L 5 AS 1225/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 1202/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1225/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2006 wird geändert. Die Bescheide des Beklagten vom 15. Dezember 2005 und 13. Januar 2006, beide in der Fassung der Bescheide vom 20. Februar 2006, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2006 werden aufgehoben, soweit der Beklagte die dem Kläger zustehenden laufenden Leistungen nach dem SGB II mit einer Erstattungsforderung in Höhe von 264,24 EUR aufrechnet. Im Übrigen werden die Berufung und die Anschlussberufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger ein Drittel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen um die Anrechnung eines Betriebskostenguthabens für das Jahr 2004 auf die dem Kläger im September 2005 gewährten Leistungen.

Der 1952 geborene Kläger bezog bis zum 10. Februar 2004 Arbeitslosengeld, ab dem Folgetag Arbeitslosenhilfe. Ab dem 01. Januar 2005 gewährte der Beklagte ihm Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Die Leistungen beliefen sich im zweiten Halbjahr 2005 auf monatlich je 749,91 EUR (Bescheid vom 08. Juni 2005, Bewilligungszeitraum: 01. Juli bis 31. Dezember 2005; Regelsatz in Höhe von 345,00 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 366,91 EUR, befristeter Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 38,00 EUR). Mit Bescheid vom 02. Dezember 2005 gewährte der Beklagte dem Kläger für Januar 2006 unverändert 749,91 EUR und – wegen Wegfalls des befristeten Zuschlages - für Februar 2006 noch 724,58 EUR sowie für die Zeit vom 01. März bis zum 30. Juni 2006 monatlich noch je 711,91 EUR.

Unter dem 10. August 2005 erstellte die Vermieterin des Klägers, die G AG, für die Zeit von Januar bis zum Dezember 2004 eine Nebenkostenabrechnung, die ein Guthaben des Klägers in Höhe von 294,24 EUR ergab. Dieser Betrag sollte dem Kläger überwiesen werden.

Die Betriebskostenabrechnung legte der Kläger dem Beklagten erst auf dessen Aufforderung am 06. Dezember 2005 vor. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2005 informierte der Beklagte ihn daraufhin, dass er im September 2005 Leistungen in Höhe des Betriebskostenguthabens zu Unrecht bezogen habe, und kündigte für den Fall, dass die Leistungen zu erstatten seien, eine Aufrechnung nach § 43 SGB II an.

Mit Bescheid vom selben Tage ("Änderung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch") bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 01. bis zum 30. September 2005 Leistungen in Höhe von nur noch 455,67 EUR. Dem Berechnungsbogen ist zu entnehmen, dass der Beklagte auf den Gesamtbedarf in Höhe von 711,91 EUR Einkommen in Höhe von 294,24 EUR anrechnete und weiterhin den Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 38,00 EUR gewährte. Der Bescheid enthielt den Zusatz:

"Folgende Änderungen sind eingetreten: Anrechnung Guthaben aus Betriebskostenabrechnung 2004. Im beigefügten Berechnungsbogen finden Sie Einzelheiten zur Berechnung und Änderung der Leistungshöhe. Die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen werden insoweit aufgehoben."

Mit Bescheid vom 13. Januar 2006 hob er schließlich die Bewilligung der Leistung für September 2005 teilweise der Höhe nach wegen Anrechnung des Betriebskostenguthabens auf und machte – gestützt auf § 50 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) - eine Erstattungsforderung in Höhe von 294,24 EUR geltend. Weiter rechnete er diesen Betrag nach § 43 SGB II in monatlichen Raten in Höhe von 50,00 EUR mit der zustehenden Regelleistung auf.

Bereits am 05. Januar 2006 hatte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 15. Dezember 2005 eingelegt und einen Verstoß der Verordnungsermächtigung gemäß § 27 SGB II gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), die zu geringe Höhe des Regelsatzes, einen Verstoß der in § 35 SGB II normierten Erbenhaftung gegen Art. 14 Abs. 1 GG und einen Verstoß gegen sein Grundrecht auf rechtliches Gehör durch die generelle sofortige Vollziehbarkeit aller Bescheide des Beklagten gerügt. Zur Sache selbst hatte er sich hingegen nicht eingelassen.

