Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 112 KR 268/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 462/07 KR PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zwar fehlt dem Cannabinoid Dronabinol (Handelsname Marinol) die arzneimittelrechtliche Zulassung. Ein HIV-infizierter, unter einem Wasting-Syndrom leidender Versicherter hat gleichwohl Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, wenn er Kostenübernahme durch die Krankenkasse begehrt, da nicht schlechthin auszuschließen ist, dass er einen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel hat.
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 2007 wird aufgehoben. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin B A, Wstraße, B, beigeordnet.
Gründe:
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Er hat im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren.
Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO).
Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffs; die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht "die reale Chance zum Obsiegen", nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance". Prozesskostenhilfe darf also nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber fern liegend ist, denn das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. zuletzt Kammerbeschluss vom 22. Juni 2007, 1 BvR 681/07, zitiert nach juris, dort Rdnr. 8; außerdem Beschluss vom 13. März 1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347).
Zur Frage der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens tritt ein Weiteres: Zwar ist das Verfahren vor den Sozialgerichten ohne Anwaltszwang und gerichtskostenfrei ausgestaltet. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist hier jedoch insofern von Bedeutung, als der Unbemittelte durch die Beiordnung des Rechtsanwalts von dessen Vergütungsansprüchen freigestellt wird. Dem Unbemittelten ist daher gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Satz 1 erste Alternative ZPO ein Rechtsanwalt dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich im Einzelfall insbesondere nach Umfang und Schwierigkeit der Sache. Das Gericht muss erwägen, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2006, 1 BvR 2673/05, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14 f.).
Gemessen an alledem hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt, denn Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO können der Klage nicht abgesprochen werden; auch hat der Senat keinen Zweifel an der Erforderlichkeit der Vertretung des Klägers durch einen Rechtsanwalt.
Der Kläger begehrt im Hauptsacheverfahren die Verurteilung der beklagten Krankenkasse zur Übernahme der Kosten für das ärztlich verordnete Arzneimittel Dronabinol (Handelsname: Marinol). Er leidet u. a. unter einem fortgeschrittenen Immundefekt bei HIV-Infektion und einer Kachexie (Auszehrung) bei Wasting-Syndrom; so wog er nach einem Befundbericht von November 2005 nur 75 kg bei einer Körpergröße von 1,98 m. Dronabinol ist ein Cannabinoid und in Deutschland nicht zugelassen, führt aber nach Angaben des behandelnden Internisten beim Kläger zu einer Steigerung des Appetits und dadurch zu einer Gewichtszunahme. In den USA und Kanada ist das Medikament zur Behandlung des HIV-assoziierten Wastings-Syndroms zugelassen.
Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Rechtsfragen sind so komplex, ihre Beantwortung ist gleichzeitig von so erheblicher Bedeutung für den Kläger, dass dem Hauptsacheverfahren nicht nur eine entfernte Erfolgschance eingeräumt werden kann und die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung auf der Hand liegt. Zwar ist der Hinweis des Sozialgerichts auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. März 2007 (B 1 KR 30/06 R) durchaus sachgerecht. Danach sind Fertigarzneimittel jedenfalls dann nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenklassen umfasst, wenn ihnen – wie hier – die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt; eine bestehende Arzneimittelzulassung im Ausland entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen in Deutschland. Gleichzeitig kann dieses Urteil nicht schematisch auf den Fall des Klägers angewandt werden, da dort Dronabinol zur Behandlung eines chronischen Schmerzsyndroms verordnet war, während es hier um die Therapie der Kachexie und des Wasting-Syndroms bei HIV-Infektion geht. Im Klageverfahren wird es darauf ankommen zu klären, ob der Kläger ausnahmsweise entgegen den einfachgesetzlichen Vorschriften des SGB V einen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Dronabinol hat; in diesem Zusammenhang wird u. a. zu klären sein, ob der Kläger – wofür anders als bei einem chronischen Schmerzsyndrom einiges sprechen könnte – unter einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit leidet oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorliegt. Es liegt auf der Hand, dass damit im Klageverfahren eine überaus schwierige Bewertung der Erkrankung des Klägers zu erfolgen hat, deren Ergebnis zumindest offen ist. Das Prinzip der Waffengleichheit im Prozess gebietet dabei die anwaltliche Vertretung des Klägers.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (vgl. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Er hat im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren.
Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO).
Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffs; die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht "die reale Chance zum Obsiegen", nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance". Prozesskostenhilfe darf also nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber fern liegend ist, denn das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. zuletzt Kammerbeschluss vom 22. Juni 2007, 1 BvR 681/07, zitiert nach juris, dort Rdnr. 8; außerdem Beschluss vom 13. März 1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347).
Zur Frage der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens tritt ein Weiteres: Zwar ist das Verfahren vor den Sozialgerichten ohne Anwaltszwang und gerichtskostenfrei ausgestaltet. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist hier jedoch insofern von Bedeutung, als der Unbemittelte durch die Beiordnung des Rechtsanwalts von dessen Vergütungsansprüchen freigestellt wird. Dem Unbemittelten ist daher gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Satz 1 erste Alternative ZPO ein Rechtsanwalt dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich im Einzelfall insbesondere nach Umfang und Schwierigkeit der Sache. Das Gericht muss erwägen, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2006, 1 BvR 2673/05, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14 f.).
Gemessen an alledem hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt, denn Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO können der Klage nicht abgesprochen werden; auch hat der Senat keinen Zweifel an der Erforderlichkeit der Vertretung des Klägers durch einen Rechtsanwalt.
Der Kläger begehrt im Hauptsacheverfahren die Verurteilung der beklagten Krankenkasse zur Übernahme der Kosten für das ärztlich verordnete Arzneimittel Dronabinol (Handelsname: Marinol). Er leidet u. a. unter einem fortgeschrittenen Immundefekt bei HIV-Infektion und einer Kachexie (Auszehrung) bei Wasting-Syndrom; so wog er nach einem Befundbericht von November 2005 nur 75 kg bei einer Körpergröße von 1,98 m. Dronabinol ist ein Cannabinoid und in Deutschland nicht zugelassen, führt aber nach Angaben des behandelnden Internisten beim Kläger zu einer Steigerung des Appetits und dadurch zu einer Gewichtszunahme. In den USA und Kanada ist das Medikament zur Behandlung des HIV-assoziierten Wastings-Syndroms zugelassen.
Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Rechtsfragen sind so komplex, ihre Beantwortung ist gleichzeitig von so erheblicher Bedeutung für den Kläger, dass dem Hauptsacheverfahren nicht nur eine entfernte Erfolgschance eingeräumt werden kann und die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung auf der Hand liegt. Zwar ist der Hinweis des Sozialgerichts auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. März 2007 (B 1 KR 30/06 R) durchaus sachgerecht. Danach sind Fertigarzneimittel jedenfalls dann nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenklassen umfasst, wenn ihnen – wie hier – die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt; eine bestehende Arzneimittelzulassung im Ausland entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen in Deutschland. Gleichzeitig kann dieses Urteil nicht schematisch auf den Fall des Klägers angewandt werden, da dort Dronabinol zur Behandlung eines chronischen Schmerzsyndroms verordnet war, während es hier um die Therapie der Kachexie und des Wasting-Syndroms bei HIV-Infektion geht. Im Klageverfahren wird es darauf ankommen zu klären, ob der Kläger ausnahmsweise entgegen den einfachgesetzlichen Vorschriften des SGB V einen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Dronabinol hat; in diesem Zusammenhang wird u. a. zu klären sein, ob der Kläger – wofür anders als bei einem chronischen Schmerzsyndrom einiges sprechen könnte – unter einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit leidet oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorliegt. Es liegt auf der Hand, dass damit im Klageverfahren eine überaus schwierige Bewertung der Erkrankung des Klägers zu erfolgen hat, deren Ergebnis zumindest offen ist. Das Prinzip der Waffengleichheit im Prozess gebietet dabei die anwaltliche Vertretung des Klägers.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (vgl. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
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