Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 375/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 5493/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.10.2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.
Der 1973 geborene Kläger ist schwergradig drogenabhängig. Deswegen hatte er (neben vielfachen Entgiftungsbehandlungen) in den Jahren 1997, 1998, 1999, 2000 und 2004 stationäre Entwöhnungsbehandlungen auf Kosten des Rentenversicherungsträgers absolviert.
Zuletzt war der Kläger vom 26.4. bis 12.10.2005 im Therapiezentrum "H. im Tal", L.-T., auf Kosten des Rentenversicherungsträgers stationär behandelt worden. Im Entlassungsbericht vom 27.10.2005 sind die Diagnosen Störung durch Opioide, Abhängigkeitssyndrom, sowie Störung durch Kokain, Abhängigkeitssyndrom, festgehalten. Der Kläger könne die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Tankreiniger vollschichtig verrichten und schwere Arbeiten vollschichtig leisten. Bei erneutem Rückfall bzw. bei Fortsetzung des Drogenabusus sei mit Störungen der Konzentrationsfähigkeit und des Reaktionsvermögens zu rechnen.
Der Kläger habe sich Ende 2004 an die Drogenberatungsstelle des Drogenvereins M. gewandt und um die Vermittlung einer erneuten stationären Therapie gebeten. Nach eigenen Angaben habe er die vorangegangene Therapie drei Wochen vor der regulären Entlassung wegen einer Beziehung zu einer Mitpatientin abgebrochen, was er jetzt bereue. Kurz darauf sei er wieder rückfällig geworden. Der Kläger habe ab dem 15. Lebensjahr gelegentlich bis regelmäßig THC genommen, sodann Ecstasy und LSD, Kokain (ab dem 18. bis zum 23. Lebensjahr, ca. zwei Gramm pro Wochenende) und ab dem 20. Lebensjahr Heroin konsumiert. Von 2000 bis Anfang 2003 und Ende 2003 bis Ende 2004 sei der Kläger drogenfrei gewesen, habe ab November 2004 jedoch erneut Heroin konsumiert. Bislang hätten über 20 Entgiftungsmaßnahmen stattgefunden.
Der Kläger, der schon in Jugendjahren mit kriminellen Aktivitäten (wie Autoaufbrüchen) polizeilich in Erscheinung getreten sei, sei wegen unterschiedlicher Straftaten von 1995 bis 2003 inhaftiert gewesen. Während der letzten Haftmonate habe er beim Freigang seine derzeitige Ehefrau kennen gelernt, diese nach der Haftentlassung geheiratet und gemeinsam mit deren beiden Kindern einen Haushalt begründet. Da er keine Anstellung gefunden habe und finanziell unter Druck geraten sei, habe er erneut angefangen, mit illegalen Aktivitäten Geld zu beschaffen. Wegen der dadurch aufgetretenen familiären Konflikte habe er auch wieder mit dem Drogenkonsum begonnen. Seit dem Rückfall habe er sich entschlossen, an einem Subutexprogramm teilzunehmen und schließlich im Juli 2004 eine stationäre Therapie angetreten. Diese habe er gegen ärztlichen Rat beendet. Seinerzeit habe er ein Verhältnis mit einer Mitpatientin gehabt, sei mit dieser rückfällig geworden und habe sich jedoch kurz danach wieder von ihr getrennt. Von seiner Ehefrau habe er sich scheiden lassen. Derzeit befinde sich der Kläger in einer Bewährungszeit (24 Monaten auf drei Jahre).
Eine Ausbildung zum Industriemechaniker habe der Kläger kurz vor dem Abschluss abgebrochen und seinen Lebensunterhalt sodann mit Gelegenheitsjobs und Drogenhandel bestritten. Derzeit lebe er wieder bei seiner Mutter.
Der Kläger habe Kontakt zu einer ehemaligen Freundin aufgenommen, mit der er in der Nähe von M. ein gemeinsames abstinentes Leben aufbauen wolle. Er wolle die Beziehung als stabilisierendes Element nutzen. Während der Behandlung sei der Kläger abstinent geblieben. Seine Fähigkeit zur Interaktion habe allerdings nur in geringem Maße verbessert werden können. Im stationären Rahmen sei eine Ablösung von der Mutter angeregt worden; die Rückkehr lasse jedoch erwarten, dass eine dauerhafte und stabile Autonomie nicht erhalten bleiben werde. Der Kläger habe sich sehr zuversichtlich gezeigt, sich nach langjähriger Distanz durch Inhaftierung und stationäre Therapie von anderen Drogenkonsumenten abgrenzen zu können. Er fühle sich sicher, keine Drogen mehr zu nehmen. Die ambulante Betreuung durch eine Drogenberatungsstelle sei indiziert.
Der Kläger, der seit April 2006 erneut inhaftiert ist und voraussichtlich im Juni 2008 entlassen werden soll, beantragte unter dem 13.2.2006 die Gewährung einer Anschlussheilbehandlung.
In einem dazu erstellten Sozialbericht des Drogenvereins M. vom 14.2.2006 ist ausgeführt, der Kläger sei nach der letzten Therapie unmittelbar rückfällig geworden und befinde sich seit Februar 2006 wieder im Substitutionsprogramm. Er wolle eine Auffangtherapie absolvieren, während der er auf das Erlernte der letzten Maßnahme aufbauen könne. Im Vordergrund stehe insbesondere das Erlernen alternativer Strategien zum Drogenkonsum im Krisenfall. Danach wolle der Kläger weder einer geregelten Arbeit nachgehen.
Mit Bescheid vom 28.2.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zuvor hatte sie die Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes (Dr. Sch.) vom 27.2.2006 erhoben; danach sei eine erneute Entwöhnungsbehandlung nicht erfolgversprechend, eine länger dauernde Abstinenz habe trotz mehrerer Versuche nicht erreicht werden können.
Unter dem 10.11.2006 beantragte der Kläger Leistungen zur stationären medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke.
Hierzu führte der Drogenverein M. unter dem 13.11.2006 aus, der Kläger sei seit April 2006 erneut inhaftiert. Er sei nach der Scheidung, erfolgloser Arbeitssuche und finanzieller Probleme massiv rückfällig geworden und habe infolge erneuten Drogenkonsums wiederum Straftaten begangen. Er sei dringend therapiebedürftig. Nur mit professioneller Hilfe und Unterstützung in Form einer Auffangtherapie werde es ihm gelingen, dauerhaft abstinent zu bleiben und sich zu resozialisieren. Der Kläger wisse, dass dies seine letzte Chance für ein drogenfreies Leben sein werde. Nach der erneuten Entwöhnungsbehandlung wolle er sich zur weiteren Stabilisierung einen Platz in einem betreuten Wohnprojekt suchen.
In einem Bericht des Dr. L. (Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt M.) vom 18.11.2006 ist ausgeführt, das Rehabilitationsziel bestehe in der Erzielung eines langfristig drogenfreien Lebens, der Vermeidung des Konsums psychotroper Substanzen und der sozialen Stabilisierung. Der Kläger sei motiviert, aktiv an der Rehabilitation mitzuwirken. Die Ausprägung der Rehabilitationsbedürftigkeit sei auf einer von 1 (minimal) bis 5 (sehr ausgeprägt) reichenden Skala mit 4 anzugeben. Das Ausmaß der zu erwartenden nachhaltigen Besserung sei auf dieser Skala mit 3 einzuschätzen. Es sei zu erwarten, dass die bisherige berufliche Tätigkeit weitergeführt werden könne.
Mit Bescheid vom 28.11.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe bereits mehrere Entwöhnungsbehandlungen absolviert, ohne dass ein dauerhafter Erfolg habe erreicht werden können.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Drogenverein M. für den Kläger vor, man betreue den Kläger bereits seit September 2003 und während seiner Inhaftierung in Form von regelmäßig stattfindenden Einzelgesprächen. Außerdem habe der Kläger bereits mehrere stationäre Entwöhnungsbehandlungen absolviert. Im Anschluss daran habe er sich so stabil gefühlt, dass er in sein altes Umfeld zurückgekehrt sei. Nach dem Rückfall habe er sich substituieren lassen und sei nach geraumer Zeit inhaftiert worden. Bereits zuvor habe er zur Stabilisierung eine Kurzzeittherapie beantragt, die jedoch abgelehnt worden sei. Durch die Inhaftierung sei ihm nochmals bewusster geworden, dass er sich von seinem Umfeld, der M. Drogenszene, distanzieren müsse. Durch eine stationäre Auffangtherapie wolle er erreichen, dass er nunmehr endlich drogenfrei leben könne. In Einzelgesprächen arbeite der Kläger engagiert, interessiert und motiviert mit. Man halte ihn nach wie vor für behandlungsbedürftig und befürworte eine stationäre Auffangtherapie.
