L 6 R 26/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 R 382/05 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 26/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5a R 116/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 13. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Erwerbsminderungsrente.

Der Kläger ist 1954 geboren. Er war in Kroatien und Bosnien-Herzegowina von April 1970 bis Juli 1991 und in Deutschland von April 1993 bis Dezember 1995 als Hilfsarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. In zweimonatiger Ausbildung von Dezember 1994 bis Februar 1995 hat er hier den Führerschein Klasse II erworben und war dann von Dezember 1995 bis Mai 1999 in einem Getränkemarkt - Fa. G. - als Verkaufsfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Arbeitslosengeldbezug verließ er am 29.06.1999 die BRD. Von Juli 1999 bis März 2001 hat er keine rentenrechtlichen Zeiten zurückgelegt: er war in Bosnien-Herzegowina arbeitslos ohne Leistungsbezug. Von Mai 2001 bis Dezember 2002 hat er Pflichtversicherungszeiten in seiner Heimat, zuletzt als selbständiger Spediteur. Am 16.12.2001 erlitt der Kläger einen Schlaganfall und war aufgrund dessen bis zum 27.12.2001 in stationärer Behandlung.

Am 28.01.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten sowie bei seinem heimischen Versicherungsträger Rente. Von Letzterem wurde er durch die Invalidenkommission B. am 16.04.2003 untersucht und begutachtet. Die Kommission diagnostizierte eine Hemiparese links und ein beginnendes psychoorganisches Syndrom (herabgesetzte Grundstimmung, Grenze zur Depression) und hielt den Kläger nur mehr unter zwei Stunden täglich einsetzbar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dies wohl seit Dezember 2001. Aufgrund dieses Gutachtens bezieht der Kläger seit 16.04.2003 heimische Rente.

Die Beklagte hat aufgrund entsprechender prüfärztlicher Beurteilung durch Dr.D. den Rentenantrag mit Bescheid vom 09.11.2004 abgelehnt, da der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mehr als sechs Stunden täglich tätig sein könne bei leichter Halbseitenschwäche links seit Dezember 2001, Herzleistungsminderung bei Bluthochdruck, Adipositas und Fettstoffwechselstörung.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.01.2005 zurück: Der Kläger genieße insbesondere auch keinen Berufsschutz.

Hiergegen erhob der Kläger am 29.03.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Landshut. Er übersandte medizinische Unterlagen.

Das SG holte ein allgemeinärztliches Gutachten Dr.Z. und ein neurologisches Gutachten Dr.P. ein. Dr.Z. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 01.09.2005 Restbeschwerden nach Schlaganfall und einen nicht optimal eingestellten Bluthochdruck ohne Rückwirkung auf das Herz. Er hielt den Kläger noch für acht Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt belastbar mit leichten bis mittelschweren Arbeiten. Dr.P. beschränkte das Leistungsbild auf leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen, aber ebenfalls vollschichtig. Der Sachverständige hat keinen gravierend pathologischen psychischen Befund erhoben, allerdings eine Störung der Gangsicherheit und des Gleichgewichts. Für die Vergangenheit wies der Sachverständige darauf hin, dass bereits im Entlassungsbericht von Dezember 2001 nur mehr ein minimales neurologisches Defizit als Folge des Schlaganfalls beschrieben wird.

Entsprechend dem Gutachten wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13.12.2005 ab: Der Kläger sei vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar und genieße auch keinen Berufsschutz, weshalb ein Rentenanspruch nicht gegeben sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung vom 12.01.2006. Die Beklagte stellte fest, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen beim Kläger nur bis zu einem fiktiven Leis-tungsfall spätestens im März 2003 erfüllt seien.

Der Senat holte eine Auskunft des Arbeitgebers, der Firma Getränke G. , ein: Hiernach war der Kläger vom 02.11.1995 bis 22.09.1998 als Facharbeiter mit den entsprechenden Kenntnissen eines Berufskraftfahrers beschäftigt. Ob der Kläger eine entsprechende Ausbildung gehabt habe, sei nicht bekannt. Er sei nach dem Lohntarifvertrag Groß- und Außenhandel analog zur Lohngruppe III entlohnt worden.

Nach dem beigefügten Tarifvertrag sind in Lohngruppe III einge-stuft "Beifahrer ohne Führerschein". "Kraftfahrer der Führerscheinklasse II, Verkaufsfahrer" sind nach dem Tarifvertrag in Lohngruppe VI einzustufen, die im Übrigen Tätigkeiten beinhaltet, "die eine abgeschlossene Facharbeiterausbildung voraussetzen" oder "deren Ausführung Fertigkeiten und Kenntnisse erfordern, die denen von Facharbeitern gleichzusetzen sind.".

