Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 Kn 364/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kn 601/96 R
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine strittige Tarifvertragsklausel, über deren Auslegung bei den beteiligten Bevölkerungskreisen nachgewiesen keine tatsächliche Übereinstimmung besteht, kann nicht als Grundlage für die Bestimmung des objektiven wirtschaftlichen Wertes einer Tätigkeit im Sinne des § 45 Abs. 3 SGB 6 dienen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 23. April 1996 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung einer Rente für Bergleute nach Vollendung des 50. Lebensjahres.
Der Kläger bezog seit dem 1. April 1990 Rente für Bergleute gemäß § 45 Abs. 3 des 6. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 6). Seit dieser Zeit verrichtet der hauptberuflich als Streckenbohrwagenbediener (TTSC 40308/Lohngruppe 03 + FZ des Lohntarifvertrages für den Kali- und Steinsalzbergbau in Hessen, Niedersachsen und NRW) tätig gewesene Kläger die damals nicht wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit eines Bedieners von Maschinen zur Firstsicherung (TTSC 40512/Lohngruppe 05 + FZ des Lohntarifvertrages).
Aufgrund einer von Amts wegen durchgeführten Nachprüfung hörte die Beklagte den Kläger im Mai 1992 wegen einer beabsichtigten Rentenentziehung an. Sie führte aus, daß wegen der im Rahmen des Lohntarifvertrages für den Kali- und Steinsalzbergbau vom 1. November 1990 mit Wirkung vom 1. Januar 1991 eingeführten und in die Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit generell einbezogenen Erfahrungszulage die ausgeübte Tätigkeit nunmehr zu der ursprünglichen wirtschaftlich gleichwertig sei. Mit entsprechender Begründung entzog die Beklagte mit Wirkung vom 1. November 1993 die Rente für Bergleute und hob den Rentenbescheid auf. Den Widerspruch des Klägers vom 18. Oktober 1993 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 1994 zurück. Zur Begründung führte sie aus, daß es zur Feststellung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit zweier Tätigkeiten nicht auf die effektive Höhe des jeweils erzielten oder erzielbaren Erwerbseinkommens ankomme, sondern auf den objektiven wirtschaftlichen Wert. Dieser komme in der tariflichen Einstufung der Tätigkeiten zum Ausdruck. Nach dem Tarifvertrag (Stand: 1. Februar 1993) sei die Tätigkeit als Streckenbohrwagenbediener einschließlich einer Erfahrungszulage von 64,– DM mit einem Tariflohn von 3.691,– DM zu entlohnen gewesen. Der Lohn aus der ausgeübten Tätigkeit als Bediener von Maschinen zur Firstsicherung habe einschließlich der Erfahrungszulage 3.418,– DM betragen. Die Differenz zwischen beiden übersteige nicht die zumutbare Lohneinbuße von 7,5 %, die konkret 276,83 DM betrage. Es sei unerheblich, daß der Kläger als Bediener von Maschinen zur Firstsicherung tatsächlich einen geringeren Lohn erhalten habe. Nach dem Tarifvertrag sei zwar ein Verzicht von Spitzenbeträgen der Bezüge zum Zwecke der Einsparung von Steuerabzügen und von Beiträgen zur Sozialversicherung möglich, er müsse aber ohne Einfluß auf den objektiven wirtschaftlichen Wert einer Tätigkeit bleiben.
Dagegen hat der Kläger am 3. März 1994 Klage vor dem Sozialgericht in Gießen erhoben. Auf dessen Anfrage hat der Arbeitgeber des Klägers, die Kali- und Salz GmbH, mitgeteilt, daß zum Zeitpunkt der Umstufung am 1. April 1990 noch kein Anspruch auf Zahlung der Erfahrungszulage für den Kläger bestanden habe. Unklar sei bei Einführung der Erfahrungszulage zum 1. Januar 1991 gewesen, ob diese generell bei Umstufungen entfiele und die Zweijahresfrist erneut zu laufen beginne. Entgegen dem Wortlaut des Tarifvertrages seien seinerzeit erneute Zwei-Jahres- bzw. Vierjahresfristen angewandt worden. Der Kläger habe ab dem 1. April 1992 eine Erfahrungszulage von 42,– DM, ab 1. Februar 1993 von 44,– DM und ab 1. April 1994 von 84,– DM erhalten. Mit Urteil vom 23. April 1996 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. November 1993 bis zum 31. März 1994 Bergmannsrente nachzuzahlen. Eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Berufe sei erst ab dem 1. April 1994 gegeben, nachdem der Kläger eine Erfahrungszulage von 84,– DM erhalten habe. Die niedrigeren Zahlungen in der Zeit zuvor beruhten nicht auf einem Lohnverzicht, so daß zur Ermittlung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der tatsächlich erzielte Lohn herangezogen werden müsse. Dann werde die zumutbare Lohneinbuße aber überschritten.
