L 10 AL 179/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 657/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 179/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 10 AL 394/06 durch Erledigterklärung der Klägerin vom 21.05.2007 beendet ist.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das Berufungsverfahren L 10 AL 394/06 durch die Erledigterklärung der Klägerin in der nichtöffentlichen Sitzung des Gerichts vom 21.05.2007 beendet worden ist. Im Berufungsverfahren L 10 AL 394/06 war die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 04.07.2002 bis 05.09.2002 streitig.

Die Klägerin war vom 01.06.1967 bis 27.02.2002 als Sekretärin bei der Diakonie N. beschäftigt. Am 28.02.2002 meldete sich die Klägerin arbeitslos. Ihr Arbeitsverhältnis bei der Diakonie N. sei durch den Arbeitgeber fristlos gekündigt worden. Am 04.07.2002 teilte die Klägerin der Beklagten telefonisch mit, dass sie den Arbeitsgerichtsprozess gewonnen habe und die Kündigung ihres Arbeitgebers als nicht ausgesprochen gelte. Ihr Arbeitgeber müsse bis zum Rentenbeginn Bezüge zahlen. Arbeitslosigkeit trete nicht ein. Sie wolle abgemeldet werden. Mit Urteil des Arbeitsgerichts N. vom 25.06.2002 (Az: 3 Ca 2075/02 A) wurde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die schriftliche außerordentliche Kündigung der Beklagten (= Diakonie N.) vom 27.02.2002 nicht aufgelöst worden sei.

Am 06.09.2002 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Zur Begründung trug sie vor, dass ihr Arbeitgeber die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht akzeptiert habe. Die Abmeldung ab 04.07.2002 sei ein Irrtum gewesen. Mit Bescheid vom 20.09.2002 bewilligte die Beklagte unter vorläufiger Annahme einer Sperrzeit Alg ab 23.05.2002 bis zur Abmeldung am 04.07.2002. Am 25.09.2002 bewilligte die Beklagte darüber hinaus für die Zeit ab 06.09.2002 Alg.

Mit Bescheid vom 07.11.2003 gewährte die Deutsche Rentenversicherung Bund (ehemals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) der Klägerin Altersrente für Frauen ab 01.10.2003.

Am 05.07.2005 schlossen die Parteien vor dem Landesarbeitsgericht N. (2 Sa 552/02) einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Arbeitgeberin auf Veranlassung der Arbeitgeberin zum 28.02.2002 geendet hat. Mit Schreiben vom 11.07.2005 übersandte die Klägerin der Beklagten die Niederschrift des Landesarbeitsgerichts N. und machte die Erstattung von Alg für die nicht bezahlten Monate aus dem Jahr 2002 geltend. Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 09.08.2005 Alg vom 28.02.2002 bis 22.05.2002. Mit Schriftsatz vom 19.08.2005 beantragte die Klägerin die Auszahlung des Alg auch für den Zeitraum vom 04.07.2002 bis 05.09.2002, was von der Beklagten als Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.08.2005 gewertet wurde, den sie mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2005 als unbegründet zurückwies.

Hiergegen hat die Klägerin am 07.11.2005 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Aufgrund des ersten Urteils des Arbeitsgerichts vom 25.06.2002 habe sie nichts anderes annehmen können, als dass der Arbeitgeber ihre Gehaltszahlungen fortzusetzen habe. So habe sie sich nach Erhalt des ersten Endurteils bei der Beklagten mit obiger Begründung abgemeldet. Sie habe nicht absehen können, dass ihr Arbeitgeber noch Berufung einlege.

Mit Urteil vom 08.11.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Für den Zeitraum vom 04.07.2002 bis 05.09.2002 sei die Klägerin aufgrund ihrer Abmeldung und noch nicht wieder erfolgter Arbeitslosmeldung für die Arbeitsvermittlung nicht verfügbar gewesen und habe daher für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Alg gehabt.

Hiergegen hat die Klägerin am 04.12.2006 Berufung eingelegt (Az: L 10 AL 394/06). Der Wortlaut im Urteil vom 08.11.2006 " ... hat die Klägerin am 04.07.2002 telefonisch mitgeteilt, dass der Arbeitgeber zur Arbeitsentgeltzahlung bis zum Rentenbezug durch das Urteil des Arbeitsgerichts verpflichtet worden wäre ..." stamme nicht von ihr. Vielleicht hätte die Beklagte ihr einen freundlichen Hinweis geben oder zumindest eine Nachfrage stellen können. Tatsache sei, dass sie der Beklagten gemeldet habe, dass gegen das erste Urteil Berufung eingelegt worden sei und sie infolgedessen keine Gehaltsbezüge bekommen habe, also vom 04.07.2002 ab. Sie sei nicht erneut arbeitslos gewesen, sondern durchwegs. In der nichtöffentlichen Sitzung des Gerichts vom 21.05.2007 hat das Gericht die Klägerin befragt. Anschließend hat die Klägerin das Berufungsverfahren für erledigt erklärt. Diese Erklärung ist lt. Sitzungsniederschrift vorgelesen und genehmigt worden.