Mit Änderungsbescheid vom 20. Februar 2006 gewährte der Beklagte dem Kläger schließlich für September 2005 Leistungen in Höhe von nunmehr 485,67 EUR. Dabei reduzierte er das als Einkommen angerechnete Betriebskostenguthaben jetzt um eine Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR. Mit so bezeichnetem Erstattungsbescheid vom selben Tage hob er die Leistungsbewilligung für September 2005 der Höhe nach teilweise auf und machte eine Erstattungsforderung von nunmehr nur noch 264,24 EUR geltend. Weiter wiederholte er die Aufrechnung in monatlichen Teilbeträgen.

Schließlich wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2006 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass dem Kläger Leistungen in der ihm zustehenden Höhe gewährt worden seien. Sein Bedarf sei zutreffend mit 711,91 EUR berechnet worden. Hinzu komme der befristete Zuschlag. Das Betriebskostenguthaben sei im Monat seiner Auszahlung als Einkommen anzurechnen gewesen. Da die Betriebskostenabrechnung vom August 2005 datiere, sei davon auszugehen, dass die Auszahlung im September 2005 erfolgt sei. Dieses Einkommen sei um die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR zu mindern gewesen. Der Bedarf des Klägers habe sich daher im September 2005 auf 485,67 EUR reduziert. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid sei deshalb nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3 und 4 SGB X und § 330 Abs. 3 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) aufzuheben gewesen. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger bekannt gewesen sei, dass sich sein Leistungsanspruch durch die Erzielung des Einkommens vermindert habe. Außerdem habe er es grob fahrlässig versäumt, das Betriebskostenguthaben als Einkommen unverzüglich anzuzeigen. Die Erstattungspflicht folge aus § 50 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Schließlich lägen die Voraussetzungen für die Aufrechnung gemäß § 43 SGB II vor. Bei dem Betrag von 264,24 EUR handele es sich um einen Anspruch des Beklagten auf Erstattung. Der Erstattungsanspruch sei durch den Kläger aufgrund der verspäteten Einreichung der Betriebskostenabrechnung 2004 veranlasst. Die Versäumung seiner Mitteilungspflicht beruhe auf einem grob fahrlässigen Handeln. Dem Kläger hätte bei Anstellung einfachster Überlegungen bewusst sein müssen, dass er Leistungen zu Unrecht weiter ohne Anrechnung von Einkommen erhalten habe, obwohl ihm Einkommen im Bedarfszeitraum zugeflossen sei. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger bekannt gewesen sei, dass er Einkommen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes einsetzen müsse. Die festgesetzte Höhe der monatlichen Aufrechnungsrate von 50,00 EUR sei nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt. Der Betrag liege weit unter dem möglichen Höchstbetrag für die Aufrechnung.