Die Beklagte holte die Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes (Dr. Sch.) vom 8.1.2007 ein. Darin ist ausgeführt, beim Kläger bestehe eine schwergradige Opiatabhängigkeit. In den Jahren 1997, 1998, 1999, 2000, 2004 und 2005 seien stationäre Entwöhnungsbehandlungen durchgeführt worden. Obwohl der Kläger während der letzten Behandlung vom 26.4. bis 12.10.2005 keine Drogen konsumiert habe, sei auf Grund der geplanten Rückkehr in das gewohnte Umfeld eine ungünstige Prognose hinsichtlich dauerhafter und stabiler Abstinenz gestellt worden. Offenbar sei der Kläger unmittelbar nach der Entlassung rückfällig geworden und befinde sich seit April 2006 wiederum in Haft. Eine nochmalige stationäre Entwöhnungsbehandlung sei angesichts des bisherigen Verlaufs nicht erfolgversprechend. Längere Abstinenzphasen hätten trotz der intensiven therapeutischen Bemühungen nicht erreicht werden können. Auch im Hinblick auf das Vorbringen im Widerspruchsverfahren gebe es keine zuverlässigen Anhaltspunkte für die Erwartung eines dauerhaften Therapieerfolgs.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.1.2007 wies die Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf den Bericht ihres Sozialmedizinischen Dienstes zurück.
Am 30.1.2007 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Mannheim. Das Sozialgericht holte das psychiatrische Gutachten der Dr. R. (Chefärztin am Psychiatrischen Zentrum N.) vom 19.7.2007 ein. Die Gutachterin führte eine eingehende Exploration durch und legte dar, der Kläger habe zugänglich gewirkt, ohne die vorgetragene Therapiemotivation zu übertreiben. Er habe glaubhaft vermittelt, dass er an einer Änderung seines Lebens interessiert sei und auch Zugang zu den hinter seiner Sucht stehenden Problemen habe. Der Kontakt zur Drogenberatungsstelle sei glaubwürdig und auch bestätigt, ebenso wie der nicht nur jetzt bei der Begutachtung vorgetragene ernsthafte Wunsch, abstinent zu bleiben. Dieses Bemühen hätten die Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle ebenso glaubhaft erlebt, wie sie, die Gutachterin. Der Kläger habe glaubhaft vermittelt, dass sich seine innere Einstellung zur Therapie und die Einsicht in die Notwendigkeit einer Behandlung gegenüber den Vorbehandlungen verändert hätten. Inwieweit diese Veränderung auch dann trage, wenn er wieder eine Frau kennen lerne und sich in diese verliebe, müsse offen bleiben. Gleiches gelte für die Frage, ob die Therapiemotivation ausreiche, um sich in den Ablauf der Therapie einzupassen und nicht wieder (wie im letzten Entlassungsbericht vermerkt) Sonderwege zu beschreiten. Durch die lange Hafterfahrung und die Anpassung an die dortigen Strukturen bedürfe es sicher sehr viel einfühlsamer Therapie, um hierfür ein Problembewusstsein zu schaffen.
Beim Kläger, der zuletzt bis 1994 als Kurierfahrer beschäftigt und danach inhaftiert - mit Ausübung von Beschäftigung -, arbeitslos oder erkrankt gewesen sei, lägen eine psychische Störung und eine Verhaltensstörung durch Opioide im Sinne einer Opiatabhängigkeit vor. Nach eigenen Angaben sei er gegenwärtig weitestgehend abstinent, aber unter Haftbedingungen. Außerdem liege eine Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und wohl auch dissozialen Zügen vor. Durch die Suchterkrankung auf dem Boden der beschriebenen Persönlichkeitsstörung sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers in erheblichem Ausmaß gefährdet. Ohne erneute Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme (Entwöhnungsbehandlung) sei zu befürchten, dass der Kläger in sein altes kriminelles, drogenabhängiges Umfeld zurückkehre und damit seine Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet werde. Durch die zumeist recht raschen Therapieabbrüche habe der Kläger bislang nicht wirklich erhebliche Rehabilitationsmaßnahmen absolviert (insgesamt etwa 15 Monate). Nur mit einer stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung könne die bestehende Persönlichkeitsstörung bearbeitet werden. Ob dies gelinge und sich der Kläger weit genug auf die Therapie einlasse, müssen offen bleiben. Ungeachtet der bestehenden Unklarheiten stelle eine erneute Rehabilitationsmaßnahme aber die einzige Möglichkeit dar, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, die durch eine erneute Suchtmittelrückfälligkeit erheblich gefährdet wäre. Prognostisch ungünstig seien die fehlende Berufsausbildung, die häufigen Therapieabbrüche sowie die erhebliche "Sozialisation" in Haft. Prognostisch günstig demgegenüber sei, dass der Kläger die Notwendigkeit einer solchen Behandlung einsehe und diese auch durchführen wolle, wenn sie nicht zu einer Haftzeitverkürzung führe. Auch der Kontakt ins Elternhaus und die Unterstützung durch beide Elternteile sei prognostisch eher günstig. Eine günstige Prognose erlaube auch die Tatsache, dass der Kläger in der letzten Behandlung fünfeinhalb Monate durchgehalten habe.
Die Beklagte legte die Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes (Dr. Sch.) vom 6.8.2007 vor. Darin heißt es, die Feststellungen der Gutachterin im Hinblick auf die Notwendigkeit einer erneuten Maßnahme und die ungünstige Prognose ohne eine solche seien schlüssig und nachvollziehbar. Angesichts der therapeutischen Schwierigkeiten, die sich während der letzten Entwöhnung durch die Persönlichkeitsstörung des Klägers ergeben hätten (Autoritätskonflikte) sowie der ambivalenten Haltung gegenüber einer therapeutischen Gemeinschaft seien jedoch erhebliche Zweifel am Erfolg einer erneuten stationären Langzeitentwöhnung begründet, insbesondere weil dem Kläger das Problembewusstsein für seine Verhaltensweisen weitgehend fehle, und nicht garantiert werden könne, dass er auf das von der Gutachterin für notwendig erachtete einfühlsame Therapiesetting treffe. Abgesehen von seiner glaubhaften Motivation und einem möglichen Lerneffekt aus den bisherigen Therapieverläufen seien weiterhin keine Anhaltspunkte erkennbar, welche eine längerfristige Abstinenz nach einer neuerlichen Entwöhnungsbehandlung mit Adaption und Nachsorge wahrscheinlich machten. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen müsse damit gerechnet werden, dass der Kläger trotz aller guten Vorsätze und einer veränderten Einstellung gegenüber der Therapie seine Pläne während des therapeutischen Prozesses kurzfristig ändere. Wegen der dargestellten eingeschränkten Erfolgsaussichten könne die Maßnahme weiterhin nicht unterstützt werden.
Mit Urteil vom 19.10.2007 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.11.2006 (gemeint wohl 28.11.2006) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2007, den Antrag des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Zur Begründung führte es aus, gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erbringe die Rentenversicherung unter anderem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit bzw. vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder den Versicherten möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers erheblich gefährdet. Durch eine erneute stationäre Rehabilitationsmaßnahme in Form einer Entwöhnungsbehandlung könne voraussichtlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden. Das gehe aus dem Gutachten der Dr. R. überzeugend hervor. Gegen den Erfolg der Rehabilitationsmaßnahme sprächen zwar die wiederholten Therapieabbrüche, die der Kläger zu verantworten habe. Prognostisch günstig sei jedoch, dass jetzt offensichtlich Einsicht in die Notwendigkeit einer weiteren Behandlung bestehe und auch eine soziale Abstützung durch das Elternhaus erkennbar sei. Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung gewonnen habe, sei diesem offenbar bewusst, dass er vor der allerletzten Chance zur Änderung seines bisherigen Lebens stehe. Bei Drogenabhängigen seien hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Rehabilitationsmaßnahme geringere Anforderungen zu stellen; diese könne auch dann durchgeführt werden, wenn der Erfolg zwar unsicher, aber möglich sei (KassKomm-Niesel, SGB VI § 10 Rdnr. 14 m.N.). Diese realistische Aussicht sei nach der professionellen Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen gegeben. Sinnvoll dürfte sein, einen Maßnahmeort zu wählen, der möglichst weit vom bisherigen Lebensumfeld des Klägers entfernt sei. Die Beklagte werde entsprechend ihrem pflichtgemäßen Ermessen eine neue Entscheidung hierüber zu treffen haben.
