S 16 (18) U 64/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 (18) U 64/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 78/08
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Bewilligung von Rente wegen eines Arbeitsunfalls.

Der 1974 geborene Kläger war als Gießereiarbeiter in der Firma T1 und C1 tätig als sich am 20.11.2001 aus der Schleuderanlage eine mit Flüssigeisen gefüllte Kokille von den Antriebsrollen löste, wobei aus der Kokille flüssiges Eisen geschleudert wurde und aus der Gießpfanne unkontrolliert Flüssigeisen auf die noch rotierende Kokille floss. Durch die umhergeschleuderte Schmelze zog sich der Kläger Verbrennungen zu. Er musste deswegen im Schwerstverbrannten Zentrum des Krankenhauses N bis zum 18.12.2001 stationär behandelt werden. In dem Entlassungsbericht ist von Verbrennungen von insgesamt 10,5 % der Körperoberfläche die Rede. Zur Behandlung der psychischen Verfassung des Klägers (Albträume und gestörte Nachtruhe) wurde dem Kläger empfohlen sich psychotherapeutisch behandeln zu lassen. Eine Vorstellung in der Neurologischen Klinik des Krankenhauses N vom 23.01.2002 ergab einen normalen psychischen Befund. Einem Arztbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie T2 (vom 29.08.2001) ist zu entnehmen, dass bereits vor dem Unfall eine somatoforme Störung diagnostiziert worden ist. Der den Kläger seit dem 07.02.2002 behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie berichtete von einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Beklagte hörte daraufhin L, der unter dem 31.01.2003 zu dem Ergebnis kam, im Hinblick auf die bereits vor dem Unfall bestehende depressive Episode bestünden Zweifel an der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es gebe Anhaltspunkte, dass die leichte bis mittelgradige depressive Episode nur in geringerem Umfang als Folge des Unfalls vom 20.01.2001 anzusehen sei. Der Kläger habe noch über gelegentliche Albträume und Unruhezustände berichtet. Bei Betreten der Firma denke er zwangsweise an das Unfallereignis. HNO-ärztlicherseits äußerte W1, beim Kläger könne eine posttraumatische Hörminderung nicht angenommen werden. Nach den Befunden der Reintonaudiometrie aggraviere er. Als Unfallfolgen seien eine Schmerzhaftigkeit der rechten Ohrmuschel und das Taubheitsgefühl im Helixrandbereich durch postoperative Narbenbildung nach Spalthauttransplantation nachvollziehbar und mit einer MdE von 5 % zu bemessen (Gutachten vom 01.01.2003). Neurologisch-psychiatrischerseits berichtete C2, zwar sei der Unfallhergang durchaus geeignet gewesen, eine posttraumatische Belastungsstörung zu begründen. Es fehle allerdings ein psychopathologisches Korrelat mit Einschränkung der Reagibilität und der Ich-Funktionen. Der Kläger habe sich vielmehr als reaktionsfähig, affektiv ansprechbar und lebhaft gezeigt. Die schlechte Anpassung des Klägers zeige sich in seinem beruflichen Werdegang mit häufigen Stellenwechseln und den dazwischenliegenden Zeiten der Arbeitslosigkeit. Die schlechte Anpassung zeige sich auch in den fehlenden Sprachkenntnissen, obwohl der Kläger schon als 10-jähriges Kind in die Bundesrepublik gekommen sei, gelinge keine hinreichende Verständigung. Die Anpassungsstörung sei auf die soziale Entwicklung mit einer nach Aktenlage vorbestehenden Neigung zu Depressionen zu beziehen. Eine messbare unfallbedingte MdE lasse sich von Seiten des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets nicht begründen (Gutachten vom 23.07.2003). Chirurgischerseits schätzte S unter Berücksichtigung der Narbenverhältnisse die unfallbedingte MdE auf 10 vom Hundert (Gutachten vom 29.04.2004). Die unfallbedingte Gesamt-MdE - unter Berücksichtigung der HNO-ärztlichen neurologisch und chirurgischen Befunde bewertete C2 ebenfalls mit 10 vom Hundert (Stellungnahme vom 12.05.2004). Die Beklagte lehnte darauf hin die Bewilligung von Rente ab (Bescheid vom 27.07.2004). Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26.01.2004). Mit seiner am 16.12.2004 eingegangenen Klage macht der Kläger geltend, seine psychischen Schwierigkeiten mit den Unfallfolgen zu Recht zu kommen seien derart massiv, dass diese allein schon eine rentenberechtigende MdE unterhielten. Es sei eine Anpassungstörung entstanden, respektive sei diese verstärkt worden, darüber hinaus sei die MdE auf plastisch-chirurgischem Fachgebiet nicht nur mit 10 %, sondern mit mindestens 20 % festzusetzen. Dazu bezieht sich der Kläger auf einen Entassungsbericht über eine stationäre Heilbehandlung vom 23.11. bis 21.12.2004 in den T3 Kliniken, in dem von einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome die Rede ist. Außerdem hat er eine ärztliche Bescheinigung (vom 07.01.2005) vorgelegt, in der diese Diagnosen bestätigt werden.

In der mündlichen Verhandlung vom 29.01.2008 ist für den Kläger niemand aufgetreten.

