L 3 AL 3379/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AL 1393/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 3379/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Juni 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. März 2006 abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 22. August 2003 aufzuheben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 01.09.2003 bis 31.05.2004 hat.

Der 1948 geborene Kläger bezog im Anschluss an die Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld ab dem 20.10.1997 Alhi, zuletzt aufgrund des Bescheides vom 24.09.2002 und des Änderungsbescheides vom 02.01.2003, mit denen Alhi bis zum 19.10.2003 bewilligt worden war, bis zum 31.08.2003 (wöchentlicher Leistungssatz 136,64 EUR, Bemessungsentgelt 355 EUR, Leistungsgruppe A/1).

Mit Urteil vom 17.01.2003 (S 8 RJ 4282/00) verurteilte das Sozialgericht Karlsruhe (SG) die Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz (LVA) unter Aufhebung ihres Bescheides vom 01.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2000, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit ab dem 01.06.1999 zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Die LVA Niederbayern-Oberpfalz führte dieses Urteil mit Bescheid vom 17.07.2003 aus und bewilligte dem Kläger ab dem 17.01.2003 Rente wegen Berufsunfähigkeit mit einem Zahlbetrag ab 01.09.2003 in Höhe von monatlich 687,62 EUR. Im Ausführungsbescheid wird weiter ausgeführt, sofern das Urteil aufgehoben werde, sei der Ausführungsbescheid gegenstandslos, aufgrund des Bescheides vorläufig gezahlte Leistungen seien zu erstatten.

Mit Bescheid vom 22.08.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seinem Antrag auf Gewährung von Alhi könne ab dem 01.09.2003 wegen fehlender Bedürftigkeit nicht mehr entsprochen werden. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Den am 11.12.2003 gestellten Antrag des Klägers auf Fortzahlung von Alhi lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.12.2003, der bestandskräftig wurde, wegen fehlender Arbeitslosigkeit ab.

Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 9 RJ 569/03) anerkannte die LVA Niederbayern-Oberpfalz das Vorliegen von Berufsunfähigkeit ab dem 25.05.2004 sowie einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 01.06.2004 an. Der Kläger nahm das Teilanerkenntnis an und erklärte im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt.

Mit Bescheid vom 01.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.04.2006 verrechnete die LVA Niederbayern-Oberpfalz die an den Kläger aufgrund der vorläufigen Leistungsbewilligung gewährte Rente wegen Berufsunfähigkeit mit dessen laufender Rente gem. § 51 SGB I i.V.m. § 54 SGB I. Im hiergegen gerichteten Verfahren vor dem SG (S 8 R 1972/06) schlossen die LVA und der Kläger am 19.10.2006 einen Vergleich dahingehend, dass die LVA Niederbayern-Oberpfalz den monatlichen Aufrechnungsbetrag unter Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 01.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2006 von monatlich 300 EUR auf monatlich 230 EUR mit Wirkung ab dem 01.12.2006 fortlaufend mindert. Im Übrigen erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt.

Am 27.12.2005 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, eine Lücke vom 17.01.2003 bis 31.03.2005 zu überprüfen, da er in dieser Zeit keine Leistungen erhalten habe und die ab dem 01.06.1999 gewährten Rentenzahlungen mit der laufenden Rente verrechnet würden.

Die Beklagte wertete dies als Antrag auf Überprüfung der Bescheide vom 22.08.2003 und 12.12.2003 gemäß § 44 SGB X, den sie mit Bescheid vom 12.01.2006 ablehnte mit der Begründung, die Bewilligung sei ab 01.09.2003 wegen fehlender Bedürftigkeit aufgehoben worden. Eine fiktive Bedürftigkeit könne nicht dadurch hergestellt werden, dass die damals erzielten Einkünfte im Nachhinein zurückgefordert worden seien. Der Kläger habe ab dem 01.09.2003 seinen Lebensunterhalt anderweitig als durch den Bezug von Alhi bestreiten können.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2006 mit gleicher Begründung zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 28.03.2006 Klage zum SG erhoben. Er hat vorgetragen, auch über den 31.08.2003 hinaus habe bei ihm Bedürftigkeit vorgelegen, da die ihm gewährte Berufsunfähigkeitsrente letztlich ohne rechtlichen Grund gewährt worden und deshalb zurückzuzahlen sei. Auch die sonstigen Leistungsvoraussetzungen hätten vorgelegen, insbesondere habe er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden.

