L 8 Kn 781/92 U

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 Kn 1270/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kn 781/92 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Fahrzeugführer eines Kraftfahrzeuges ist verpflichtet, von seinem Fahrzeug herstammende Teile, die auf der Fahrbahn liegen, zu beseitigen, will er sich nicht einer Ordnungswidrigkeit schuldig machen.
2. Wer in Ausübung dieser Verpflichtung eine verlorene Radkappe sucht, steht auch dann unter dem Schutz des versicherten Heimweges von der Arbeitsstelle, wenn die Nachsuche auf einem Abweg erfolgt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dieser Abweg nicht außer Verhältnis zum gesamten versicherten Heimweg steht.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. Juli 1992 sowie der Bescheid der Beklagten vom 21. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1991 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen einer Distorsion der Halswirbelsäule als Folge des Arbeitsunfalls vom 27. November 1990 vom 29. April 1991 bis 30. Juni 1991 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewahren. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Im übrigen haben sich die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger am 27. November 1990 gegen 15.25 Uhr auf dem Weg zwischen Arbeitsstelle und Wohnung einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der 1960 geborene Kläger fuhr nach Schichtende mit seinem Pkw vom Werk N. den Verbindungsweg von der S-Straße Richtung R-Straße. Im letzten Drittel bemerkte er bei einem Blick in den Außenspiegel, daß sich eine Radkappe gelöst hat. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um die Radkappe vorne links. Kurz vor der Einmündung in die R-Straße drehte er auf einem Weg, der nach rechts zu einem Trafo-Häuschen geht, um und fuhr zurück. Er fand die Radkappe ca. einen Meter vom Rand der Straße entfernt, hielt an, stieg aus und befestigte diese wieder. Danach setzte er den Weg in Richtung S-Straße fort, um dort zu wenden und dann nach Hause zu fahren. Eine andere Wendemöglichkeit bestand nicht. Zwischen dem Fundort der Radkappe und der Einmündung in die S-Straße stieß er dann mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen. Der Aufprall erfolgte jeweils links vorne.

Mit Bescheid vom 21. März 1991 lehnte die Beklagte nach Beiziehung Ärztlicher Unterlagen von Prof. Dr. W., Unfallchirurgische Orthopädische Klinik des Städtischen Klinikums vom 11. Dezember 1990 und 21. Januar 1991, Prof. Dr. I., Neurologische Klinik vom 29. Januar 1991 und 18. Februar 1991 und dem Vertrauensärztlichen Gutachten vom 20. Februar 1991 den Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Der Kläger habe sich zum Unfallzeitpunkt nicht mehr auf dem direkten Weg von der Arbeitsstelle nach Hause, sondern auf einem sogenannten Abweg befunden. Der Widerspruch des Klägers vom 27. März 1991 wurde nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen (Vertrauensärztliches Gutachten vom 16. Januar 1991, 20. Februar 1991, Prof. Dr. W., 2. Mai 1991 und 21. Mai 1991) mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 1991 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 27. September 1991 bei dem Sozialgericht Fulda Klage erhoben, das mit Beschluss vom 6. November 1991 den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Gießen verwiesen hat.

Mit Urteil vom 21. Juli 1992 hat das Sozialgericht Gießen die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Die Entscheidung der Beklagten sei nicht zu beanstanden. Nach dem Verlust der Radkappe habe der Kläger eindeutig eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt. Durch den Verlust der Radkappe sei auch durch die vorstehende Radnabe keine Verkehrsgefährdung für andere Verkehrsteilnehmer ausgegangen. Radkappen dienten lediglich der Verschönerung des Fahrzeuges, nicht aber der Verkehrssicherheit. Soweit der Kläger eine besondere rechtliche Verpflichtung zur Vermeidung eines Unglückfalles bzw. zur Beseitigung einer gemeinen Gefahr geltend mache, sei die Beklagte hierfür nicht zuständig.

