L 4 KR 129/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 KR 260/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 129/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 6. April 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme für die Leistung Fluoreszenz-Diagnostik.

Der 1932 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger unterzog sich im Jahr 1987 einer Operation eines Harnblasenkarzinoms, weitere Operationen fanden in den Jahren 1995 und 2002 statt. Er befindet sich in Behandlung des Urologen Dr. H. (R.), der zur Tumornachsorge eine Fluoreszenzzystoskopie etwa drei- bis viermal jährlich durchführt. Nach Angaben des Arztes (Schreiben vom 24. November 2003) handelt es sich hierbei um ein Detektionsverfahren für flache Neoplasien, das standardmäßig an bayerischen Universitätskliniken und urologischen Abteilungen anderer Krankenhäuser der Maximalversorgung durchgeführt wird. Nach Einbringung eines Farbstoffes in die Harnblase erfolgt eine selektive Mehranreicherung des Farbstoffes im Tumorgewebe. Bei der anschließenden Zystoskopie unter Fluoreszensanregung leuchtet das Tumorgewebe auf.

Der Kläger beantragte am 29. Oktober 2003 bei der Beklagten unter Vorlage einer Bescheinigung dieses Arztes die Kostenübernahme für dieses Verfahren (je Anwendung 250,00 Euro).

Die Beklagte lehnte den Antrag telefonisch am 5. November 2003 und schriftlich mit Bescheid vom 7. November 2003 ab. Die Fluoreszenzzystoskopie gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Erfolg einer neuen Untersuchungs- bzw. Behandlungsmethode im Einzelfall reiche für die Kostenübernahme nicht aus, maßgebend sei, dass der Bundesausschuss diese Methode noch nicht beurteilt und bewertet habe.

Hiergegen legte der Kläger am 26. November 2003 mit Schreiben des Urologen vom 24. November 2003 Widerspruch ein. Die Fluoreszenzzystoskopie sei ein standardmäßig angewendetes Verfahren in Kliniken.

Der von der Beklagten gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (Dr. B.) kam in der Stellungnahme vom 16. Februar 2004 zum Ergebnis, der Wert dieser Diagnostik könne abschließend noch nicht eindeutig beurteilt werden; es seien noch weitere umfangreiche Forschungen im Rahmen prospektiver, kontrollierter, klinischer Studien notwendig. Die Harnzytologie sei ein ausreichendes Verfahren zum Nachweis von schlecht differenzierten Urothelkarzinomzellen mit einer Treffsicherheit von über 90%.

Daraufhin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2004 den Widerspruch zurück. Für die Fluoreszenzdiagnostik gebe es zur Zeit keine positive Entscheidung in den Richtlinien des Bundesausschusses. Außerdem fehle ein unstrittiger Nachweis der medizinischen Wirksamkeit, und die Fluoreszenzdiagnostik habe auch noch keine breite Resonanz in der medizinischen Fachdiskussion erfahren.

Mit der Klage vom 30. Juli 2004 hat der Kläger beim Sozialgericht Regensburg (SG) geltend gemacht, bei ihm seien seit 1987 drei- bis viermal jährlich Blasenspiegelungen durchgeführt worden. Die Beklagte übernehme nur die Kosten für das übliche "Schwarz-Weiß-Verfahren", obwohl die Trefferquote hier lediglich zwischen 80 und 90% liege.

Auf Anfrage des SG hat der Gemeinsame Bundesauschuss am 29. Dezember 2004 mitgeteilt, bei der Methode der photodynamischen Diagnostik mittels Fluoreszenzzystoskopie sei noch kein Antrag zur Prüfung der Methode gestellt worden. In der wissenschaftlichen Literatur werde festgestellt, dass die bisher durchgeführten Studien keinen Hinweis auf eine klinische Bedeutung oder Differenzialindikation ergäben. Es lägen keine Information vor, die nahe legen, dass die Methode nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse als wirksam und wirtschaftlich angesehen werden könne.

