L 1 KR 65/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 2901/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 65/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einem Arbeitsstuhl handelt es sich nicht um ein Hilfsmittel sondern um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Januar 2006 wird aufgehoben, die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Streitverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung der Klägerin mit einem Arbeitsstuhl streitig.

Die 1931 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin leidet an einem Post-Polio-Syndrom. Im Jahr 1997 stellt ihr die Beklagte neben einem -jetzt noch vorhandenen- Rollstuhl einen Arbeitsstuhl der Fa. T zur Verfügung.

Am 7. Mai 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung und eines Kostenvoranschlages, der die Kosten auf 1809,30 EUR beziffert, die Versorgung mit einem neuen Arbeitsstuhl der Fa. T. Auf dem Kostenvoranschlag ist vermerkt, dass der alte Arbeitsstuhl bereits 7 Jahre alt sei und stark verbraucht sei. Ersatzteile für diesen Stuhl seien nicht mehr zu haben. Mit Bescheid vom 13. Mai 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Am 22. Juni 2004 beantragte die Klägerin erneut unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung und eines Kostenvoranschlages, der die Kosten auf 927,60 EUR bezifferte, die Versorgung mit einem Arbeitsstuhl, jetzt der Firma M, Modell M. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte und zwar mit Bescheid vom 28. Juni 2004 ab.

Der Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wurde durch Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20. August 2004 als unbegründet zurückgewiesen. Der von der Klägerin begehrte Stuhl sei kein Hilfsmittel, sondern ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.

Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, es treffe nicht zu, dass es sich bei dem begehrten Arbeitsstuhl um einen Gegenstand des täglichen Lebens handele. Sie benötige aufgrund ihrer Behinderung diesen Arbeitsstuhl mit einem gefederten Untergestell und einem Zentralfeststeller. Von einem normalen Stuhl könne sie sich nicht erheben. Auch müssten die Räder des Stuhls zu lösen und feststellbar sein. Ihren Rollstuhl könne sie in Küche und Bad nicht benutzen, weil die Küche insgesamt zu eng sei, um sie mit einem Rollstuhl zu befahren.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage durch Urteil vom 24. Januar 2006 stattgegeben. Rechtsgrundlage sei § 33 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Danach hätten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, unter anderem dann, wenn sie im Einzelfall erforderlich seien, um eine Behinderung auszugleichen. Diese Voraussetzung sei hier gegeben. Zwar würden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Gegenstände die nur mittelbar eine Organfunktion ersetzten, nur dann als Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben ("allgemein") beseitigten und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens beträfen (unter Verweis auf BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 29). Ein solches Grundbedürfnis sei hier aber betroffen. Denn zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehörten das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, das (elementare) Körperpflegen, selbstständiges Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (Bezugnahme auf BSG , Urteil vom 16. 09. 2004, B 3 KR 19/03 R)- womit auch die Fähigkeit gemeint sei, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen ( Bezugnahme auf BSG in SozR 4-2500 § 33 Nr. 3).

Die Tatsache dass der gewünschte Stuhl im Hilfsmittelverzeichnis nicht erwähnt sei, stehe einer Leistung nicht entgegen, denn das Hilfsmittelverzeichnis besitze nur informatorischen Charakter (vgl. BSG in SozR 3- 2500 § 33 Nr. 25).

Der von der Klägerin begehrte Arbeitsstuhl sei auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Er ähnele zwar einem gewöhnlichen Bürostuhl. Von einem solchen unterscheide er sich aber dadurch wesentlich, dass er behinderten Versicherten wie der Klägerin ein problemloses Aufstehen ermögliche, indem er über gummierte Räder verfüge, die so festgestellt werden könnten, dass der Stuhl nicht nach hinten wegrutsche und darüber hinaus so angeordnet seien, dass sie den Füßen den nötigen Platz für ein Aufstehen böten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten.

Sie ist der Auffassung, es handele sich bei dem streitbefangenen Stuhl um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Maßgeblich sei hierfür, ob andere handelsübliche Gegenstände denselben Zweck erfüllten. Um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele sich auch dann, wenn dieser infolge einer Krankheit und/oder Behinderung angeschafft werde oder besonders gestaltet sei. Das BSG habe dies beispielsweise bei einem elektrisch verstellbaren Aufrichtsessel angenommen (Verweis auf BSG v. 22. 08. 2001-B 3 P 13/00R). Der streitbefangene Stuhl sei damit vergleichbar. Er sei ebenfalls allgemein im Handel erhältlich und werde unter der Rubrik Freizeit und Beruf oder Alltag im Handel vertrieben.

