L 16 R 295/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 R 5035/04 It
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 295/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 7. März 2006 und des Bescheides der Beklagten vom 06.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2004 verurteilt, dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.11.2004 auf Dauer und Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.05.2005 auf Dauer zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel seiner außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1947 geborene Kläger, italienischer Staatsangehöriger, legte in der Bundesrepublik Deutschland von April 1964 bis März 2002 - ausgenommen die Versicherungslücke von Januar bis März 1996 - rentenrechtliche Zeiten zurück. Überwiegend war er in einer Pizzeria tätig. Zuletzt war er als selbstständiger Gastwirt bis 31.03.2002 (täglich von 16 bis 1 Uhr) versicherungspflichtig beschäftigt. Nach der letzten deutschen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 28.03.2002 war er ab 11.03.2002 wegen einer zerebrovaskulären Insuffizienz, einer Hypertonie und einem depressiven Syndrom arbeitsunfähig erkrankt. Wegen seiner Krankheit gab er mit Wirkung zum 31.03.2002 seinen gesamten Betrieb vollständig auf und meldete ihn ab. Er kehrte nach Italien zurück und verrichtete dort wegen seiner Gesundheitsstörungen keine Tätigkeiten mehr; er war arbeitslos ohne Bezug von Sozialleistungen oder Rente. In Italien wurden keine Beitragszeiten zurückgelegt. Am 24.10.2005 erlitt er einen Hirnschlaganfall mit rechter halbseitiger Lähmung.

Am 03.09.2002 beantragte er über den italienischen Versicherungsträger bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung aus der deutschen Rentenversicherung. Der Antragsübersendung war ein in Italien erholtes ärztliches Gutachten vom 08.10.2002 beigefügt, wonach der Kläger teilweise erwerbsgemindert sei. Nach Auswertung dieses Gutachtens durch den sozialärztlichen Dienst der Beklagten lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 06.05.2004 ab, weil der Kläger trotz der bestehenden Gesundheitsstörungen Bluthochdruck und depressiv gefärbtes Angstsyndrom noch leichte Arbeiten ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne Schichtbedingungen und ohne besonderen Zeitdruck mindestens 6 h täglich ausüben könne. Er sei deshalb weder teilweise noch voll erwerbsgemindert.