Der Kläger hat hierzu ausgeführt, das streitige Verfahren werde am Universitätskrankenhaus St. J. in R. bereits seit 10 Jahren angewendet, sein behandelnder Urologe sei Oberarzt dieser Klinik gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er angegeben, die Fluoreszenzdiagnostik sei schon einige Male durchgeführt worden, möglicherweise vor Erlass des Bescheides vom 7. November 2003. Die Kosten habe er teils selbst bezahlt, teils seien sie ihm gestundet worden.

Das SG hat mit Urteil vom 6. April 2005 die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung für die vor dem Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2004 abgelehnten Behandlungen scheide aus, unaufschiebbare Leistungen lägen nicht vor. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung dürften zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesauschuss auf Antrag Empfehlungen abgegeben hat u.a. über die Anerkennung des therapeutischen Nutzens der Methode. Eine solche Bewertung gebe es jedoch nach den Angaben des Ausschusses für die Fluoreszenzdiagnostik nicht. Es liege auch kein Systemmangel vor. Ein Wirksamkeitsnachweis der Methode sei auch unter Beachtung der vom Kläger eingereichten Unterlagen nicht vorhanden. Der Erfolg der Behandlungsmethode müsse sich aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Fluoreszenzdiagnostik ablesen lassen. Hieran fehle es.

Der Kläger hat mit der Berufung vom 10. Mai 2005 geltend gemacht, er habe vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziales, vom Gemeinsamen Bundesausschuss und auch von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns keine weiterführenden Informationen erhalten, auch nicht von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung oder dem Verband der Angestelltenkrankenkassen e.V ... Es gehe ihm um die Kostenübernahme der jährlich anfallenden Kosten von etwa 1.000,00 Euro für die Untersuchungsmethode.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes liegt den Ausführungen des behandelnden Urologen und des Klägers zufolge über 500,00 Euro.

Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen; denn die Beklagte ist zur Kostenerstattung bzw. Kostenübernahme im Sinne einer Freistellung nicht verpflichtet.

Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung ist § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V (SGB V), wonach Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten sind, wenn die Krankenkasse entweder eine unaufschiebare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten Kosten entstanden sind.

Da der Kläger im Berufungsverfahren nichts Neues vorgebracht hat, verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG zunächst auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil.

Auch die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts zur Kostentragung der gesetzlichen Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden führt nicht zu einem Erstattungs- oder Freistellungsanspruch des Klägers. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 (z.B. NJW 2006,891 ff.; SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) entschieden, dass es mit dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Den weiteren Ausführungen dieser Entscheidung ist allerdings zu entnehmen, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass die gesetzliche Krankenversicherung dem Versicherten Leistungen nach dem allgemeinen Leistungskatalog nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes zur Verfügung stellt. Die gesetzlichen Krankenkassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkassen auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Das Bundessozialgericht (Urteil vom 7. November 2006 NJW 2007, 1385) hat im Anschluss an diese Entscheidung als Voraussetzung für die Kostenübernahme die Einhaltung des Arztvorbehalts (§ 15 SGB V) und die Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst (§ 28 Abs. 1 SGB V) gefordert. Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit, das Fehlen einer anwendbaren Standardtherapie und das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie sind nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen.

Im vorliegenden Fall haben die Beklagte und das SG zu Recht auf § 135 Abs. 1 SGB V abgestellt. Danach dürfen neue Untersuchungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesauschuss auf Antrag einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit -auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung. Bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG lag für die hier streitige photodynamische Diagnostik mittels Fluoreszenzzystoskopie nach Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses noch kein Antrag von berechtigten Organisationen zur Prüfung der Methode vor. Damit ist die Fluoreszenzzystoskopie auch nicht Bestandteil der hier einschlägigen Richtlinien (NUB-Richtlinien, BUB-Richtlinien und der derzeit geltenden Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung vom 17. Januar 2006, Bundesanzeiger 2006 S. 1523 (in Kraft getreten am 1. April 2006)) geworden. Sie ist in der entsprechenden Anlage (anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden) nicht aufgeführt. Maßgebender Zeitpunkt für die Kostenerstattung bzw. Freistellung bereits erbrachter Leistungen ist der Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung der Methode. Es kann entgegen dem Kläger auch nicht von dem Fehlen einer Standardtherapie gesprochen werden, da nach der gutachtlichen Stellungnahme des MDK als herkömmliche Untersuchungsmethode noch die Weißlicht-Zystoskopie in Betracht kommt. Damit scheidet eine Kostenerstattung bzw. Freistellung aus.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG führt nicht nur eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschuss zur Nichtanerkennung einer Methode grundsätzlich zum Ausschluss von Leistungsansprüchen der Versicherten, sondern wegen des Erlaubnisvorbehalts des § 135 Abs.1 SGB V auch das Fehlen einer positiven Empfehlung einer Methode.

