L 7 AS 301/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 401/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 301/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 5. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten wegen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Speziell geht es um die Übernahme von Kosten für die Ausstattung und Renovie-rung einer neu bezogenen Wohnung.

Die Kläger - der 1964 geborene Kläger zu 1, dessen 1968 gebore-ne Ehefrau (die Klägerin zu 2) und deren 1987, 1990 und 2002 geborene Kinder (die Kläger zu 3 bis 5) - beziehen seit dem 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, wobei der Kläger zu 3 mit dem 13.10.2005 (zunächst) aus der Bedarfsgemeinschaft ausschied.

Mit Schreiben vom 07.06.2005 stellte der Kläger zu 1 bei der Beklagten den Antrag auf Übernahme von Kosten für die Ausstat-tung einer zum 01.01.2005 neu bezogenen Wohnung. Im Einzelnen wurde die Übernahme der Kosten für einen Wohnzimmerschrank, ein Kinderzimmer für Tochter und Sohn, eine bereits angeschaffte Waschmaschine (200 Euro) und einen bereits angeschafften Kühl-schrank (400 Euro, monatliche Ratenzahlung 33 Euro) sowie einen Boiler zur Warmwasseraufbereitung und die Renovierung der Woh-nung beantragt. Die Renovierungskosten seien durch ein Darlehen seines Bruders in Höhe von 2.000 Euro gedeckt worden. Die Be-klagte hat den Antrag mit Bescheid vom 23.06.2005 mit der Be-gründung abgelehnt, da Hausrat bereits von der Regelleistung mitumfasst werde und im Übrigen einmalige Leistungen nur für eine - hier nicht vorliegende - Erstausstattung einer Wohnung in Betracht kämen. Die Familie sei nur innerhalb von V. umgezogen und habe den gesamten Hausstand mitnehmen können.

Mit ihrem Widerspruch vom 21.07.2005 machen die Kläger geltend, die vorherige Wohnung sei kleiner gewesen und habe nur zwei Schlafzimmer gehabt; in der neuen Wohnung hätten die Kinder ein eigenes Zimmer und benötigten hierfür ein Bett, einen Schrank und einen Tisch. Die gebrauchten alten Haushaltsgegenstände seien kaputt gewesen. Auch Waschmaschine, Kühlschrank und Boi-ler seien defekt. Die Beklagte hat den Widerspruch mit Wider-spruchsbescheid vom 21.09.2005 mit der Begründung zurückgewie-sen, die Übernahme der Kosten sei nicht möglich, weil der An-trag erst nach der Beschaffung der Gegenstände gestellt worden sei. Der Vermieter müsse für die Warmwasserversorgung sorgen.

Mit der am 28.09.2005 zum Sozialgericht Augsburg erhobenen Kla-ge machten die Kläger geltend, der Antrag sei vom Kläger zu 1 bereits Anfang 2005 mündlich bei der Beklagten gestellt worden. Die zuständige Sachbearbeiterin der Beklagten hat auf Anfrage des Sozialgerichts mit Schreiben vom 05.07.2006 mitgeteilt, der Kläger zu 1 habe erstmals am 13.01.2005 bei ihr vorgesprochen, es sei um die Unterkunftskosten gegangen. Ein mündlicher Antrag auf Einrichtung der neuen Wohnung sei an diesem Tag nicht ge-stellt worden. Dieser Antrag sei erstmals schriftlich am 07.06.2005 erfolgt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.10.2006 abge-wiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger hätten den Antrag verspätet gestellt, eine frühere münd-liche Antragstellung sei nicht nachgewiesen. Zudem wäre auch bei rechtzeitiger Antragstellung eine Kostenübernahme nicht möglich gewesen. Insoweit werde auf die Begründung des Wider-spruchsbescheides verwiesen.

Die Kläger haben gegen das am 14.10.2006 zugestellte Urteil mit einem am 13.11.2006 beim Gericht eingegangenen Schriftsatz Be-rufung eingelegt. Zur Begründung führen sie aus, sie hätten be-reits am 13.01.2005 die begehrten Gegenstände beantragt.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 05.10.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 23.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Ausstattung der Wohnung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; denn die Kläger begehren Geldleistungen von mehr als 500 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet, weil die Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme für die be-reits angeschaffte Ausstattung und die bereits durchgeführte Renovierung der neu bezogenen Wohnung haben. Dabei kann offen bleiben, inwieweit bei den Klägern die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 7 ff. SGB II vorliegen. Denn selbst wenn diese allesamt erfüllt wären, könnte dem Begehren der Kläger nicht entsprochen werden.

