L 7 AS 9/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AS 413/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 9/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21. November 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form von Arbeitslosengeld (Alg) II ab 01.03.2005 und die Erstattung von 6.803,40 EUR streitig.

Der 1971 geborene Kläger bezog vom 01.10.2003 bis 27.05.2004 Alg I und anschließend Arbeitslosenhilfe (Alhi). Die AA Bad H. bewilligte ihm mit Bescheid vom 01.11.2004 ab 01.01.2005 Alg II; der Kläger wohnte damals in der D. Straße in Bad H ...

Am 04.02.2005 beantragte er bei der Beklagten Alg II und gab als Adresse A.weg, K. an. Weiterhin teilte er mit, am 01.02.2005 sei ihm eine Steuererstattung von 1.190,64 EUR zugeflossen. Er legte einen mit F. geschlossenen Untermietvertrag vor, wonach er ein Zimmer mit 12,64 qm unter Mitbenutzung von Küche, Bad und Esszimmer für insgesamt 250,- EUR anmiete. F. mietete ihrerseits die 79,64 qm große Wohnung ab 01.02.2005 zu einer Gesamtmiete von 555,- EUR an.

Am 03.03.2005 unterzeichnete der Kläger die schriftliche Erklärung, wonach er wahrheitsgetreu erkläre, derzeit nicht in einem eheähnlichen Verhältnis bzw. in häuslicher Gemeinschaft zusammenzuleben. Ihm sei bekannt, dass er sich durch unwahre und unvollständige Angaben der Strafverfolgung wegen Betrugs aussetze und zu Unrecht bezogene Leistungen zurückzahlen müsse.

Mit Bescheid vom 07.03.2005 bewilligte die Beklagte ab 01.03.2005 monatlich 677,40 EUR und für Mai 2005 669,40 EUR. Für die Zeit ab 01.06.2005 bis 31.01.2006 wurde mit diesem Bescheid und dem Folgebescheid eine monatliche Leistung von 597,40 EUR bewilligt.

Nach Durchführung eines Hausbesuches durch zwei Sachbearbeiter der Beklagten am 14.02.2006, bei dem der Kläger angetroffen wurde, wurde ihm im Rahmen der Anhörung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er gab an, bereits von Mai 2004 bis Januar 2005 mit F. in Bad H. zusammengewohnt zu haben. Er sei der Meinung, dass es sich nicht um eine eheähnliche Partnerschaft handle, weshalb er zu dem Einkommen von F. keine Angaben mache; man könne aber davon ausgehen, dass das Einkommen oberhalb der Grenze liege, bis zu der noch Leistungen von der Beklagten zu erwarten wären. Die Beziehung zwischen ihm und F. sei nicht auf Dauer angelegt. Man habe stets über getrenntes Vermögen und getrennte Konten verfügt, ein Zugriffsrecht auf Vermögen oder Konten des anderen habe nicht bestanden. Die Gegenstände in der Wohnung gehörten entweder ihm oder F. Die ihm gezahlten Beträge habe er für seine Lebenshaltung und die Untermiete eingesetzt.

Nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt Bad H. war F. vom 05.04.2003 bis 01.02.2005 und der Kläger vom 26.04.2004 bis 01.02.2005 unter der gemeinsamen Wohnung D. Straße in Bad H. gemeldet.

Mit Bescheid vom 27.04.2006 hob die Beklagte die Bewilligung der Leistungen für die Zeit vom 01.03.2005 bis 31.01.2006 auf und forderte die Erstattung von 6.803,40 EUR.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er und F. wirtschafteten vollkommen voneinander getrennt, die Lebensmittel würden getrennt eingekauft, die Mahlzeiten getrennt zubereitet. Jeder versorge seine Wäsche selbst. Sie seien in keiner Weise gewillt, für einander in den Not- und Wechselfällen des Lebens einzustehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger und F. lebten nun bereits seit fast 25 Monaten zusammen. Abzustellen sei auf das Gesamtbild aller zu wertenden Tatsachen. Der Kläger sei am 01.02.2005 in die von F. angemietete Wohnung in K. eingezogen und sei unter Abbruch seines bisherigen Umfelds in ein anderes Bundesland umgezogen. So verhielten sich nur Männer und Frauen, die ihre in der Vergangenheit gewachsenen Bindungen unbedingt aufrecht erhalten wollten. Als Indiz sei die Überweisung von F. am 25.11.2004 in Höhe von 2.000,- EUR auf das Konto des Klägers ohne Angabe eines Vermerks zu werten.

