Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 21 KA 1628/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 1/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 19. Oktober 2005 der Honorarbescheid zu Quartal 1/2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2003 insoweit aufgehoben, als die Ziffer 60 EBM-Ä in den zwei Behandlungsfällen G.R. und M.H. richtiggestellt worden ist. Die Beklagte wird insoweit zur Berücksichtigung der Leistung bei der Honorarverteilung verpflichtet.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten beider Rechtszüge haben die Klägerin zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5 zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Rechtmäßigkeit der Richtigstellung der Nr. 60 EBM-Ä, die im Rahmen der Behandlung von Notfällen angesetzt worden war.
Die Klägerin betreibt das Krankenhaus M. und darin auf der Grundlage eines mit der Beklagten geschlossenen Notfallbehandlungsvertrages eine Notfallambulanz. Die dort behandelten Notfälle werden nach den Angaben der Beteiligten nicht pauschal, sondern leistungsbezogen entsprechend den vertragsärztlichen Gebührenordnungen über die KVB abgerechnet.
Mit unselbständigem Richtigstellungsbescheid als Bestandteil des Honorarbescheids des Quartals 1/03 setzte die Beklagte bei 680 Patienten der Regional- und Ersatzkassen die Ziffer 60 EBMÄ mit der Begründung ab, die Ziffer könne im Rahmen einer Notfallbehandlung bzw. im Rahmen des Notfalldienstes nicht angesetzt werden. Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, die Ziffer nur bei einem geringen Teil der behandelten Patienten erbracht und abgerechnet zu haben. Sie werde nicht bei gängigen Krankheitsbildern, sondern bei unklaren Krankheitsbildern erbracht, bei denen es notwendig sei, den Ganzkörperstatus zu erheben. Entsprechende Dokumentationen lägen vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 2003 wurde der Widerspruch insgesamt zurückgewiesen. Im Rahmen der Notfallbehandlung und des Notfalldienstes habe der Arzt diejenigen Leistungen zu erbringen, die erforderlich seien, um eine akute Gefahr von Leib und Seele des Patienten abzuwenden. Im diesem Sinne übernehme der den Notfall versorgende Arzt die Erstversorgung und habe die Weiterbehandlung dem ständig behandelnden Arzt zu überlassen. Die Leistung nach Nr. 60 EBMÄ könne deshalb im Notfalldienst nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, z.B. bei Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr, vollständig erbracht und abgerechnet werden.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Hingewiesen wird darauf, dass es nicht nur Pflicht des Notfallarztes sei, die Symptome des Patienten diagnostisch zu bewerten. Vielmehr habe er in der Regel nach ersten Schlussfolgerungen auch die hierfür erforderlichen Befunde zu erheben. Auch der Notfallarzt, der zu einem bisher unbekannten Patienten gerufen werde, habe die notwendigen körperlichen Untersuchungen vorzunehmen, um einer akuten Gefährdung entgegenzutreten.
Ferner hat sie vorgetragen, dass eine Auswertung des Quartals 2/02 die Abrechnung von 5800 Notfällen ergeben habe, wobei nur in 830 Fällen die Nr.60 angesetzt und berichtigt worden sei. Die Kammer hat die Vorlage (eines Teils) der Dokumentationen zu den Behandlungsfällen angeordnet. Im Termin am 19.10.2005 sind die Beteiligten übereingekommen, dass die Klägerin zehn Fälle als Musterfälle auswählt. Die weiteren Behandlungsfälle sind unter Abtrennung zum Ruhen gebracht worden.
Mit Urteil vom 19.10.2005 hat das Sozialgericht die Klage bezüglich der 10 ausgewählten Einzelfälle abgewiesen. Nach Einsichtnahme in die Behandlungsausweise und die vorgelegten Dokumentationen habe die mit zwei Ärzten als ehrenamtliche Richter fachkundig besetzte Kammer feststellen können, dass es sich um gängige Krankheitsbilder handle, die in keinem der aufgeführten Fälle eine Untersuchung von Kopf bis Fuß rechtfertigen würde. Dahingestellt könne bleiben, ob die Leistungslegende überhaupt vollständig erbracht worden sei. Die Erbringung des Ganzkörperstatus in diesen Notfallfällen sei auf jeden Fall nicht erforderlich gewesen. Die Berufung ist zugelassen worden.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin zum Bayer. Landessozialgericht. Neben der Bezugnahme auf das bisherige Vorbringen wird zusammengefasst zu den Einzelfällen wie folgt vorgetragen.
Patientin S. S.: Patientin sei mit Kreislaufkollaps erschienen, der nach dem Essen aufgetreten sei; zusätzlich sei Schwindel aufgetreten. Sowohl Kreislaufschwäche als auch Schwindel könnten Symptome für viele Erkrankungen sein, so dass weitere Untersuchungen erforderlich gewesen seien, um akute Erkrankungen ausschließen zu können. Dies umso mehr als die Patientin zu Allergien, Neurodermitis und Asthma neigte und ein drohender allergischer Schock auszuschließen gewesen sei.
Patientin S.-V. C.: Bei Aufnahme unklare, selbstlimitierende Oberbauchbeschwerden ; tags zuvor Gliederschmerzen; in der Vorgeschichte seien Nierensteine aufgetreten. Aufgrund unklarer Oberbauchschmerzen sei hier umfangreiche Abklärung erforderlich, da Zusammenhang der Oberbauchbeschwerden mit Nierensteinen oder Nierenbeckenentzündung, gynäkologischen Ursachen, Pankreatitis, Gallensteine u.a. möglich.
Patient P. W.: Instabile Angina pectoris bei bekannter 3-Gefäß-KHK. Tage zuvor Brustschmerzen. Abwendung akuter Gefahr aufgrund schwerer Herzkranzgefäßerkrankung erforderlich.