Ausnahmsweise kann eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse hier in Betracht kommen, wenn ein Systemmangel im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V vorliegt, der den Versicherten durch einen Anspruch auf Kostenerstattung gegen seine Krankenkasse berechtigt, diese neue Methode zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen. Dabei hängt die Leistungsgewährung oder Kostenerstattung in diesem Fall davon ab, dass Qualität und Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, der sich in zuverlässigen wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen niedergeschlagen hat. Hat allerdings der Gemeinsame Bundesauschuss rechtswidrig eine Entscheidung verschleppt oder grob fehlerhaft gehandelt, kommt es darauf an, ob sich diese neue Methode bereits in der Praxis insoweit durchgesetzt hat, also in der medizinischen Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden hat und von einer erheblichen Zahl von Ärzten bereits angewandt wird. Aber auch hier muss der Systemmangel im Zeitpunkt der Leistungserbringung bereits vorgelegen haben (Kassler Kommentar-Hess, § 135, Rdnr. 6,7 m.w.N. der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG).

Da die zur Antragstellung berechtigten Institutionen der gesetzlichen Krankenversicherung bisher noch keinen Antrag auf Prüfung der streitigen Methode gestellt haben, kommt eine Verzögerung der Beurteilung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht in Frage. Es kann entgegen dem Kläger derzeit auch nicht davon ausgegangen werden, dass die streitige Methode in der medizinischen Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden hat und von einer erheblichen Zahl von Ärzten bereits angewandt wird. Denn nach Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses wird in der wissenschaftlichen Literatur kein Hinweis auf eine klinische Bedeutung oder Differenzialindikation gegeben. Es liegen noch keine Informationen vor, die nahe legen, dass die Methode nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse als wirksam und wirtschaftlich angesehen werden kann. Damit fehlt es bisher an einem generellen Wirksamkeitsnachweis, der auf wissenschaftlich beweiskräftigen Studien beruht.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine isolierte Kostenerstattung der bei der Fluoreszenzzystoskopie verwendeten Substanz. Denn es handelt sich nach Angaben des MDK (Dr. B.) um ein als Arzneimittel nicht zugelassenes Präparat; eine Kostenübernahme würde gegen § 31 SGB V i.V.m. §§ 12 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) und § 28 SGB V (Regeln der ärztlichen Kunst) verstoßen, wonach die gesetzliche Krankenversicherung grundsätzlich nur für zugelassene Arzneimittel leistungspflichtig ist. Es ist überdies zweifelhaft, ob eine isolierte Kostenerstattung des Präparats in Frage kommt, weil der Schwerpunkt der Leistung in der Anwendung einer neuen Untersuchungsmethode liegt, d.h. einem Element der ärztlichen Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 1,2 Nr. 1 SGB V), und nicht in der Verabreichung eines Arzneimittels. Denn zum Nachweis der Fluoreszenz muss das Gewebe mit Licht geeigneter Wellenlänge angeregt werden, wofür sich Laser, LED-Systeme oder gefilterte Lampensysteme einsetzen lassen. Die Fluoreszenz kann dann auf unterschiedliche Art und Weise erfasst werden d.h. bildgebend, spektral oder zeitaufgelöst. In der klinischen Anwendung wird allgemein die bildgebende Darstellung praktiziert. Die spektralen und zeitaufgelösten Fluoreszenzerfassungen liefern Zusatzinformationen bei der Suche nach neuen tumorselektiven Substanzen (vgl. Laser-Forschungslabor, LMU München, http://Laser.Klinikum.Uni-München.de).

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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