Der Senat führte weitere Ermittlungen zur Frage durch, warum der Kläger einerseits als Facharbeiter anzusehen sei, andererseits aber dennoch nur in Lohngruppe III eingestuft war. In einer ergänzenden Stellungnahme erklärte der Arbeitgeber "in Anlehnung an den Tarifvertrag (sei) ein Kraftfahrer hausintern zum damaligen Zeitpunkt als Facharbeiter angesehen" worden. Eine Ausbildung als Berufskraftfahrer habe seinerzeit bis zum Jahr 2000 nur sehr selten vorgelegen, ab 2001 sei sie dann vom Arbeitgeber gefordert worden (z.B. durch Prüfungen bei der TÜV-Akademie). Vor diesem Zeitpunkt hätten Kraftfahrer "eine Art Zwitterstellung" gehabt.

Nach den vom Kläger vorgelegten Nachweisen wurde im Jahre 1999 das Arbeitsentgelt in Gestalt von "Provisionen" gezahlt.

Der Senat hörte den Kläger an zu einer erwogenen Einstufung als Angelernter und einer zumutbaren Verweisung auf die Tätigkeit eines Pförtners.

Der Kläger beantragt sinngemäß, 1. den Gerichtsbescheid des SG Landshut vom 13. Dezember 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.01.2005 aufzuheben und 2. ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.02.2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG sowie die Berufungsakte hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, da die materiellen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut war daher zurückzuweisen.

1. Aus versicherungsrechtlichen Gründen ist der Versicherungsschutz des Klägers bis März 2003 zeitlich limitiert. Grund hierfür sind die Lücken im Versicherungsverlauf von Juli 1999 bis März 2001 - die Arbeitslosigkeit in Bosnien-Herzegowina wird dort nicht als Versicherungszeit gewertet - und ab Januar 2003; insbesondere ist auch die bosnische Invaliditätsrente einer deutschen Rente nicht gleichgestellt.

Wenn demnach ein Leistungsfall der Erwerbsminderung spätestens bei Antragstellung im Januar 2003 eingetreten wäre, so wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Absätze 1, 2 jeweils Nr.2 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) - drei Jahre Pflichtbeiträge im Fünfjahreszeitraum vor Eintritt der Erwerbsminderung - noch erfüllt, da eine Belegung des Fünfjahreszeitraums von Januar 1998 bis Januar 2003 mit 18 deutschen und 20 nach Sozialversicherungsabkommen gleichgestellten jugoslawischen Pflichtbeiträgen vorläge. Diese Voraussetzungen sind letztmals für eine (fiktive) Erwerbsminderung im März 2003 erfüllt.

2.1. Eine volle Erwerbsminderung lag beim Kläger bis März 2003 jedoch nicht vor. Dies hat die Beweisaufnahme des SG ergeben. Nach den beiden Gutachten Dr.Z. und Dr.P. bestand seinerzeit jedenfalls noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen. Der Senat schließt sich diesen Gutachten an, da sie überzeugend begründet sind. Der Senat geht davon aus, dass der Schlaganfall nur minimale Dauerfolgen bewirkt hat. Dies wird bereits nach der - nur zwölftägigen - stationären Erstbehandlung so beschrieben. Störungen von Gangsicherheit und Gleichgewicht haben kein gravierendes Ausmaß. Mit Ausnahme eines nicht optimal eingestellten Bluthochdrucks sind darüber hinaus keine Gesundheitsstörungen von Gewicht vorhanden. Bei mehr als sechsstündigem Leistungsvermögen hat der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.