Auf das ihr am 25.10.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.11.2007 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dem Kläger seien von 1997 bis 2005 sieben Maßnahmen zur Entwöhnung und Festigung gewährt worden. Diese hätten keinerlei Erfolg gehabt. Zuletzt habe der Kläger im Jahr 1992 eine Erwerbstätigkeit ausgeübt; seither lebe er von Sozialleistungen. Im Rahmen des ihr eröffneten Ermessens (§ 10 SGB VI) sei sie zu dem Ergebnis gelangt, dass eine dauerhafte Wiedereingliederung des Klägers in das Erwerbsleben auch weiterhin aussichtslos erscheine. Dies sei seit 15 Jahren nicht ansatzweise gelungen. Das Sozialgericht habe sein Urteil letztendlich auf Versprechungen des Klägers gestützt. Versprechungen dieser Art habe der Kläger auch in der Vergangenheit abgegeben, ohne seine Lebensweise zu ändern. Nach wie vor sei zu vermuten, dass die Eingliederung in das Erwerbsleben nicht gelingen werde. Außerdem nehme der Kläger weiterhin an einem Substitutionsprogramm teil. Obwohl er die Chance hätte, völlig drogenabstinent zu werden, gelinge ihm dies offenbar nicht. Sie habe ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt und zu Recht eine weitere Maßnahme abgelehnt. Weitere Entwöhnungsbehandlungen könnten bestenfalls den Gesundheitszustand des Klägers positiv gestalten, wofür allerdings die Krankenversicherung zuständig wäre. Man sei bereit, nach erfolgter sozialer und drogenabstinenter Stabilisierung Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes anzubieten.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.10.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt ergänzend vor, er sei seit 7.3.2006 inhaftiert und habe nie an einem Substitutionsprogramm teilgenommen; das könne die Anstaltsärztin bestätigen. Insoweit treffe das Vorbringen der Beklagten nicht zu. Seit Anfang der Haftzeit habe er Kontakt zur Drogenberatung und führe regelmäßig Gespräche in der Therapievorbereitungsgruppe. Seit 19 Monaten führe er jeden Monat freiwillige Urinkontrollen durch, um zu beweisen, wie wichtig ihm ein drogenfreies Leben sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senat Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte rechtsfehlerfrei unter Aufhebung des Bescheids vom 28.11.2006 bzw. des Widerspruchsbescheids vom 24.1.2007 dazu verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach pflichtgemäßem Ermessen erneut zu entscheiden.
Das Sozialgericht hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (insbesondere §§ 9 Abs. 2, 10 Abs. 1, 13, 15 SGB VI) die Gewährung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger zu beurteilen ist, und weshalb die Beklagte danach den Antrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt hat. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist insbesondere im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten anzumerken:
Die Beteiligten streiten im Kern allein über die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger nach §§ 9 Abs. 2, 10 SGB VI (zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hier § 11 Abs. 2 SGB VI).
Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung (u.a.) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, um den Auswirkungen von Krankheit oder Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten entgegenzuwirken bzw. sie zu überwinden, und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder die Versicherten möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Zur Erreichung dieser Rehabilitationsziele können Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VI). Hinsichtlich der persönlichen Leistungsvoraussetzungen ist gem. § 10 Abs. 1 SGB VI (i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) erforderlich, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist (Nr. 1). Die Rehabilitationsleistung muss eine zu besorgende Minderung der Erwerbsfähigkeit voraussichtlich abwenden bzw. eine bereits geminderte Erwerbsfähigkeit voraussichtlich wesentlich bessern oder wiederherstellen oder eine weitere wesentliche Verschlechterung voraussichtlich abwenden können (Nr. 2).
Da § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI den "voraussichtlichen" Eintritt des Rehabilitationserfolgs verlangt, muss der Rentenversicherungsträger im Rahmen der so genannten "Eingangsprüfung" (der Prüfung des "Ob" der Rehabilitation nach Eingang eines Rehabilitationsantrags) eine Prognoseentscheidung treffen. Fällt die Erfolgsprognose negativ aus, darf die Leistung nicht gewährt werden. Fällt sie positiv aus, muss der Rentenversicherungsträger (unbeschadet der weiteren Leistungsvoraussetzungen bzw. etwaiger Leistungsausschlussgründe, vgl. bspw. § 12 SGB VI) gem. § 13 Abs. 1 SGB VI nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I) über das "Wie der Rehabilitation", also über Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung sowie die Rehabilitationseinrichtung entscheiden. Bei der Eingangsprüfung und damit der Prüfung der persönlichen und versicherungsrechtlichen Leistungsvoraussetzungen und der Leistungsausschlussgründe steht dem Rentenversicherungsträger weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum zu (KassKomm-Niesel, SGB VI § 9 Rdnr. 9; Slottke, in: Hauck/Haines SGB VI § 9 Rdnr. 15 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG; vgl. auch BSG; Urt. v. 16.11.1993, - 4 RA 22/93 -). Die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe (hier) in § 10 SGB VI unterliegt deshalb im Unterschied zur Ausübung des Ermessens nach § 13 Abs. 1 SGB VI (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) uneingeschränkt der gerichtlichen Rechtskontrolle (vgl. KassKomm-Niesel SGB VI § 13 Rdnr. 12 f.). Das gilt (mangels planerischen Einschlags der prognostischen Einschätzung) auch für die im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI zu treffende Prognoseentscheidung des Leistungsträgers zur Feststellung einer Wiedereingliederungschance (Rehabilitationsbedarf - zu diesen Begriffen, BSG, Urt. v. 16.11.1993, a. a. O.).
Bei der Rechtskontrolle der Prognoseentscheidung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI prüfen die Gerichte, ob der Leistungsträger seiner Entscheidung (in tatsächlicher Hinsicht) einen zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt und (in rechtlicher Hinsicht) einen zutreffenden Prognosemaßstab zugrunde gelegt hat. Letzterer bestimmt über Art und Umfang der tatsächlichen Grundlagen für die prognostische Einschätzung (Prognosebasis) und über den im Einzelfall notwendigen Wahrscheinlichkeitsgrad des Erfolgseintritts. Bei der Gewährung von Leistungen zur (medizinischen) Rehabilitation ist danach grundsätzlich erforderlich, dass bei Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls, also bei Berücksichtigung insbesondere der Leiden, der persönlichen Verhältnisse und der Bereitschaft des Versicherten zur Mitwirkung sowie seiner Rehabilitationsmotivation, mehr dafür als dagegen spricht, dass die Leistung zu einer wesentlichen Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit führen kann. Die (bloß) entfernte Möglichkeit erfolgreicher Rehabilitation genügt nicht. Ist der Rehabilitationserfolg nicht nur zweifelhaft, sondern kann er nicht erwartet werden, ist die Leistung abzulehnen. Wegen verbleibender Zweifel allein ist eine Ablehnung jedoch nicht zulässig (KassKomm-Niesel, SGB VI § 10 Rdnr. 14 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG, etwa in BSGE 53, 100 und USK 85132). Anderes wäre mit dem in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI festgelegten Vorrang der Rehabilitation vor der Berentung nicht vereinbar. Rehabilitationsmaßnahmen sollen danach auch dann durchgeführt werden, wenn der Eintritt des Rehabilitationserfolgs ungeachtet der - gerade bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation - vielfach unvermeidlichen Zweifel möglich ist.
Diese allgemeinen Grundsätze hat die Rechtsprechung für Rehabilitationsleistungen an Drogenabhängige (ebenso an AIDS-Kranke) modifiziert und präzisiert. In solchen Fällen dürfen nicht zuletzt im Hinblick auf den Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) an die Erfolgsaussichten der Rehabilitationsmaßnahme keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Rentenversicherungsträger muss Rehabilitationsleistungen auch dann gewähren, wenn der Erfolg unsicher, aber möglich ist (BSG NJW 1983, 2662; KassKomm-Niesel, a. a. O.). Es kommt darauf an, ob nach den im Zeitpunkt der Einleitung der Leistung und während der Dauer ihrer Durchführung jeweils erkennbaren Tatsachen die Folgerung gerechtfertigt ist, dass eine Chance besteht, das Rehabilitationsziel zu erreichen (BSG, Urt. v. 23.4.1992, - 13 RJ 27/91 -). Die Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers besteht nur dann nicht, wenn eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben von vornherein nicht zu erwarten ist oder nicht aussichtsreich erscheint, was allerdings mit der Zugehörigkeit des Versicherten zu einer Randgruppe mit besonderen sozialen Schwierigkeiten allein nicht zu begründen ist (BSG, Urt. v. 17.6.1993, - 13/5 RJ 50/90 -).