Gegen dieses dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 13. August 1992 zugestellte Urteil hat er am 10. September 1992 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen T. Auf die den Beteiligten bekannte Sitzungsniederschrift vom 28. Januar 1993 wird verwiesen. Nach Beiladung des Hessischen Gemeindeunfallversicherungsverbandes (Beschluss vom 24. März 1993) hat der Senat eine Auskunft der Gemeinde N. vom 20. Dezember 1993 bei gezogen sowie des weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. W. vom 28. September 1993 und eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Priv. Doz. Dr. W. vom 20. Juni 1994 und ergänzender Stellungnahme vom 7. Februar 1995. Des weiteren sind ärztliche Unterlagen und Auskünfte eingeholt worden von der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Hessen-Nassau, dem behandelnden Arzt Dres. G./F., vom 24. März 1995, Dr. T. und Dr. V., beide F., und der Klinik für Psychiatrie des Städtischen Klinikums vom 28. März 1995. Prof. Dr. W. vertritt in seinem Gutachten zusammenfassend die Auffassung, daß wegen des Zustandes nach HWS-Distorsion vom 27. November 1990 bis 28. April 1991 die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 60 v.H. und ab 29. April 1991 mit 30 v.H. zu bewerten sei. Dr. W. kommt in seinem Gutachten vom 20. Juni 1994 zu dem Ergebnis, daß wesentliche körperliche Funktionsbeeinträchtigungen durch den Unfall nicht vorhanden sind. Bei dem Kläger bestehe jedoch eine psychogene Armlähmung als Unfall folge, die mit einer MdE um 20 v.H. zu bewerten sei. Gegen die Beurteilungen der gerichtlichen Sachverständigen haben die Beklagte und Beigeladene mit ärztlichen Stellungnahmen von Dr. S. vom 11. Januar 1994, Dr. T. vom 7. Oktober 1994 und Prof. Dr. M. vom 26. Oktober 1994 Stellung genommen.

Der im Termin zur mündlichen Verhandlung weder anwesende noch vertretene Kläger, der noch eine ärztliche Stellungnahme der Klinik für Psychiatrie vom 1. März 1995 vorgelegt hat, beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. Juli 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1991 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des am 27. November 1990 erlittenen Arbeitsunfalles ab einem vom Gericht festzustellenden Zeitpunkt Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Gießen für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 SGG).

Sie ist auch teilweise begründet. Bei dem am 27. November 1990 erlittenen Unfall handelt es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne von §§ 548, 550 Reichsversicherungsordnung (RVO).

Danach ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeit erleidet. Als Arbeitsunfall gilt auch ein Unfall auf einem mit den genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Daß sich der Kläger auf dem Wege vom Ort seiner Tätigkeit, der Firma Kali und Salz AG, N., nach seiner Wohnung in F. befunden hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Beklagte und der Beigeladene sind jedoch der Auffassung, daß sich der Kläger im Unfallzeitpunkt auf einem nicht versicherten sogenannten Abweg befunden habe.

Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Bei Abwegen in entgegengesetzter Richtung des geschützten Heimweges aus eigenwirtschaftlichen Gründen geht der Versicherungsschutz schon mit Beginn eines deutlich erkennbaren Richtungswechsels verloren, wenn sich nicht nachweisen läßt, daß nur eine ganz "geringfügige” Unterbrechung geplant war. Der Richtungswechsel bewirkt eine deutliche Zäsur, weil der Weg sich nun in seiner Zielrichtung in seiner Zweckbestimmung ganz deutlich vom Heimweg unterscheidet, auch wenn der öffentliche Verkehrsraum zum Unfallzeitpunkt noch nicht verlassen war (so das von der Beklagten zitierte Urteil des BSG vom 19. März 1991 – 2 RU 42/90). Die durch einen Abweg bewirkte Unterbrechung des Weges endet erst dann, wenn der Versicherte wieder den Ausgangspunkt oder eine sonstige dem Versicherungsschutz unterliegende Wegstrecke erreicht hat. Andererseits ist nach der Rechtsprechung erforderlich, sämtliche Gesichtspunkte und Überlegungen einzubeziehen und sie sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit zu werten. Die Beantwortung der Frage, ob ein Verhalten versicherten Tun zugerechnet werden kann, ist auch maßgeblich von den subjektiven Vorstellungen des Versicherten abhängig. Ist das Verhalten eines Versicherten beispielsweise final in erster Linie auf die Zurücklegung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit gerichtet, so ist damit im Allgemeinen auch der versicherungsrechtlich geforderte Sachzusammenhang mit ihr gegeben. Hinsichtlich des Versicherungsschutzes wahrend der Unterbrechung ist zu unterscheiden, ob die Unterbrechung einer Verpflichtung dient, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, oder ob sie wesentlich allein aus privaten Gründen erfolgt. Der innere Zusammenhang einer Handlung mit der versicherten Tätigkeit richtet sich nach der Handlungstendenz des Versicherten in dem Umfang, wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (vgl. hierzu Urteile des BSG vom 5. Mai 1994 – 2 RU 28/93 und vom 24. Januar 1995 – 8 RKnU 1/94).

Wenn man im Falle des Klägers überhaupt einen sogenannten Abweg annehmen könnte, wäre dieser spätestens mit dem Befestigen der Radkappe beendet gewesen. Danach befand sich der Kläger unstreitig wieder in Zielrichtung seiner Wohnung. Die Tatsache, daß er danach nicht unmittelbar wendete, lag an der mangelnden Möglichkeit der nach Auskunft der Gemeinde N. nur ca. fünf Meter breiten Straße. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß der Kläger als Fahrzeugführer nach §§ 1, 32 Straßenverkehrsordnung (StVO) verpflichtet war, die verlorengegangene Radkappe als Verkehrshindernis unverzüglich zu beseitigen. Andernfalls hätte er sich einer Ordnungswidrigkeit schuldig gemacht (§ 49 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StVO). In seinem Urteil vom 11. August 1988 – 2 RU 80/88 hat das BSG bei der Suche eines Mopedfahrers nach einem verlorenen Handschuh die gesamte Strecke, einschließlich der Zeit der Unterbrechung des Heimweges, als versichert angesehen. Es hat ausgeführt, daß der innere Zusammenhang der Suchtätigkeit mit der Notwendigkeit, den Heimweg zurückzulegen sich aus dem Umstand ergebe, daß der verlorene Handschuh zur Sicherheitsausrüstung eines Mopedfahrers gehört. Die Notwendigkeit, den Heimweg zurückzulegen, läßt es als sachlich begründet erscheinen, unterwegs verlorene Teile der Fahrausrüstung sofort zu suchen. Tätigkeiten in diesem Zusammenhang sind nach § 550 Abs. 1 RVO versichert. Bei einer relativ kurzen Suchstrecke und wenn ein auf der Fahrt verlorenes Teil der Fahrausrüstung gesucht wird, besteht ein sachlich innerer Zusammenhang zwischen der Suchtätigkeit und der Notwendigkeit den Heimweg zurückzulegen. Die gleichen Grundsätze müssen dann auch für die Fahrzeugausstattung gelten, insbesondere, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß das verlorengegangene Teil (neben eigenwirtschaftlichen Überlegungen) auch ein Verkehrshindernis darstellen kann. Wie der Kläger in seiner Erklärung vom 28. Januar 1993 nachvollziehbar ausgesagt hat; fand er die Radkappe ca. einen Meter vom Rand der Straße entfernt innerhalb der Fahrbahn, so daß die verlorengegangene Radkappe sich als ein Verkehrshindernis darstellte. Der Unfall am 27. November 1990 ereignete sich daher auf einem versicherten Weg. Insoweit ist die Berufung des Klägers begründet.

Sie erweist sich jedoch als unbegründet, soweit der Kläger eine unbefristete Verletztenrente begehrt, Unfallfolgen, die die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel mindern, (§ 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO), liegen über den 30. Juni 1991 hinaus nicht vor.

