnostizierte beidseitige, mittelgradige, reine Innenohrschwerhörigkeit mit pancochleärem horizontalem Kurvenverlauf ohne Senke bei 4000 Hz als teilweise berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit. Die Lärmbelastung sei geeignet, eine gewisse Hörschädigung zu verursachen, sei jedoch als alleinige Ursache bei dem vorliegenden Ausmaß der Hörschädigung nicht wahrscheinlich. Die Ergebnisse der Hörprüfungen sprächen für einen überwiegend lärmunabhängigen Anteil der Schwerhörigkeit. Er gehe von einer Gesamt-MdE durch den Hörschaden von 35 v.H. aus, wobei ein Anteil von 15. v.H. dem berufsbedingten Hörverlust einschließlich der darin integrierend eingeflossenen MdE von fünf v.H. für den angegebenen Tinnitus zuzurechnen sei. Der Tinnitus sei nur teilweise als störend angegeben worden, eine Bestimmung oder Vertäubung sei im Tonaudiogramm nicht möglich gewesen. Als Beginn der Hörschädigung sei der Zeitpunkt der Lärmmeldung Anfang 2003 anzunehmen, es sei jedoch davon auszugehen, dass die Schädigung bereits 2001 bestanden habe, da eine Progredienz einer lärmbedingten Innenohrschädigung nach Beendigung der Lärmarbeit nicht angenommen werden könne. Ein Zusammenhang zwischen Ohrgeräuschen und teilweise lärmbedingter Innenohrschädigung sei wahrscheinlich, da keine andere Ursache nachzuweisen sei und ein lärmbedingter Haarzellschaden Ohrgeräusche bedingen könne.

In ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 09.08.2004 schlug die Gewerbeärztin Dr. G. eine Berufskrankheit im entschädigungspflichtigen Ausmaß nicht zur Anerkennung vor, weil das vorgelegte Audiogramm für eine Lärmschwerhörigkeit außerordentlich untypisch sei. Da eine Abgrenzung des lärmbedingten vom nicht lärmbedingten Hörschaden nicht möglich sei, aber der größte Teil der Schwerhörigkeit nicht lärmbedingt sei, könne eine MdE nicht anerkannt werden.

Mit Bescheid vom 27.08.2004 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Liste ab. Ansprüche auf Entschädigungsleistungen bestünden nicht. Der erhobene Befund sowie die Entwicklung und der Verlauf der Schwerhörigkeit sprächen gegen eine berufliche Verursachung. Einerseits sei die nur moderate Lärmexposition nicht geeignet gewesen, einen pantonalen, d. h. alle Frequenzen umfassenden, Gehörschaden zu verursachen. Weiterhin sei die Schwerhörigkeit erst zum Ende der beruflichen Tätigkeit im Jahr 2001 bemerkt worden. Auch der behandelnde Arzt habe mitgeteilt, dass eine für einen Lärmschaden sonst typische Hochtonschwerhörigkeit nicht bestehe. Selbst bei Annahme, dass die berufliche Lärmexposition einen gewissen Anteil an der Schwerhörigkeit verursacht habe, könne der beruflich bedingte Anteil infolge fehlender, während der beruflichen Tätigkeit entstandener Unterlagen nicht abgegrenzt werden. Ein solcher möglicher Anteil würde auch nach Ansicht des Gutachters Dr. K. kein Ausmaß der MdE in rentenberechtigender Höhe von mindestens 20 v.H. erreichen.