Der dagegen unter Vorlage ärztlicher Unterlagen erhobene Widerspruch wurde nach Einholung einer sozialärztlichen Stellungnahme hierzu mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2004 als unbegründet zurückgewiesen. Denn es verbleibe bei der bisherigen Leistungsbeurteilung. Der Kläger könne nach kurzfristiger Einarbeitung noch leichte Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Maschinenarbeiten mindestens 6 h täglich verrichten. Diese Arbeiten seien ihm nach seinem bisherigen Berufsbild sozial zumutbar.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg verfolgte der Kläger unter Vorlage zahlreicher ärztlicher Unterlagen sein Begehren der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung weiter. Das Sozialgericht zog zur Ermittlung des Sachverhalts einen Befundbericht von Dr. M. mit zahlreichen Fremdbefunden bei und holte hierzu Stellungnahmen der Beklagten ein. Dr. W., Internist und Sozialmediziner des sozialärztlichen Dienstes der Beklagten, stellte fest, dass die zahlreich mitgeteilten echokardiographischen und dopplerechokardiographischen Messwerte nicht für eine belangvolle Einschränkung der Herzfunktion sprechen würden. Klinische und technische Untersuchungsbefunde seien unzureichend dokumentiert. Aufgrund einer nervenärztlichen Untersuchung sei zwar die Diagnose einer depressiven Neurose gestellt, aber psychopathologische Befunde seien nicht mitgeteilt.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 7. März 2006 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Kläger auf Grund der vorgelegten ärztlichen Unterlagen und deren kompetenter Auswertung durch den Internisten Dr. W. vom sozialärztlichen Dienst der Beklagten nicht erwerbsgemindert sei. Nach dieser überzeugenden Stellungnahme bestehe beim Kläger keine rentenbedeutsame Einschränkung der Herzfunktion. Dies werde auch bestätigt durch die Bescheinigung des Kardiologen Dr. C. vom 16.09.2005, dass der Kläger sich in keiner genau zu beschreibenden kardiologischen Therapie befinde, und durch den Bericht des Zentrums für Medizin und Radiologie vom 07.12.2005, dass bei dem Kläger keine Stenosen vorlägen. Da die den Kläger behandelnde Neurologin Dr. C1 und Dr. G1 keine psychopathologischen Befunde, die die Diagnose einer depressiven Neurose sowie einer Anpassungsstörung stützen könnten, mitteilten, und keine Anhaltspunkte für eine fehlende Überwindbarkeit der seelischen Störungen des Klägers nach Ausschöpfung aller Therapiemöglichkeiten vorlägen, sei das Leistungsvermögen des Klägers auch auf nervenfachärztlichem Fachgebiet nicht in rentenbedeutsamer Weise eingeschränkt. Auf Grund der überzeugenden Stellungnahmen der Beklagten durch Dr. W. und wegen des fehlenden weiteren Sachvortrages des Klägers zum Vorliegen einer psychischen Erkrankung habe sich das Sozialgericht nicht gedrängt fühlen müssen, von Amts wegen Gutachten einzuholen. Da der Kläger, der zuletzt als selbstständiger Gastwirt tätig gewesen sei, keine Lehrzeit von mindestens drei Jahren oder eine Anlernzeit von zwei Jahren absolviert habe, sei er weder als Facharbeiter noch als oberer Angelernter einzustufen und daher auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Dagegen hat der Kläger unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen Berufung eingelegt mit der Begründung, dass er nach Ansicht seines Vertrauensarztes Dr. M. 100% invalide sei und daher keiner Arbeit nachgehen könne.

Der Senat hat über den Gesundheitszustand und das berufliche Leistungsvermögen des Klägers Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nach Aktenlage von Dr. G2, Internist und Sozialmediziner. Dieser stellt in seinem Gutachten vom 03.03.2007 sowie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.03.2007 folgende Gesundheitsstörungen ab September 2002 fest: 1. Arterieller Bluthochdruck mit hypertensiver Herzkrankheit sowie zeitweiliger zerebraler Symptomatik 2. Schwerwiegende Hypercholesterinämie 3. Adipositas 4. Hyperurikämie 5. Schäden am Skelettsystem (Wirbelsäule, rechtes Kniegelenk) 6. Rezidivierende depressive Störung bei Alkoholproblematik 7. Beidseitige Schwerhörigkeit. Seit 24.10.2005 lägen auf Grund einer intrazerebralen Blutung eine Hemiplegie rechts und erhebliche kognitive Beeinträchtigungen vor. Ab Antragstellung im September 2002 bis 28.10.2004 habe der Kläger noch leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung oder überwiegend im Sitzen und in geschlossenen Räumen mindestens 6 h täglich verrichten können. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefährdung, unter übermäßiger nervlicher Belastung, mit stärkeren Belastungen des Stütz- und Bewegungsapparates und mit besonderen Anforderungen an das Hörvermögen gewesen. Den zuletzt ausgeübten Beruf als Gastwirt habe er bereits ab 11.03.2002 nicht mehr mindestens 6 h täglich ausüben können. Da sich das Bluthochdruckleiden und die depressive Störung im Laufe der Jahre zunehmend verschlechtert hätten (nach den Berichten von Dr. M. vom 01.02.2005 und des Nationalen Gesundheitsdienstes vom 30.11.2004, in dem die depressive Störung bei einen Betreuungsbeginn am 29.10.2004 als schwer bezeichnet wurde), habe ab 29.10.2004 eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Leistungsvermögens bestanden, die nur noch 3 bis unter 6 h täglich leichte körperliche Tätigkeiten zugelassen hätten. Ab dem Hirnschlaganfall am 24.10.2005 sei das Leistungsvermögen des Klägers aufgehoben.