Davon ausgehend erweist sich die Ablehnungsentscheidung der Beklagten als rechtlich fehlerhaft. Der Senat teilt die Beweiswürdigung des Sozialgerichts. Er ist ebenfalls der Auffassung, dass das Gutachten der Dr. R. auch angesichts der Vorgeschichte des seit langem aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Klägers und der Vielzahl erfolgloser Rehabilitationsmaßnahmen (Entwöhnungsbehandlungen) schlüssig und überzeugend die (noch) hinreichende Aussicht auf einen Erfolg der begehrten Rehabilitationsmaßnahme hinsichtlich einer Abwendung von Erwerbsminderungen bzw. einer wesentlichen Verbesserung der (geminderten) Erwerbsfähigkeit belegt. Um die bloße Verbesserung des Gesundheitszustands des Klägers oder dessen Bewahrung vor weiterem Abgleiten ohne Aussicht auf Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Erwerbsfähigkeit (vgl. dazu KassKomm-Niesel, SGB VI § 15 Rdnr. 3, 5; BSG; Urt. v. 21.1.1993, - 13 RJ 53/91 -) geht es nicht. Die Beklagte hat die persönlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung in ihrer Trägerschaft (§ 10 Abs. 1 SGB VI) daher zu Unrecht verneint und wird über den Antrag des Klägers nach Maßgabe der §§ 13 Abs. 1, 15 SGB VI erneut zu befinden haben.
Die Gutachterin Dr. R. verfügt als Chefärztin am Psychiatrischen Zentrum N. über besondere Sachkunde und Erfahrung zur kompetenten Beurteilung von Sachverhalten der vorliegenden Art, was ihrem Urteil entsprechendes Gewicht verleiht. Sie hat ihre Einschätzung auf eine eingehende Exploration des Klägers und die Auswertung aller einschlägigen medizinischen Unterlagen gestützt und ist auf dieser Grundlage auch für den Senat überzeugend zu der Auffassung gelangt, dass die Therapiemotivation und die Absicht des Klägers (nunmehr) seine Lebensführung zu ändern, glaubhaft sind, und der Kläger bei bestätigtem Kontakt zur Drogenberatungsstelle auch ernsthaft abstinent bleiben will. Das Bemühen um Drogenfreiheit hatten die Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle ebenso glaubhaft erlebt wie die Gutachterin. Der Anstaltsarzt Dr. L. (JVA M.) berichtete in seiner Stellungnahme vom 18.11.2006 ebenfalls über die Motivation des Klägers zur aktiven Mitarbeit an der Rehabilitation und schätzte das Maß der dadurch zu erwartenden Besserung auf einer fünfstufigen Skala mit der Wahrscheinlichkeitsstufe 3 ein. Im Hinblick darauf ist die von der Gutachterin konstatierte Veränderung des Klägers, was die innere Einstellung zur Therapie und die Einsicht in die Behandlungsnotwendigkeit angeht, nachvollziehbar. Hinzukommt, dass der Kläger die Rehabilitationsbehandlung offenbar als nunmehr endgültig letzte Chance auf ein drogenfreies Leben und die Rückkehr in das Erwerbsleben begriffen hat, und sie deshalb auch dann durchführen will, wenn eine Haftzeitverkürzung damit nicht verbunden ist. Schließlich können ihm der Kontakt zum Elternhaus und die Unterstützung durch beide Elternteile weiter helfen. All das hat Dr. R. überzeugend als prognostisch günstig für einen nunmehr (doch noch) erreichbaren Rehabilitationserfolg i. S. d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI gewertet.
Dr. R. hat bei ihrer umfassenden Würdigung die Entwicklung und den Werdegang des Klägers, seine Persönlichkeit und das vorliegende Krankheitsbild (psychische Störung und Verhaltensstörung durch Opiatabhängigkeit, Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und wohl auch dissozialen Zügen) sowie die Vielzahl erfolglos abgebrochener Rehabilitationsmaßnahmen bedacht und gerade letzteres zu Recht als prognostisch ungünstig in Rechnung gestellt. Auch der Senat verkennt nicht, dass Misserfolge der Vergangenheit die Erfolgsaussichten weiterer Maßnahmen in der Zukunft regelmäßig mindern werden. Die im Kern darauf abstellenden Einwendungen der Beklagten und ihres beratungsärztlichen Dienstes sind deshalb durchaus berechtigt. Allerdings kann sich die im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI anzustellende Erfolgsprognose nach dem eingangs Gesagten in tatsächlicher Hinsicht nicht allein auf die rückschauende Betrachtung fehlgeschlagener bzw. abgebrochener Behandlungsmaßnahmen gründen. Geboten ist vielmehr eine vorausschauende Betrachtung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles. Eine diesen Anforderungen genügende umfassende Würdigung hat indessen lediglich die Gutachterin Dr. R. unternommen. Hinzukommt, dass der Kläger die bisher durchgeführten Maßnahmen zumeist recht rasch abgebrochen und deshalb – so mit Recht Dr. R. in ihrem Gutachten – bislang wirklich erhebliche Rehabilitationsmaßnahmen in Wahrheit (noch) nicht absolviert hat. Die von der Gutachterin diagnostizierte Persönlichkeitsstörung kann aber mit hinreichender Aussicht auf Erfolg nur mit einer stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung bearbeitet werden.
Die von der Beklagten im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Sch. vom 6.8.2007 rechtfertigt eine andere Sicht der Dinge nicht. Sie wird den eingangs dargestellten rechtlichen Anforderungen des hier einschlägigen Prognosemaßstabs nicht gerecht. So leidet sie in tatsächlicher Hinsicht daran, dass Dr. Sch. im Kern zu eng und einseitig auf die Misserfolge der Vergangenheit abstellt und – im Unterschied zur Gutachterin Dr. R. – nicht alle Umstände des Einzelfalls vorausschauend und umfassend würdigt; seine (und damit der Beklagten) Prognose beruht daher auf einer in tatsächlicher Hinsicht "zu schmalen" Prognosebasis. Davon abgesehen stimmt Dr. Sch. der Wertung der Gutachterin jedenfalls teilweise, hinsichtlich der Notwendigkeit einer erneuten Rehabilitationsmaßnahme und der ungünstigen Aussichten bei deren Versagung, zu und erachtet die Therapiemotivation des Klägers sowie die aus den abgebrochenen Maßnahmen folgenden Lerneffekte ebenfalls in Einklang mit Dr. R. für glaubhaft. In rechtlicher Hinsicht lässt die Stellungnahme des Dr. Sch. zu enge Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad für den Rehabilitationserfolg erkennen. Insoweit ist eine negative Erfolgsprognose vorliegend nicht damit zu begründen, dass das von der Gutachterin für notwendig gehaltene einfühlsame Therapiesetting als nicht garantiert angesehen werden kann und außerdem befürchtet wird, der Kläger könnte seine Einstellung zur Therapie und seine Pläne trotz aller guten Vorsätze und gewandelter Einstellung wieder kurzfristig ändern. All das steht der von der Gutachterin schlüssig postulierten Möglichkeit des (freilich unsicheren) Erfolgs bzw. der Chance, das Rehabilitationsziel (§ 9 SGB VI) zu erreichen (BSG NJW 1983, 2662 bzw. Urt. v. 23.4.1992, a. a. O.) nicht entgegen.
Die Beklagte hat nach alledem bei der Eingangsprüfung die persönlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung nach § 10 Abs. 1 SGB VI zu Unrecht verneint. Leistungsausschlussgründe liegen ebenfalls nicht vor; die Beklagte hat solche auch nicht geltend gemacht. Insbesondere steht der Leistungsgewährung der Ausschlussgrund des § 12 Abs. 2 SGB VI nicht entgegen. Danach dürfen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht vor Ablauf von 4 Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden. Der Kläger hat zwar zuletzt vom 26.4. bis 12.10.2005 eine Entwöhnungsbehandlung auf Kosten des Rentenversicherungsträgers im Therapiezentrum "H. im Tal", L.-T., absolviert. Die vorzeitige Gewährung einer (nunmehr) letzten Entwöhnungsbehandlung ist jedoch gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB VI aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich. Der Senat entnimmt dem Gutachten der Dr. R., dass ohne vorzeitige Wiederholung mit einer weiteren Minderung der (Rest-)Leistungsfähigkeit vor Ablauf der Vierjahresfrist zu rechnen ist (vgl. auch KassKomm-Niesel, SGB VI § 12 Rdnr. 21 gerade zur hier in Rede stehenden Behandlung von Suchtkrankheiten durch Entwöhnungsbehandlungen).
Die Beklagte wird daher über den Antrag des Klägers (das "Wie der Rehabilitation") gem. § 13 Abs. 1 SGB VI erneut nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden und insbesondere die Erkenntnisse der Gutachterin Dr. R. zu berücksichtigen haben. Der Kläger muss sich darüber im Klaren sein, dass ihm damit die (aller-)letzte Chance eröffnet wird, künftig bei einem Leben ohne Drogen ins Erwerbsleben zurückzukehren, und er von der Beklagten (bzw. der Versichertengemeinschaft) eine weitere Chance hierfür aller Voraussicht nach nicht wird erhalten können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.