Bezüglich der meisten Bedarfspositionen steht bereits § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II einem Leistungsanspruch entgegen. Nach dieser Vorschrift werden Leistungen der Grundsicherung nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Dem Antrag kommt damit konstitutive Wirkung ex nunc zu (Mayer in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 37 SGB II, RdNr 5, 19). Der Zeitpunkt der Antragstellung gestaltet den Leistungsanspruch. Eine Rückwirkung kommt - außer in gesetzlich geregelten Fällen oder auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruch - grundsätzlich nicht in Betracht, wenn der Bedarf bis zur Antragstellung an-derweitig gedeckt wurde (Mayer in: Oestreicher, aaO., § 37 SGB II, RdNr 21). Die Kläger haben einen Antrag erst mit Schreiben vom 07.06.2005 gestellt. Davor liegende Handlungen der Kläger können nicht als Antrag gewertet werden.

Die von den Klägern behauptete mündliche Antragstellung bereits Anfang 2005 konnte nicht nachgewiesen werden. Das ergibt sich aus der Mitteilung der zuständigen Sachbearbeiterin an das So-zialgericht vom 05.07.2006; insoweit wird auf die Begründung im Urteil des Sozialgerichts verwiesen. Auch die Akte der Beklag-ten liefert keine Anhaltspunkte dafür, bereits Anfang 2005 könnte ein Antrag mündlich gestellt worden sein. Insbesondere fehlt es an einem entsprechenden Aktenvermerk, dessen Anferti-gung bei mündlicher Antragstellung nahe liegend gewesen wäre. Trotz der gegenteiligen Behauptung der Kläger in der mündlichen Verhandlung kann daher nicht davon ausgegangen werden, ein An-trag sei bereits im Januar gestellt worden. Bei Zusammenschau aller Indizien - vor allem durch die schriftliche Aussage der zuständigen Sachbearbeiterin - ist mit hinreichender Wahr-scheinlichkeit das Gegenteil bewiesen. Zumindest aber müsste eine Situation der Unaufklärbarkeit angenommen werden, was sich gleichfalls zu Lasten der Kläger auswirkt. Denn die objektive Beweislast für eine frühere Antragstellung trifft die Kläger, da es sich um eine anspruchsbegründende Tatsache handelt. Ange-sichts dessen, dass keinerlei Hinweise ersichtlich sind, die Beklagte könnte möglicherweise bei der Entgegennahme von (münd-lichen) Anträgen zu wenig Sorgfalt walten lassen, scheidet auch eine Umkehr der objektiven Beweislast aus.

Der ursprüngliche, "reguläre" Leistungsantrag vom 13.09.2004 (Eingangsstempel der Beklagten) umfasst nicht auch die von den Klägern hier geltend gemachten Bedarfspositionen. Dahinter ver-birgt sich das Problem, welche Teile des Bedarfs von den perio-dischen, laufend zu stellenden Anträgen erfasst sind und welche einer gesonderten Antragstellung bedürfen. Der Senat ist davon überzeugt, dass für Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB II eine gesondertes Antragserfordernis besteht. Einen deutlichen Hinweis in diese Richtung gibt nicht zuletzt § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB II, wonach diese Leistungen gesondert erbracht werden. Da die von dem Antrag betroffenen Möbel (Wohnzimmerschrank, Kin-derzimmermöbel) alle vom Vormieter übernommen wurden, lag deren Anschaffung weit vor dem Tag der Antragstellung am 07.06.2005. Auch die Waschmaschine und der Kühlschrank waren an diesem Tag bereits angeschafft.

An dem Verbot rückwirkender Leistungserbringung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II scheitert auch der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Einzugsrenovierung. Aus dem An-trag vom 07.06.2005 geht klar hervor, dass die Renovierung zum Zeitpunkt der Antragstellung längst abgeschlossen war. Auch für die Einzugsrenovierung gilt das Erfordernis einer gesonderten Antragstellung, obwohl sie nicht unter § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II, sondern unter § 22 Abs. 3 SGB II fällt (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 22 RdNr. 104).

