L 20 B 8/08 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AS 88/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 8/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zu den Kosten der Klassenfahrt (Skifreizeit) gehören auch die unmittelbaren Kosten für die Skiausrüstung (Helm).
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 10.01.2008 geändert und neu gefasst:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zusätzlich zu den in Ausführung des Bescheides vom 18.12.2007 für die Klassenfahrt des Antragstellers vom 08. bis 16.02.2008 bereits gezahlten 265,00 EUR weitere 34,00 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der am 00.00.1994 geborene Antragsteller lebt bei seiner Mutter. Beide stehen als Bedarfsgemeinschaft im laufenden Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei der Antragsgegnerin.

Vom 08. bis 16.02.2008 wird der Antragsteller an einer Skifreizeit seiner Schulklasse in Österreich teilnehmen. Mit Schreiben vom 12.12.2007 gab die Schule hierfür Kosten i.H.v. 265,00 EUR an. Während der Freizeit werde volle Verpflegung einschließlich Getränke gewährt; am Abreisetag gebe es ein Frühstück. Eine Skisausrüstung könne einschließlich Versicherung für (zusätzlich) 28,00 EUR ausgeliehen werden, ein Skihelm bei in Österreich derzeit noch nicht bestehender Helmpflicht für 6,00 EUR. Als "nützliche Hinweise für die Reise" wird u.a. auf Sonnen- bzw. Skibrille, Sonnenschutz, Lippenschutz (z.B. Labiosan), Skihandschuhe (Microfaser), Skihose oder -anzug, Skiunterwäsche (z.B. Gymnastikhose aus Baumwolle) und Skisocken hingewiesen. Taschengeld (ca. 20,00 EUR) sei nur für Getränke und den persönlichen Bedarf erforderlich; die Grundversorgung sei im Preis inbegriffen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben der Schule vom 12.12.2007 Bezug genommen.

Der durch seine Mutter vertretene Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 12.12.2007 bei der Antragsgegnerin die Übernahme der folgenden Kosten: Reisekosten 265,00 EUR, Leihgebüren 28,00 EUR zzgl. 6,00 EUR, Medikamentenkosten 3,10 EUR (Labiosan), Funktionskleidung 57,26 EUR sowie Taschengeld 20,00 EUR (Summe: 379,36 EUR). Hinzu kämen noch Kosten für eine "Funktionsbrille mit Dioptrien und UV-Schutz", deren Kosten noch nicht feststünden. Er bat um Bewilligung bis zum 18.12.2007. Mit weiterem Schreiben vom 13.12.2007 teilte er mit, er nehme die bis zum 18.12.2007 gesetzte Frist zurück und setze eine Frist zur Überweisung bis zum 15.12.2007.

Am 17.12.2007 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung der "erforderlichen Kosten" für die Klassenfahrt. Er wies u.a. darauf hin, er müsse sich für die Fahrt bis zum 19.12.2007 anmelden; der Teilnahmebetrag von 265,00 EUR müsse bis zum 04.01.2008 bezahlt werden. Der Antragsteller brachte etliche Quittungen über die Anschaffung von Ski-Bekleidung und den Lippenschutz Labiosan bei; auf diese Quittungen wird Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 18.12.2007 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen für die Klassenfahrt nach § 23 Abs. 3 SGB II i.H.v. 265,00 EUR.

Nachdem sich für den Antragsteller ein Rechtsanwalt bestellt hatte, beantragte der Antragsteller die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung weiterer 125,31 EUR. Zu den bereits im Antrag genannten einzelnen Kostenbestandteilen gab er nun weitere 10,95 EUR für Augen-UV-Schutz (Aufsatz für seine Brille lt. Rechnung der Fa. Fielmann) an.

Die Antragsgegnerin lehnte eine Übernahme der Leihgebühren für Skier und Helm, der Kosten für Lippen- und Augen-UV-Schutz, für Funktionskleidung und das Taschengeld ab; diese Kosten seien bereits mit den Regelleistungen nach § 20 Abs. 1 SGB II abgedeckt. Auch eine Darlehensgewährung nach § 23 Abs. 1 SGB II komme nicht in Betracht; die benötigten Gegenstände seien offenbar schon gekauft werden und hätten darüber hinaus vorrangig in Kleiderkammern oder Gebrauchtwarenlagern beschafft werden können.