Der 1973 geborene Kläger ist schwergradig drogenabhängig. Deswegen hatte er (neben vielfachen Entgiftungsbehandlungen) in den Jahren 1997, 1998, 1999, 2000 und 2004 stationäre Entwöhnungsbehandlungen auf Kosten des Rentenversicherungsträgers absolviert.
Zuletzt war der Kläger vom 26.4. bis 12.10.2005 im Therapiezentrum "H. im Tal", L.-T., auf Kosten des Rentenversicherungsträgers stationär behandelt worden. Im Entlassungsbericht vom 27.10.2005 sind die Diagnosen Störung durch Opioide, Abhängigkeitssyndrom, sowie Störung durch Kokain, Abhängigkeitssyndrom, festgehalten. Der Kläger könne die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Tankreiniger vollschichtig verrichten und schwere Arbeiten vollschichtig leisten. Bei erneutem Rückfall bzw. bei Fortsetzung des Drogenabusus sei mit Störungen der Konzentrationsfähigkeit und des Reaktionsvermögens zu rechnen.
Der Kläger habe sich Ende 2004 an die Drogenberatungsstelle des Drogenvereins M. gewandt und um die Vermittlung einer erneuten stationären Therapie gebeten. Nach eigenen Angaben habe er die vorangegangene Therapie drei Wochen vor der regulären Entlassung wegen einer Beziehung zu einer Mitpatientin abgebrochen, was er jetzt bereue. Kurz darauf sei er wieder rückfällig geworden. Der Kläger habe ab dem 15. Lebensjahr gelegentlich bis regelmäßig THC genommen, sodann Ecstasy und LSD, Kokain (ab dem 18. bis zum 23. Lebensjahr, ca. zwei Gramm pro Wochenende) und ab dem 20. Lebensjahr Heroin konsumiert. Von 2000 bis Anfang 2003 und Ende 2003 bis Ende 2004 sei der Kläger drogenfrei gewesen, habe ab November 2004 jedoch erneut Heroin konsumiert. Bislang hätten über 20 Entgiftungsmaßnahmen stattgefunden.
Der Kläger, der schon in Jugendjahren mit kriminellen Aktivitäten (wie Autoaufbrüchen) polizeilich in Erscheinung getreten sei, sei wegen unterschiedlicher Straftaten von 1995 bis 2003 inhaftiert gewesen. Während der letzten Haftmonate habe er beim Freigang seine derzeitige Ehefrau kennen gelernt, diese nach der Haftentlassung geheiratet und gemeinsam mit deren beiden Kindern einen Haushalt begründet. Da er keine Anstellung gefunden habe und finanziell unter Druck geraten sei, habe er erneut angefangen, mit illegalen Aktivitäten Geld zu beschaffen. Wegen der dadurch aufgetretenen familiären Konflikte habe er auch wieder mit dem Drogenkonsum begonnen. Seit dem Rückfall habe er sich entschlossen, an einem Subutexprogramm teilzunehmen und schließlich im Juli 2004 eine stationäre Therapie angetreten. Diese habe er gegen ärztlichen Rat beendet. Seinerzeit habe er ein Verhältnis mit einer Mitpatientin gehabt, sei mit dieser rückfällig geworden und habe sich jedoch kurz danach wieder von ihr getrennt. Von seiner Ehefrau habe er sich scheiden lassen. Derzeit befinde sich der Kläger in einer Bewährungszeit (24 Monaten auf drei Jahre).
Eine Ausbildung zum Industriemechaniker habe der Kläger kurz vor dem Abschluss abgebrochen und seinen Lebensunterhalt sodann mit Gelegenheitsjobs und Drogenhandel bestritten. Derzeit lebe er wieder bei seiner Mutter.
Der Kläger habe Kontakt zu einer ehemaligen Freundin aufgenommen, mit der er in der Nähe von M. ein gemeinsames abstinentes Leben aufbauen wolle. Er wolle die Beziehung als stabilisierendes Element nutzen. Während der Behandlung sei der Kläger abstinent geblieben. Seine Fähigkeit zur Interaktion habe allerdings nur in geringem Maße verbessert werden können. Im stationären Rahmen sei eine Ablösung von der Mutter angeregt worden; die Rückkehr lasse jedoch erwarten, dass eine dauerhafte und stabile Autonomie nicht erhalten bleiben werde. Der Kläger habe sich sehr zuversichtlich gezeigt, sich nach langjähriger Distanz durch Inhaftierung und stationäre Therapie von anderen Drogenkonsumenten abgrenzen zu können. Er fühle sich sicher, keine Drogen mehr zu nehmen. Die ambulante Betreuung durch eine Drogenberatungsstelle sei indiziert.
Der Kläger, der seit April 2006 erneut inhaftiert ist und voraussichtlich im Juni 2008 entlassen werden soll, beantragte unter dem 13.2.2006 die Gewährung einer Anschlussheilbehandlung.
In einem dazu erstellten Sozialbericht des Drogenvereins M. vom 14.2.2006 ist ausgeführt, der Kläger sei nach der letzten Therapie unmittelbar rückfällig geworden und befinde sich seit Februar 2006 wieder im Substitutionsprogramm. Er wolle eine Auffangtherapie absolvieren, während der er auf das Erlernte der letzten Maßnahme aufbauen könne. Im Vordergrund stehe insbesondere das Erlernen alternativer Strategien zum Drogenkonsum im Krisenfall. Danach wolle der Kläger weder einer geregelten Arbeit nachgehen.
Mit Bescheid vom 28.2.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zuvor hatte sie die Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes (Dr. Sch.) vom 27.2.2006 erhoben; danach sei eine erneute Entwöhnungsbehandlung nicht erfolgversprechend, eine länger dauernde Abstinenz habe trotz mehrerer Versuche nicht erreicht werden können.
Unter dem 10.11.2006 beantragte der Kläger Leistungen zur stationären medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke.
Hierzu führte der Drogenverein M. unter dem 13.11.2006 aus, der Kläger sei seit April 2006 erneut inhaftiert. Er sei nach der Scheidung, erfolgloser Arbeitssuche und finanzieller Probleme massiv rückfällig geworden und habe infolge erneuten Drogenkonsums wiederum Straftaten begangen. Er sei dringend therapiebedürftig. Nur mit professioneller Hilfe und Unterstützung in Form einer Auffangtherapie werde es ihm gelingen, dauerhaft abstinent zu bleiben und sich zu resozialisieren. Der Kläger wisse, dass dies seine letzte Chance für ein drogenfreies Leben sein werde. Nach der erneuten Entwöhnungsbehandlung wolle er sich zur weiteren Stabilisierung einen Platz in einem betreuten Wohnprojekt suchen.
In einem Bericht des Dr. L. (Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt M.) vom 18.11.2006 ist ausgeführt, das Rehabilitationsziel bestehe in der Erzielung eines langfristig drogenfreien Lebens, der Vermeidung des Konsums psychotroper Substanzen und der sozialen Stabilisierung. Der Kläger sei motiviert, aktiv an der Rehabilitation mitzuwirken. Die Ausprägung der Rehabilitationsbedürftigkeit sei auf einer von 1 (minimal) bis 5 (sehr ausgeprägt) reichenden Skala mit 4 anzugeben. Das Ausmaß der zu erwartenden nachhaltigen Besserung sei auf dieser Skala mit 3 einzuschätzen. Es sei zu erwarten, dass die bisherige berufliche Tätigkeit weitergeführt werden könne.
Mit Bescheid vom 28.11.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe bereits mehrere Entwöhnungsbehandlungen absolviert, ohne dass ein dauerhafter Erfolg habe erreicht werden können.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Drogenverein M. für den Kläger vor, man betreue den Kläger bereits seit September 2003 und während seiner Inhaftierung in Form von regelmäßig stattfindenden Einzelgesprächen. Außerdem habe der Kläger bereits mehrere stationäre Entwöhnungsbehandlungen absolviert. Im Anschluss daran habe er sich so stabil gefühlt, dass er in sein altes Umfeld zurückgekehrt sei. Nach dem Rückfall habe er sich substituieren lassen und sei nach geraumer Zeit inhaftiert worden. Bereits zuvor habe er zur Stabilisierung eine Kurzzeittherapie beantragt, die jedoch abgelehnt worden sei. Durch die Inhaftierung sei ihm nochmals bewusster geworden, dass er sich von seinem Umfeld, der M. Drogenszene, distanzieren müsse. Durch eine stationäre Auffangtherapie wolle er erreichen, dass er nunmehr endlich drogenfrei leben könne. In Einzelgesprächen arbeite der Kläger engagiert, interessiert und motiviert mit. Man halte ihn nach wie vor für behandlungsbedürftig und befürworte eine stationäre Auffangtherapie.