Schriftsätzlich begehrt der Kläger,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27.07.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2004 zu verurteilen, ihm ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit Verletztenrente aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 20.01.2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Befundberichte von D und T4 eingeholt sowie neurologisch-psychiatrischerseits H gehört. Dieser hat eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine Anpassungsstörung beschrieben und die dadurch bedingte MdE zunächst mit 50 vom Hundert und sodann mit 30 vom Hundert bewertet. Außerdem hat das Gericht das in dem Schwerbehindertenverfahren S 28 SB 238/04 von L unter dem 01.03.2005 erstattete neurologisch-psychiatrische Gutachten beigezogen, in dem eine posttraumatische Belastungsstörung verneint wird. Abschließend hat das Gericht nach Aktenlage W2 gehört, der die Auffassung vertreten hat, die somatoforme Schmerzstörung des Klägers habe schon vor dem Unfall bestanden, die posttraumatische Belastungsstörung sei bereits zum 01.06.2003 abgeklungen gewesen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Vorgänge S 28 SB 238/04 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 27.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2004 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente, weil die bei ihm vorliegende unfallbedingte MdE ein rentenberechtigendes Ausmaß (20 vom Hundert) nicht erreicht (vgl. § 56 SGB VII). Zwar ist der im vorliegenden Rechtsstreit gehörte Sachverständige H gegenteiliger Ansicht. Er hat vorgeschlagen, wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bis Ende 2004 eine unfallbedingte MdE von 50 vom Hundert und danach wegen einer Anpassungs- und somatoformen Schmerzstörung eine unfallbedingte MdE von 30 vom Hundert anzunehmen. Diesem Vorschlag kann jedoch nicht gefolgt werden. Davon hat sich die Kammer insbesondere aufgrund der Darlegungen von W2, L und C2 überzeugt. Unterstellt man, dass der Unfallhergang geeignet gewesen ist, eine posttraumatische Belastungsstörung wesentlich zu verursachen und unterstellt man weiter, dass beim Kläger Symptome einer solchen Störung vorgelegen haben, so ist mit W2 und C2 jedoch davon auszugehen, dass diese Störung bereits bei Beendigung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit (31.05.2003) abgeklungen gewesen ist. Der Kläger selbst hat bei der Untersuchung durch H angegeben, dass seine Beschwerden ungefähr 2 Jahre nach dem Unfall nachgelassen haben. C2 hat darauf hingewiesen, dass es bei der Untersuchung des Klägers am 23.07.2003 an einem psychopathologischen Korrelat gefehlt hat. Weder ist damals die Reaktionsfähigkeit noch sind die Ich-Funktionen eingeschränkt gewesen. Der Kläger hat sich bei der Untersuchung als sehr reaktionsfähig, affektiv ansprechbar und lebhaft gezeigt, wobei er - so der Gutachter - mit "großer Lebendigkeit" sein Beschwerdebild hervorgehoben hat. Auch L hat bei der am 02.03.2005 erfolgten Untersuchung betont, dass der Kläger erst auf mehrmalige Nachfrage versucht hat, sein traumartigen Szenen darzustellen und darüber hinaus dabei in die Vergangenheitsform fiel. Mit L geht die Kammer davon aus, dass auch dies ein Indiz gegen das tatsächliche Vorliegen der vom Kläger behaupteten flash-backs darstellt. Es ist daher plausibel, wenn beide Gutachter von aggravatorischen Verhaltensweisen bzw. einer Tendenzreaktion des Klägers berichten. Darüber hinaus kann auch die von H beschriebene Anpassungs- und somatoforme Schmerzstörung den Unfallfolgen nicht zugerechnet werden, sondern ist Ausdruck der Persönlichkeitsstruktur des Klägers. Eine somatoforme Störung hat T2 bereits vor dem Unfall vom 20.01.2001 beschrieben. Sie hat seinerzeit (Arztbrief vom 29.08.2001) von Schmerzen des Klägers im Magen und Rücken sowie von Ängsten, Schlaflosigkeit und Problemen mit dem Kopf berichtet. Darüber hinaus ist mit den Gutachtern davon auszugehen, dass die Sozialbiografie darauf hindeutet, dass sich der Kläger in der Bundesrepublik schlecht eingelebt hat und sich daraus die bei ihm festgestellte psychische Störung entwickelt hat. C2 hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits als 10-jähriges Kind in die Bundesrepublik gekommen ist, dennoch mit ihm keine hinreichende Verständigung möglich gewesen ist, so dass die Einschaltung eines Dolmetschers erforderlich geworden ist. An Unfallfolgen verblieben sind lediglich die von W1 und S beschriebenen Narben. Die verbrennungsbedingten flächenhaften Narbenbildungen umfassen ca. 11 % der Körperoberfläche und betreffen die rechte Ohrmuschel, die Nackenregion, den rechten Ober- und Unterarm, sowie die rechte Hand und den rechten Ober- und Unterschenkel. Dass diesen Narbenbildungen keine MdE in rentenberechtigendem Umfang beigemessen werden kann folgt bereits aus einem Vergleich mit den unfallmedizinischen Erfahrungswerten, an denen sich die Kammer wegen der verfassungsmäßig gebotenen Gleichbehandlung der Verletzten orientiert. Nach diesen Erfahrungswerten ist beispielsweise flächenhaften Verbrennungsnarben, die nicht mehr als 20 vom Hundert der Körperoberfläche umfassen, eine MdE von 10 vom Hundert zuzuordnen (vgl. Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Aufl., S. 129).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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