Am 05.06.2007 hat die Klägerin "zum Urteil vom 21.05.2007 Einspruch" eingelegt und als Anlagen die Abrechnung der Rentennachzahlung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 18.11.2003 sowie ihr Schreiben vom 26.05.2007 an die Beklagte übersandt. Der von der Beklagten erstellte und vorgelegte Computerausdruck enthalte die Angaben nicht vollständig. Wie aus der beiliegenden Anlage der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu ersehen sei, sei das Alg von 2.610,04 EUR für die Zeit vom 01.10.2003 bis 31.12.2003 an die Beklagte zurücküberwiesen worden. Vielleicht ergäben sich somit andere Perspektiven für das nicht ausbezahlte Alg für die Zeit vom 04.07.2002 bis 05.09.2002. Dem "Urteil" vom 21.05.2007 lägen falsche Angaben von Seiten der Beklagten zugrunde. Aufgrund des Computerausdrucks, der ausweise "Altersrente ab 01.01.2004/BA II DV 028 - erstellt am 22.12.2003" werde der Rentenbeginn am 01.10.2003 bestätigt. Das von der Beklagten überwiesene Alg vom 01.10.2003 bis 31.12.2003 in Höhe von 2.610,04 EUR sei ihr aber wieder in Abzug gebracht und an die Beklagte zurücküberwiesen worden.

Sinngemäß beantragt die Klägerin, 1. das Berufungsverfahren L 10 AL 394/06 fortzuführen und 2. das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.11.2006 aufzuheben sowie die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 09.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2005 zu verurteilen, ihr im Zeitraum vom 04.07.2002 bis 05.09.2002 Arbeitslosengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, festzustellen, dass der Rechtsstreit L 10 AL 394/06 durch die Erledigterklärung der Klägerin in der nichtöffentlichen Sitzung vom 21.05.2007 beendet worden ist, hilfsweise, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.11.2006 zurückzuweisen.

Der Rechtsstreit Az: L 10 AL 394/06 sei durch die Rücknahme der Berufung am 21.05.2007 beendet worden. Die von der Klägerin zu Protokoll gegebene einseitige Erledigungserklärung sei als Rücknahme der Berufung auszulegen. Sie sei vorgelesen und von der Klägerin genehmigt worden. Es handele sich dabei um eine Prozesshandlung, die weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung angefochten werden könne. Eine Ausnahme liege dann vor, wenn ein Widerruf gleichzeitig mit der Berufungsrücknahme bei Gericht eingegangen wäre. Das sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Klägerin habe die Rücknahme am 21.05.2007 erklärt, der "Widerruf" sei am 05.06.2007 bei Gericht eingegangen. Es lägen auch keine Restitutionsgründe vor. Die Rücknahme der Berufung bewirke den endgültigen Verlust des Rechtsmittels. Zur Erläuterung für die Klägerin werde bestätigt, dass eine Altersrente der Klägerin seit dem 01.10.2003 bestanden habe und nach Aufhebung der Bewilligung von Alg ab 01.10.2003 mit Bescheid vom 17.11.2003 eine Erstattung seitens der BfA für die Zeit vom 01.10.2003 bis 31.12.2003 erfolgt sei. Hieraus würde sich jedoch keine andere Bewertung der Sach- und Rechtslage im Rechtsstreit L 10 AL 394/06 ergeben.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die Sitzungsniederschriften vom 21.05.2007 und 29.11.2007, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 10 AL 394/06 ist zulässig, aber unbegründet, weil dieses durch die Erledigterklärung der Klägerin in der nichtöffentlichen Sitzung des Gerichts vom 21.05.2007 wirksam beendet worden ist.

Die Erledigterklärung wurde in der nichtöffentlichen Sitzung vom 21.05.2007 auch vorgelesen und von der Klägerin genehmigt. Als Prozesshandlung ist die einseitige Erledigterklärung im Sinne einer Rücknahme der Berufung gemäß § 156 SGG auszulegen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, Rdnr 11a Vor § 60). Maßgebend ist der objektive Erklärungswert, der sich danach bestimmt, wie der Empfänger nach den Umständen die Erklärung verstehen muss, wobei § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend heranzuziehen ist (BGH NJW 94, 1537; BVerwG NVwZ 99, 405; BSG 63, 93, 94; 74, 77, 79). Die Erledigterklärung der Klägerin in der nichtöffentlichen Sitzung vom 21.05.2007 ist aus dem Empfängerhorizont als Rücknahme der Berufung auszulegen.