Die Beklagte holte die Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes (Dr. Sch.) vom 8.1.2007 ein. Darin ist ausgeführt, beim Kläger bestehe eine schwergradige Opiatabhängigkeit. In den Jahren 1997, 1998, 1999, 2000, 2004 und 2005 seien stationäre Entwöhnungsbehandlungen durchgeführt worden. Obwohl der Kläger während der letzten Behandlung vom 26.4. bis 12.10.2005 keine Drogen konsumiert habe, sei auf Grund der geplanten Rückkehr in das gewohnte Umfeld eine ungünstige Prognose hinsichtlich dauerhafter und stabiler Abstinenz gestellt worden. Offenbar sei der Kläger unmittelbar nach der Entlassung rückfällig geworden und befinde sich seit April 2006 wiederum in Haft. Eine nochmalige stationäre Entwöhnungsbehandlung sei angesichts des bisherigen Verlaufs nicht erfolgversprechend. Längere Abstinenzphasen hätten trotz der intensiven therapeutischen Bemühungen nicht erreicht werden können. Auch im Hinblick auf das Vorbringen im Widerspruchsverfahren gebe es keine zuverlässigen Anhaltspunkte für die Erwartung eines dauerhaften Therapieerfolgs.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.1.2007 wies die Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf den Bericht ihres Sozialmedizinischen Dienstes zurück.
Am 30.1.2007 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Mannheim. Das Sozialgericht holte das psychiatrische Gutachten der Dr. R. (Chefärztin am Psychiatrischen Zentrum N.) vom 19.7.2007 ein. Die Gutachterin führte eine eingehende Exploration durch und legte dar, der Kläger habe zugänglich gewirkt, ohne die vorgetragene Therapiemotivation zu übertreiben. Er habe glaubhaft vermittelt, dass er an einer Änderung seines Lebens interessiert sei und auch Zugang zu den hinter seiner Sucht stehenden Problemen habe. Der Kontakt zur Drogenberatungsstelle sei glaubwürdig und auch bestätigt, ebenso wie der nicht nur jetzt bei der Begutachtung vorgetragene ernsthafte Wunsch, abstinent zu bleiben. Dieses Bemühen hätten die Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle ebenso glaubhaft erlebt, wie sie, die Gutachterin. Der Kläger habe glaubhaft vermittelt, dass sich seine innere Einstellung zur Therapie und die Einsicht in die Notwendigkeit einer Behandlung gegenüber den Vorbehandlungen verändert hätten. Inwieweit diese Veränderung auch dann trage, wenn er wieder eine Frau kennen lerne und sich in diese verliebe, müsse offen bleiben. Gleiches gelte für die Frage, ob die Therapiemotivation ausreiche, um sich in den Ablauf der Therapie einzupassen und nicht wieder (wie im letzten Entlassungsbericht vermerkt) Sonderwege zu beschreiten. Durch die lange Hafterfahrung und die Anpassung an die dortigen Strukturen bedürfe es sicher sehr viel einfühlsamer Therapie, um hierfür ein Problembewusstsein zu schaffen.
Beim Kläger, der zuletzt bis 1994 als Kurierfahrer beschäftigt und danach inhaftiert - mit Ausübung von Beschäftigung -, arbeitslos oder erkrankt gewesen sei, lägen eine psychische Störung und eine Verhaltensstörung durch Opioide im Sinne einer Opiatabhängigkeit vor. Nach eigenen Angaben sei er gegenwärtig weitestgehend abstinent, aber unter Haftbedingungen. Außerdem liege eine Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und wohl auch dissozialen Zügen vor. Durch die Suchterkrankung auf dem Boden der beschriebenen Persönlichkeitsstörung sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers in erheblichem Ausmaß gefährdet. Ohne erneute Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme (Entwöhnungsbehandlung) sei zu befürchten, dass der Kläger in sein altes kriminelles, drogenabhängiges Umfeld zurückkehre und damit seine Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet werde. Durch die zumeist recht raschen Therapieabbrüche habe der Kläger bislang nicht wirklich erhebliche Rehabilitationsmaßnahmen absolviert (insgesamt etwa 15 Monate). Nur mit einer stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung könne die bestehende Persönlichkeitsstörung bearbeitet werden. Ob dies gelinge und sich der Kläger weit genug auf die Therapie einlasse, müssen offen bleiben. Ungeachtet der bestehenden Unklarheiten stelle eine erneute Rehabilitationsmaßnahme aber die einzige Möglichkeit dar, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, die durch eine erneute Suchtmittelrückfälligkeit erheblich gefährdet wäre. Prognostisch ungünstig seien die fehlende Berufsausbildung, die häufigen Therapieabbrüche sowie die erhebliche "Sozialisation" in Haft. Prognostisch günstig demgegenüber sei, dass der Kläger die Notwendigkeit einer solchen Behandlung einsehe und diese auch durchführen wolle, wenn sie nicht zu einer Haftzeitverkürzung führe. Auch der Kontakt ins Elternhaus und die Unterstützung durch beide Elternteile sei prognostisch eher günstig. Eine günstige Prognose erlaube auch die Tatsache, dass der Kläger in der letzten Behandlung fünfeinhalb Monate durchgehalten habe.
Die Beklagte legte die Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes (Dr. Sch.) vom 6.8.2007 vor. Darin heißt es, die Feststellungen der Gutachterin im Hinblick auf die Notwendigkeit einer erneuten Maßnahme und die ungünstige Prognose ohne eine solche seien schlüssig und nachvollziehbar. Angesichts der therapeutischen Schwierigkeiten, die sich während der letzten Entwöhnung durch die Persönlichkeitsstörung des Klägers ergeben hätten (Autoritätskonflikte) sowie der ambivalenten Haltung gegenüber einer therapeutischen Gemeinschaft seien jedoch erhebliche Zweifel am Erfolg einer erneuten stationären Langzeitentwöhnung begründet, insbesondere weil dem Kläger das Problembewusstsein für seine Verhaltensweisen weitgehend fehle, und nicht garantiert werden könne, dass er auf das von der Gutachterin für notwendig erachtete einfühlsame Therapiesetting treffe. Abgesehen von seiner glaubhaften Motivation und einem möglichen Lerneffekt aus den bisherigen Therapieverläufen seien weiterhin keine Anhaltspunkte erkennbar, welche eine längerfristige Abstinenz nach einer neuerlichen Entwöhnungsbehandlung mit Adaption und Nachsorge wahrscheinlich machten. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen müsse damit gerechnet werden, dass der Kläger trotz aller guten Vorsätze und einer veränderten Einstellung gegenüber der Therapie seine Pläne während des therapeutischen Prozesses kurzfristig ändere. Wegen der dargestellten eingeschränkten Erfolgsaussichten könne die Maßnahme weiterhin nicht unterstützt werden.
Mit Urteil vom 19.10.2007 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.11.2006 (gemeint wohl 28.11.2006) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2007, den Antrag des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Zur Begründung führte es aus, gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erbringe die Rentenversicherung unter anderem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit bzw. vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder den Versicherten möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers erheblich gefährdet. Durch eine erneute stationäre Rehabilitationsmaßnahme in Form einer Entwöhnungsbehandlung könne voraussichtlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden. Das gehe aus dem Gutachten der Dr. R. überzeugend hervor. Gegen den Erfolg der Rehabilitationsmaßnahme sprächen zwar die wiederholten Therapieabbrüche, die der Kläger zu verantworten habe. Prognostisch günstig sei jedoch, dass jetzt offensichtlich Einsicht in die Notwendigkeit einer weiteren Behandlung bestehe und auch eine soziale Abstützung durch das Elternhaus erkennbar sei. Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung gewonnen habe, sei diesem offenbar bewusst, dass er vor der allerletzten Chance zur Änderung seines bisherigen Lebens stehe. Bei Drogenabhängigen seien hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Rehabilitationsmaßnahme geringere Anforderungen zu stellen; diese könne auch dann durchgeführt werden, wenn der Erfolg zwar unsicher, aber möglich sei (KassKomm-Niesel, SGB VI § 10 Rdnr. 14 m.N.). Diese realistische Aussicht sei nach der professionellen Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen gegeben. Sinnvoll dürfte sein, einen Maßnahmeort zu wählen, der möglichst weit vom bisherigen Lebensumfeld des Klägers entfernt sei. Die Beklagte werde entsprechend ihrem pflichtgemäßen Ermessen eine neue Entscheidung hierüber zu treffen haben.