Soweit sich der Kläger hierbei auf das vom Senat eingeholte Gutachten von Prof. Dr. W. vom 28. September 1993 beruft, kann dem der Senat hinsichtlich der MdE-Beurteilung nicht folgen. Im Durchgangsarztbericht vom 11. Dezember 1990 beschreibt Prof. Dr. W. einen deutlichen Druckschmerz über den Dornfortsätzen C 3 und C 4 mit hauptsächlich rechtsseitiger Verspannung der paravertebralen Halsmuskulatur sowie schmerzhafter Beweglichkeitseinschränkung im rechten Schultergelenk. Die Exkursion der HWS war schmerzhaft eingeschränkt, jedoch noch möglich. Im Bericht vom 21. Mai 1991 wird von einer verspannten Nackenmuskulatur berichtet, die leicht druckschmerzhaft ist. Es besteht ein leichter Druck- und Klopfschmerz über der HWS. Die Beweglichkeit des Kopfes ist endgradig schmerzhaft, jedoch frei. Keine neurologischen Ausfälle der oberen Extremitäten. Als Diagnose wird genannt ein Zustand nach HWS-Distorsion. Die gleiche Befundbeschreibung befindet sich in dem Arztbrief von Prof. Dr. W. vom 24. Juni 1991. Im Gutachten vom 28. September 1993 werden keine weitergehenden Befunde mitgeteilt, der röntgenologische Befund der HWS war regelrecht mit lediglich gering ausgeprägter Osteochondrose in allen Segmenten. Auch die von Prof. Dr. W. wiedergegebene Zusammenfassung der Unfallfolgen spricht allenfalls für eine leichtgradige Beeinträchtigung der Halswirbelsäule, worauf die Beigeladene in der vorgelegten Stellungnahme des Chirurgen Dr. S. vom 11. Januar 1994 zutreffend hinweist. Auch der von der Beklagten konsultierte Dr. T. weist zutreffend auf teilweise widersprüchliche Aussagen hin. Mangels neurologischer Ausfälle ist daher allenfalls von einer mittelgradigen Verletzung auszugehen, die eine MdE von 20 v.H. höchstens bis zum Ende des ersten halben Jahres nach dem Unfall bedingt (vgl. hierzu Schönberger u.a. Arbeitsunfall und Berufskrankheiten, 1993, Seite 473, s. hierzu auch Urteil des Hess. Landessozialgerichts vom 21. April 1982 – L-3/U-1035/80). Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang auch, worauf die Beklagte zu Recht hinweist, daß der Kläger bereits vor dem Unfallereignis (nämlich am 29. Dezember 1988) wegen eines HWS-Schulter-Arm-Syndroms in ärztlicher Behandlung war, so daß nicht alle Beschwerden in diesem Bereich dem Unfallereignis angelastet werden können. Zumindest ist dies bei der Höhe der MdE zu berücksichtigen. Diese Tatsachen hat Prof. Dr. W. nicht berücksichtigt. Er hat sich vielmehr auf die "glaubhaften subjektiven Beschwerden” des Klägers verlassen. Auch Dr. W. weist in seinem Gutachten vom 20. Juni 1994 darauf hin, daß wesentliche körperliche Funktionsbeeinträchtigungen nicht vorliegen. Eine rentenberechtigende MdE auf chirurgisch/orthopädischem Fachgebiet Hegt daher nicht vor.