Mit seiner zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgebracht, F. weigere sich, für ihn in wirtschaftlicher Hinsicht einzustehen. Er habe F. im März 2004 kennengelernt. Am 26.03.2004 sei er zu ihr gezogen, da er seine Wohnung in M. nicht mehr habe unterhalten können. Zum 01.02.2005 habe F. die Wohnung in Bad H. gekündigt, da sie aus beruflichen Gründen nach K. habe umziehen wollen; er habe die Wohnung in Bad H. aus Kostengründen nicht selbst übernehmen können und wäre darüber hinaus als Mieter nicht vom Vermieter akzeptiert worden. Er sei daraufhin ebenfalls nach K. umgezogen. Er sei zutreffend, dass er mit F. eine intime Beziehung unterhalte, diese Beziehung gehe jedoch nicht soweit, dass er und F. in wirtschaftlicher Hinsicht für einander einstehen würden. Den ihm am 25.11.2004 überwiesenen Betrag von 2.000,- EUR habe er am 08.12.2004 in Höhe von 1.980,- EUR zurücküberwiesen. Er sei unzutreffend, dass sein Zimmer zu klein sei, um dort zu wohnen und zu schlafen. Sofern die Beklagtenseite vortrage, die Matratze, die sich in dem Zimmer befunden habe, habe an der Wand gelehnt, sei dies zutreffend; jedoch sei dies deshalb der Fall gewesen, weil sich hinter der Matratze ein Schimmelfleck an der Wand gebildet habe, den er habe entfernen wollen.

In der mündlichen Verhandlung am 21.11.2006 hat das SG F. als Zeugin vernommen und die Erklärungen des Klägers zu Protokoll genommen; auf dieses wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 21.11.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Bei den Bescheiden der Beklagten vom 03.07.2005 und 10.02.2006 handle es sich um anfänglich rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte gemäß § 45 Abs.1 SGB X. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stehe für das Gericht fest, dass der Kläger und die Zeugin F. im Sinne des § 7 Abs.3 Nr.3b SGB II a.F. in eheähnlicher Gemeinschaft lebten. Nach der Rechtsprechung sei eine eheähnliche Gemeinschaft die Verbindung zweier Partner unterschiedlichen Geschlechts, wenn sie auf Dauer angelegt sei, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulasse und sich durch innere Bindung auszeichne, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner für einander begründe, also über die Beziehung einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehe (vgl. BVerfGE 87, 234; BSG SozR 3-4100, § 19 Nr.15 m.w.N.). Ob eine solche eheähnliche Gemeinschaft vorliege, sei anhand einer Gesamtwürdigung von Hinweistatsachen zu beurteilen. Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung im vorgezeichneten Sinne seien u.a. deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität, eine gemeinsame Wohnung, eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft und eine gemeinsame Versorgung von Angehörigen. Der Begriff der Hinweistatsache zeige letztlich, dass nicht sämtliche Indizien umfassend nachgewiesen sein müssten, dass das Fehlen einzelner Indizien nicht zwangsläufig der Feststellung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft entgegen stehe. Die Gemeinschaft zwischen dem Kläger und F. sei auf Dauer angelegt. Sie bestehe ununterbrochen seit April 2004, also bereits seit mehr als einem Jahr. Schon innerhalb der zuerst gemeinsam bewohnten Wohnung in Bad H. habe der Kläger tatsächlich kein eigenes Zimmer, sondern nur einen Raum, um dort seine Sachen unterstellen zu können, gehabt. Auch in der Wohnung in K. habe der Kläger über keine klar abgrenzbare räumliche Bereiche verfügt. Sowohl Küche als auch Wohnzimmer und Schlafzimmer seien von ihm und der Zeugin F. gemeinsam benutzt worden. Ein anderer Vortrag sei nicht glaubhaft, da sich sämtliche Kleidung des Klägers in den Schränken der Zeugin F. im Schlafzimmer befunden hätten; auch sei dort das Bettzeug des Klägers aufbewahrt gewesen und hätten sich persönliche Gegenstände wie Handy und Fotos jeweils vom Kläger und der Zeugin F. befunden. Das 12 qm große Zimmer sei zu klein, um dort auch getrennt von der Zeugin F. zu leben. Dass die Partnerschaft zwischen dem Kläger und F. auf Dauer angelegt sei, ergebe sich des Weiteren daraus, dass der Kläger unter Aufgabe seines familiären Umfelds sowohl einmal von M. nach Bad H. und sodann von Bad H. nach K. gezogen sei. Auch hierin zeigten sich die gefestigten inneren Beziehungen zwischen dem Kläger und der Zeugin F. Dieser zweimalige Partnernachzug sei für eine bloße Wohngemeinschaft völlig untypisch. Im Falle des Bestehens einer reinen Zweckgemeinschaft wäre das Verbleiben im familiären Umfeld für den Kläger die wirtschaftlich weniger riskante Verhaltensweise gewesen. Dieses Verhalten lasse sich dadurch erklären, dass der Kläger auch darauf habe vertrauen dürfen, dass die Zeugin F. bereit sein werde, ihm in einer Notlage auch beizustehen. Tatsächlich habe die Zeugin F. nach den glaubhaften Angaben des Klägers bereits in Bad H. Mietzahlungen für den Kläger übernommen, als dieser hierzu nicht in der Lage gewesen sei. Dies sei zwar von der Zeugin F. bestritten worden, was aber nicht glaubhaft sei. Insbesondere in Anbetracht dessen, dass sie den Kläger trotz dessen Hilfebedürftigkeit sowohl in ihre Wohnung in Bad H. als auch in ihre Wohnung in K. , welche sie völlig ausgestattet gehabt habe, mitaufgenommen, habe zeige, dass sie bereit sei, für ihn finanzielle Aufwendungen zu tätigen; für einen reinen Wohngenossen richte man nicht zweimal eine Wohnung ein. Die engen Beziehungen auch in wirtschaftlicher Hinsicht zwischen der Zeugin F. und dem Kläger zeigten sich in dessen Bereitschaft, während des laufenden Scheidungsverfahrens der Zeugin ihr Weihnachtsgeld auf sein Konto buchen zu lassen, um ihr so einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. Angesichts dieser Tatsachen fielen die Behauptung, dass sie beide bezüglich des Waschens der Wäsche und der Essenszubereitung getrennte Haushalte führten, kaum ins Gewicht, da auch in funktionierenden Ehen häufig auf eine gerechte Verteilung der Haushaltslasten geachtet werde. Für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft sprächen sodann weiter die nicht bestrittenen intimen Beziehungen sowie das gemeinsame Verbringen der Freizeit. Sie hätten beide in der mündlichen Verhandlung erklärt, es stehe nicht im Belieben des Anderen, sich einem neuen Partner zuzuwenden.