Auf das ihr am 25.10.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.11.2007 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dem Kläger seien von 1997 bis 2005 sieben Maßnahmen zur Entwöhnung und Festigung gewährt worden. Diese hätten keinerlei Erfolg gehabt. Zuletzt habe der Kläger im Jahr 1992 eine Erwerbstätigkeit ausgeübt; seither lebe er von Sozialleistungen. Im Rahmen des ihr eröffneten Ermessens (§ 10 SGB VI) sei sie zu dem Ergebnis gelangt, dass eine dauerhafte Wiedereingliederung des Klägers in das Erwerbsleben auch weiterhin aussichtslos erscheine. Dies sei seit 15 Jahren nicht ansatzweise gelungen. Das Sozialgericht habe sein Urteil letztendlich auf Versprechungen des Klägers gestützt. Versprechungen dieser Art habe der Kläger auch in der Vergangenheit abgegeben, ohne seine Lebensweise zu ändern. Nach wie vor sei zu vermuten, dass die Eingliederung in das Erwerbsleben nicht gelingen werde. Außerdem nehme der Kläger weiterhin an einem Substitutionsprogramm teil. Obwohl er die Chance hätte, völlig drogenabstinent zu werden, gelinge ihm dies offenbar nicht. Sie habe ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt und zu Recht eine weitere Maßnahme abgelehnt. Weitere Entwöhnungsbehandlungen könnten bestenfalls den Gesundheitszustand des Klägers positiv gestalten, wofür allerdings die Krankenversicherung zuständig wäre. Man sei bereit, nach erfolgter sozialer und drogenabstinenter Stabilisierung Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes anzubieten.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.10.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt ergänzend vor, er sei seit 7.3.2006 inhaftiert und habe nie an einem Substitutionsprogramm teilgenommen; das könne die Anstaltsärztin bestätigen. Insoweit treffe das Vorbringen der Beklagten nicht zu. Seit Anfang der Haftzeit habe er Kontakt zur Drogenberatung und führe regelmäßig Gespräche in der Therapievorbereitungsgruppe. Seit 19 Monaten führe er jeden Monat freiwillige Urinkontrollen durch, um zu beweisen, wie wichtig ihm ein drogenfreies Leben sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senat Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte rechtsfehlerfrei unter Aufhebung des Bescheids vom 28.11.2006 bzw. des Widerspruchsbescheids vom 24.1.2007 dazu verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach pflichtgemäßem Ermessen erneut zu entscheiden.
Das Sozialgericht hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (insbesondere §§ 9 Abs. 2, 10 Abs. 1, 13, 15 SGB VI) die Gewährung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger zu beurteilen ist, und weshalb die Beklagte danach den Antrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt hat. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist insbesondere im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten anzumerken:
Die Beteiligten streiten im Kern allein über die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger nach §§ 9 Abs. 2, 10 SGB VI (zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hier § 11 Abs. 2 SGB VI).
Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung (u.a.) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, um den Auswirkungen von Krankheit oder Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten entgegenzuwirken bzw. sie zu überwinden, und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder die Versicherten möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Zur Erreichung dieser Rehabilitationsziele können Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VI). Hinsichtlich der persönlichen Leistungsvoraussetzungen ist gem. § 10 Abs. 1 SGB VI (i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) erforderlich, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist (Nr. 1). Die Rehabilitationsleistung muss eine zu besorgende Minderung der Erwerbsfähigkeit voraussichtlich abwenden bzw. eine bereits geminderte Erwerbsfähigkeit voraussichtlich wesentlich bessern oder wiederherstellen oder eine weitere wesentliche Verschlechterung voraussichtlich abwenden können (Nr. 2).
Da § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI den "voraussichtlichen" Eintritt des Rehabilitationserfolgs verlangt, muss der Rentenversicherungsträger im Rahmen der so genannten "Eingangsprüfung" (der Prüfung des "Ob" der Rehabilitation nach Eingang eines Rehabilitationsantrags) eine Prognoseentscheidung treffen. Fällt die Erfolgsprognose negativ aus, darf die Leistung nicht gewährt werden. Fällt sie positiv aus, muss der Rentenversicherungsträger (unbeschadet der weiteren Leistungsvoraussetzungen bzw. etwaiger Leistungsausschlussgründe, vgl. bspw. § 12 SGB VI) gem. § 13 Abs. 1 SGB VI nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I) über das "Wie der Rehabilitation", also über Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung sowie die Rehabilitationseinrichtung entscheiden. Bei der Eingangsprüfung und damit der Prüfung der persönlichen und versicherungsrechtlichen Leistungsvoraussetzungen und der Leistungsausschlussgründe steht dem Rentenversicherungsträger weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum zu (KassKomm-Niesel, SGB VI § 9 Rdnr. 9; Slottke, in: Hauck/Haines SGB VI § 9 Rdnr. 15 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG; vgl. auch BSG; Urt. v. 16.11.1993, - 4 RA 22/93 -). Die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe (hier) in § 10 SGB VI unterliegt deshalb im Unterschied zur Ausübung des Ermessens nach § 13 Abs. 1 SGB VI (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) uneingeschränkt der gerichtlichen Rechtskontrolle (vgl. KassKomm-Niesel SGB VI § 13 Rdnr. 12 f.). Das gilt (mangels planerischen Einschlags der prognostischen Einschätzung) auch für die im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI zu treffende Prognoseentscheidung des Leistungsträgers zur Feststellung einer Wiedereingliederungschance (Rehabilitationsbedarf - zu diesen Begriffen, BSG, Urt. v. 16.11.1993, a. a. O.).
Bei der Rechtskontrolle der Prognoseentscheidung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI prüfen die Gerichte, ob der Leistungsträger seiner Entscheidung (in tatsächlicher Hinsicht) einen zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt und (in rechtlicher Hinsicht) einen zutreffenden Prognosemaßstab zugrunde gelegt hat. Letzterer bestimmt über Art und Umfang der tatsächlichen Grundlagen für die prognostische Einschätzung (Prognosebasis) und über den im Einzelfall notwendigen Wahrscheinlichkeitsgrad des Erfolgseintritts. Bei der Gewährung von Leistungen zur (medizinischen) Rehabilitation ist danach grundsätzlich erforderlich, dass bei Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls, also bei Berücksichtigung insbesondere der Leiden, der persönlichen Verhältnisse und der Bereitschaft des Versicherten zur Mitwirkung sowie seiner Rehabilitationsmotivation, mehr dafür als dagegen spricht, dass die Leistung zu einer wesentlichen Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit führen kann. Die (bloß) entfernte Möglichkeit erfolgreicher Rehabilitation genügt nicht. Ist der Rehabilitationserfolg nicht nur zweifelhaft, sondern kann er nicht erwartet werden, ist die Leistung abzulehnen. Wegen verbleibender Zweifel allein ist eine Ablehnung jedoch nicht zulässig (KassKomm-Niesel, SGB VI § 10 Rdnr. 14 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG, etwa in BSGE 53, 100 und USK 85132). Anderes wäre mit dem in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI festgelegten Vorrang der Rehabilitation vor der Berentung nicht vereinbar. Rehabilitationsmaßnahmen sollen danach auch dann durchgeführt werden, wenn der Eintritt des Rehabilitationserfolgs ungeachtet der - gerade bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation - vielfach unvermeidlichen Zweifel möglich ist.
Diese allgemeinen Grundsätze hat die Rechtsprechung für Rehabilitationsleistungen an Drogenabhängige (ebenso an AIDS-Kranke) modifiziert und präzisiert. In solchen Fällen dürfen nicht zuletzt im Hinblick auf den Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) an die Erfolgsaussichten der Rehabilitationsmaßnahme keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Rentenversicherungsträger muss Rehabilitationsleistungen auch dann gewähren, wenn der Erfolg unsicher, aber möglich ist (BSG NJW 1983, 2662; KassKomm-Niesel, a. a. O.). Es kommt darauf an, ob nach den im Zeitpunkt der Einleitung der Leistung und während der Dauer ihrer Durchführung jeweils erkennbaren Tatsachen die Folgerung gerechtfertigt ist, dass eine Chance besteht, das Rehabilitationsziel zu erreichen (BSG, Urt. v. 23.4.1992, - 13 RJ 27/91 -). Die Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers besteht nur dann nicht, wenn eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben von vornherein nicht zu erwarten ist oder nicht aussichtsreich erscheint, was allerdings mit der Zugehörigkeit des Versicherten zu einer Randgruppe mit besonderen sozialen Schwierigkeiten allein nicht zu begründen ist (BSG, Urt. v. 17.6.1993, - 13/5 RJ 50/90 -).