Der Kläger hat hiergegen Widerspruch eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das durch Vergleich vor dem Arbeitsgericht Stuttgart zum 30.11.2001 beendete Arbeitsverhältnis bei der Firma W. T. sei wegen seiner Erkrankung beendet worden – vorgelegt wurde hierzu das Protokoll über die öffentliche Sitzung am Arbeitsgericht Stuttgart vom 16.11.2001 (Az.: 30 Ca9753/01) und das ärztliche Attest von Dr. H. vom 16.01.2002 – und die Schwerhörigkeit habe bereits ab 1981 bestanden. Soweit der Gutachter angebe, dass die Schwerhörigkeit erst ab 2001 bemerkt worden sei, handele es sich um ein Missverständnis. Ab 2001 sei die Schwerhörigkeit besonders gravierend gewesen. Entgegen der Meinung des Gutachters Dr. K. sei der beruflich bedingte Anteil der Lärmschwerhörigkeit höher als von ihm angenommen, allenfalls 15 Prozent könnten als nicht berufsbedingt eingestuft werden. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2005 zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 24.03.2005 Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart erhoben und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 04.10.2005 mangels Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt. Die Beschwerde des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 20.02.2006 zurückgewiesen (L 1 U 250/06 PKH-B).

Mit Urteil vom 29.11.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach den Darlegungen des Gutachters Dr. K. und der staatlichen Gewerbeärztin Dr. G. zeige sich ein lärmuntypischer Verlauf der Hörschwellenkurve mit pantonalem Hörverlust ohne typische Senke bei 4000 Hertz. Hörverluste im Tief- und Mitteltonbereich seien erst nach jahrzehntelanger Lärmexposition zu erwarten. Ob bis zum Ende der Lärmarbeit 1980 beim Kläger ein solch typisches Schadensbild vorgelegen habe, sei jedoch nicht bewiesen. Tonaudio-metrische Untersuchungen aus dieser Zeit gebe es nicht. Sofern ab diesem Zeitpunkt eine kontinuierliche Verschlechterung des Hörvermögens aufgetreten sei, wie der Kläger behaupte, könne dies nicht auf Lärmarbeit beruhen, da eine solche erst ab 1998 wieder aufgenommen worden sei. Diese sei auch nur für zwei Jahre verrichtet worden. Nach Ende der Lärmarbeit trete nach arbeitsmedizinischen Erfahrungen aber eine Progredienz der Lärmschädigung nicht auf.

Gegen das dem nicht mehr anwaltlich vertretenen Kläger mit Postzustellungsurkunde am 08.01.2007 zugestellte Urteil hat er am Freitag den 09.02.2007 beim Sozialgericht Stuttgart "Widerspruch" eingelegt. Das Sozialgericht hat das Schreiben als Berufung dem Landessozialgericht vorgelegt.

Der Kläger hat die Berufung nicht näher begründet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er angegeben, das Schreiben vom 06.02.2007 als Einschreiben versandt zu haben. An den Absendetag könne er sich nicht mehr erinnern. Einen Beleg habe er nicht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.11.2006 und den Bescheid vom 27.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2005 aufzuheben und die Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen sind die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte wird verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unzulässig. Die Berufung ist nicht fristgerecht eingelegt worden.

Gem. § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Landessozialgericht einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim SG eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Das angefochtene Urteil ist am 08.01.2007 mit Postzustellungsurkunde dem Kläger zugestellt worden (§ 63 Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 174 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Berufungsfrist begann somit am 09.01.2007 zu laufen (§ 64 Abs. 1 SGG). Das Ende der Monatsfrist war somit der 08.02.2007, der ein Werktag war (§ 64 Abs. 2 SGG). Der als Berufung auszulegende Widerspruch des Klägers im Schreiben vom 06.02.2007 ist am 09.02.2007 beim Sozialgericht und damit erst nach Fristablauf eingegangen.

Dem Kläger ist wegen der Versäumung der Berufungsfrist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

War jemand ohne Verschulden gehindert, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm gem. § 67 Abs. 1 SGG, der nach § 153 Abs. 1 SGG auch für das Berufungsverfahren entsprechend gilt, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gem. § 67 Abs. 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

Die Voraussetzungen einer von Amts wegen zu gewährenden Wiedereinsetzung liegen nicht vor. Wiedereinsetzungsgründe sind nicht geltend gemacht worden. Solche sind auch nicht erkennbar.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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