Der Kläger könne sich nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Bewilligungsbescheide berufen, da diese auf Angaben beruhten, die er zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe (§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X). Sowohl bei der Antragstellung am 04.02.2005 wie auch bei seiner späteren Erklärung am 03.03.2005 habe er angegeben, dass er mit F. in keinem eheähnlichen Verhältnis bzw. in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebe. Es hätte ihm angesichts der Art und Weise des Zusammenlebens einleuchten müssen, dass dieses die Merkmale einer eheähnlichen Gemeinschaft erfülle. Hierbei müsse er nicht bezüglich eines jeden einzelnen Tatbestandsmerkmals einer eheähnlichen Gemeinschaft ein gesichertes Wissen gehabt haben, es reiche hierfür die Parallelwertung in der Laiensphäre aus.

Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger das bisherige Vorbringen wiederholt und geltend gemacht, selbst bei Bejahung einer eheähnlichen Gemeinschaft könne ihm nicht vorgeworfen werden, grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht zu haben. Seit dem 01.05.2007 wohne er nicht mehr mit F. zusammen, sondern sei nach M. verzogen, während Frau F. weiterhin in K. wohne. Dies spreche dafür, dass die Beziehung zwischen beiden nicht auf Dauer angelegt gewesen sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.11.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung nach einer Überlegungspause erklärt, dass er F. wohl doch unterstützen würde, wenn sie jemals in finanzielle Engpässe geraten würde, da sie ihn schließlich auch unterstützt habe; nur könne er sich nicht vorstellen, dass sie jemals in finanzielle Engpässe geraten könne.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als nicht begründet.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da die Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden sind. Der Senat folgt den Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 21.11.2006 und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X ist vor allem wegen der am 03.03.2005 abgegebenen unrichtigen schriftlichen Erklärung, nicht in einem eheähnlichen Verhältnis zusammenzuleben, zu bejahen. Für den Kläger hätte Anlass bestanden, bei der Beklagten ggf. weitere Informationen zu diesem Begriff einzuholen und insbesondere zu offenbaren, dass er bereits in Bad H. neun Monate mit F. zusammengelebt habe. Dieser Umstand, nämlich die gemeinsame Gründung eines Wohnsitzes an einem für beide fremden Wohnort, stellt ein gewichtiges Indiz für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft, insbesondere dafür, dass diese Gemeinschaft auf Dauer angelegt war, dar (vgl. Urteil des Senats vom 30.03.2007, L 7 AS 326/06). Hieran ändert die Angabe des Klägers im Berufungsverfahren, seit 01.05.2007 nicht mehr mit F. zusammen zu wohnen, nichts. Denn das Merkmal "auf Dauer angelegt" beinhaltet eine Prognose, ausgehend von dem hier maßgebenden Zeitpunkt 01.03.2005. Aus den dargelegten Gründen war zu diesem Zeitpunkt davon auszugehen, dass der Kläger und F. auf nicht absehbare Zeit wie ein Ehepaar zusammenleben wollten. Hieran hat sich bis zu dem maßgeblichen Zeitraum 31.01.2006 nichts geändert.

Somit war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.11.2006 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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