Den vorliegenden ärztlichen Unterlagen von Prof. Dr. W., Prof. Dr. L. (Neurologische Klinik der Städtischen Kliniken ) und Dr. W. ist übereinstimmend zu entnehmen, daß bei dem Kläger auf neurologischem Fachgebiet keine krankhaften Befunde vorliegen. Dies hat Dr. W. in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 20. Juni 1994 aufgrund eingehender Untersuchung nochmals zutreffend bestätigt. Er ist jedoch der Auffassung, daß bei dem Kläger eine "psychogene Armlähmung rechts” vorliegt, die mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten sei. Auch hier vermag sich der Senat dieser Beurteilung nicht anzuschließen, obwohl Dr. T. in seiner Stellungnahme für die Beklagte der Auffassung von Dr. W. zustimmt. Grundsätzlich können auch psychische Störungen durch ein Unfallereignis "verursacht” worden sein, d.h. Unfallfolge im Rechtssinne sein, es sei denn, daß sie im wesentlichen auf wunschbedingten Vorstellungen beruhen. Es ist dabei zu prüfen, ob das Unfallereignis und seine organischen Auswirkungen ihrer Eigenart und Stärke nach unersetzlich, d.h. z.B. nicht mit anderen alltäglich vorkommenden Ereignissen austauschbar sind, oder ob eine entsprechende psychische Anlage so leicht "ansprechbar” war, daß sie gegenüber den psychischen Auswirkungen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache ist. Dabei ist von Bedeutung, ob vor dem Unfallereignis eine völlig latente Anlage bestand oder ob diese sich bereits in Symptomen manifestiert hatte, deren Entwicklung durch das Unfallereignis – dauernd oder nur vorübergehend – beeinflußt worden ist (Urteil des BSG vom 31. Januar 1989 – 2 RU 17/88 m.w.N.; Dahm, Die psychische Gesundheitsstörung des Unfallverletzten in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, Kompass 1994, Seite 354 ff.). Aus den von dem früheren behandelnden Arzt Dr. T. beigezogenen ärztlichen Unterlagen ergeben sich Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen HWS- und LWS-Syndromen, ohne röntgenologische oder pathologische Auffälligkeiten sowie immer wieder Magen-Darmerkrankungen ohne den Nachwels schwerwiegender organischer Erkrankungen. Diese Tatsache wird auch in dem ärztlichen Bericht der Städtischen Kliniken , Klinik für Psychiatrie vom 28. März 1995 nochmals dokumentiert. Zutreffend weist die Beklagte deshalb darauf hin, daß sich aus diesem Bericht keine Bestätigung der "psychogenen Armlähmung” ergibt. Der Kläger gibt hier muskuläre Schmerzen, insbesondere in beiden Armen an. Er teilt gleichzeitig jedoch mit, daß er als selbständiger Landwirt arbeite, z. Zt. ein neues Haus baue und seine ganzen Alltagsanforderungen bis November 1994 gut habe bewältigen können. Der Senat kann sich daher nicht davon überzeugen, daß die von Dr. W. diagnostizierte psychogene Armlähmung Unfallfolge im Rechtssinne ist. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß bei dem Kläger eine entsprechende psychische Anlage vorliegt, die auch bei einem anderen alltäglichen Ereignis zutage getreten wäre. Das Unfallereignis vom 27. November 1990 kann angesichts der tatsächlichen Abläufe nicht für die zuletzt als depressive Episode mit somatischen Beschwerden diagnostizierte Erkrankung des Klägers verantwortlich gemacht werden. Zu diesem Ergebnis kommt auch Prof. Dr. M. in seiner fachärztlichen Stellungnahme vom 26. Oktober 1994, die die Beigeladene vorgelegt hat. Prof. Dr. M. weist richtigerweise darauf hin, daß bei psychischen Gesundheitsstörungen diese so gut wie immer aus Ursachenbündeln resultieren, wobei Persönlichkeitsfaktoren, Umwelteinflüsse und akzendentelles Geschehen eine Rolle spielen. Der Senat vermag sich daher der Beurteilung von Dr. W. insoweit nicht anzuschließen. Er schließt sich vielmehr nach eigener Überprüfung und Meinungsbildung der Auffassung von Prof. Dr. M. an.

Mangels einer Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Grade hat der Kläger daher keinen Anspruch auf Verletztenrente über den 30. Juni 1991 hinaus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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