Patient B. L.-S.: Aufnahmediagnose: Rückschmerzen und bekannte EKG-Veränderungen; jedoch HIV-Patient; somit ein Patient mit chronischer Abwehrschwäche, bei dem darüber hinaus sämtliche Symptome aufgrund der HIV-Infektion völlig verschleiert sein können bzw. sich in nicht typischer Weise darstellen können; zusätzlich insulinpflichtiger Diabetiker. Kardiale Abklärung bzgl. Symptomen für Herzinfarkt, Lungenentzündung, Bauchspeicheldrüsenentzündung, Magenperforation, insbesondere neurologische Abklärung erforderlich, da Entzündung des peripheren Nervensystems bestand; evtl. auch Zusammenhang mit der Diabetes.
Patient G. R.: Aufnahme des alkoholintoxinierten Patienten nach Kollaps in U-Bahn. Kollaps könne hier Ursachen haben, von denen die Alkoholintoxikation nur eine Möglichkeit darstelle. Untersuchung durch Ganzkörperstatuserhebung im Hinblick auf Verletzungen durch Sturz, Gehirnblutung etc. erforderlich.
Patientin D.E. M. Unklare Schmerzen in der linken Schulter; Ausstrahlung in linken Arm. Hier Ausschluss eines Herzinfarkts, einer Gallenblasenentzündung, von orthopädischen Ursachen erforderlich; nachdem Blutbild Zeichen einer Entzündung gezeigt habe, sei Weiteruntersuchung notwendig gewesen nach Kollaps in U-Bahn.
Patientin M. H.: Aufnahme des alkoholintoxinierten Patienten nach Sturz auf den Hinterkopf bei neurologischer Auffälligkeit und unklaren Schmerzangaben. Gerade bei alkoholisierten Patienten sei mit unklaren Schmerzangaben zu rechnen; ansonsten wie bei G. R.
Patientin M. K.: Allgemeiner Hautausschlag, am ganzen Körper Juckreiz. Hautausschlag sei Symptom vieler Krankheiten; Verdacht auf drohenden allergischen Schock.
Patient S. J.: Patient sei wegen Schwindel und Kopfschmerzen, die er schon seit drei Wochen gehabt habe, erschienen. Erforderlich sei eine neurologische Abklärung gewesen, da auch Schwindel und Kopfschmerzen verschiedene Ursachen haben könnten; im Hinblick auf Blutdruckleiden aber auch Kreislaufuntersuchung; da weder ein möglicher Schlaganfall noch ein Hirnstamminfarkt noch eine chronische Erkrankung habe ausgeschlossen werden können, sei zur Abwendung einer akuten Gefahr die Erhebung des Ganzkörperstatus zwingend erforderlich.
Patientin H. B.: Aufnahme mit Verdacht auf Erkrankung des Nervensystems bei Brennen und Stechen in den Fußsohlen und Anzeichen chronischen Alkoholabusus. Bei körperlicher Untersuchung haben sich blaue Flecken und Entzündungssymptome gezeigt, was eine Untersuchung des Skelettes sowie eine neurologische Untersuchung erfordert habe; das vermehrte Durstgefühl und der vermehrte Harndrang sowie die Blutbildveränderung haben schließlich weitere Untersuchungen, insgesamt einen Ganzkörperstatus zum Ausschluss akuter Erkrankungen bedingt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung wies der ärztliche Vertreter der Klägerin darauf hin, dass sich in der täglichen Praxis häufig die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme ergebe. Zuvor werde dann prästationär ein Ganzkörperstatus als Aufnahmeuntersuchung erbracht. Wenn der Patient sich dann einer stationären Aufnahme verweigere, könne die erbrachte Leistung nicht unvergütet bleiben.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.10.2005 sowie den Honorarbescheid vom 30.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2003 hinsichtlich der Patienten S. S., P. W., G. R., M. H., S. J. S.-V. C., B. L.-S , D. E. M., M. K., H. B. aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die abgesetzten Leistungen nach Nr. 60 BMÄ/E-GO nachzuvergüten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass unter einem Ganzkörperstatus die klinische Untersuchung "von Kopf bis Fuß" verstanden werde. Sie solle Auskunft über den Gesamtzustand des Patienten geben. Eine Überprüfung der Funktion der Sinnesorgane, eine orientierende neurologische Untersuchung, eine Koordinationsprüfung und Prüfung des Reflexverhaltens zählten ebenso dazu wie die Inspektion der Haut, der sichtbaren Schleimhäute, die Perkussion und Auskultation der Brustorgane, die Untersuchung des Abdomens, die Überprüfung des Bewegungsapparates sowie auch einfache Messungen (Körpergröße, Blutdruck, Körpertemperatur).
Bei der differenzialdiagnostischen Abklärung zur Abwendung einer akuten Gefahr von Leib und/oder Seele eines Patienten in einer Notfallsituation stehe nicht sein Gesamtzustand im Vordergrund. Hierbei gehe es regelmäßig darum, durch eine ganz gezielte Untersuchung eine akute Gefährdung für die Gesundheit und das Leben zu erkennen und auszuschließen. Damit sei die Ziffer anlässlich einer Notfallbehandlung grundsätzlich nicht vergütungsfähig. Nur wenn die Erhebung zur Erstversorgung in einer akuten Notfallsituation erforderlich sei, sei diese Leis-tung im Rahmen einer Notfallbehandlung überhaupt berechnungsfähig. Hinzuweisen sei darauf, dass mit der in sämtlichen Fällen geltend gemachten und anerkannten Ordinationsgebühr im Sinne der Nr.1 EBM-Ä die vollständige Untersuchung mindestens eines Organsystems einschließlich Befragung und Beratung und Dokumentation für die dort gelisteten Organe abgegolten sei. Sodann wird auf die einzelnen Patienten eingegangen und begründet, dass ein Ganzkörperstatus in keinem der Fälle erforderlich gewesen sei.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten, der Streitakte des Sozialgerichts München, die die Behandlungsausweise und die Dokumentationen des Ganzkörperstatus der streitgegenständlichen Fälle enthält, sowie der Verfahrensakte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist überwiegend unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte in acht von zehn Fällen die Ziffer 60 EBM-Ä richtiggestellt, weil die Klägerin insoweit ihr auf Notfallbehandlung begrenztes Teilnahmerecht überschritten hatte oder keine vollständige Dokumentation vorgenommen hatte. In nur zwei Fällen liegen die Abrechnungsvoraussetzungen für den Ansatz der Gebührenordnungsposition vor. Daher war nur insoweit unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der richtigstellende Honorarbescheid aufzuheben und die Beklagte zur nachträglichen Berücksichtigung bei der Honorarfestsetzung zu verurteilen. Im übrigen war die Berufung gegen das sozialgerichtliche Urteil zurückzuweisen.