Mit Urteil vom 27.06.2007 hat das SG die auf Gewährung von Alhi für die Zeit vom 01.09.2003 bis 31.05.2004 gerichtete Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger sei in diesem Zeitraum nicht bedürftig gewesen. Ihm habe in diesem Zeitraum die Rentenzahlung zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden. Der aus der Rentengewährung sich ergebende Gesamtanrechnungsbetrag von wöchentlich 141,54 EUR habe auch den geminderten Leistungssatz von wöchentlich 136,63 EUR überstiegen.

Gegen das am 02.07.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.07.2007 Berufung eingelegt. Er trägt unter Bezugnahme auf seinen bisherigen Vortrag vor, die Rentenzahlung habe unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung gestanden und habe gemäß § 206 SGB III in Verbindung mit § 2 Ziffer 3 Arbeitslosenhilfe-Verordnung 2002 (Alhi-V 2002) nicht als Einkommen gegolten, so dass sie auch nicht zu einem Leistungsausschluss bei einem anderen Träger führen könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Juni 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 22. August 2003 und vom 12. Dezember 2003 aufzuheben und ihm für die Zeit vom 01. September 2003 bis 31. Mai 2004 Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist teilweise begründet, soweit mit ihr die Gewährung von Alhi für die Zeit vom 01.09.2003 bis 19.10.2003 geltend gemacht wird (I.). Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet (II.)

I.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Rechtswidrigkeit kann sich aus der Verletzung materiellen als auch formellen Rechts ergeben.

Der Bescheid der Beklagten vom 22.08.2003 ist rechtswidrig, da die Bescheide vom 24.09.2002 bzw. 02.01.2003, mit denen die Beklagte dem Kläger Alhi bis zum 19.10.2003 bewilligt hatte, nicht gem. §§ 45, 48 SGB X aufgehoben oder zurückgenommen worden sind. Insbesondere ist durch den Bescheid vom 22.08.2003 keine Aufhebung oder Rücknahme erfolgt. In dessen Verfügungssatz wird ausgeführt, dem Antrag des Klägers könne ab 01.09.2003 nicht mehr entsprochen werden. Dem Grunde und dem Wortlaut nach handelt es sich dabei lediglich um die Prüfung und Ablehnung einer Weiterbewilligung. Dies lässt jedoch unberücksichtigt, dass dem Kläger für die Zeit bis zum 19.10.2003 bereits Alhi bewilligt worden war. Mit dem Bescheid vom 22.08.2003 hat die Beklagte somit lediglich eine Leistungseinstellung verfügt. So lange der Bewilligungsbescheid jedoch nicht aufgehoben ist, stellt dieser den Rechtsgrund für den Anspruch des Klägers auf Leistungen bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts am 19.10.2003 dar. Der Kläger hat deshalb einen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 22.08.2003. Soweit dieser zurückgenommen ist, lebt der Anspruch des Klägers auf Alhi aufgrund des Bescheides vom 02.01.2003 für den bewilligten Zeitraum wieder auf, ohne dass es einer erneuten Verurteilung der Beklagten zur Leistungserbringung bedarf.

Der Anspruch des Klägers ist auch noch nicht verjährt. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme bzw. der Antragstellung erbracht (§ 44 Abs. 4 SGB X). Da der Kläger den Überprüfungsantrag im Jahr 2005 gestellt hat, sind die Leistungen für das Jahr 2003 noch zu erbringen.

II.

