L 7 AS 265/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AS 348/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 265/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird entsprechend ihrem Teilanerkenntnis unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 11. September 2006 und ihrer Bescheide vom 24. Januar 2006 und 31. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2006 verurteilt, den Klägern zusätzlich 131,25 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat den Klägern ein Sechstel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form von Arbeitslosengeld (Alg) II streitig.

Die 1958 geborenen Kläger beantragten am 27.07.2005 Alg II und gaben an, in einer ca. 80 qm großen 3-Zimmer Wohnung zu wohnen, für die sie eine monatliche Gesamtmiete von 610,00 EUR zu entrichten hätten. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 17.08.2005 Alg II für die Zeit vom 01.08.2005 bis 31.01.2006 in Höhe von monatlich 477,20 EUR und übernahm Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe von 610,00 EUR. Mit einem Schreiben gleichen Datums teilte sie den Klägern mit, die Unterkunftskosten überschritten einen aus leistungsrechtlicher Sicht angemessenen Rahmen. Für zwei Personen könne eine Wohnung von maximal 60 qm Größe zu einem Quadratmeterpreis von 5,43 EUR anerkannt werden, so dass sich eine angemessene Kaltmiete von 325,80 EUR ergebe. Betriebskosten könnten in Höhe von maximal 59,04 EUR und Heizkosten in Höhe von 47,40 EUR anerkannt werden. Die unangemessenen Kosten könnten regelmäßig nur für die Dauer von sechs Monaten anerkannt werden, während dieser Zeit werde Gelegenheit gegeben, durch Wohnungswechsel, Untervermietung oder auf andere Weise die Kosten zu senken.

Mit Bescheid vom 24.01.2006 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01.02. bis 31.07.2006 monatlich 313,66 EUR und erstattete KdU in Höhe von 446,46 EUR. Bei den Heizkosten (0,79 EUR x 60) gewährte sie einen Zuschlag von 30 v.H.

Mit ihrem Widerspruch machten die Kläger geltend, ihre Wohnung sei nicht überteuert. Bei einer Quadratmeterzahl von ca. 77 ergebe sich ein Quadratmeterpreis von 5,71 EUR. Abgesehen von der mangelhaften Auswahl an günstigen Wohnungen komme ein Umzug überhaupt nicht in Frage, weil dessen Kosten nicht tragbar wären. Unter 400,00 EUR sei eine Wohnung für zwei Personen in U. oder N. nicht zu bekommen. Sie fühlten sich in ihrer Wohnung sehr wohl, das Umfeld sei für sie von großer Bedeutung.

Von der Beklagten aufgefordert, bis 25.03.2006 Nachweise über vergebliche Bemühungen einer Wohnungssuche vorzulegen, teilten die Kläger mit Schreiben vom 22.03.2006 mit, Unterlagen könnten nicht vorgelegt werden, "da es eine solche Wohnungssuche nicht gibt". Mit Änderungsbescheid vom 31.03.2006 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01.02. bis 31.07.2006 monatlich 345,95 EUR, wobei sie KdU von 478,75 EUR übernahm. Hierbei ging sie von den angemessenen Kosten für eine 65 qm große Wohnung aus und legte eine Kaltmiete von 352,45 EUR unter Hinzurechnung von Heizkosten von 76,00 EUR und Betriebskosten von 59,04 EUR zugrunde. Im Übrigen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2006 den Widerspruch als unbegründet zurück. Ab 01.02.2006 seien nach den internen Richtlinien bei einem Zweipersonenhaushalt 65 qm anzusetzen. Die tatsächlichen Kosten seien nicht mehr zu übernehmen gewesen, weil die Kläger keinen Nachweis erbracht hätten, dass sie sich um eine angemessene Wohnung im halbjährlichen Überprüfungszeitraum bemüht hätten; ihren Ausführungen zufolge lehnten sie dies strikt ab.

Mit ihrer zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage haben die Kläger weiterhin vorgebracht, ein möglicher Umzug würde sie mit besonderer Härte treffen, die sie als nicht angemessen bezeichnen würden. Die Kosten für einen solchen Umzug wären unverhältnismäßig hoch und könnten von ihnen grundsätzlich nicht getragen werden. Es dürfte sehr schwierig sein, bei einem Vermieter eine Wohnung zu bekommen, wenn beide Ehepartner unverschuldet arbeitslos seien.

Die Beklagte hat die Richtlinien zur Festsetzung von Unterkunftskosten als Bedarf im Rahmen der Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitssuchende im Landkreis N. vorgelegt, die für N. einen Quadratmeterpreis von 5,43 EUR vorsehen. Bei den Heizkosten würde der aus der Abrechnung des vorangegangenen Jahres ausgewiesene Betrag, erhöht um 30 %, zugrunde gelegt. Die Betriebskosten betrügen bei einem angemessenen Zweipersonenhaushalt 59,04 EUR. Sie hat Wohnungsannoncen der Zeitungsausgaben vom 13.05., 20.05. und 24.05.2006 sowie 07.06., 21.06., 28.06., 05.07. und 19.07.2006 vorgelegt.