Der Beklagten kommt die Befugnis zu, die Honorarabrechnungen der Kläger sachlich und rechnerisch richtig zu stellen (§ 45 Abs. 1 BMV-Ä, § 34 Abs. 4 EKV-Ä i.V.m. dem Notfallbehandlungsvertrag). Richtigstellung meint die Berichtigung von Falschabrechnungen aufgrund Nichterfüllung der Abrechnungsvoraussetzungen der Gebührenlegenden sowie der sonstigen Abrechnungsvoraussetzungen. Dagegen besitzt die Beklagte nicht die Befugnis, Leistungen wegen Unwirtschaftlichkeit von der Vergütung auszunehmen. Diese Befugnis ist nach § 106 SGB V den dafür besonders gebildeten Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung übertragen.
Eine Richtigstellung ist auch vorzunehmen, wenn es an einem Nachvollziehbarkeitszusammenhang zwischen den angegebenen Diagnosen und den dazu in Ansatz gebrachten Ziffern fehlt. Dies beruht auf der besonderen Ausgestaltung des Abrechnungsverkehrs. Der Vertragsarzt gibt auf dem Behandlungsausweis bzw. auf dem EDV-Träger die Diagnosen des Patienten und die erbrachten Gebührenordnungsziffern an. Damit ist, soweit sich daraus im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen keine Zweifel an der Richtigkeit ergeben, von der Leistungserbringung auszugehen. Nur dann, wenn die abgerechnete Leistungsposition in keiner Weise zu den angegebenen Diagnose passt, sozusagen völlig "in der Luft" hängt, ist von einer fehlenden Nachvollziehbarkeit auszugehen und richtig zu stellen (evident ungeeignete Leistung).
Die Klägerin nimmt an der ambulanten Versorgung nur kraft der Regelung in § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V und nach Maßgabe des diesen konkretisierenden Behandlungsvertrags teil. Darin wurde die ambulante Behandlung gesetzlich Versicherter auf die Notfallbehandlung begrenzt (vgl. Senatsurteil vom 31.07.2002, L 12 KA 511/02; juris).
Ein Notfall liegt aber nur so lange vor, solange eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und ein Teilnahmeberechtigter mangels Umfang des Teilnahmerechts oder Qualifikation oder eigener Bereitschaft zur Behandlungsübernahme nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht, wenn aus einer ex-ante- Betrachtung heraus, ohne sofortige Behandlung Gefahren für Leib und Leben bestehen oder Schmerzen unzumutbar lange dauern würden.
Ausgehend davon lässt sich folgern, dass Behandlungsleistungen, die über diesen eingeschränkten Notfallversorgungsauftrag hinausgehen, nicht mehr vom Teilnahmerecht der Klägerin umfasst (sonstige Abrechnungsvoraussetzung) und daher richtig zu stellen sind.
Allerdings ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass auch im Rahmen dieser Beschränkung auf die Notfallversorgung gleichwohl der ärztliche Behandlungsstandard zu beachten ist. Soweit die Erbringung eines Ganzkörperstatus erforderlich ist, um bis zur voraussichtlichen Weiterbehandlung durch zugelassene Vertragsärzte (außerhalb des Bereitschaftsdienstes) oder bis zu einer notwendigen stationären Einweisung akute Gefahren für den die Notfallambulanz aufsuchenden Versicherten zu erkennen, zu behandeln oder auszuschließen, darf und muss dieser auch von den Ärzten der Ambulanz der Klägerin erbracht werden. Damit ist der Behandler zur Abrechnung der Leistung berechtigt, soweit der Untersuchungszweck, was hier zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, den in der Legende angegebenen Gebieten zuzurechnen ist.
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin mit der Erbringung der vollständigen Leistungslegende in acht Fällen ihr auf Notfallbehandlung begrenztes Teilnahmerecht überschritten. Denn die Leistungslegende lautet: "Erhebung des Ganzkörperstatus, einschließlich orientierender Untersuchung des ZNS und der Sinnesorgane einschließlich Befragung, Beratung und Dokumentation für die Gebiete Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Kinderheilkunde, einmal im Behandlungsfall (außer bei Kindern bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr)."
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auf die vormals neben der Ziff 60 EBMÄ abrechenbare Ziff. 61 EBM-Ä, die die vollständige Untersuchung mindestens eines Organsystems vergütete, heute nicht mehr zurückgegriffen werden kann, weil sie im Ordinationskomplex der Ziff 1 EBM-Ä aufgegangen ist.
Unter einem Ganzkörperstatus ist eine Untersuchung "von Kopf bis Fuß" zu verstehen (Kölner Kommentar, EBMÄ, Komm. zur GOP 60). Dies erfordert eine Untersuchung aller Organsysteme. Hierbei müssen je nach geäußerten Symptomen, Anamnese und bisherigem Verlauf der klinischen Untersuchung einige solcher Organsysteme vollständig, alle restlichen wenigstens orientierend untersucht werden (vgl. Wetzel-Liebold, Kommentar zum EBM-Ä zu Ziffer 03311). Eine Überprüfung der Funktion der Sinnesorgane, eine orientierende neurologische Untersuchung mit Koordinationsprüfungen und Prüfung des Reflexverhaltens gehören ebenso dazu, wie die Inspektion der Haut, der sichtbaren Schleimhäute, die Perkussion und Auskultation der Brustorgane, die Untersuchung des Abdomens, die Überprüfung des Bewegungsapparates sowie auch einfache Messungen (z.B. Körpergröße, Gewicht, Körpertemperatur, Blutdruck).
