S 35 AS 98/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 98/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag über die Gründung und Ausgestaltung einer Arbeitsgemeinschaft gemäß § 44 b SGB II vom 22.02.2005 nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18.06.2007 beendet worden ist. 2.Die Widerklage wird abgewiesen. 3.Die Revision wird zugelassen. 4.Die Beklagte und Widerklägerin trägt die Kosten der Klage und der Widerklage einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin und Widerbeklagten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - um die Kündigung einer Arbeitsgemeinschaft - ARGE -.

Unter dem 22. Februar 2005 schlossen die Beteiligten einen öffentlich/rechtlichen Vertrag über die Gründung und Ausgestaltung einer ARGE. Der Vertrag sieht eine Kündigungsmöglichkeit nicht vor. In dem Vertrag wird auch die Finanzierung der ARGE geregelt. Der Vertrag ist bis zum 31.12.2010 befristet.

Mit Schreiben vom 12.02.2007 wies der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, B, die Bundesagentur an, gegenüber den Kommunen einen Verwaltungskostenanteil von 12,6 % durchzusetzen, notfalls die bestehenden Verträge über die ARGEN zu kündigen. Bislang hatte die Klägerin und Widerbeklagte (im Folgenden "Klägerin") einen Personal- und Betriebskostenanteil lediglich in Höhe von 7,7 % übernommen. Dies entspricht den Vereinbarungen im Vertrag.

Die Beklagte und Widerklägerin (im Folgenden "Beklagte) trat daraufhin in Verhandlungen mit der Klägerin über die Anhebung des Verwaltungskostenanteils ein. Weil eine Einigung zwischen Klägerin und Beklagter nicht zustande kam, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 18.06.2007 den Vertrag über die Gründung und Ausgestaltung einer ARGE.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 04.07.2007.

Die Klägerin ist der Auffassung, eine Kündigung des Vertrages sei nicht möglich. Im Übrigen bestehe keine Berechtigung der Beklagten, den Verwaltungskostenanteil anzuheben.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag über die Gründung und Ausgestaltung einer Arbeitsgemeinschaft gemäß § 44 b SGB II vom 22.02.2005 nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18.06.2007 beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

und widerklagend

den in § 18 des Vertrages über die Gründung und Ausgestaltung einer ARGE vom 22.02.2005 in Verbindung mit Anlage 2 festgelegten kommunalen Finanzierungsanteil mit Wirkung ab dem 01.01.2007 anzupassen, und die Klägerin zu verurteilen, der Beklagten einen pauschalen Anteil von 12,6 % der Gesamtverwaltungskosten ab dem 01.01.2007 zu erstatten.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Für die Klage ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Das Gericht hat dies mit rechtskräftigem Beschluss vom 26.11.2007 für dieses Verfahren verbindlich festgestellt.

Die Klage ist zulässig.

Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung, denn sie kann nur auf diese Weise klären, ob der zwischen ihr und der Beklagten geschlossene Vertrag weiterhin von beiden Vertragspartnern zu beachten ist oder nicht.

Die Klage ist begründet. Die Kündigung der Beklagten ist nicht zulässig.

Nach § 44 b SGB II errichten die Träger der Leistungen zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Buch eine Arbeitsgemeinschaft. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift ist eine solche Arbeitsgemeinschaft einzurichten (vgl. hierzu auch Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 20.12.2007, Az.: 2 Bv R 2433/04 m.w.N.). In Ausführung der gesetzlichen Vorgaben haben die Beteiligten hier auch folgerichtig einen Vertrag über die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft geschlossen. Eine Kündigung dieses Vertrages ist nicht möglich. Zunächst einmal sieht der Vertrag selbst eine Kündigungsmöglichkeit nicht vor. Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass die mangelnde Kündigungsmöglichkeit eine von den Parteien unbeabsichtigte Vertragslücke darstellt, denn der Vertrag ist zum einen zeitlich befristet und folgt im Übrigen seinem Inhalt nach den gesetzlichen Vorgaben, die ebenfalls eine Vertragskündigung nicht vorsehen. Nach Auffassung der Kammer ist auch eine Kündigung unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten - nicht möglich. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 25.06.1992 (Az.: 2 RU 24/91 -juris.de -) dargelegt, dass ein öffentlich rechtlicher Vertrag, den die Beteiligten hier zweifelsfrei geschlossen haben, nur zulässig ist, "soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen". Dies gelte entsprechend für die Kündigung der Rechtsbeziehung (BSG, a.a.O.). Die Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages darf daher nicht zu einem rechtswidrigen Zustand führen. Das Nichtbestehen einer Arbeitsgemeinschaft ist jedoch nach § 44 b Abs. 1 SGB II nicht zulässig, denn die Träger der Aufgaben nach dem SGB II haben eine solche Arbeitsgemeinschaft zu errichten (Bundesverfassungsgericht a.a.O.).