Mit Beschluss vom 10.01.2008 hat das Sozialgericht, das der Antragstellerin zuvor Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I aus C bewilligt hatte, die Antragsgegnerin vorläufig zur Leistung eines weiteren Betrages von 28,00 EUR (Leihgebühren Skiausrüstung) verpflichtet. Ein Anspruch hinsichtlich der Leihgebühr für einen Helm (6,00 EUR) bestehe mangels in Österreich geltender Helmpflicht für Kinder jedoch nicht. Auch ein Taschengeld sei kein zwingender Bedarf für die Skifreizeit, weil es dem persönlichen Bedarf diene und keine speziell durch die Klassenfahrt veranlassten Kosten darstelle. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf Proviantkosten für die Rückreise verweise, sei darauf hinzuweisen, dass die Schüler während der Freizeit voll verpflegt würden. Hinsichtlich der Kosten für Funktionskleidung, Lippen- und Augen-UV-Schutz könne dahinstehen, ob ein Anspruch auf Übernahme bestehe; denn da diese Gegenstände bereits angeschafft worden seien, bestehe jedenfalls kein Anordnungsgrund.

Gegen den am 14.01.2008 zugestellten Beschluss hat der durch seine Mutter vertretene Antragsteller zur Niederschrift des Sozialgerichts am 14.01.2008 Beschwerde erhoben. Er begehrt eine weitergehende Verpflichtung der Antragsgegnerin sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I für das Beschwerdeverfahren. Er trägt vor, die bereits erfolgte Verauslagung eines Betrag (76,21 EUR) zur Anschaffung von Funktionskleidung und Hautschutz sei zu Lasten einer eigentlich am 03.12.2007 fälligen Nebenkostenrechnung des Vermieters geschehen, da keine Rücklagen vorhanden gewesen seien. Der Vermieter könne jetzt aber nicht viele Monate hingehalten werden. Bei den Anschaffungen seien Sonderangebote etwa von Aldi und Tchibo genutzt worden, um die Ausgaben so gering wie möglich zu halten. Taschengeld sei etwa nötig, weil nach dem Schreiben der Schule vom 12.12.2007 Telefonkarten für öffentliche Telefone gekauft werden sollten, um mit den Eltern Kontakt zu halten. Für die Rückreise sei ebenfalls Proviant vom Schüler zu kaufen, da dann keine Vollverpflegung mehr bestehe. Der Hinweis im Schreiben der Schule auf eine in Österreich fehlende Helmpflicht sei falsch; unabhängig davon sei jedenfalls ein Skilaufen für Kinder ohne Helm zu gefährlich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin hält demgegenüber einen Anspruch auf Leistungen für die Ausleihe eines Helmes, Taschengeld, Funktionskleidung sowie Haut-, Lippen- und Sichtschutz für nicht glaubhaft gemacht.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nur zu einem geringen Teil begründet.

1. Zusätzlich zu den bereits vom Sozialgericht zugesprochenen Leistungen i.H.v. 28,00 EUR für die Ausleihe einer Skiausrüstung geht der Senat bei summarischer Prüfung davon aus, dass der Antragsteller weitere 6,00 EUR für die Ausleihe eines Helms beanspruchen kann. Denn auch dieser Helm gehört zu den notwendigen Ausrüstungsgegenständen (einzig) vor Ort in Österreich, ohne die die Teilnahme an der mehrtägigen Klassenfahrt für den Antragsteller nicht zumutbar erscheint. Kosten auch für den Helm sind deshalb in gleicher Weise wie die Kosten für die Skiausrüstung unmittelbar und einzig durch die Klassenfahrt veranlasst. Dem Senat erscheint für den Antragsteller dabei ein Verzicht auf einen Helm bei summarischer Prüfung nicht zumutbar: Ob in Österreich tatsächlich derzeit noch keine Helmpflicht für skilaufende Kinder/Jugendliche im Alter des Antragstellers besteht, kann offenbleiben. Es entspricht jedenfalls der Lebenserfahrung, dass das Tragen eines Helms bei Personen im Alter des Antragstellers, die im Rahmen einer Klassenfahrt gemeinsam mit Mitschülern und in der Regel ungeübt Ski laufen, aus Sicherheitsgründen geboten erscheint. Es ist deshalb ungeachtet der genauen rechtlichen Regelung in Österreich jedenfalls nicht zumutbar, die - geringen - Kosten für diese Sicherheitsausstattung bei Empfängern von Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB II unberücksichtigt zu lassen.