Mit Urteil vom 11.09.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die einzelnen Parameter für die Bestimmung der Angemessenheit der Wohnung könnten typisierend festgelegt werden. Preisbildende Faktoren für die Unterkunft seien vor allem Größe, Lage und Ausstattung. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Wohnfläche sei eine Orientierung am sozialen Wohnungsbau sinnvoll und gerichtlich anerkannt, wobei die Verwaltungsvorschriften der Länder nach § 5 Abs. 2 Wohnungsbindungsgesetz zugrunde gelegt werden könnten. Hinsichtlich der Lage und Ausstattung seien Wohnungen maßgeblich, die im unteren Bereich der marktüblichen Wohnungsmieten lägen. Letztlich komme es auf das Produkt von angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmeterpreis an. Der Leistungsempfänger könne nur durch substanziierte Darlegung widerlegen, dass eine derartige angemessene Unterkunftsalternative nicht vorhanden sei. Er habe konsequent und kontinuierlich nachzuweisen, dass er allen Angeboten an privaten, städtischen und insbesondere öffentlich geförderte Wohnungen nachgegangen und dennoch ein Wohnungswechsel nicht möglich gewesen sei. Die Kläger hätten demgegenüber keinerlei Wohnungssuche unternommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Kläger, die geltend machen, ihre Wohnung sei wichtiger Bestandteil in ihrem persönlichen Umfeld. Ein Umzug wäre aus Kostengründen nicht denkbar. Zudem müssten sie im Stadtgebiet N. und U. bleiben, falls sich ein neuer Arbeitsplatz ergebe, da sie über kein Fahrzeug verfügten und auf öffentliche Verkehrksmittel angewiesen seien.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.09.2006 und unter Abänderung des Bescheides vom 24.01.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 31.03.2006 sowie des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2006 zu verurteilen, für die Zeit vom 01.02. bis 31.07.2006 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 610,00 statt 478,75 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat anerkannt, dass für den Monat Februar 2006 noch die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu zahlen sind.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs. 1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als teilweise insoweit begründet, als die Beklagte aufgrund ihres Teilanerkenntnisses zu verpflichten war, für Februar 2006 zusätzlich 131,25 EUR zu zahlen.

Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Für die Zeit ab 01.03.2006 stehen den Klägern keine weiteren Leistungen zu. In den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte die zustehenden Leistungen zutreffend berechnet; mit Ausnahme der von den Klägern zusätzlich geltend gemachten KdU von monatlich 131,25 EUR ist dies zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Die KdU von monatlich 610,00 EUR sind nicht angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Wohnungsgröße von 80 bzw. 77 qm übersteigt die für einen Zweipersonenhaushalt angemessene Größe. Diese bestimmt sich nach der Wohnraumförderbestimmung 2003 des Bayer. Staatsministeriums des Innern vom 11.11.2002 - AllMBl Nr. 14/2002 S. 971 (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R), und beträgt demgemäß 65 qm. Diese hat die Beklagte in dem Änderungsbescheid zutreffend zugrunde gelegt.

Nach der heranzuziehenden Produkttheorie ist die angemessene Miete das Produkt dieser Quadratmeterzahl mit dem Quadratmeterpreis einer Wohnung, die nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnungsstandard aufweist, somit im unteren Segment der in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegt, der den Vergleichsmaßstab bildet (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R). Der von der Beklagten zugrunde gelegte Quadratmeterpreis von 5,43 EUR ist angemessen. Dies zeigen die von ihr vorgelegten Immobilienanzeigen. So wurde in der Ausgabe vom 24.05.2006 (Bl. 37 Klageakte) in N. eine 65 qm große Wohnung in ruhiger Lage mit einer Miete von 350,00 EUR zuzügl. 50,00 EUR Nebenkosten angeboten. Weiterhin wurde in der Ausgabe vom 07.06.2006 eine 64 qm große 2-Zimmerwohnung zu einer Miete von 360,00 EUR zuzügl. 40,00 EUR Nebenkosten und Heizkosten angeboten. Diese Beispiele zeigen, dass die Angemessenheitsgrenze der Beklagte zutreffend ist und die Kläger die realistische Möglichkeit hatten, eine solche Wohnung anzumieten. Deshalb besteht keine Verpflichtung der Beklagten, die nicht angemessenen Wohnungskosten länger als sechs Monate, nachdem die Kläger auf die Notwendigkeit, die Wohnkosten zu senken, hingewiesen worden waren, gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu übernehmen.

Aus dem Vorbringen der Kläger ergibt sich, dass sie nicht ernsthaft an einem Umzug in eine den Angemessenheitsgrenzen entsprechende Wohnung interessiert waren. Entsprechende Bemühungen sind auch nicht nachgewiesen. Ihrer Auffassung, sie seien nicht zu einem Umzug verpflichtet gewesen, kann nicht gefolgt werden. Zwar ist zuzugestehen, dass eine nach längerer Zeit bewohnte Wohnung den Lebensmittelpunkt bildet und der Zwang zu einem Umzug in eine neue Umgebung eine gewisse Härte darstellt. Solches ist aber Hilfebedürftigen im Sinne des § 7 SGB II generell zuzumuten. Besondere Umstände, die einen Umzug wie in dem Fall der Kläger zu einer besonderen Härte machen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Letztlich steht dem Interesse der Kläger, in ihrer Wohnung zu verbleiben, das zu bevorzugende Interesse der Allgemeinheit gegenüber, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur in einem objektiv angemessenen Rahmen zu erbringen. Deshalb ist es den Klägern zuzumuten, nach Umzug in eine neue Wohnung einen neuen Lebensmittelpunkt aufzubauen, was im Übrigen etwa Arbeitnehmern, die aufgrund eines Wechsels der Arbeitsstelle zu einem Wechsel des Wohnorts gezwungen sind, ebenfalls zugemutet wird.

Somit war die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.09.2006 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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