Gegen das ihr am 2. Mai 1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte ohne weitere Begründung am 10. Mai 1996 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 23. April 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger, der das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und wegen des vom Sozialgericht beigezogenen Tarifvertrages wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) ist sachlich unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, daß die angefochtenen Bescheide aufzuheben sind, weil im fraglichen Zeitraum zwischen dem Ausgangsberuf des Klägers und der tatsächlich verrichteten Tätigkeit keine wirtschaftliche Gleichwertigkeit bestand.
Nach § 45 Abs. 3 SGB 6 haben bei Erfüllung der Wartezeit Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und im Vergleich zu der von ihnen bisher ausgeübten knappschaftlichen Beschäftigung eine wirtschaftlich gleichwertige Beschäftigung nicht mehr ausüben, einen Anspruch auf Rente für Bergleute. Diese Voraussetzungen liegen für die fragliche Zeit vor. Im knappschaftlichen Ausgangsberuf als Streckenbohrwagenbediener hätte der Kläger (Stand: 1. Februar 1993) einen Grundlohn von 3.322,– DM bezogen, dazu feste Zulagen von 305,– DM und eine Erfahrungszulage von 64,– DM. Bei einem Gesamtlohn von 3.691,– DM hätte die nach ständiger Rechtsprechung zumutbare Lohneinbuße von 7,5 % einen Betrag von 276,73 DM ergeben. Tatsächlich hat der Kläger einen Grundlohn von 3.049,– DM und Zulagen von 305,– DM und 44,– DM erhalten. Seinen Gesamtlohn von 3.398,– DM unterschritt die Grenze der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit um 16,17 DM.
Soweit sich die Beklagte darauf beruft, der Kläger habe freiwillig auf die volle Höhe der ihm zustehenden Erfahrungszulage verzichtet, hat das Sozialgericht schon zutreffend entschieden, daß ein solcher Verzicht nicht vorliegt. Nach einer am 3. Juli 1992 von der Beklagten bei dem Betriebsratsmitglied W. eingeholten telefonischen Auskunft bestand zwar die Möglichkeit, daß der Kläger auf Lohnbestandteile verzichten konnte, es ist aber weder aus dieser Auskunft noch aus der Bescheinigung des Arbeitgebers vom 21. Juni 1995 zu entnehmen, daß dies auch tatsächlich geschehen ist. Vielmehr steht auch zur Überzeugung des Senats fest, daß die zunächst niedrigere Erfahrungszulage allein auf der Tarifvertragsauslegung des Arbeitgebers beruhte. Neue Berufungsgründe hat die Beklagte insoweit nicht geltend gemacht.