Dieser Interpretation steht auch nicht die mit der einseitigen Erledigterklärung verbundene Kostenfolge des § 197a Abs 1 Satz 1 HS 3 SGG iVm § 155 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entgegen. Die auf der Grundlage des am 02.01.2002 in Kraft getretenen SGGÄndG beruhende Änderung, wonach gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 HS 3 SGG iVm § 155 Abs 2 VwGO der Kläger zwingend die Kosten zu tragen hat, wenn er die Klage zurücknimmt, kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen. Denn an diesem Verfahren sind kostenprivilegierte Personen im Sinne von 183 SGG beteiligt. Damit hat die einseitige Erledigterklärung keine andere Kostenentscheidung zur Folge als die Rücknahme (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.2002, L 10 B 9/01 SB; LSG Berlin, Beschluss vom 28.04.2004, 6 B 44/03 AL ER; Hauck SGb 2004, 407; Kroll NZS 2003, 357; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4.Aufl, 2005, VII Rdnr 171, 172), so dass dieser Gesichtspunkt der hier vorgenommenen Interpretation nicht entgegensteht.

Die hier vorliegende Erledigterklärung stellt somit eine Rücknahme der Berufung dar, die den Verlust des Rechtsmittels bewirkt, § 156 Abs 2 Satz 1 SGG.

Die Klägerin kann die einseitige Erledigterklärung, die eine Rücknahme der Berufung darstellt, weder entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGB) anfechten noch widerrufen. Denn sie ist eine gestaltende Prozesshandlung, auf die die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über Nichtigkeit, Widerruf und Anfechtung nach allgemeiner Meinung nicht anwendbar sind (BSG SozR Nr 3 zu § 119 BGB; BSG in SozR 1500 § 102 Nr 2 mwN; BSG vom 17.05.1966, 7 RAR 7/66, BVerwG-NVwZ RR 99, 407). Hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Formerfordernisse unterliegt sie nämlich dem Prozessrecht und nicht dem materiellen Recht. Unerheblich ist daher, ob die Rücknahme der Berufung auf Irrtum oder Täuschung etc. beruht (s. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, Rdnr 12 Vor § 60). Überdies trägt die Klägerin Gründe für eine Irrtumsanfechtung im Sinne des § 119 BGB nicht vor.

Im vorliegenden Fall ist auch eine Ausnahme von der Unwiderruflichkeit der Rücknahme der Berufung nicht gegeben. Etwas anderes würde nämlich nur dann gelten, wenn der Widerruf gleichzeitig mit der Rücknahme bei Gericht eingeht - was hier nicht der Fall ist - oder wenn ein Berufungsurteil nach den Bestimmungen des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) angegriffen werden könnte (§ 179 SGG iVm §§ 578 ff ZPO).

Restitutionsgründe im Sinne des § 179 Abs 1 SGG iVm § 580 Nrn 1 bis 7 ZPO sind von der Klägerin weder vorgetragen worden noch erkennbar (BSG vom 24.04.1980, 9 RV 16, 79 mwN; BVerwG NVwZ 97, 1210; NVwZ-RR 99, 407). Anhaltspunkte für das Vorliegen der in den Nrn 1 bis 7 normierten Voraussetzungen des § 580 ZPO (insbesondere: falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Nr 1; Urkundenfälschung, Nr 2; strafbares falsches Zeugnis oder Gutachten, Nr 3; Urteilserschleichung, Nr 4; Amtspflichtverletzung eines Richters, Nr 5; Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde, Nr 7b) liegen nicht vor.

Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 02.06.2007 vorträgt, aus dem Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 18.11.2003 ergebe sich, dass das ihr für den Zeitraum vom 01.10.2003 bis 31.12.2003 in Höhe von 2.610,04 EUR überwiesene Alg wieder in Abzug gebracht worden und die Deutsche Rentenversicherung Bund diesen Betrag an die Beklagte zurücküberwiesen habe, ist dies für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 04.07.2002 bis 05.09.2002 ohne rechtlichen Belang.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch nicht gemäß § 179 Abs 2 SGG statthaft. Denn es ist kein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat.

Somit war festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 10 AL 394/06 durch die Erledigterklärung der Klägerin vom 21.05.2007 beendet ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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