Davon ausgehend erweist sich die Ablehnungsentscheidung der Beklagten als rechtlich fehlerhaft. Der Senat teilt die Beweiswürdigung des Sozialgerichts. Er ist ebenfalls der Auffassung, dass das Gutachten der Dr. R. auch angesichts der Vorgeschichte des seit langem aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Klägers und der Vielzahl erfolgloser Rehabilitationsmaßnahmen (Entwöhnungsbehandlungen) schlüssig und überzeugend die (noch) hinreichende Aussicht auf einen Erfolg der begehrten Rehabilitationsmaßnahme hinsichtlich einer Abwendung von Erwerbsminderungen bzw. einer wesentlichen Verbesserung der (geminderten) Erwerbsfähigkeit belegt. Um die bloße Verbesserung des Gesundheitszustands des Klägers oder dessen Bewahrung vor weiterem Abgleiten ohne Aussicht auf Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Erwerbsfähigkeit (vgl. dazu KassKomm-Niesel, SGB VI § 15 Rdnr. 3, 5; BSG; Urt. v. 21.1.1993, - 13 RJ 53/91 -) geht es nicht. Die Beklagte hat die persönlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung in ihrer Trägerschaft (§ 10 Abs. 1 SGB VI) daher zu Unrecht verneint und wird über den Antrag des Klägers nach Maßgabe der §§ 13 Abs. 1, 15 SGB VI erneut zu befinden haben.
Die Gutachterin Dr. R. verfügt als Chefärztin am Psychiatrischen Zentrum N. über besondere Sachkunde und Erfahrung zur kompetenten Beurteilung von Sachverhalten der vorliegenden Art, was ihrem Urteil entsprechendes Gewicht verleiht. Sie hat ihre Einschätzung auf eine eingehende Exploration des Klägers und die Auswertung aller einschlägigen medizinischen Unterlagen gestützt und ist auf dieser Grundlage auch für den Senat überzeugend zu der Auffassung gelangt, dass die Therapiemotivation und die Absicht des Klägers (nunmehr) seine Lebensführung zu ändern, glaubhaft sind, und der Kläger bei bestätigtem Kontakt zur Drogenberatungsstelle auch ernsthaft abstinent bleiben will. Das Bemühen um Drogenfreiheit hatten die Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle ebenso glaubhaft erlebt wie die Gutachterin. Der Anstaltsarzt Dr. L. (JVA M.) berichtete in seiner Stellungnahme vom 18.11.2006 ebenfalls über die Motivation des Klägers zur aktiven Mitarbeit an der Rehabilitation und schätzte das Maß der dadurch zu erwartenden Besserung auf einer fünfstufigen Skala mit der Wahrscheinlichkeitsstufe 3 ein. Im Hinblick darauf ist die von der Gutachterin konstatierte Veränderung des Klägers, was die innere Einstellung zur Therapie und die Einsicht in die Behandlungsnotwendigkeit angeht, nachvollziehbar. Hinzukommt, dass der Kläger die Rehabilitationsbehandlung offenbar als nunmehr endgültig letzte Chance auf ein drogenfreies Leben und die Rückkehr in das Erwerbsleben begriffen hat, und sie deshalb auch dann durchführen will, wenn eine Haftzeitverkürzung damit nicht verbunden ist. Schließlich können ihm der Kontakt zum Elternhaus und die Unterstützung durch beide Elternteile weiter helfen. All das hat Dr. R. überzeugend als prognostisch günstig für einen nunmehr (doch noch) erreichbaren Rehabilitationserfolg i. S. d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI gewertet.
Dr. R. hat bei ihrer umfassenden Würdigung die Entwicklung und den Werdegang des Klägers, seine Persönlichkeit und das vorliegende Krankheitsbild (psychische Störung und Verhaltensstörung durch Opiatabhängigkeit, Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und wohl auch dissozialen Zügen) sowie die Vielzahl erfolglos abgebrochener Rehabilitationsmaßnahmen bedacht und gerade letzteres zu Recht als prognostisch ungünstig in Rechnung gestellt. Auch der Senat verkennt nicht, dass Misserfolge der Vergangenheit die Erfolgsaussichten weiterer Maßnahmen in der Zukunft regelmäßig mindern werden. Die im Kern darauf abstellenden Einwendungen der Beklagten und ihres beratungsärztlichen Dienstes sind deshalb durchaus berechtigt. Allerdings kann sich die im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI anzustellende Erfolgsprognose nach dem eingangs Gesagten in tatsächlicher Hinsicht nicht allein auf die rückschauende Betrachtung fehlgeschlagener bzw. abgebrochener Behandlungsmaßnahmen gründen. Geboten ist vielmehr eine vorausschauende Betrachtung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles. Eine diesen Anforderungen genügende umfassende Würdigung hat indessen lediglich die Gutachterin Dr. R. unternommen. Hinzukommt, dass der Kläger die bisher durchgeführten Maßnahmen zumeist recht rasch abgebrochen und deshalb – so mit Recht Dr. R. in ihrem Gutachten – bislang wirklich erhebliche Rehabilitationsmaßnahmen in Wahrheit (noch) nicht absolviert hat. Die von der Gutachterin diagnostizierte Persönlichkeitsstörung kann aber mit hinreichender Aussicht auf Erfolg nur mit einer stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung bearbeitet werden.
Die von der Beklagten im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Sch. vom 6.8.2007 rechtfertigt eine andere Sicht der Dinge nicht. Sie wird den eingangs dargestellten rechtlichen Anforderungen des hier einschlägigen Prognosemaßstabs nicht gerecht. So leidet sie in tatsächlicher Hinsicht daran, dass Dr. Sch. im Kern zu eng und einseitig auf die Misserfolge der Vergangenheit abstellt und – im Unterschied zur Gutachterin Dr. R. – nicht alle Umstände des Einzelfalls vorausschauend und umfassend würdigt; seine (und damit der Beklagten) Prognose beruht daher auf einer in tatsächlicher Hinsicht "zu schmalen" Prognosebasis. Davon abgesehen stimmt Dr. Sch. der Wertung der Gutachterin jedenfalls teilweise, hinsichtlich der Notwendigkeit einer erneuten Rehabilitationsmaßnahme und der ungünstigen Aussichten bei deren Versagung, zu und erachtet die Therapiemotivation des Klägers sowie die aus den abgebrochenen Maßnahmen folgenden Lerneffekte ebenfalls in Einklang mit Dr. R. für glaubhaft. In rechtlicher Hinsicht lässt die Stellungnahme des Dr. Sch. zu enge Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad für den Rehabilitationserfolg erkennen. Insoweit ist eine negative Erfolgsprognose vorliegend nicht damit zu begründen, dass das von der Gutachterin für notwendig gehaltene einfühlsame Therapiesetting als nicht garantiert angesehen werden kann und außerdem befürchtet wird, der Kläger könnte seine Einstellung zur Therapie und seine Pläne trotz aller guten Vorsätze und gewandelter Einstellung wieder kurzfristig ändern. All das steht der von der Gutachterin schlüssig postulierten Möglichkeit des (freilich unsicheren) Erfolgs bzw. der Chance, das Rehabilitationsziel (§ 9 SGB VI) zu erreichen (BSG NJW 1983, 2662 bzw. Urt. v. 23.4.1992, a. a. O.) nicht entgegen.
Die Beklagte hat nach alledem bei der Eingangsprüfung die persönlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung nach § 10 Abs. 1 SGB VI zu Unrecht verneint. Leistungsausschlussgründe liegen ebenfalls nicht vor; die Beklagte hat solche auch nicht geltend gemacht. Insbesondere steht der Leistungsgewährung der Ausschlussgrund des § 12 Abs. 2 SGB VI nicht entgegen. Danach dürfen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht vor Ablauf von 4 Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden. Der Kläger hat zwar zuletzt vom 26.4. bis 12.10.2005 eine Entwöhnungsbehandlung auf Kosten des Rentenversicherungsträgers im Therapiezentrum "H. im Tal", L.-T., absolviert. Die vorzeitige Gewährung einer (nunmehr) letzten Entwöhnungsbehandlung ist jedoch gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB VI aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich. Der Senat entnimmt dem Gutachten der Dr. R., dass ohne vorzeitige Wiederholung mit einer weiteren Minderung der (Rest-)Leistungsfähigkeit vor Ablauf der Vierjahresfrist zu rechnen ist (vgl. auch KassKomm-Niesel, SGB VI § 12 Rdnr. 21 gerade zur hier in Rede stehenden Behandlung von Suchtkrankheiten durch Entwöhnungsbehandlungen).
Die Beklagte wird daher über den Antrag des Klägers (das "Wie der Rehabilitation") gem. § 13 Abs. 1 SGB VI erneut nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden und insbesondere die Erkenntnisse der Gutachterin Dr. R. zu berücksichtigen haben. Der Kläger muss sich darüber im Klaren sein, dass ihm damit die (aller-)letzte Chance eröffnet wird, künftig bei einem Leben ohne Drogen ins Erwerbsleben zurückzukehren, und er von der Beklagten (bzw. der Versichertengemeinschaft) eine weitere Chance hierfür aller Voraussicht nach nicht wird erhalten können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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