Auf Aufforderung des Senats hat der Kläger weitere ärztliche Unterlagen für den Zeitraum von April 2002 bis September 2005 vorgelegt. Der ihn behandelnde Chirurg Dr. M. bescheinigt, dass der Kläger seit April 2002 in seiner therapeutischen Behandlung stehe und sich sein Allgemeinzustand seit April 2002 bis heute wesentlich verschlechtert habe. Dr. Samperisi bestätigt eine von Dezember 2002 bis Februar 2006 dauernde Behandlung wegen ischämischer Kardiopathie. Nach der Bescheinigung von Dr. G1, Chirurg und Spezialist für Psychiatrie und Psychotherapie, leide der Kläger an einem schweren psychiatrischen Syndrom mit Verwirrtheit etc ... Dieser Zustand gehe bis April 2002 zurück und habe trotz der Behandlung mit Medikamenten einen sich verschlimmernden chronischen Verlauf angenommen. Es hätten ausgeprägte depressive Störungen mit Neigung zum Chronischen, auch im Zusammenhang mit der zuvor bestandenen Alkoholabhängigkeit vorgelegen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. März 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 06.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Denn selbst wenn aufgrund der sozialärztlichen Stellungnahme von Dr. W., der sich den Ausführungen von Dr. G2 insoweit anschließt, als ab Betreuungsbeginn am 29.10.2004 von einem Leistungsvermögen von 3 bis unter 6 h und ab 24.10.2005 von einem Leistungsvermögen von unter 3 Stunden täglich auszugehen sei, ein Versicherungsfall der Erwerbsminderung am 29.10.2004 anerkannt werden würde, könne wegen der fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen keine Rente gewährt werden. Im maßgeblichen 5-Jahreszeitraum vom 29.10.1999 bis 28.10.2004 seien nämlich nur 30 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Auf Grund der Ausführungen von Dr. W. liege bei einem tatsächlich eingeschränkten Leistungsvermögen des Klägers als Gastwirt noch keine Arbeitsunfähigkeit im Sinn der gesetzlichen Krankenversicherung vor; es wäre nämlich nicht verständlich, warum der Kläger dann dennoch ab Antragstellung bis 28.10.2004 einer mindestens 6-stündigen Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Für den Zeitraum bis Oktober 2004 gebe es nach Ansicht von Dr. W. keine verlässlichen medizinischen Untersuchungsbefunde, an Hand derer ein Beginn des zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder eine Arbeitsunfähigkeit vor Oktober 2004 nachgewiesen werden könne. Auch wenn Dr. G2 ab Antragstellung für die ausgeübte Tätigkeit als Gastwirt ein unter 6-stündiges Leistungsvermögen annehme, so bestehe für die Tätigkeit als Gastwirt kein Berufsschutz.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte statthafte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie hat in der Sache überwiegend Erfolg.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.11.2004 auf Dauer und wegen voller Erwerbsminderung ab 01.05.2005 auf Dauer. Insoweit waren das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. März 2006 und der Bescheid der Beklagten vom 06.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2004 abzuändern. Soweit der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung ab einem früheren Zeitpunkt begehrt, war die Berufung zurückzuweisen.

Nach § 43 SGB VI des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll (teilweise) erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor dem Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger ab 01.11.2004. Für den davor liegenden Zeitraum ab der Antragstellung bis Oktober 2004 ist er weder berufsunfähig im Sinn des § 240 SGB VI noch teilweise oder voll erwerbsgemindert im Sinn von § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI.

Teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit sind gemäß § 240 Abs.2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behin¬derung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, gei¬stig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden täglich gesunken ist. Der Kreis der Tätigkei¬ten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dau¬er und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs.1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Nach der in Rechtsfortbildung der Versicherungsfälle der verminderten Erwerbsfähigkeit durch das Bundessozialgericht entwickelten und vom Gesetzgeber auch durch das EMRefG gebilligten (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI) Arbeitsmarktrente ist der Versicherte darüber hinaus auch voll erwerbsgemindert, wenn das Leistungsvermögen auf unter sechs Stunden ab¬gesunken ist und der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist, weil der Versicherte keinen zumutbaren Arbeitsplatz innehält (Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, SozR 3-2600 § 44 Nr.8). Dies gilt gemäß § 110 Abs. 2 und 3 SGB VI i.V.m. der EWG-VO 1408/71 auch für Versicherte mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat der EG; § 112 SGB VI ist nicht anwendbar. Denn nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 der EWG-VO 1408/71 sind Berechtigten, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, die Leistungen wie einem Deutschen zu erbringen. Nach der Gebietsgleichstellungsklausel des Art. 10 Abs. 1 der VO dürfen Leistungen nicht gekürzt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt.

Nach dem Beweisergebnis des Gutachtens von Dr. G2 vom 03.03.2007 ist das Leistungsvermögen des Klägers ab dem Betreuungsbeginn am 29.10.2004 auf 3 bis unter 6 h und ab dem Hirnschlaganfall am 24.10.2005 auf unter 3 h täglich abgesunken. Dieser Einschätzung folgt auch Dr. W. vom sozialärztlichen Dienst der Beklagten.

Der Kläger erfüllt auch die allgemeinen Wartezeit und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Er hat zwar, ausgehend von einem Leistungsfall der Erwerbsminderung am 29.10.2004, in dem letzten 5-Jahreszeitraum vom 29.10.1999 bis 28.10.2004 nur 30 und nicht die erforderlichen 36 Pflichtbeiträge entrichtet, aber unter Berücksichtigung des um Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit im Sinn des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ab April 2002 bis zumindest September 2002 um mindestens 6 Monate verlängerten Zeitraums die erforderlichen 36 Kalendermonate Pflichtbeitragszeiten erfüllt (§ 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI).

Anrechnungszeiten sind unter anderem Zeiten, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind. Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI liegen Anrechnungszeiten nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI aber nur vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit unterbrochen ist.

Eine derartige Unterbrechung war beim Kläger mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ab 11.03.2002 bis zumindest September 2002 gegeben. Denn er war bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit noch nicht endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden; seine bisherige pflichtversicherte selbstständige Tätigkeit war zu diesem Zeitpunkt (erst zum 31.03.2002) noch nicht beendet.

Der Begriff Arbeitsunfähigkeit hat dieselbe Bedeutung wie in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist daher auf die im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgte Begriffsbestimmung nach § 44 SGB V zurückzugreifen. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge einer Krankheit seiner bisher ausgeübten oder einer ähnlich gearteten Erwerbstätigkeit entweder überhaupt nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, nachgehen kann (s. KassKomm-Niesel § 58 SGB VI Rdnr. 11). Der Bezug von Krankengeld ist nicht Voraussetzung. Der Auslandsaufenthalt steht nicht entgegen (BSGE 75,199).