Da die Leistungslegende auch die Dokumentation des erhobenen Status beinhaltet, verpflichtet ein Verstoß gegen diese Dokumentationspflicht ebenfalls zur Richtigstellung.
Angesichts dessen hat nach Ansicht des fachkundig besetzten Senats die Einrichtung der Klägerin ihren auf Notfallbehandlung begrenzten Versorgungsauftrag eindeutig dadurch überschritten, als in den Fällen S. S., S.-V. C.; P. W.,, B. L.-S., M. K. und S. J. eine Untersuchung der Extremitäten bzw. des Bewegungsapparates erfolgt ist. Davon abgesehen ist die Erforschung insoweit zumeist auch nicht dokumentiert. Im Rahmen der Notfallbehandlung war bei den Patienten B. L.-S., D. E. M. und M.K. ein Hör- und Sehtest sicher nicht angezeigt. Auch hier fehlt im übrigen häufig eine entsprechende Dokumentation. Eine orientierende neurologische Untersuchung ist für die Patienten P. W. und D. E. M. nicht dokumentiert. In den Fällen S.J. und H.B. fehlt jede Nachvollziehbarkeit, warum nicht nur eine grobe Untersuchung erfolgt ist.
Dagegen fehlt es nach Ansicht des Senats in den Fällen G. R. und M. H. nicht an einem Nachvollziehbarkeitszusammenhang zwischen Diagnosenangabe, Versorgungsauftrag und Leistungsansatz. Jener erscheint nachvollziehbar, weil bei ex-ante-Betrachtung ohne Erhebung eines - vollständig dokumentierten - Ganzkörperstatus die Entstehung akuter Gefahren vor der voraussichtlichen Behandlungsübernahme durch einen Vertragsarzt nicht ausschließbar war. Dies ergibt sich aus der Zusammenschau der Aufnahmediagnosen und der genannten Alkoholintoxikationen, die mit unklaren Angaben einhergegangen sind bzw. die Überprüfung der gemachten Angaben erforderte. Bewusstseinsgetrübte Patienten werden bei entsprechenden Diagnosen häufig zu einer Untersuchung von Kopf bis Fuß zwingen, um verdeckte, gleichwohl akute Gesundheitsgefahren aufdecken zu können. Die Situation erscheint ähnlich der Behandlung jüngerer Kinder, bei denen auch die Beklagte die Notwendigkeit der Ganzkörperstatuserhebung im Rahmen der Notfallversorgung bejaht (vgl. Widerspruchsbescheid vom 05.11.2003, a.E.).
Soweit die Einrichtung der Klägerin Leistungen im Rahmen vorstationärer Versorgung nach § 115 a SGB V erbringt, erfolgt die Vergütung nicht aus der pauschalierten Gesamtvergütung der Vertragsärzte. Entsprechend erfolgt der Abrechnungsweg nicht über die Beklagte, sondern über die Krankenkasse. Wenn sich der Patient danach einer stationären Behandlung verweigert, kann die Leistung nicht der Gesamtvergütung anheim fallen. Im übrigen setzen vorstationäre Leistungen die Überprüfung der Erforderlichkeit vollstationärer Krankenhauseinweisung durch das Krankenhaus nach anderweitiger Verordnung von Krankenhausbehandlung voraus.
Im Hinblick auf die Zukunft und die zwischen den Beteiligten in diesem und anderen Quartalen noch streitige erhebliche Anzahl von Einzelfällen merkt der Senat an:
Aufgrund der gesamtvertraglichen Ausgestaltung der Art und Weise des Leistungsnachweises und der Erhebung einer Vergütungsforderung (Ausgestaltung des Abrechnungswegs) wird die Beklagte auch in Zukunft zu prüfen haben, ob aufgrund der Diagnosenangaben auf dem Abrechnungsausweisen und dem Charakter der Notfallbehandlung es nicht an einem Nachvollziehbarkeitszusammenhang mit dem Ansatz eines Ganzkörperstatusses als teils vollständige, teils orientierende Untersuchung nicht nur vieler, sondern aller Organsysteme fehlt, wobei durchaus auch die Nennung der Ausschluss- und Verdachtsdiagnosen geboten sein kann (Problem der "harmlosen" Enddiagnose nach Ausschluss "bedrohlicher" Verdachtsdiagnosen). Ist der Ansatz nicht nachvollziehbar oder - auch aufgrund sonstiger Hinweise - zweifelhaft, wird die Beklagte ergänzend die Dokumentationen einzusehen bzw. die Leis-tung abzusetzen haben. Sonstige Hinweise können auch in einer unglaubhaft hohen Anzahl von Leistungsansätzen bestehen, die den Schluss auf eine Falschinterpretation der Legende zulässt. Dazu besteht kein Anlass, wenn sich die Leistungshäufigkeit in Ansehung des Klientels einer Notfallambulanz als "unauffällig" darstellt. Hierzu wäre, ausgehend von der von der Klägerin in der Vergangenheit an den Tag gelegten Ansatzhäufigkeit im Verhältnis zur Gesamtfallzahl (nach den klägerischen Angaben im Quartal 2/02 ca. 15 %), anhand einer repräsentativen, weil nach objektiven Kriterien festgelegten Stichprobe zu ermitteln, in wie vielen Fällen der Leistungsansatz nachvollziehbar, weil den Versorgungsauftrag nicht sicher überschreitend erscheint. Angesichts des Fehlens solcher objektiver Kriterien bei der Auswahl des vorgelegten Einzelfallausschnitts und auch angesichts der geringen Zahl von zehn streitgegenständlichen Einzelfällen sieht sich der Senat zu einem konkreten Vorschlag nicht in der Lage. Indes zeigt das Verfahren, dass die Auffassung der Klägerseite zur Höhe der Ansatzhäufigkeit bei weitem überhöht erscheint. Sie dürfte sich wohl eher in einem niedrigen einstelligen Prozentbereich bewegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten beider Rechtszüge haben die Klägerin zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5 zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Rechtmäßigkeit der Richtigstellung der Nr. 60 EBM-Ä, die im Rahmen der Behandlung von Notfällen angesetzt worden war.