Das Gericht erlaubt sich im Übrigen anzumerken, dass es die Vorgehensweise des Staatssekretärs im Bundesministerium, die Bundesagentur anzuweisen, die Verträge gegebenfalls zu kündigen, für äußerst fraglich und offensichtlich vom politischen Willen des Gesetzgebers nicht gedeckt hält. Bekanntlich haben die derzeitigen Regierungsparteien SPD und CDU in einem politischen Kompromiss beschlossen, die Übertragung der Aufgaben nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch Arbeitsgemeinschaften zu übertragen. Durch die Anweisung des Staatssekretärs wird dieser politische Kompromiss unterlaufen, zumal ein nachvollziehbarer Grund, bestehende Arbeitsgemeinschaften zu kündigen, erkennbar weder tatsächlich besteht, noch politisch gewollt sein dürfte. Vielmehr ist zwischen den Beteiligten dem Grunde nach lediglich streitig, in welcher Höhe die Kommunen Personal- und Verwaltungskosten der ARGEN zu übernehmen haben. Diese eigentlich streitige Frage kann nicht durch Kündigung der Arbeitsgemeinschaften gelöst werden. Die Bundesagentur und die Komunnen sind nach dem gesetzgeberischen Willen verpflichtet, die Aufgaben des SGB II gemeinsam zu erfüllen. Streitigkeiten über die Höhe der zu tragenden Kosten dieser gesetzlichen Vorgabe können nicht in der Weise gelöst werden, dass eine Vertragspartei der anderen die Zusammenarbeit aufkündigt. Zu einer solchen Vorgehensweise sind Behörden, die in erster Linie angehalten sind Gesetze nach dem Willen des Gesetzgebers auszuführen, nicht berechtigt.

Die von der Beklagten erhobene Widerklage ist unzulässig. Die Klage ist nämlich - bei verständiger Würdigung - nicht unbedingt, sondern nur eventualiter erhoben worden. Mit ihrem Hauptantrag beantragt die Beklagte Klageabweisung. Der Antrag auf Vertragsanpassung, der im Übrigen erst in der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist und als Reaktion darauf zu sehen ist, dass das Gericht angekündigt hat, die Klage abzuweisen, kann nur so verstanden werden, dass er nur für den Fall gestellt wird, dass die Klage in der Hauptsache abgewiesen wird. Die Erhebung der Klage steht daher unter der Bedingung, dass das Gericht die Hauptsacheklage abweist. Eine solche bedingte Klageerhebung ist allerdings immer unzulässig (Meyer-Ladewig u.A. Kommentar um SGG, 8. Aufl. § 90 Anm 4 m. w. N.; zulässig wäre im Wege der Festellungswiderklage allenfalls die Feststellung des Gegenteils dessen, was die Klägerin beantragt hat, hier also z. B. die Feststellung, dass die Kündigung rechtswirksam ist - Meyer- Ladewig a.a. O. § 55 Anm. 20).Insoweit besteht zwischen den Anträgen der Beklagten auch nicht ein Verhältnis von Haupt- zu Hilfsantrag. Zwar kann ein Kläger mit einer Klage - im Wege der Klagehäufung (§ 56 SGG) - eine weitere Klage für den Fall erheben, dass die erste Klage unzulässig oder unbegründet sein sollte (Meyer- Ladewig a.a.O. § 56 Anm. 4), dies gilt jedoch nicht für die Widerklage, die ja eine eigene Klage ist und daher die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine (eigenständige) Klage erfüllen muss (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 100 Anm. 1).

Da die Widerklage nach dem Vorgesagten - weil nicht unbedingt erhoben - unzulässig ist, kann es hier dahinstehen, ob sie als Widerklage im Sinne des § 100 SGG prozessual überhaupt statthaft wäre. Letzteres wäre nur der Fall, wenn der geltend gemachte Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch "zusammenhängt" (vergl. § 100 SGG). Dies erscheint dem Gericht eher zweifelhaft, denn ein Zusammenhang zwischen der Frage, ob der vorliegende Vertrag gekündigt werden darf und der Frage, ob ein Anspruch auf vertragliche Anpassung besteht, ist - bei näherer Betrachtung - eher nicht gegeben.

Das Gericht hat die Sprungrevision zum Bundessozialgericht zugelassen, weil die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG.
Rechtskraft
Aus
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