Darüber hinaus sei die Klägerin zum Ausgleich der beeinträchtigten Körperfunktionen Sitzen und Gehen mit einem Rollstuhl versorgt. Damit sei die Behinderung der Klägerin ausreichend und zweckmäßig im Sinne der §§ 12 und 33 SGB V ausgeglichen.

Sofern ein Gegenstand wie hier aufgrund der besonderen Wohnverhältnisse benötigt werde, weil der Rollstuhl nicht in die Küche passe, sei dies nicht Aufgabe der medizinischen Rehabilitation und damit der gesetzlichen Krankenversicherung.

Sitzhilfen, die durch die gesetzliche Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen seien, dienten der Kompensation ausgeprägter Sitzfehlhaltungen und/oder Sitzhaltungsinstabilitäten. Sie sollten ein dauerhaftes, beschwerdefreies Sitzen in physiologischer Haltung ermöglichen. Hierzu diene der beantragte Stuhl nicht.

Die Beklagte beruft sich auf ein eingereichtes Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg e.V., wonach es sich bei dem beantragten Arbeitsstuhl um einen entsprechend der Nutzerbedürfnisse nach Baukastensystem zusammenstellbaren Arbeitsstuhl und somit um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele (sozialmedizinisches Gutachten des Diplom-Mediziners Reinhard vom 7. November 2006).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24 Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Auffassung, sie benötige einen Stuhl, der über feststellbare Räder verfüge, die so festgestellt werden könnten, dass der Stuhl nicht nach hinten wegrutsche und die darüber hinaus so angeordnet seien, dass sie den Füßen der Klägerin den nötigen Platz für ein Aufstehen böten. Solche Stühle würden speziell Behinderten angeboten und nicht für den allgemeinen Markt produziert.

Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet, das Urteil des Sozialgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zu Unrecht hat das Sozialgericht angenommen bei dem begehrten Arbeitsstuhl handele es sich um ein Hilfsmittel nach § 33 Abs. 1 SGB V auf das Versicherte, wie die Klägerin Anspruch haben.

Bei dem beantragten Arbeitsstuhl handelt es sich nicht um ein Hilfsmittel, das im Einzelfall erforderlich ist, um eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 u. 5 SGB V)

Bezeichnenderweise hat es das Sozialgericht verabsäumt, mitzuteilen, welches der von ihm benannten Grundbedürfnisse des täglichen Lebens hier konkret betroffen und welche Behinderung der Klägerin dabei ausgeglichen werden soll. Um das beschwerdefreie Sitzen kann es sich hier nicht handeln. Denn zutreffend hat die Beklagte ausgeführt, dass besondere Sitzhilfen dann erforderlich sind, wenn sie u.a. der Kompensation ausgeprägter Sitzfehlhaltungen dienen sollen, wenn sie also ein dauerhaftes, beschwerdefreies Sitzen in physiologischer Haltung ermöglichen. Davon kann hier keine Rede sein. Sollte es sich um das Fortbewegen innerhalb der Wohnung als Grundbedürfnis handeln, ist die Klägerin von der Beklagten zutreffend auf den zur Verfügung gestellten Rollstuhl hingewiesen worden.

Darüber hinaus handelt es sich bei dem begehrten Stuhl erkennbar um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der nach § 33 Abs. 1, Satz 1, 3. Hs. SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist. Dabei stützt sich der Senat auf das Gutachten des MDK Berlin- Brandenburg e.V. vom 07.11.2006, das in sich widerspruchsfrei ist und gegen das die Klägerin keine Einwände vorgebracht hat, die geeignet wäre, die dortigen Feststellungen in Frage zu stellen. Nach ihrem eigenen Vortrag benötigt die Klägerin einen Stuhl mit Rollen, die feststellbar sind und der in der Höhe verstellbar ist. Dies sind jedoch Voraussetzungen, die die meisten Arbeitsstühle zu bieten haben. Dass der von der Klägerin ausgesuchte Arbeitsstuhl ihren Bedürfnissen am besten entgegenkommt, spielt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Rolle (vgl. BSG vom 22. August 2001 a.a.O.).

Schließlich kann auch die Entscheidung der Beklagten in der Vergangenheit, der Klägerin einen Arbeitsstuhl als Hilfsmittel zu gewähren, keine andere Entscheidung rechtfertigen, da die Beklagte an eine fehlerhaften Entscheidung, die sie in der Vergangenheit getroffen hat, nicht gebunden ist, zumal eine Reparatur des ursprünglich gewährten Arbeitsstuhls nach dem Vortrag der Klägerin nicht möglich ist, da es dafür keine Ersatzteile mehr gibt.
Rechtskraft
Aus
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