Die Klägerin betreibt das Krankenhaus M. und darin auf der Grundlage eines mit der Beklagten geschlossenen Notfallbehandlungsvertrages eine Notfallambulanz. Die dort behandelten Notfälle werden nach den Angaben der Beteiligten nicht pauschal, sondern leistungsbezogen entsprechend den vertragsärztlichen Gebührenordnungen über die KVB abgerechnet.
Mit unselbständigem Richtigstellungsbescheid als Bestandteil des Honorarbescheids des Quartals 1/03 setzte die Beklagte bei 680 Patienten der Regional- und Ersatzkassen die Ziffer 60 EBMÄ mit der Begründung ab, die Ziffer könne im Rahmen einer Notfallbehandlung bzw. im Rahmen des Notfalldienstes nicht angesetzt werden. Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, die Ziffer nur bei einem geringen Teil der behandelten Patienten erbracht und abgerechnet zu haben. Sie werde nicht bei gängigen Krankheitsbildern, sondern bei unklaren Krankheitsbildern erbracht, bei denen es notwendig sei, den Ganzkörperstatus zu erheben. Entsprechende Dokumentationen lägen vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 2003 wurde der Widerspruch insgesamt zurückgewiesen. Im Rahmen der Notfallbehandlung und des Notfalldienstes habe der Arzt diejenigen Leistungen zu erbringen, die erforderlich seien, um eine akute Gefahr von Leib und Seele des Patienten abzuwenden. Im diesem Sinne übernehme der den Notfall versorgende Arzt die Erstversorgung und habe die Weiterbehandlung dem ständig behandelnden Arzt zu überlassen. Die Leistung nach Nr. 60 EBMÄ könne deshalb im Notfalldienst nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, z.B. bei Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr, vollständig erbracht und abgerechnet werden.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Hingewiesen wird darauf, dass es nicht nur Pflicht des Notfallarztes sei, die Symptome des Patienten diagnostisch zu bewerten. Vielmehr habe er in der Regel nach ersten Schlussfolgerungen auch die hierfür erforderlichen Befunde zu erheben. Auch der Notfallarzt, der zu einem bisher unbekannten Patienten gerufen werde, habe die notwendigen körperlichen Untersuchungen vorzunehmen, um einer akuten Gefährdung entgegenzutreten.
Ferner hat sie vorgetragen, dass eine Auswertung des Quartals 2/02 die Abrechnung von 5800 Notfällen ergeben habe, wobei nur in 830 Fällen die Nr.60 angesetzt und berichtigt worden sei. Die Kammer hat die Vorlage (eines Teils) der Dokumentationen zu den Behandlungsfällen angeordnet. Im Termin am 19.10.2005 sind die Beteiligten übereingekommen, dass die Klägerin zehn Fälle als Musterfälle auswählt. Die weiteren Behandlungsfälle sind unter Abtrennung zum Ruhen gebracht worden.
Mit Urteil vom 19.10.2005 hat das Sozialgericht die Klage bezüglich der 10 ausgewählten Einzelfälle abgewiesen. Nach Einsichtnahme in die Behandlungsausweise und die vorgelegten Dokumentationen habe die mit zwei Ärzten als ehrenamtliche Richter fachkundig besetzte Kammer feststellen können, dass es sich um gängige Krankheitsbilder handle, die in keinem der aufgeführten Fälle eine Untersuchung von Kopf bis Fuß rechtfertigen würde. Dahingestellt könne bleiben, ob die Leistungslegende überhaupt vollständig erbracht worden sei. Die Erbringung des Ganzkörperstatus in diesen Notfallfällen sei auf jeden Fall nicht erforderlich gewesen. Die Berufung ist zugelassen worden.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin zum Bayer. Landessozialgericht. Neben der Bezugnahme auf das bisherige Vorbringen wird zusammengefasst zu den Einzelfällen wie folgt vorgetragen.
Patientin S. S.: Patientin sei mit Kreislaufkollaps erschienen, der nach dem Essen aufgetreten sei; zusätzlich sei Schwindel aufgetreten. Sowohl Kreislaufschwäche als auch Schwindel könnten Symptome für viele Erkrankungen sein, so dass weitere Untersuchungen erforderlich gewesen seien, um akute Erkrankungen ausschließen zu können. Dies umso mehr als die Patientin zu Allergien, Neurodermitis und Asthma neigte und ein drohender allergischer Schock auszuschließen gewesen sei.
Patientin S.-V. C.: Bei Aufnahme unklare, selbstlimitierende Oberbauchbeschwerden ; tags zuvor Gliederschmerzen; in der Vorgeschichte seien Nierensteine aufgetreten. Aufgrund unklarer Oberbauchschmerzen sei hier umfangreiche Abklärung erforderlich, da Zusammenhang der Oberbauchbeschwerden mit Nierensteinen oder Nierenbeckenentzündung, gynäkologischen Ursachen, Pankreatitis, Gallensteine u.a. möglich.
Patient P. W.: Instabile Angina pectoris bei bekannter 3-Gefäß-KHK. Tage zuvor Brustschmerzen. Abwendung akuter Gefahr aufgrund schwerer Herzkranzgefäßerkrankung erforderlich.
Patient B. L.-S.: Aufnahmediagnose: Rückschmerzen und bekannte EKG-Veränderungen; jedoch HIV-Patient; somit ein Patient mit chronischer Abwehrschwäche, bei dem darüber hinaus sämtliche Symptome aufgrund der HIV-Infektion völlig verschleiert sein können bzw. sich in nicht typischer Weise darstellen können; zusätzlich insulinpflichtiger Diabetiker. Kardiale Abklärung bzgl. Symptomen für Herzinfarkt, Lungenentzündung, Bauchspeicheldrüsenentzündung, Magenperforation, insbesondere neurologische Abklärung erforderlich, da Entzündung des peripheren Nervensystems bestand; evtl. auch Zusammenhang mit der Diabetes.