Die Frage, nach welcher Tätigkeit sich die Arbeitsunfähigkeit bestimmt, wird im Recht der Krankenversicherung für verschiedene Fallkonstellationen unterschiedlich beantwortet (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2001, Az. B 1 KR 30/00 R). Solange das Arbeitsverhältnis besteht (Phase 1), kommt eine Verweisbarkeit des erkrankten Arbeitnehmers zum Ausschluss von Arbeitsunfähigkeit nur im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses und in den Grenzen der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten in Betracht. Verliert der Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit seinen Arbeitsplatz (Phase 2), bleibt die letzte Tätigkeit zwar grundsätzlich für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit weiterhin maßgebend. Allerdings ist der Kreis der möglichen "Verweisungstätigkeiten" jetzt nicht mehr durch das konkrete Arbeitsverhältnis, sondern entsprechend der Funktion des Krankengeldes als Lohnersatz auf gleiche oder ähnlich geartete Tätigkeiten begrenzt (s. BSGE 57, 227; BSGE 61, 66; BSGE 85, 271). Dies sind Tätigkeiten, die nach der Art der Verrichtung, der körperlichen und geistigen Anforderungen, der notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie nach der Höhe der Entlohnung mit der bisher verrichteten Arbeit im Wesentlichen übereinstimmen, so dass der Versicherte sie ohne größere Umstellung und Einarbeitung ausführen kann. Diese Bedingungen gelten nicht nur, wenn es sich bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit um einen Ausbildungsberuf handelt, sondern auch bei ungelernten Arbeiten. Neuerdings wird auch formuliert, es sei abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen (BSGE 85, 271; BSGE 94, 19). Der in dieser Weise begrenzte krankenversicherungsrechtliche Berufsschutz für die bei Beginn der Erkrankung ausgeübte Tätigkeit entfällt jedoch, wenn ein auf die Beschäftigung bezogenes Versicherungsverhältnis entfallen ist, spätestens mit Ende des ersten Dreijahreszeitraums (Phase 3; so BSG, Urteil vom 25.2.04, Az. B 5 RJ 30/02 R).

Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers beurteilt sich hier nach der Phase 2, weil er nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 11.03.2002 seine versicherte selbstständige Tätigkeit zum 31.03.2002 aufgegeben hatte. Beurteilungsmaßstab ist daher die Verrichtung einer Tätigkeit als Gastwirt oder einer ähnlich gearteten Tätigkeit. Die Tätigkeit des Klägers als selbstständiger Gastwirt kann nicht als ungelernte Tätigkeit qualifiziert werden. Sie ist zumindest als angelernte Tätigkeit einzustufen.

Der Kläger kann unstreitig die zuletzt verrichtete Tätigkeit als Gastwirt seit 11.03.2002 bis zumindest 30.09.2002 nicht mehr mindestens 6 h täglich verrichten. Dies ergibt sich aus der deutschen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Internisten Dr. Riegner vom 20.03.2002 für die AOK insbesondere wegen zerebrovaskulärer Insuffizienz, aus dem von der Beklagten im Bescheid vom 06.05.2004 festgestellten Leistungsvermögen des Klägers, aus der Gewerbeabmeldung wegen Krankheit, aus dem italienischen Erstgutachten vom 08.10.2002 und aus dem vom Senat eingeholten Gutachten von Dr. G2. Diese Einschätzung wird bestätigt von den behandelnden Ärzten des Klägers, Dres M. und G1, die eine permanente Verschlimmerung des Bluthochdrucks und der depressiven Störung seit Behandlungsbeginn im April 2002 feststellen. Die Ausübung einer ähnlich gearteten Tätigkeit unter Beachtung der oben genannten Kriterien ist dem Kläger mit seinem Restleistungsvermögen ebenfalls nicht mehr möglich. Denn er kann nur noch leichte Tätigkeiten, ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, ohne Schichtbedingungen und ohne besonderen Zeitdruck mindestens 6 h täglich verrichten. Es sind nämlich nur kurze Einarbeitungszeiten zumutbar, eine erhebliche Umstellung kann nicht verlangt werden. Die Verweisungstätigkeit muss ferner wirtschaftlich gleichwertig sein. Arbeitsstellen für ähnliche oder gleichgeartete Tätigkeiten müssen in nennenswerter Zahl vorhanden (zu dem vergleichbaren Kriterium im Arbeitsförderungsrecht: BSG SozR 3-4100 § 103a Nr. 1 S. 8 m.w.N., s. jetzt § 119 Abs. 3 Nr. 1 SGB III) und täglich zumutbar erreichbar sein. Eine generelle Verweisung auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes genügt nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG wird die Arbeitsunfähigkeit nicht unterbrochen, wenn der Versicherte sich arbeitslos meldet, solange er sich mit dem noch verbliebenen Leistungsvermögen der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt und nicht tatsächlich eine neue Beschäftigung aufnimmt (BSG SozR 4100 § 158 AFG Nr. 6 m.w.N.; BSG SozR 3-2500 § 49 Nr. 4 S. 13). Es ändert sich durch die Arbeitslosmeldung auch nicht sofort der rechtliche Bezugspunkt für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit, nämlich die gleiche oder ähnlich geartete Tätigkeit; vielmehr tendiert die Rechtsprechung dazu, diese Kriterien weiter als maßgeblich anzusehen (s. BSG SozR 3-2500 § 44 Nr. 9 S. 27f; BSGE 94, 19). Ein anderer Beurteilungsmaßstab gilt nach der Arbeitslosmeldung erst, wenn die Versicherten sechs Monate Arbeitslosengeld bezogen haben und deswegen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 gegen Krankheit versichert waren. Der Kläger hat in Italien aber weder eine neue Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit aufgenommen noch wegen seiner Arbeitslosigkeit dort Leistungen bezogen.