Auch unabhängig von der Frage eines freiwilligen Verzichts kann sich die Beklagte nicht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beziehen, nach der der objektive wirtschaftliche Wert in der tariflichen Einstufung der Tätigkeit zum Ausdruck komme, da hierbei am deutlichsten in Erscheinung trete, welchen Wert die beteiligten Bevölkerungskreise, vertreten durch die Tarifpartner, dieser Tätigkeit beimessen würden. Der besondere Beweiswert der tarifvertraglichen Einigungen beruhe auf der Annahme, daß die tatsächliche Übereinstimmung der in ihren Interessen wiederstreitenden Tarifpartner die Gewähr für die objektive Richtigkeit biete (nicht unbestritten, vgl. Werner. Die Bedeutung der "tariflichen Zuordnung” eines Versicherten für den Eintritt der Berufsunfähigkeit, ZAP 1993/669). Im vorliegenden Falle kann eine solche Übereinstimmung hinsichtlich der Zahlung der Erfahrungszulage jedoch nicht unterstellt werden. In § 2 des Lohn-Tarifvertrags vom 30. November 1992 (gültig ab 1. Februar 1993) ist geregelt, daß nach zweijähriger Zugehörigkeit zur selben Lohngruppe eine Erfahrungszulage von 44,– DM sowie nach vierjähriger Zugehörigkeit zu der selben Lohngruppe von 64,– DM und ab 1. Januar 1994 um eine gegenüber der ersten Stufe um 40,– DM erhöhte Erfahrungszulage zu zahlen ist. Bei einer Höhergruppierung beginnt die Zweijahres- und die Vierjahresfrist erneut zu laufen. Die Kali- und Salz GmbH als einziger Arbeitgeber in Hessen hat ausweislich ihrer Auskunft an das Sozialgericht vom 21. Juni 1995 diese Vorschrift so ausgelegt, daß die Fristen auch bei einer Herabstufung erneut zu laufen begännen. Diese Auslegung ist nicht offensichtlich abwegig. Zwar ist ausdrücklich der Neubeginn der Frist nur bei einer Höhergruppierung geregelt, aus der Formulierung "Nach zweijähriger Zugehörigkeit zu der selben Lohngruppe erhöht sich der Grundlohn je Monat um eine Erfahrungszulage ” könnte man jedoch auch schließen, daß es auf die jeweils konkrete Erfahrung innerhalb der Tätigkeit einer bestimmten Lohngruppe ankommt. Jedenfalls läßt sich ein Konsens der Tarifvertragsparteien über die Bedeutung der Erfahrung für den objektiven wirtschaftlichen Wert einer Tätigkeit nicht feststellen, solange ein so wichtiger Arbeitgeber wie die Kali- und Salz GmbH abweichend zu anderen vertretenen Auslegungen eine konkrete Berufserfahrung als Voraussetzung für die Erfahrungszulage verlangt. Es kann einer in dieser Weise strittigen Tarifvertragsklausel, über die zwischen den beteiligten Bevölkerungskreisen keine tatsächliche Übereinstimmung besteht, nicht der Beweiswert zugemessen werden, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in der Regel einem Tarifvertrag zukommt. In einem solchen Fall kann nur die tatsächliche Entlohnung Maßstab für die Bewertung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit sein. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – leistungsfremde Gesichtspunkte keinen Anteil an der Bemessung der Lohnhöhe haben.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung einer Rente für Bergleute nach Vollendung des 50. Lebensjahres.
Der Kläger bezog seit dem 1. April 1990 Rente für Bergleute gemäß § 45 Abs. 3 des 6. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 6). Seit dieser Zeit verrichtet der hauptberuflich als Streckenbohrwagenbediener (TTSC 40308/Lohngruppe 03 + FZ des Lohntarifvertrages für den Kali- und Steinsalzbergbau in Hessen, Niedersachsen und NRW) tätig gewesene Kläger die damals nicht wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit eines Bedieners von Maschinen zur Firstsicherung (TTSC 40512/Lohngruppe 05 + FZ des Lohntarifvertrages).
Aufgrund einer von Amts wegen durchgeführten Nachprüfung hörte die Beklagte den Kläger im Mai 1992 wegen einer beabsichtigten Rentenentziehung an. Sie führte aus, daß wegen der im Rahmen des Lohntarifvertrages für den Kali- und Steinsalzbergbau vom 1. November 1990 mit Wirkung vom 1. Januar 1991 eingeführten und in die Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit generell einbezogenen Erfahrungszulage die ausgeübte Tätigkeit nunmehr zu der ursprünglichen wirtschaftlich gleichwertig sei. Mit entsprechender Begründung entzog die Beklagte mit Wirkung vom 1. November 1993 die Rente für Bergleute und hob den Rentenbescheid auf. Den Widerspruch des Klägers vom 18. Oktober 1993 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 1994 zurück. Zur Begründung führte sie aus, daß es zur Feststellung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit zweier Tätigkeiten nicht auf die effektive Höhe des jeweils erzielten oder erzielbaren Erwerbseinkommens ankomme, sondern auf den objektiven wirtschaftlichen Wert. Dieser komme in der tariflichen Einstufung der Tätigkeiten zum Ausdruck. Nach dem Tarifvertrag (Stand: 1. Februar 1993) sei die Tätigkeit als Streckenbohrwagenbediener einschließlich einer Erfahrungszulage von 64,– DM mit einem Tariflohn von 3.691,– DM zu entlohnen gewesen. Der Lohn aus der ausgeübten Tätigkeit als Bediener von Maschinen zur Firstsicherung habe einschließlich der Erfahrungszulage 3.418,– DM betragen. Die Differenz zwischen beiden übersteige nicht die zumutbare Lohneinbuße von 7,5 %, die konkret 276,83 DM betrage. Es sei unerheblich, daß der Kläger als Bediener von Maschinen zur Firstsicherung tatsächlich einen geringeren Lohn erhalten habe. Nach dem Tarifvertrag sei zwar ein Verzicht von Spitzenbeträgen der Bezüge zum Zwecke der Einsparung von Steuerabzügen und von Beiträgen zur Sozialversicherung möglich, er müsse aber ohne Einfluß auf den objektiven wirtschaftlichen Wert einer Tätigkeit bleiben.