Patient G. R.: Aufnahme des alkoholintoxinierten Patienten nach Kollaps in U-Bahn. Kollaps könne hier Ursachen haben, von denen die Alkoholintoxikation nur eine Möglichkeit darstelle. Untersuchung durch Ganzkörperstatuserhebung im Hinblick auf Verletzungen durch Sturz, Gehirnblutung etc. erforderlich.
Patientin D.E. M. Unklare Schmerzen in der linken Schulter; Ausstrahlung in linken Arm. Hier Ausschluss eines Herzinfarkts, einer Gallenblasenentzündung, von orthopädischen Ursachen erforderlich; nachdem Blutbild Zeichen einer Entzündung gezeigt habe, sei Weiteruntersuchung notwendig gewesen nach Kollaps in U-Bahn.
Patientin M. H.: Aufnahme des alkoholintoxinierten Patienten nach Sturz auf den Hinterkopf bei neurologischer Auffälligkeit und unklaren Schmerzangaben. Gerade bei alkoholisierten Patienten sei mit unklaren Schmerzangaben zu rechnen; ansonsten wie bei G. R.
Patientin M. K.: Allgemeiner Hautausschlag, am ganzen Körper Juckreiz. Hautausschlag sei Symptom vieler Krankheiten; Verdacht auf drohenden allergischen Schock.
Patient S. J.: Patient sei wegen Schwindel und Kopfschmerzen, die er schon seit drei Wochen gehabt habe, erschienen. Erforderlich sei eine neurologische Abklärung gewesen, da auch Schwindel und Kopfschmerzen verschiedene Ursachen haben könnten; im Hinblick auf Blutdruckleiden aber auch Kreislaufuntersuchung; da weder ein möglicher Schlaganfall noch ein Hirnstamminfarkt noch eine chronische Erkrankung habe ausgeschlossen werden können, sei zur Abwendung einer akuten Gefahr die Erhebung des Ganzkörperstatus zwingend erforderlich.
Patientin H. B.: Aufnahme mit Verdacht auf Erkrankung des Nervensystems bei Brennen und Stechen in den Fußsohlen und Anzeichen chronischen Alkoholabusus. Bei körperlicher Untersuchung haben sich blaue Flecken und Entzündungssymptome gezeigt, was eine Untersuchung des Skelettes sowie eine neurologische Untersuchung erfordert habe; das vermehrte Durstgefühl und der vermehrte Harndrang sowie die Blutbildveränderung haben schließlich weitere Untersuchungen, insgesamt einen Ganzkörperstatus zum Ausschluss akuter Erkrankungen bedingt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung wies der ärztliche Vertreter der Klägerin darauf hin, dass sich in der täglichen Praxis häufig die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme ergebe. Zuvor werde dann prästationär ein Ganzkörperstatus als Aufnahmeuntersuchung erbracht. Wenn der Patient sich dann einer stationären Aufnahme verweigere, könne die erbrachte Leistung nicht unvergütet bleiben.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.10.2005 sowie den Honorarbescheid vom 30.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2003 hinsichtlich der Patienten S. S., P. W., G. R., M. H., S. J. S.-V. C., B. L.-S , D. E. M., M. K., H. B. aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die abgesetzten Leistungen nach Nr. 60 BMÄ/E-GO nachzuvergüten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass unter einem Ganzkörperstatus die klinische Untersuchung "von Kopf bis Fuß" verstanden werde. Sie solle Auskunft über den Gesamtzustand des Patienten geben. Eine Überprüfung der Funktion der Sinnesorgane, eine orientierende neurologische Untersuchung, eine Koordinationsprüfung und Prüfung des Reflexverhaltens zählten ebenso dazu wie die Inspektion der Haut, der sichtbaren Schleimhäute, die Perkussion und Auskultation der Brustorgane, die Untersuchung des Abdomens, die Überprüfung des Bewegungsapparates sowie auch einfache Messungen (Körpergröße, Blutdruck, Körpertemperatur).
Bei der differenzialdiagnostischen Abklärung zur Abwendung einer akuten Gefahr von Leib und/oder Seele eines Patienten in einer Notfallsituation stehe nicht sein Gesamtzustand im Vordergrund. Hierbei gehe es regelmäßig darum, durch eine ganz gezielte Untersuchung eine akute Gefährdung für die Gesundheit und das Leben zu erkennen und auszuschließen. Damit sei die Ziffer anlässlich einer Notfallbehandlung grundsätzlich nicht vergütungsfähig. Nur wenn die Erhebung zur Erstversorgung in einer akuten Notfallsituation erforderlich sei, sei diese Leis-tung im Rahmen einer Notfallbehandlung überhaupt berechnungsfähig. Hinzuweisen sei darauf, dass mit der in sämtlichen Fällen geltend gemachten und anerkannten Ordinationsgebühr im Sinne der Nr.1 EBM-Ä die vollständige Untersuchung mindestens eines Organsystems einschließlich Befragung und Beratung und Dokumentation für die dort gelisteten Organe abgegolten sei. Sodann wird auf die einzelnen Patienten eingegangen und begründet, dass ein Ganzkörperstatus in keinem der Fälle erforderlich gewesen sei.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten, der Streitakte des Sozialgerichts München, die die Behandlungsausweise und die Dokumentationen des Ganzkörperstatus der streitgegenständlichen Fälle enthält, sowie der Verfahrensakte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist überwiegend unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte in acht von zehn Fällen die Ziffer 60 EBM-Ä richtiggestellt, weil die Klägerin insoweit ihr auf Notfallbehandlung begrenztes Teilnahmerecht überschritten hatte oder keine vollständige Dokumentation vorgenommen hatte. In nur zwei Fällen liegen die Abrechnungsvoraussetzungen für den Ansatz der Gebührenordnungsposition vor. Daher war nur insoweit unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der richtigstellende Honorarbescheid aufzuheben und die Beklagte zur nachträglichen Berücksichtigung bei der Honorarfestsetzung zu verurteilen. Im übrigen war die Berufung gegen das sozialgerichtliche Urteil zurückzuweisen.