Bereits am 06. Februar 2006 hatte der Kläger Klage erhoben, die er mit keinem Wort begründet hat. Das Sozialgericht Berlin hat – unter Klageabweisung im Übrigen - den angefochtenen Bescheid mit Urteil vom 20. Oktober 2006 insoweit aufgehoben, als er über eine Anrechnung von 3/12 von 264,24 EUR, verteilt auf die Monate Oktober bis Dezember 2005, hinausgeht. Zur Begründung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das dem Kläger zugeflossene Betriebskostenguthaben als Einkommen zu qualifizieren sei. Allerdings unterliege es im Verhältnis zum Leistungsträger nur dann einer strengen Zweckbindung zur Verringerung der laufenden Unterkunftskosten, wenn der Leistungsträger in der Ansparphase für diese Kosten aufgekommen sei. Nur dann stehe ihm das Betriebskostenguthaben – ungekürzt – zu. Habe hingegen – wie hier - der aktuell Hilfebedürftige die Vorauszahlungen vor Eintritt in den Leistungsbezug entrichtet, fehle ein solcher Zusammenhang. Das Betriebskostenguthaben unterliege dann den regulären Regelungen zur Einkommensanrechnung. Einschlägig sei dann § 2 Abs. 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozial¬geld (Alg II-V) in der bis zum 30. September 2005 geltenden Fassung. Diese Norm sei als Soll-Bestimmung gefasst, die eine von der vollen Anrechnung im Zuflussmonat abweichende Einkommensanrechnung ermögliche, wenn dies sachgerecht sei. Nach Ansicht der Kammer sei das Jahres-Betriebskostenguthaben entsprechend der ab dem 01. Oktober 2005 geltenden Fassung der Norm sachgerecht in 1/12-Beträge aufzuteilen und auf die dem Zuflussmonat folgenden Monate des laufenden Bewilligungsabschnitts zu verteilen, d.h. hier auf die Monate Oktober bis Dezember 2005 mit höchstens 22,02 EUR monatlich bzw. mit insgesamt 66,06 EUR im Rest-Bewilligungszeitraum. Für den Folgezeitraum ab Januar 2006 erfolge nach dem System der Bewilligung in Leistungsabschnitten von in der Regel sechs Monaten Dauer eine ganz neue Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen. Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II gelte erst ab dem 01. August 2006 und finde daher keine Anwendung. Die Bedeutung einer bloßen Klarstellung könne der Neuregelung angesichts divergierender Rechtsprechung zum Problem der Abgrenzung von Einkommen oder Vermögen bei Guthaben aus Zeiträumen vor dem SGB II-Bezug nicht beigemessen werden.

Gegen das ihm am 30. November 2006 zugestellte Urteil, in dem das Gericht die Berufung ausdrücklich zugelassen hat, hat der Beklagte am 20. Dezember 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass das im September 2005 zugeflossene Betriebskostenguthaben weder zu quoteln noch erst ab Oktober 2005 in Anrechnung zu bringen sei.

Der Kläger, dem das Urteil am 27. November 2006 zugestellt worden ist, ist der Berufung des Beklagten mit am 29. Januar 2007 eingegangenem Schreiben entgegengetreten. Ausdrücklich hat er mit diesem begehrt, "überhaupt die ganze Klage, auch das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20.10.06 abzuweisen". Er meint, die Vorschriften des SGB II könnten nicht bereits ab dem Jahr 2004 Wirkung entfalten, da sie seinerzeit noch nicht gegolten hätten und er entsprechend auch noch keine Leistungen nach dem SGB II bezogen habe. Auch könne die Betriebskostenerstattung nicht als Vermögen gelten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2006 abzuändern, die Klage in vollem Umfange abzuweisen und die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2006 abzuändern und die Bescheide des Beklagten vom 15. Dezember 2005 sowie 13. Januar 2006, beide in der Fassung der Bescheide vom 20. Februar 2006, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2006, in vollem Umfange aufzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers entscheiden, obwohl dieser in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, da mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (vgl. §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126, 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -).

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft. Zwar wendet er sich lediglich gegen die teilweise Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides durch das Sozialgericht Berlin und die damit verbundene Reduzierung des von ihm angenommenen Anrechnungsbetrages von 264,24 EUR auf 66,06 EUR, sodass der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht erreicht ist. Das Sozialgericht Berlin hat indes die Berufung in Anwendung des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, woran der Senat gebunden ist (§ 144 Abs. 3 SGG). Die außerhalb der Monatsfrist (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist nach § 202 SGG i.V.m. § 524 der Zivilprozessordnung als Anschlussberufung zulässig.