Dagegen hat der Kläger am 3. März 1994 Klage vor dem Sozialgericht in Gießen erhoben. Auf dessen Anfrage hat der Arbeitgeber des Klägers, die Kali- und Salz GmbH, mitgeteilt, daß zum Zeitpunkt der Umstufung am 1. April 1990 noch kein Anspruch auf Zahlung der Erfahrungszulage für den Kläger bestanden habe. Unklar sei bei Einführung der Erfahrungszulage zum 1. Januar 1991 gewesen, ob diese generell bei Umstufungen entfiele und die Zweijahresfrist erneut zu laufen beginne. Entgegen dem Wortlaut des Tarifvertrages seien seinerzeit erneute Zwei-Jahres- bzw. Vierjahresfristen angewandt worden. Der Kläger habe ab dem 1. April 1992 eine Erfahrungszulage von 42,– DM, ab 1. Februar 1993 von 44,– DM und ab 1. April 1994 von 84,– DM erhalten. Mit Urteil vom 23. April 1996 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. November 1993 bis zum 31. März 1994 Bergmannsrente nachzuzahlen. Eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Berufe sei erst ab dem 1. April 1994 gegeben, nachdem der Kläger eine Erfahrungszulage von 84,– DM erhalten habe. Die niedrigeren Zahlungen in der Zeit zuvor beruhten nicht auf einem Lohnverzicht, so daß zur Ermittlung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der tatsächlich erzielte Lohn herangezogen werden müsse. Dann werde die zumutbare Lohneinbuße aber überschritten.
Gegen das ihr am 2. Mai 1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte ohne weitere Begründung am 10. Mai 1996 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 23. April 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger, der das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und wegen des vom Sozialgericht beigezogenen Tarifvertrages wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) ist sachlich unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, daß die angefochtenen Bescheide aufzuheben sind, weil im fraglichen Zeitraum zwischen dem Ausgangsberuf des Klägers und der tatsächlich verrichteten Tätigkeit keine wirtschaftliche Gleichwertigkeit bestand.
Nach § 45 Abs. 3 SGB 6 haben bei Erfüllung der Wartezeit Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und im Vergleich zu der von ihnen bisher ausgeübten knappschaftlichen Beschäftigung eine wirtschaftlich gleichwertige Beschäftigung nicht mehr ausüben, einen Anspruch auf Rente für Bergleute. Diese Voraussetzungen liegen für die fragliche Zeit vor. Im knappschaftlichen Ausgangsberuf als Streckenbohrwagenbediener hätte der Kläger (Stand: 1. Februar 1993) einen Grundlohn von 3.322,– DM bezogen, dazu feste Zulagen von 305,– DM und eine Erfahrungszulage von 64,– DM. Bei einem Gesamtlohn von 3.691,– DM hätte die nach ständiger Rechtsprechung zumutbare Lohneinbuße von 7,5 % einen Betrag von 276,73 DM ergeben. Tatsächlich hat der Kläger einen Grundlohn von 3.049,– DM und Zulagen von 305,– DM und 44,– DM erhalten. Seinen Gesamtlohn von 3.398,– DM unterschritt die Grenze der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit um 16,17 DM.