2. Über diesen weiteren streitigen Leistungsbetrag von 6,00 EUR hinaus ist die Beschwerde des Antragstellers jedoch unbegründet.

a) Soweit er das von der Schule mit einer Höhe von 20,00 EUR vorgeschlagene Taschengeld als Leistung begehrt, scheidet dies bei summarischer Prüfung schon deshalb aus, weil ein Taschengeld aus der Regelleistung i.S.d. § 20 SGB II zu bestreiten ist. Sofern der Antragsteller darauf verweist, die Schule habe in ihrem Schreiben vom 12.12.2007 den Kauf von örtlichen Telefonkarten angeraten, so ist dieser Hinweis ausdrücklich deshalb erfolgt, um überraschend hohe Handykosten (Telefonate aus dem Ausland) von vornherein zu vermeiden. Unbeschadet der Frage, ob häufiger Telefonkontakt zum Elternhaus im Alter des Antragstellers, der während der Skifreizeit 14 Jahre alt wird, überhaupt notwendig erscheint, ist ein solcher Kontakt jedenfalls ggf. aus der pauschalen Regelleistung zu finanzieren. Denn auch wenn der Antragsteller nicht auf Klassenfahrt ist, hat er Telekommunikationskosten aus der Regelleistung zu bestreiten. Gleiches gilt für den Proviant, den der Antragsteller (was das Sozialgericht übersehen hat) im Anschluss an das Frühstück am Abreisetag für die Heimfahrt benötigt. Denn insofern handelt es sich um einen maximal eintägigen Ernährungsaufwand; Aufwendungen für Ernährung sind jedoch mit der Regelleistung bereits abgedeckt. Sowohl hinsichtlich der Telefonkosten als auch des Proviants für die Rückreise kann dagegen nicht etwa eingewandt werden, diese seien teurer als während eines Aufenthalts im Elternhaus. Der pauschalierte Charakter der Regelleistung verpflichtet den Antragsteller insofern, derartige zwischenzeitliche "Spitzen" in seinen Kosten für Telefon und Ernährung über die Zeit auszugleichen. Wollte man diese "Spitzen" als durch die Klassenfahrt verursachten Sonderbedarf ansehen, liefe dies bei summarischer Prüfung dem Pauschalisierungsgrundsatz bei der Regelleistung (näher hierzu Urteil des Senats vom 03.12.2007 - L 20 AS 2/07) zuwider; diese Pauschalierung bewirkt im Übrigen gleichsam im "Gegenzug", dass dem Antragsteller für die Zeit, in der er in Österreich (von der Beklagten über die Sonderleistung von 265,00 EUR voll finanzierte) Vollverpflegung erhält, keinerlei Abzüge bei der Regelleistung gemacht werden, obwohl bei ihm in dieser Zeit aus der monatlichen Regelleistung zu finanzierende Aufwendungen für Ernährung nicht anfallen.