Der Beklagten kommt die Befugnis zu, die Honorarabrechnungen der Kläger sachlich und rechnerisch richtig zu stellen (§ 45 Abs. 1 BMV-Ä, § 34 Abs. 4 EKV-Ä i.V.m. dem Notfallbehandlungsvertrag). Richtigstellung meint die Berichtigung von Falschabrechnungen aufgrund Nichterfüllung der Abrechnungsvoraussetzungen der Gebührenlegenden sowie der sonstigen Abrechnungsvoraussetzungen. Dagegen besitzt die Beklagte nicht die Befugnis, Leistungen wegen Unwirtschaftlichkeit von der Vergütung auszunehmen. Diese Befugnis ist nach § 106 SGB V den dafür besonders gebildeten Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung übertragen.
Eine Richtigstellung ist auch vorzunehmen, wenn es an einem Nachvollziehbarkeitszusammenhang zwischen den angegebenen Diagnosen und den dazu in Ansatz gebrachten Ziffern fehlt. Dies beruht auf der besonderen Ausgestaltung des Abrechnungsverkehrs. Der Vertragsarzt gibt auf dem Behandlungsausweis bzw. auf dem EDV-Träger die Diagnosen des Patienten und die erbrachten Gebührenordnungsziffern an. Damit ist, soweit sich daraus im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen keine Zweifel an der Richtigkeit ergeben, von der Leistungserbringung auszugehen. Nur dann, wenn die abgerechnete Leistungsposition in keiner Weise zu den angegebenen Diagnose passt, sozusagen völlig "in der Luft" hängt, ist von einer fehlenden Nachvollziehbarkeit auszugehen und richtig zu stellen (evident ungeeignete Leistung).
Die Klägerin nimmt an der ambulanten Versorgung nur kraft der Regelung in § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V und nach Maßgabe des diesen konkretisierenden Behandlungsvertrags teil. Darin wurde die ambulante Behandlung gesetzlich Versicherter auf die Notfallbehandlung begrenzt (vgl. Senatsurteil vom 31.07.2002, L 12 KA 511/02; juris).
Ein Notfall liegt aber nur so lange vor, solange eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und ein Teilnahmeberechtigter mangels Umfang des Teilnahmerechts oder Qualifikation oder eigener Bereitschaft zur Behandlungsübernahme nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht, wenn aus einer ex-ante- Betrachtung heraus, ohne sofortige Behandlung Gefahren für Leib und Leben bestehen oder Schmerzen unzumutbar lange dauern würden.
Ausgehend davon lässt sich folgern, dass Behandlungsleistungen, die über diesen eingeschränkten Notfallversorgungsauftrag hinausgehen, nicht mehr vom Teilnahmerecht der Klägerin umfasst (sonstige Abrechnungsvoraussetzung) und daher richtig zu stellen sind.
Allerdings ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass auch im Rahmen dieser Beschränkung auf die Notfallversorgung gleichwohl der ärztliche Behandlungsstandard zu beachten ist. Soweit die Erbringung eines Ganzkörperstatus erforderlich ist, um bis zur voraussichtlichen Weiterbehandlung durch zugelassene Vertragsärzte (außerhalb des Bereitschaftsdienstes) oder bis zu einer notwendigen stationären Einweisung akute Gefahren für den die Notfallambulanz aufsuchenden Versicherten zu erkennen, zu behandeln oder auszuschließen, darf und muss dieser auch von den Ärzten der Ambulanz der Klägerin erbracht werden. Damit ist der Behandler zur Abrechnung der Leistung berechtigt, soweit der Untersuchungszweck, was hier zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, den in der Legende angegebenen Gebieten zuzurechnen ist.
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin mit der Erbringung der vollständigen Leistungslegende in acht Fällen ihr auf Notfallbehandlung begrenztes Teilnahmerecht überschritten. Denn die Leistungslegende lautet: "Erhebung des Ganzkörperstatus, einschließlich orientierender Untersuchung des ZNS und der Sinnesorgane einschließlich Befragung, Beratung und Dokumentation für die Gebiete Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Kinderheilkunde, einmal im Behandlungsfall (außer bei Kindern bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr)."
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auf die vormals neben der Ziff 60 EBMÄ abrechenbare Ziff. 61 EBM-Ä, die die vollständige Untersuchung mindestens eines Organsystems vergütete, heute nicht mehr zurückgegriffen werden kann, weil sie im Ordinationskomplex der Ziff 1 EBM-Ä aufgegangen ist.
Unter einem Ganzkörperstatus ist eine Untersuchung "von Kopf bis Fuß" zu verstehen (Kölner Kommentar, EBMÄ, Komm. zur GOP 60). Dies erfordert eine Untersuchung aller Organsysteme. Hierbei müssen je nach geäußerten Symptomen, Anamnese und bisherigem Verlauf der klinischen Untersuchung einige solcher Organsysteme vollständig, alle restlichen wenigstens orientierend untersucht werden (vgl. Wetzel-Liebold, Kommentar zum EBM-Ä zu Ziffer 03311). Eine Überprüfung der Funktion der Sinnesorgane, eine orientierende neurologische Untersuchung mit Koordinationsprüfungen und Prüfung des Reflexverhaltens gehören ebenso dazu, wie die Inspektion der Haut, der sichtbaren Schleimhäute, die Perkussion und Auskultation der Brustorgane, die Untersuchung des Abdomens, die Überprüfung des Bewegungsapparates sowie auch einfache Messungen (z.B. Körpergröße, Gewicht, Körpertemperatur, Blutdruck).