2.2. Zu diskutieren ist jedoch, ob der Kläger damals teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit im Sinne von § 240 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) war. Diese Frage kann nicht bereits im Hinblick auf fehlende Berufsausbildung verneint werden. Zwar hat der Kläger in der Tat als Berufsausbildung nur den Führerschein der Klasse II aufzuweisen, der eine zweimonatige Ausbildung voraussetzte und somit an sich weit entfernt von der vorgeschriebenen mehr als zweijährigen Ausbildung ist. Es ist aber grundsätzlich anerkannt, dass Facharbeiterqualität statt durch die vorgeschriebene Ausbildung auch durch die praktische Berufsausbildung erworben werden kann; dies jedoch nur dann, wenn der so Qualifizierte dann mit einem gelernten Facharbeiter auch wettbewerbsfähig ist (siehe Niesel in Kasseler Kommentar, § 240 SGB VI, Anmerkung 64). Dies ist nach der Arbeitgeberauskunft jedoch nicht der Fall. Die Kenntnisse entsprechend der schon damals existierenden zweijährigen Ausbildung zum Berufskraftfahrer kann der Kläger nach nur zweimonatiger theoretischer Ausbildung und gut dreijähriger praktischer Tätigkeit nicht erworben haben. Dies umso weniger deshalb, da der Kläger in der fraglichen Zeit als Getränkeverkaufsfahrer gearbeitet hat, mithin also nicht in einer reinen Fahrertätigkeit. Seine Tätigkeit war vielmehr entscheidend kaufmännisch mitgeprägt, was auch in den erfolgsorientierten Lohnanteilen zum Ausdruck kommt. Auch für diesen Teil der Tätigkeit hatte der Kläger keine Ausbildung. Insgesamt handelt es sich unter dem Aspekt der Ausbildung daher keinesfalls um eine gehobene Tätigkeit, etwa die eines Facharbeiters.

Auch die tarifvertragliche Einstufung kann nicht zu Gunsten des Klägers zu einer anderen Sicht führen. Grundsätzlich ist zwar nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht stets nur auf die Ausbildung als solche abzustellen. Vielmehr kann der tarifvertraglichen Zuordnung eines Berufs entscheidendes Gewicht zukommen, wenn und soweit darin die Wirklichkeit des Arbeitslebens besser widergespiegelt wird. Für den Facharbeiterstatus ist erforderlich, dass eine Tätigkeit tarifvertraglich einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer mehr als zweijährigen Ausbildung qualitativ gleichgestellt ist (siehe BSG vom 14.05.1991 in SozR 2-200 § 1246 Nr.13). Eine Gleichstellung in der Realität des Arbeitslebens ist dann anzunehmen, wenn ein Berufskraftfahrer in einer Facharbeitergruppe des einschlägigen Tarifvertrages genannt wird und der Versicherte in dieser Facharbeitergruppe eingruppiert war (siehe Niesel in Kasseler Kommentar, § 240, Anmerkung 55 unter Verweis auf BSG - Urteil vom 25.03.1993, Az.: 13 RJ 21/92 sowie Urteil des Senats vom 04.09.2007 - L6 RJ 540/99.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger jedoch nicht: obwohl er im Sinne von Lohngruppe VI des Lohntarifvertrages Groß- und Außenhandel Nr.4 als "Kraftfahrer der Führerscheinklasse II" in die Gruppe VI hätte eingestuft werden können, war dies faktisch nicht der Fall. Die tatsächliche Einstufung war vielmehr deutlich, nämlich genau drei Stufen, unterhalb dieser Lohngruppe VI. Die tatsächliche Eingruppierung entsprach somit "Arbeiten, die ohne vorherige Arbeitskenntnisse nach kurzer Einarbeit ausgeführt werden". Dies wird vom Kläger nicht bestritten. Angesichts dieser Situation kann von einer Gleichstellung durch die Wirklichkeit des Arbeitslebens gerade nicht ausgegangen werden.

Im Übrigen wäre selbst bei einer Eingruppierung in Lohngruppe VI der Facharbeiterstatus nach dem tarifvertraglichen Gefüge nicht zweifelsfrei. Zwar ist in der allgemeinen Beschreibung die Rede von "Tätigkeiten, die eine abgeschlossenen Facharbeiterausbildung voraussetzen" oder "deren Ausführung Fertigkeiten und Kenntnisse erfordern, die denen von Facharbeitern gleichzusetzen sind." Die Tätigkeitsbeispiele "1. Hausmeister ( ...), 5. Kranführer, Bagger- oder Raupenführer, 6. Steuerung von automatischen Hochregallagerarbeitern ( ...), 8. Tankwart, Eisenbieger, Möbelmonteur lassen die Lohngruppe jedoch eher als Misch-gruppe erscheinen denn als reine Facharbeitergruppe. Entscheidend bleibt jedoch, dass der Kläger vom Arbeitgeber in eine deutlich niedrigere Gruppe eingestuft war.

Nach alledem kann dem Kläger bestenfalls der Status eines Angelernten im oberen Bereich zuerkannt werden. Als solcher kann er z.B. entsprechend der Anhörung des Senats auf Tätigkeiten eines Pförtners sozial zumutbar verwiesen werden. Deren Ausführung ist ihm mit dem festgestellten Leistungsvermögen auch gesundheitlich möglich. Berufsunfähigkeit liegt daher nicht vor. Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.

Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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