Die Berufung des Beklagten sowie die Anschlussberufung des Klägers haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange jeweils teilweise Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind in ihrer letzten Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2006 nicht zu beanstanden, soweit der Beklagte die Leistungsbewilligung für den September 2005 der Höhe nach teilweise aufhebt und eine Erstattungsforderung in Höhe von zuletzt noch 264,24 EUR geltend macht (dazu im Folgenden zu I. und II.). Nicht hingegen können sie Bestand haben, soweit der Beklagte auch eine Aufrechnung der dem Kläger zustehenden laufenden Leistungen mit der Erstattungsforderung erklärt (dazu im Folgenden zu III.).

I. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind in ihrer letzten Fassung vom 21. Februar 2006 nicht zu beanstanden, soweit der Beklagte die dem Kläger mit Bescheid vom 08. Juni 2005 für die Zeit vom 01. Juli bis zum 31. Dezember 2005 gewährten Leistungen für den Monat September 2005 hinsichtlich der Höhe teilweise aufhebt. Insbesondere liegen hier mit den Bescheiden vom 13. Januar und 20. Februar 2006 – beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2006 - ausdrückliche Aufhebungsbescheide vor, so¬dass dahinstehen kann, ob die in den "Änderungsbescheiden" des Beklagten vom 15. Dezem¬ber 2005 und 20. Februar 2006 formulierten Leistungsaufhebungen ausreichend bestimmte Verwaltungsakte dargestellt hätten.

Soweit das Sozialgericht Berlin davon ausgegangen ist, dass der Beklagte nur teilweise zur Leistungsaufhebung berechtigt gewesen sei, vermag der Senat ihm nicht zu folgen.

Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für den September 2005 ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Danach soll der Verwaltungsakt (hier: der Bewilligungsbescheid vom 08. Juni 2005) mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde; Ermessen steht dem Beklagten insoweit nicht zu (§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Diese Voraussetzungen für eine rückwirkende Leistungsaufhebung liegen hier vor.

Nachdem der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 08. Juni 2005 Leistungen für die zweite Jahreshälfte 2005 gewährt und damit einen so genannten Dauerverwaltungsakt erlassen hatte, minderte sich der Leistungsanspruch des Klägers. Denn seine Vermieterin ermittelte für ihn mit Abrechnung vom August 2005 ein Betriebskostenguthaben bezogen auf die im Jahre 2004 geleisteten Vorauszahlungen in Höhe von 294,24 EUR. Soweit der Beklagte davon ausgegangen ist, dass dem Kläger ein entsprechender Betrag im September 2005 überwiesen worden ist, ist dies nicht zu beanstanden. Die Vermieterin hatte in der genannten Abrechnung vom 10. August 2005 eine Überweisung des Betrages angekündigt. Es erscheint vor diesem Hintergrund sachgerecht, von einem Zufluss im September 2005 auszugehen, zumal der Kläger dieser Annahme während des gesamten Verfahrens nicht entgegen getreten ist.

Dieses dem Kläger zugeflossene Betriebskostenguthaben mindert vorliegend nicht die ihm entstehenden Kosten für Unterkunft und Heizung. Zwar sieht § 22 Abs. 1 Satz 4 1. Halbsatz SGB II vor, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern. Diese Vorschrift ist jedoch erst mit Wirkung zum 01. August 2006 eingefügt worden und damit vorliegend noch bedeutungslos. Für den streitgegenständlichen Zeitraum stellt sich das Betriebskostenguthaben vielmehr noch als nach den allgemeinen Vorschriften anrechenbares Einkommen dar (vgl. schon Urteil des Senats vom 19. Juli 2007 – L 5 AS 278/06 – veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de m.w.N.).

