L 5 KR 4105/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 1076/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 4105/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Juli 2007 aufgehoben.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für das Medikament Viagra durch die Beklagte.

Bei der 1949 geborenen Klägerin besteht seit längerem eine pulmonale Hypertonie bei Zustand nach im Februar 2002 erlittener Lungenembolie. Durch die Poliklinik der Medizinischen Klinik G. wurde ihr daher erstmals am 25. November 2004 das Medikament Viagra verordnet. Der in Viagra enthaltene Wirkstoff Sildafenil wurde in der Bundesrepublik Deutschland erst zum 28. Oktober 2005 unter dem Handelsnamen Revatio zur Behandlung der pulmonalen Hypertonie zugelassen (für die USA bestand eine Zulassung seit Juni 2003).

Die G.-Apotheke H. hatte die hier streitigen Medikamente auf Grund des Rezeptes vom 25. November 2004 als Sachleistung an die Klägerin abgegeben. Die bei der Beklagten sodann eingereichte Verordnung wurde mit Schreiben vom 14. Oktober 2005 beanstandet und der Apotheke ein Betrag von 691,68 EUR (netto) abgesetzt. Dieses Schreiben enthielt den Hinweis, dass Einsprüche schriftlich oder per Fax unter Angabe von Gründen zu erheben seien, andernfalls gelte der Absetzungsbetrag als akzeptiert und werde von der Beklagten nach Ablauf der vertraglichen Frist mit der nächsten Forderung der Apotheke verrechnet.

Mit Schreiben vom 14. Mai 2006 stellte die G.-Apotheke der Klägerin 867,12 EUR in Rechnung.

Ausweislich einer Gesprächsnotiz vom 20. Oktober 2006 (Blatt 23 Verwaltungsakte - VA -) wäre bei einem Einspruch durch die Apotheke die Retaxierung aufgehoben worden. Ein Einspruch sei jedoch nicht erfolgt. Ausweislich der dort dokumentierten Recherche fanden sich im vorhandenen Datenbestand (06/2005 bis 07/2006) vier Verordnungen über Viagra, die letzte vom 24. Oktober 2005, diese wurden nicht mehr retaxiert. Verordnungen über Revatio wurden danach nicht abgerechnet.

Im Januar 2007 beantragte die Klägerin sodann bei der Beklagten die Freistellung von diesem Betrag. Mit Schreiben vom 18. Januar 2007 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) lehnte die Beklagte dies ab, da weder ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Viagra noch ein entsprechender Freistellungsanspruch bestehe. Mit der Abgabe von Viagra an die Klägerin habe die G.-Apotheke gegen die maßgeblichen Abgabebestimmungen verstoßen, weshalb die Beklagte die Berechtigung gehabt hätte, die Abrechnung zu beanstanden. Die Apotheke habe keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, innerhalb von drei Monaten Einspruch gegen die Tax-Differenz zu erheben. Die Klägerin habe aber durch die Retaxierung auch keinen wirtschaftlichen Nachteil erlitten und sei nicht beschwert. Die Apotheke sei nämlich nicht berechtigt, den abgesetzten Betrag bei ihr einzufordern, insbesondere dann nicht, wenn sie die Einlegung des vertraglich vereinbarten Rechtsbehelfs gegenüber der Krankenkasse unterlasse.

Hiergegen erhob die Klägerin Einwendungen, worauf die Beklagte mit einem weiteren Schreiben vom 21. Februar 2007 ihren Rechtsstandpunkt wiederholte (ebenfalls ohne Rechtsbehelfsbelehrung).

Daraufhin hat die Klägerin am 23. März 2007 vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe erhoben und den Entwurf einer Klage, überschrieben mit "Klageentwurf", beigefügt und zur Begründung der Erfolgsaussichten auf diesen Klageentwurf Bezug genommen. Sie hat hierbei geltend gemacht, die Beklagte habe die Kostenübernahme zu Unrecht verweigert, da das Medikament zur Behandlung einer lebensbedrohlichen, zumindest aber die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gedient habe. Für die Durchführung des Rechtsstreits habe sie auch ein Rechtsschutzbedürfnis, da sie sich gegenüber dem Apotheker für die Zahlung des Medikamentes "verbürgt" habe.