Entgegen der sozialärztlichen Stellungnahme von Dr. W., dass der Kläger trotz seines eingeschränkten Leistungsvermögens als Gastwirt nicht arbeitsunfähig sei, ist der Begriff der Arbeitsunfähigkeit als Rechtsbegriff unter Berücksichtigung o.g. Kriterien auszulegen und sind dessen Voraussetzungen hier zu bejahen. Dr. W. verkennt den Begriff der Arbeitsunfähigkeit und vermengt ihn in unzulässiger Weise mit dem Begriff der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (s. seine Stellungnahme vom 26.04.2007). Eine Arbeitsunfähigkeit führt nämlich noch nicht zu einer Erwerbsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch die zuletzt übersandten ärztlichen Stellungnahmen vom Juli 2007 beschränken sich lediglich darauf, dass ab April 2002 das zeitliche Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch nicht eingeschränkt war.

Da nach dem Beweisergebnis des Gutachtens von Dr. G2 unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers behoben werden kann, ist die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalls am 29.10.2004 ab 01.11.2004 unbefristet zu gewähren (§ 102 Abs. 2 Satz 4, § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Weil der Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Italien keinen Arbeitsplatz innehält, ist ihm wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes auch Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Italien (s. hierzu bereits oben) zu zahlen. Diese Rente kann als arbeitsmarktbedingte Rente aber nur befristet und so beginnend ab 01.05.2005 gewährt werden (§ 102 Abs. 2, § 101 Abs. 1 SGB VI). Mit dem Hirnschlaganfall am 24.10.2005, der das Leistungsvermögen des Klägers völlig aufhob, ist der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eingetreten und daher ab 01.11.2005 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen (§ 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI).

Es ist trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass der Kläger bereits vor dem 01.11.2004 teilweise bzw. vor dem 01.05.2005 voll erwerbsgemindert war. Auch wenn er die zuletzt in Deutschland verrichtete Tätigkeit als Gastwirt wegen seines eingeschränkten Leistungsvermögens bereits ab Antragstellung am 03.09.2002 nicht mehr mindestens 6 h täglich verrichten konnte, so war er wegen seiner Verweisbarkeit auf die nächstniedrige Stufe des vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschemas noch nicht ab diesem Zeitpunkt bis Oktober 2004 berufsunfähig im Sinn des § 240 SGB VI. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Gastwirt ist höchstens als angelernte Tätigkeit des oberen Bereichs einzustufen, so dass er mit seinem Restleistungsvermögen zumutbar verweisbar etwa auf die Tätigkeit eines Pförtners war. Erst recht hatte er in diesem Zeitraum wegen seines 6-stündigen Leistungsvermögens keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Die Berufung war daher insoweit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gemäß §§ 183, 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung des Klägers überwiegend Erfolg hatte.

Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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