Das Fehlen eines rechtzeitigen Antrags kann nicht über den so-zialrechtlichen Herstellungsanspruch überwunden werden. Zwar kann die Verletzung von Nebenpflichten, die dem Leistungsträger gegenüber dem Hilfesuchenden aus dem Sozialrechtsverhältnis ob-liegen, für den Verletzten einen sozialrechtlichen Herstel-lungsanspruch begründen. Zu diesen Nebenpflichten gehören vor allem Pflichten zu speziellen Dienstleistungen des Leistungs-trägers wie Auskunft, Belehrung und "verständnisvolle Förde-rung" der Versicherten (BSGE 46, 124 (126)). Diese Pflichten sind verletzt, wenn sie, obwohl ein konkreter Anlass dazu be-standen hätte, nicht oder nur unzureichend erfüllt worden sind. Ein Anlass zu Auskunft oder Beratung ist nicht erst dann gege-ben, wenn der Hilfesuchende darum nachsucht, sondern bereits dann, wenn sich in einem laufenden Verfahren klar zutage lie-gende Gestaltungsmöglichkeiten zeigen, deren Wahrnehmung offen-sichtlich so zweckmäßig ist, dass sie jeder verständige Versi-cherte mutmaßlich nutzen würde. In einem solchen Fall wäre der Leistungsträger von Amts wegen verpflichtet, Versicherte auf diese Gestaltungsmöglichkeit hinzuweisen (so genannte Spontan-beratung, vgl. BSGE 79, 168 (172)).

Im vorliegenden Fall bestand für die Beklagte jedoch keine Ver-pflichtung, die Kläger auf die rechtzeitige Stellung eines Leistungsantrags - insbesondere im Rahmen der persönlichen Vor-sprache des Klägers zu 1 am 13.01.2005 - hinzuweisen. Der Senat geht davon aus, dass entsprechend der schriftlichen Zeugenaus-sage der Sachbearbeiterin gegenüber dem Sozialgericht am 13.01.2005 über die Kosten der Unterkunft (Heizung, Betriebs-kosten) gesprochen wurde. Der schon erfolgte Umzug war danach überhaupt nicht Thema. Diese Erkenntnis wird dadurch gestützt, dass für den Umzug kein Zusicherungserfordernis nach § 22 Abs. 2, 3 SGB II bestand. Denn der das Zustimmungserfordernis auslösende Tatbestand war bereits vor Inkrafttreten dieser Re-gelungen eingetreten. Zwar erfolgte der tatsächliche Bezug der Wohnung erst zum Januar 2005. Es kommt aber insoweit nicht auf die tatsächliche Besitznahme, sondern - so § 22 Abs. 2 SGB II ganz dezidiert - auf den Abschluss des Mietvertrages an. Dieser war aber bereits am 13.12.2004 geschlossen worden. Somit musste die Beklagte die neue Wohnung mehr oder weniger als Faktum hinnehmen, ohne dass sie auf die Wohnungnahme noch irgendwie hätte einwirken können. Von daher erscheint es sehr gut nachvollziehbar, dass der Umzug und die damit verbundenen Kosten am 13.01.2005 nicht angesprochen wurden.

Vor diesem Hintergrund war die Beklagte nicht gehalten, den Kläger zu 1 auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine Erstausstat-tung der neuen Wohnung zu beantragen. Das gilt umso mehr, als bei einem Wohnungswechsel keineswegs "routinemäßig" ein Bedarf an Wohnungserstausstattung entsteht. Die betreffenden Gegens-tände sind vielmehr zumeist bereits in der bisherigen Wohnung vorhanden gewesen. Eine Erstausstattung kann aber nur dann vorliegen, wenn ein Gegenstand seiner Art nach noch nicht in der alten Wohnung vorhanden war. Das Entstehen eines Bedarfs im Sinn von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II verkörpert daher auch bei einem Wohnungswechsel einen Ausnahmetatbestand. Somit bestand für die Beklagte keine Veranlassung, den Kläger zu 1 an die rechtzeitige Antragstellung zu erinnern.

Bezüglich des neuen Boilers bleibt festzuhalten, dass es Sache des Vermieters ist, bei grundsätzlichem Vorhandensein einer Warmwasserversorgung mittels elektrischen Boilers auch für des-sen Funktionsfähigkeit zu sorgen. Insoweit liegt ein Fehler der Mietsache vor, dessen Beseitigung der Mieter vom Vermieter ver-langen kann. Hinzu kommt, dass es sich bei dem Boiler schon um keine Erstaustattung im Sinn von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II handelt. Denn die Kläger haben dazu ausgeführt, dass ein Boiler zwar vorhanden, dieser aber defekt sei. Auch insoweit handelt es sich daher lediglich um einen Erhaltungsbedarf, der nicht als "Sonderbedarf" im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II gesondert zu berücksichtigen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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