Die Berufung ist nicht begründet, soweit mit ihr die Rücknahme des Bescheides vom 12.12.2003 und die Bewilligung von Alhi ab dem 20.10.2003 geltend gemacht werden. Insbesondere hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 12.12.2003 die Bewilligung von Leistungen im Ergebnis zu Recht abgelehnt, da der Kläger im streitigen Zeitraum nicht bedürftig war. Insoweit wird auf das angefochtene Urteil gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass die Beklagte die Anrechnung der Rente gemäß § 2 Satz 1 Nr. 3 Alhi-V 2002 zutreffend berücksichtigt hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG Urteil vom 03.02.1998 - 5/5b RJ 60/86) dürfen sich die Empfänger einer sog. Urteilsrente - wie vorliegend der Kläger - wegen des Hinweises auf eine mögliche Rückforderung regelmäßig nicht darauf einstellen, die Urteilsrente behalten zu dürfen. Deshalb kommt bei der Rückforderung einer Urteilsrente zwar nicht der Schutz des § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X zum Zuge, weil ihr Empfänger mit der Erstattung rechnen musste. Es kommt jedoch die Annahme einer besonderen Härte in Betracht, wenn die Erstattung den Leistungsempfänger sozialhilfebedürftig machen oder einen höheren Anspruch auf Sozialhilfe auslösen und damit seine wirtschaftliche Existenz auf Dauer gefährden würde. Dem Versicherten, dem das erstinstanzliche Gericht eine Rentenzahlung zuspreche, solle die Vermögensverwertung zur Unterhaltssicherung oder aber die Inanspruchnahme der Sozialhilfe bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits erspart werden, ohne seine materiell-rechtliche Situation endgültig zu verbessern. Durch die vorläufige Vollstreckung entfalle die Inanspruchnahme und damit auch der Anspruch auf Sozialhilfe. Da diese später nicht mehr rückwirkend gewährt werden könne, trete bei rechtskräftiger Aufhebung der Verurteilung des Versicherungsträgers und daraus folgender Verpflichtung des Versicherten zur Erstattung der Urteilsrente für ihn eine Situation ein, die ihn zur Inanspruchnahme der Sozialhilfe zwingen könne. Dabei würde sein Lebensniveau jedenfalls durch die Verpflichtung zur Rückerstattung der zuvor erhaltenen Urteilsrente unter den Satz der Sozialhilfe gedrückt, diese stelle deshalb die Grenze der Rückforderung dar.

Diese Erwägungen gelten jedoch lediglich bezüglich der Rückforderung der Urteilsrente. Nur für deren Rückforderung ist die Grenze der vormaligen Sozialhilfebedürftigkeit zu beachten. Vorliegend ist jedoch nicht diese Rückforderung, sondern die Gewährung von Arbeitslosenhilfe für den Rückforderungszeitraum streitig. Damit ist nicht ein Rückforderungsbegehren, sondern ein originärer Leistungsanspruch streitig, der sich allein danach bemisst, ob dessen gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind.

Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht § 2 Satz 1 Nr. 3 Alhi-V 2002. Danach gelten nicht als Einkommen des Arbeitslosen die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit und die Rente für Bergleute bis zur Höhe des Unterschiedes zwischen der Arbeitslosenhilfe nach § 195 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und der Arbeitslosenhilfe, die dem Arbeitslosen hiernach zustehen würde, wenn sein Arbeitsentgelt nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung, Berufsunfähigkeit, verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau oder Verrichtung einer wirtschaftlich nicht gleichwertigen Arbeit gemindert wäre. Die Beklagte hat dem dadurch Rechnung getragen, dass sie dem Renteneinkommen des Klägers nicht den herabbemessenen Leistungssatz, sondern den ohne Leistungsminderung errechneten Leistungssatz gegenüber gestellt hat. Auch unter Zugrundelegung dieses Leistungssatzes überstieg die Rente wegen Berufsunfähigkeit den Alhi-Anspruch des Klägers, so dass die Beklagte mit Beschied vom 12.12.2003 zu Recht den Antrag abgelehnt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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