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie nicht zu den in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 SGB II sowie in § 1 Abs. 1 Alg II-V geregelten Ausnahmen gehören, was hier offensichtlich nicht der Fall ist. Nicht hingegen ist das Guthaben als Vermögen zu qualifizieren. Denn zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen ist die vom Bundesverwaltungsgericht zur Sozialhilfe entwickelte "Zuflusstheorie" heranzuziehen, da die Regelungen der §§ 11 ff. SGB II im Wesentlichen den Bestimmungen des Sozialhilferechts entsprechen. Danach ist Einkommen das, was der Hilfebedürftige im laufenden Leistungsbezug dazu erhält, und Vermögen dasjenige, was er bereits hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 – 5 C 35/97BVerwGE 108, Seite 296 ff.). Grundsätzlich ist danach von dem tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt. Hieran gemessen ist die Betriebskostenerstattung als Einkommen und nicht als Vermögen zu werten, denn wirtschaftlich ist sie dem Kläger – wie ausgeführt - im September 2005 zugeflossen. Zu dieser Zeit erhielt er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes von dem Beklagten. Die Betriebskostenerstattung ist auch nicht deshalb als Vermögen anzusehen, weil der diesbezügliche Anspruch durch zuviel gezahlte Betriebskostenvorschüsse entstanden ist. Ein Betriebskostenerstattungsanspruch entsteht nämlich - wie ein Einkommensteuererstattungsanspruch - nicht durch freiwilliges Ansparen, sondern dadurch, dass erst nach Ende eines bestimmten Zeitraums abgerechnet wird und bis dahin weder zusätzliche Zahlungen noch Erstattungen zu erfolgen haben. Die Erstattung ist auch dann als Einkommen von dem Leistungsträger zu berücksichtigen, wenn der Betroffene – wie der Kläger – in dem Zeitraum, in dem er die entsprechenden Betriebskostenvorschüsse entrichtet hat, noch keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezogen hat. Auch in diesem Fall ist der Zeitpunkt des Zuflusses maßgeblich. Ob vor dem Zeitpunkt der Auszahlung bereits eine Forderung oder Anwartschaft des Klägers gegenüber seiner Vermieterin bestand, ist wegen des geltenden Zuflussprinzips nicht erheblich (vgl. BVerwG, a.a.O.).

Zu Recht hat der Beklagte dieses Einkommen schließlich in seinen Bescheiden vom 20. Februar 2006 nicht in voller Höhe angerechnet, sondern gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V nur nach Abzug einer Versicherungspauschale von 30,00 EUR, sodass aus dem Betriebskostenguthaben des Klägers ein Betrag von 264,24 EUR als Einkommen zur Anrechnung gelangen durfte.

Diese Anrechnung durfte der Beklagte auch nachträglich auf den Monat September 2005 beziehen. Während nach der hier – wie ausgeführt - nicht maßgeblichen neuen Rechtslage (§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II) Betriebskostenerstattungen die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung mindern, musste nach der für den vorliegenden Fall noch geltenden Rechtslage die Anrechnung im Monat des Zuflusses vorgenommen werden. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V in der bis zum 30. September 2005 geltenden Fassung. Denn danach waren einmalige Einnahmen von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Soweit das Sozialgericht Berlin aufgrund dieser Vorschrift nur eine auf ein volles Jahr verteilte Einkommensanrechnung ab Oktober 2005 für zulässig hielt, vermag der Senat dieser Auffassung bereits angesichts des Wortlauts der Norm nicht zu folgen.

Ob der Beklagte es vor Erlass des Aufhebungsbescheides entgegen § 24 SGB X unterlassen hat, den Kläger zu der beabsichtigen Aufhebung ordnungsgemäß anzuhören, kann dahinstehen. Denn jedenfalls wäre dieser Verfahrensmangel gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X durch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt.

Schließlich hat der Beklagte die sich aus § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 SGB X ergebende Frist zur Aufhebung eingehalten. Der Beklagte hat erst im Dezember 2005 von der Betriebskostenerstattung erfahren. Die verschiedenen hier letztlich ergangenen Aufhebungs- und Erstattungs- bzw. Änderungsbescheide stammen aus der Zeit zwischen Dezember 2005 und Februar 2006 und wurden damit innerhalb der Jahresfrist erlassen.