Da die Leistungslegende auch die Dokumentation des erhobenen Status beinhaltet, verpflichtet ein Verstoß gegen diese Dokumentationspflicht ebenfalls zur Richtigstellung.
Angesichts dessen hat nach Ansicht des fachkundig besetzten Senats die Einrichtung der Klägerin ihren auf Notfallbehandlung begrenzten Versorgungsauftrag eindeutig dadurch überschritten, als in den Fällen S. S., S.-V. C.; P. W.,, B. L.-S., M. K. und S. J. eine Untersuchung der Extremitäten bzw. des Bewegungsapparates erfolgt ist. Davon abgesehen ist die Erforschung insoweit zumeist auch nicht dokumentiert. Im Rahmen der Notfallbehandlung war bei den Patienten B. L.-S., D. E. M. und M.K. ein Hör- und Sehtest sicher nicht angezeigt. Auch hier fehlt im übrigen häufig eine entsprechende Dokumentation. Eine orientierende neurologische Untersuchung ist für die Patienten P. W. und D. E. M. nicht dokumentiert. In den Fällen S.J. und H.B. fehlt jede Nachvollziehbarkeit, warum nicht nur eine grobe Untersuchung erfolgt ist.
Dagegen fehlt es nach Ansicht des Senats in den Fällen G. R. und M. H. nicht an einem Nachvollziehbarkeitszusammenhang zwischen Diagnosenangabe, Versorgungsauftrag und Leistungsansatz. Jener erscheint nachvollziehbar, weil bei ex-ante-Betrachtung ohne Erhebung eines - vollständig dokumentierten - Ganzkörperstatus die Entstehung akuter Gefahren vor der voraussichtlichen Behandlungsübernahme durch einen Vertragsarzt nicht ausschließbar war. Dies ergibt sich aus der Zusammenschau der Aufnahmediagnosen und der genannten Alkoholintoxikationen, die mit unklaren Angaben einhergegangen sind bzw. die Überprüfung der gemachten Angaben erforderte. Bewusstseinsgetrübte Patienten werden bei entsprechenden Diagnosen häufig zu einer Untersuchung von Kopf bis Fuß zwingen, um verdeckte, gleichwohl akute Gesundheitsgefahren aufdecken zu können. Die Situation erscheint ähnlich der Behandlung jüngerer Kinder, bei denen auch die Beklagte die Notwendigkeit der Ganzkörperstatuserhebung im Rahmen der Notfallversorgung bejaht (vgl. Widerspruchsbescheid vom 05.11.2003, a.E.).
Soweit die Einrichtung der Klägerin Leistungen im Rahmen vorstationärer Versorgung nach § 115 a SGB V erbringt, erfolgt die Vergütung nicht aus der pauschalierten Gesamtvergütung der Vertragsärzte. Entsprechend erfolgt der Abrechnungsweg nicht über die Beklagte, sondern über die Krankenkasse. Wenn sich der Patient danach einer stationären Behandlung verweigert, kann die Leistung nicht der Gesamtvergütung anheim fallen. Im übrigen setzen vorstationäre Leistungen die Überprüfung der Erforderlichkeit vollstationärer Krankenhauseinweisung durch das Krankenhaus nach anderweitiger Verordnung von Krankenhausbehandlung voraus.
Im Hinblick auf die Zukunft und die zwischen den Beteiligten in diesem und anderen Quartalen noch streitige erhebliche Anzahl von Einzelfällen merkt der Senat an:
Aufgrund der gesamtvertraglichen Ausgestaltung der Art und Weise des Leistungsnachweises und der Erhebung einer Vergütungsforderung (Ausgestaltung des Abrechnungswegs) wird die Beklagte auch in Zukunft zu prüfen haben, ob aufgrund der Diagnosenangaben auf dem Abrechnungsausweisen und dem Charakter der Notfallbehandlung es nicht an einem Nachvollziehbarkeitszusammenhang mit dem Ansatz eines Ganzkörperstatusses als teils vollständige, teils orientierende Untersuchung nicht nur vieler, sondern aller Organsysteme fehlt, wobei durchaus auch die Nennung der Ausschluss- und Verdachtsdiagnosen geboten sein kann (Problem der "harmlosen" Enddiagnose nach Ausschluss "bedrohlicher" Verdachtsdiagnosen). Ist der Ansatz nicht nachvollziehbar oder - auch aufgrund sonstiger Hinweise - zweifelhaft, wird die Beklagte ergänzend die Dokumentationen einzusehen bzw. die Leis-tung abzusetzen haben. Sonstige Hinweise können auch in einer unglaubhaft hohen Anzahl von Leistungsansätzen bestehen, die den Schluss auf eine Falschinterpretation der Legende zulässt. Dazu besteht kein Anlass, wenn sich die Leistungshäufigkeit in Ansehung des Klientels einer Notfallambulanz als "unauffällig" darstellt. Hierzu wäre, ausgehend von der von der Klägerin in der Vergangenheit an den Tag gelegten Ansatzhäufigkeit im Verhältnis zur Gesamtfallzahl (nach den klägerischen Angaben im Quartal 2/02 ca. 15 %), anhand einer repräsentativen, weil nach objektiven Kriterien festgelegten Stichprobe zu ermitteln, in wie vielen Fällen der Leistungsansatz nachvollziehbar, weil den Versorgungsauftrag nicht sicher überschreitend erscheint. Angesichts des Fehlens solcher objektiver Kriterien bei der Auswahl des vorgelegten Einzelfallausschnitts und auch angesichts der geringen Zahl von zehn streitgegenständlichen Einzelfällen sieht sich der Senat zu einem konkreten Vorschlag nicht in der Lage. Indes zeigt das Verfahren, dass die Auffassung der Klägerseite zur Höhe der Ansatzhäufigkeit bei weitem überhöht erscheint. Sie dürfte sich wohl eher in einem niedrigen einstelligen Prozentbereich bewegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar.
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