Soweit sich die Beklagte darauf beruft, der Kläger habe freiwillig auf die volle Höhe der ihm zustehenden Erfahrungszulage verzichtet, hat das Sozialgericht schon zutreffend entschieden, daß ein solcher Verzicht nicht vorliegt. Nach einer am 3. Juli 1992 von der Beklagten bei dem Betriebsratsmitglied W. eingeholten telefonischen Auskunft bestand zwar die Möglichkeit, daß der Kläger auf Lohnbestandteile verzichten konnte, es ist aber weder aus dieser Auskunft noch aus der Bescheinigung des Arbeitgebers vom 21. Juni 1995 zu entnehmen, daß dies auch tatsächlich geschehen ist. Vielmehr steht auch zur Überzeugung des Senats fest, daß die zunächst niedrigere Erfahrungszulage allein auf der Tarifvertragsauslegung des Arbeitgebers beruhte. Neue Berufungsgründe hat die Beklagte insoweit nicht geltend gemacht.
Auch unabhängig von der Frage eines freiwilligen Verzichts kann sich die Beklagte nicht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beziehen, nach der der objektive wirtschaftliche Wert in der tariflichen Einstufung der Tätigkeit zum Ausdruck komme, da hierbei am deutlichsten in Erscheinung trete, welchen Wert die beteiligten Bevölkerungskreise, vertreten durch die Tarifpartner, dieser Tätigkeit beimessen würden. Der besondere Beweiswert der tarifvertraglichen Einigungen beruhe auf der Annahme, daß die tatsächliche Übereinstimmung der in ihren Interessen wiederstreitenden Tarifpartner die Gewähr für die objektive Richtigkeit biete (nicht unbestritten, vgl. Werner. Die Bedeutung der "tariflichen Zuordnung” eines Versicherten für den Eintritt der Berufsunfähigkeit, ZAP 1993/669). Im vorliegenden Falle kann eine solche Übereinstimmung hinsichtlich der Zahlung der Erfahrungszulage jedoch nicht unterstellt werden. In § 2 des Lohn-Tarifvertrags vom 30. November 1992 (gültig ab 1. Februar 1993) ist geregelt, daß nach zweijähriger Zugehörigkeit zur selben Lohngruppe eine Erfahrungszulage von 44,– DM sowie nach vierjähriger Zugehörigkeit zu der selben Lohngruppe von 64,– DM und ab 1. Januar 1994 um eine gegenüber der ersten Stufe um 40,– DM erhöhte Erfahrungszulage zu zahlen ist. Bei einer Höhergruppierung beginnt die Zweijahres- und die Vierjahresfrist erneut zu laufen. Die Kali- und Salz GmbH als einziger Arbeitgeber in Hessen hat ausweislich ihrer Auskunft an das Sozialgericht vom 21. Juni 1995 diese Vorschrift so ausgelegt, daß die Fristen auch bei einer Herabstufung erneut zu laufen begännen. Diese Auslegung ist nicht offensichtlich abwegig. Zwar ist ausdrücklich der Neubeginn der Frist nur bei einer Höhergruppierung geregelt, aus der Formulierung "Nach zweijähriger Zugehörigkeit zu der selben Lohngruppe erhöht sich der Grundlohn je Monat um eine Erfahrungszulage ” könnte man jedoch auch schließen, daß es auf die jeweils konkrete Erfahrung innerhalb der Tätigkeit einer bestimmten Lohngruppe ankommt. Jedenfalls läßt sich ein Konsens der Tarifvertragsparteien über die Bedeutung der Erfahrung für den objektiven wirtschaftlichen Wert einer Tätigkeit nicht feststellen, solange ein so wichtiger Arbeitgeber wie die Kali- und Salz GmbH abweichend zu anderen vertretenen Auslegungen eine konkrete Berufserfahrung als Voraussetzung für die Erfahrungszulage verlangt. Es kann einer in dieser Weise strittigen Tarifvertragsklausel, über die zwischen den beteiligten Bevölkerungskreisen keine tatsächliche Übereinstimmung besteht, nicht der Beweiswert zugemessen werden, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in der Regel einem Tarifvertrag zukommt. In einem solchen Fall kann nur die tatsächliche Entlohnung Maßstab für die Bewertung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit sein. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – leistungsfremde Gesichtspunkte keinen Anteil an der Bemessung der Lohnhöhe haben.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen.
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