b) Hinsichtlich der bereits erfolgten Aufwendungen für Ski-Kleidung sowie Haut- bzw. Lippenschutz hat das Sozialgericht zutreffend eine Eilbedürftigkeit für die gerichtliche Entscheidung verneint; dem Antragsteller ist es zumutbar, im Hauptsacheverfahren zu klären, ob ein Anspruch auf Leistungen für diese Anschaffungen unter dem Gesichtspunkt der Aufwendungen für eine mehrtägige Klassenfahrt besteht. Denn diese Anschaffungen sind bereits vor Antragstellung erfolgt. Zwar verweist der Antragsteller darauf, seine Mutter habe mangels Bildung von Rücklagen diese Anschaffungen nur deshalb begleichen können, weil sie eine Nebenkostenabrechnung des Vermieters einstweilen nicht bezahlt habe. Unbeschadet der Frage, ob diese (vom Antragsteller nicht näher belegte) Angabe sowohl hinsichtlich des Ausgabenumfangs für die Nebenkosten als auch der Kausalität für das Nichtbegleichen einer Vermieterforderung zutrifft, handelt es sich mit 76,21 EUR (Kleidung) sowie 10,95 EUR (Sonnenbrille) um einen Gesamtbetrag (87,16 EUR), der innerhalb etwa zweier Folgemonate aus dem Anteil des Regelsatzes aufgebracht werden könnte, der im Regelsatz als Ansparbetrag für nicht laufende, sondern einmalige Bedarfe vorgesehen ist. Insofern ist einstweilen nicht erkennbar, weshalb - bei unsicherer Lage hinsichtlich des Anordnungsanspruchs - zu Lasten der die Leistungen nach dem SGB II finanzierenden Allgemeinheit im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zuerkannt werden sollten, die im Falle des Nichtbestehens eines (im Hauptsacheverfahren gründlicher zu prüfenden) Leistungsanspruches nach § 23 Abs. 3 SGB II mit der Gefahr nur erschwerter Rückholbarkeit behaftet sind. Es ist nicht erkennbar, dass das Zuwarten des Vermieters über eine relativ kurze Frist zu einer für den Antragsteller unzumutbaren Situation führen würde. (Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass, sofern es sich bei der Vermieterforderung um eine Nachzahlung wegen Endabrechnung von Nebenkosten handelt, ggf. zu prüfen wäre, ob insoweit weitere Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erbringen sind, welche allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind.)

c) Hinsichtlich des Augenschutzes mag es zwar überdenkenswert erscheinen, ob mit dem Sozialgericht darauf abgestellt werden kann, auch hier bestehe kein Anordnungsgrund, weil die Anschaffung bereits erfolgt sei. Immerhin ergibt sich aus der Rechnung der Fa. Fielmann, dass die Sonnenbrille erst am 27.12.2007, also zehn Tage nach Antragstellung beim Sozialgericht, vom Antragsteller bestellt wurde. Letztlich kann die Frage nach einem Anordnungsgrund jedoch dahinstehen, da hinsichtlich der Kosten für die Sonnenbrille bei summarischer Prüfung jedenfalls kein Anordnungsanspruch besteht. Denn die Aufstecksonnenbrille ist kein speziell und allein für die Durchführung der Klassenfahrt benötigter Gegenstand, sondern kann im Anschluss an die Klassenfahrt vom Antragsteller weiterverwendet werden. Es spricht deshalb vieles dafür, dass die Sonnenbrille als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht allein für die Klassenfahrt aus der Regelleistung zu finanzieren ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Da der Antragsteller nur mit einem Betrag von deutlich unter 10 v.H. im Beschwerdeverfahren obsiegt, erscheint eine Kostenbelastung der Antragsgegnerin für das Beschwerdeverfahren nicht angebracht. Im Übrigen ist anzumerken, dass wegen der Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens und der bisher im Beschwerdeverfahren unterbliebenen Einschaltung eines Rechtsanwaltes insoweit auch keine Anwaltskosten auf den Antragsteller zukommen. Für das erstinstanzliche Verfahren gilt weiterhin die vom Sozialgericht getroffene Kostenentscheidung.

III. Ein Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren besteht nicht. Hinsichtlich der Leihgebühr für einen Helm kann der Senat die Antragsgegnerin bereits ohne bisherige anwaltliche Vertretung des Antragstellers im Beschwerdeverfahren verpflichten, so dass eine weitere anwaltliche Vertretung zur Rechtsverfolgung nicht notwendig erscheint. Hinsichtlich der mit der Beschwerde weiter geltend gemachten Leistungen besteht aus den zu II.2. genannten Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung i.S.v. § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung, so dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausscheidet.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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