Das SG hat mit Schreiben vom 26. März 2007 dem Klägerbevollmächtigen gegenüber zum einen bestätigt, dass der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 21. März 2007 hier beim SG am 23. März 2007 eingegangen sei und im weiteren unter dem dort oben angegebenen Aktenzeichen geführt werde. Mit weiterem Schreiben ebenfalls vom 26. März 2007 hat das SG dem Klägerbevollmächtigen mitgeteilt: "die Klage vom 21.3. 2007 ist hier am 23.3.2007 eingegangen. Das Verfahren wird unter dem oben angegebenen Aktenzeichen geführt, ". Von Seiten des Klägerbevollmächtigen erfolgte kein Hinweis an das SG, dass hier offensichtlich irrtümlich der Klageentwurf (bereits) als wirksame Klage geführt werde. Der Klägerbevollmächtigte hat sich vielmehr in weiteren Schreiben vom 4. Mai und 24. Mai 2007 auch in der Sache u. a. mit der Klageerwiderung der Beklagten auseinandergesetzt und - auch nachdem das SG mit Schreiben vom 5. Juni 2007 über eine beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid informiert hatte - nicht darauf hingewiesen, dass auf Seiten des SG offensichtlich ein Irrtum hinsichtlich einer Klageerhebung vorliege.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Juli 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, die Klage sei zulässig (gemeint wohl unzulässig) und ausgeführt, unabhängig davon, ob sie auf eine Kostenerstattung oder eine Freistellung gerichtet sei, sei sie wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis sei Prozessvoraussetzung, es fehle dann, wenn unzweifelhaft sei, dass das begehrte Urteil die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung der Klägerin nicht verbessern würde. Der Klägerin entstehe aber nach Auffassung des SG durch die Tatsache, dass die Beklagte der G.-Apotheke die auf Grund des Rezeptes vom 25. November 2004 ausgegebenen Medikamente nicht vergütet habe, kein rechtlicher oder wirtschaftlicher Nachteil. Nachdem die G.-Apotheke die Medikamente an die Klägerin als Sachleistung der Krankenkasse abgegeben habe, wäre die Klägerin im Falle einer berechtigten Zahlungsverweigerung der Beklagten nur dann selbst zur Zahlung verpflichtet, wenn sie dies so mit der G.-Apotheke vereinbart gehabt hätte (mit Hinweis auf entsprechende Rechtsprechung des BSG hierzu). Eine entsprechende Vereinbarung sei aber nicht getroffen worden. Wie die Klägerin im Schriftsatz vom 4. Mai 2007 vortrage, habe sie sich gegenüber dem Apotheker für die Zahlung des Medikamentes "verbürgt". Daraus könnte sich aber ebenso wie bei einem Schuldversprechen nur dann eine Rechtsverbindlichkeit ergeben, wenn schriftliche Erklärungen abgegeben worden wären (mit Hinweis auf §§ 766, 780 BGB). Entsprechende Unterlagen seien aber nicht vorgelegt worden. Es falle deshalb in den Risikobereich der G.-Apotheke, dass diese nicht verordnungs- und erstattungsfähige Medikamente als Sachleistung an die Klägerin abgegeben habe.

Die Klägerin hat am 17. August 2007 gegen den ihrem Bevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 23. Juli 2007 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt.

Zur Begründung macht der Bevollmächtigte geltend, die Berufung sei schon vor dem Hintergrund begründet, dass das SG offensichtlich irrtümlich davon ausgegangen sei, dass auch eine Klage erhoben worden sei, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Es habe sich lediglich um einen Klageentwurf gehandelt. Der klagabweisende Gerichtsbescheid sei daher zu Unrecht ergangen und aufzuheben. Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Juli 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verweist u. a. darauf, dass der Bevollmächtigte der Klägerin sich zwar nunmehr darauf berufe, beim SG lediglich einen Klageentwurf eingereicht zu haben, in seinen Schriftsätzen vom 4. Mai und 24. Mai 2007 hierauf jedoch mit keiner Silbe hingewiesen und er auch der vorher angekündigten Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid nicht widersprochen habe. Daher könne er nach ihrer Auffassung jetzt mit dem Einwand, lediglich einen Klageentwurf eingereicht zu haben, auch nicht mehr gehört werden. Wäre der Klage stattgegeben worden, hätte die Klägerin die Gerichtsentscheidung nach Auffassung der Beklagten selbstverständlich unbeanstandet gelten lassen. Jetzt, nachdem die Klage abgewiesen worden sei, berufe man sich darauf, dass lediglich ein Klageentwurf eingereicht worden sei, und wolle sich damit offensichtlich die erste Instanz neu eröffnen. Ein derartiges Verhalten sei nach Auffassung der Beklagten geradezu arglistig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akten des SG betreffend das Klageverfahren S 4 KR 1076/07 und die Prozesskostenhilfe, die Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe (L 5 KR 4056/07 PKH-B) und die Senatsakten (L 5 KR 4105/07) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte auf Grund der Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden.

Die zulässige Berufung ist auch begründet.

Da hier tatsächlich keine Klage erhoben worden war (die Klageschrift war ausdrücklich mit Klageentwurf überschrieben) und auch dem Prozesskostenhilfeantrag diesbezüglich zu entnehmen war, dass hier zunächst noch keine Klage erhoben werden sollte, sondern vielmehr im Wege der Prozesskostenhilfe die Erfolgsaussichten offensichtlich vorab durch das Gericht geprüft werden sollten, ist der Gerichtsbescheid nichtig bzw. wirkungslos (siehe Meyer-Ladewig SGG, 8. Auflage, § 125 Rdnr. 5 b). Hiergegen sind Rechtsmittel auch zulässig, hier konkret die Berufung. Die Klägerin ist nämlich durch den klagabweisenden Gerichtsbescheid insoweit auch beschwert, so dass auch insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis dahingehend, diesen Gerichtsbescheid wieder aufzuheben, besteht. Und zwar auch unabhängig davon, dass die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter den Erlass des Gerichtsbescheides durch einen entsprechenden Hinweis noch hätten verhindern können.

Auf die Berufung der Klägerin ist daher der Gerichtsbescheid auf Grund der Nichtigkeit des Gerichtsbescheides aufzuheben.

Der Senat hatte in den Zusammenhang die weitere Frage der Begründetheit einer Klage nicht zu prüfen, da eine solche bislang nicht erhoben worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Hierbei war allerdings zu berücksichtigen, dass die Beklagte für dieses "Klage-" und Berufungsverfahren insoweit nicht verantwortlich ist als der Bevollmächtigte der Klägerin ohne weiteres durch einen kurzen Hinweis an das SG den Erlass des Gerichtsbescheides wie auch damit das sich anschließende Berufungsverfahren hätte verhindern können.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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