II. Ist mithin die rückwirkende teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II nicht zu beanstanden, ist auch die mit den Bescheiden vom 13. Januar und 20. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2006 geltend gemachte und auf § 50 Abs. 1 SGB X beruhende Erstattungsforderung rechtmäßig. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Höhe der Erstattungsforderung rechtswidrig sein könnte, liegen nach obigen Ausführungen nicht vor und sind vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

III. Nicht hingegen konnte der angefochtene Bescheid Bestand haben, soweit der Beklagte gestützt auf § 43 SGB II eine Aufrechnung der dem Kläger zustehenden Leistungen mit seinem Erstattungsanspruch in Höhe von 264,24 EUR erklärt.

Nach § 43 SGB II können Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einem Betrag in Höhe von 30 vom Hundert der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach dem SGB II aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder auf Schadenersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. Davon, dass dies hier der Fall wäre, vermag sich der Senat nicht zu überzeugen.

Zwar hat der Beklagte gegen den Kläger – wie zuvor ausgeführt - einen Anspruch auf Erstattung von 264,24 EUR. Zur Überzeugung des Senats steht aber fest, dass der Kläger diesen Erstattungsanspruch nicht durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat, wie das Gesetz es ausdrücklich fordert. Zwar hat der Kläger es unterlassen, dem Beklagten die – ein für ihn ermitteltes Guthaben ausweisende - Betriebskostenabrechnung vom August 2005 unaufgefordert vorzulegen. Dies stellt ein pflichtwidriges Unterlassen dar, eine Änderung im Sinne von § 60 Abs. 1 Nr. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) mitzuteilen. Ob dieses Unterlassen aber der dem Wortlaut der Norm nach geforderten Tätigung unrichtiger oder falscher Angaben zugehört und damit einem positiven Tun des Hilfebedürftigen gleichsteht, erscheint bereits sehr fraglich (vgl. ablehnend Conradis in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 43 Rn. 9 sowie M. Mayer in Oestreicher, SGB XII/SGB II, Stand September 2007, § 43 SGB II Rn. 22). Allerdings bedarf dies hier keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls hat der Kläger zur Überzeugung des Senats nicht grob fahrlässig gehandelt.

Grobe Fahrlässigkeit liegt in Anlehnung an § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X nur dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Verlangt wird eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem besonders hohen Ausmaße, die dann zu bejahen ist, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn also nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Dabei ist nicht ein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen (BSG, Urteil vom 27.07.2000 – B 7 AL 88/99 RSozR 3-1300 § 45 Nr. 42 m.w.N.). Dass der Kläger aufgrund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass er das im Jahre 2004 – und damit zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des SGB II – aufgebaute Betriebskostenguthaben im Jahre 2005 beim Beklagten anzeigen muss, da die Rückzahlung Einfluss auf seinen aktuellen Leistungsanspruch hat, kann nicht angenommen werden. Bereits die zur Berücksichtigung eines Betriebskostenguthabens in den letzten Jahren eingetretenen Gesetzesänderungen, die durchaus nicht einheitliche Rechtsprechung zu diesem Problem sowie die auf Seiten des Beklagten bestehenden Unklarheiten, in welchem Umfang das Guthaben als Einkommen angerechnet werden kann, belegen, dass die Anrechnung nicht unkompliziert ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger seine Sorgfaltspflicht in besonders hohem Ausmaße verletzt hat, als er davon ausging, dass er das Guthaben nicht anzuzeigen habe und für sich behalten könne.

Eine Umdeutung der ausgesprochenen Aufrechnung in eine solche nach § 51 SGB I scheidet aus. Unabhängig davon, ob die §§ 51 und 52 SGB I überhaupt neben § 43 SGB II zur Anwendung kommen können oder durch diese Regelung als verdrängt anzusehen sind, liegen jedenfalls die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 51 SGB I nicht vor. Eine Aufrechnung mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ist danach nicht möglich. Etwaige auf die Erstattungsforderung einbehaltene Beträge hat der Beklagte mithin dem Kläger auszuzahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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