Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 154/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 150/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 KR 2/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 1. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit dem auf Cannabisbasis wirkenden Rezepturarzneimittel Dronabinol.
Dieses Mittel war der Klägerin auf Empfehlung der M.-Klinik, Behandlungszentrum für MS-Kranke, von ihrem Hausarzt zur Linderung der seit 1991 bestehenden Multiplen Sklerose (MS) wiederholt zu Lasten der Beklagten verordnet worden. Nachdem dieser auf die fehlende Verordnungsfähigkeit hingewiesen worden ist, erneuert er die Verordnung nur noch auf Privatrezept. Die direkt angegangene Beklagte lehnt einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesem Arzneimittel ab (Bescheid vom 22.02. und Widerspruchsbescheid vom 21.04.2005), weil ausreichende Erkenntnisse zur Wirksamkeit einerseits und Unbedenklichkeit der Behandlung andererseits der mit der MS einhergehenden Schmerzen und Spastik bislang nicht vorlägen. Die gewählte Behandlungsmethode sei daher von ihr nicht zu leisten. Im Laufe des daraufhin am 20.05.2005 von der Klägerin angestrengten Klageverfahrens hat sie immer wieder die helfende Wirkung des Mittels gegen ihre Schmerzen und Spastiken hervorgehoben. Sie lässt es sich inzwischen etwa alle drei bis vier Monate privat verordnen und zahlt jeweils ca. 270,- EUR für 20 mg ölige Tropfen Dronabinol.
Dazu erneuerte das Behandlungszentrum für MS-Kranke am 12.04.2005 seine Befürwortung des Mittels, weil beim Aufenthalt 2003 das Absetzen der Tropfen zu einer deutlichen Verschlechterung geführt habe. Daher sei die Gabe des Mittels indiziert; zugelassene Mittel hätten keine vergleichbaren Effekte erzielt. Die Beklagte dagegen beruft sich auf eine Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen - MDK - Westfalen-Lippe vom 28.09.2004, wonach Cannabionoide nur im Rahmen von kontrollierten Prüfungen unbedenklich verabreicht werden könnten. Inzwischen war die Klägerin Anfang 2005 und wieder im April und Sommer 2005 im MS-Zentrum stationär u.a. mit Dronabinol Tropfen mit guten Ergebnissen behandelt worden.
Das Sozialgericht hat nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 01.12.2005 die Klage abgewiesen und dazu ausgeführt: Die Behandlung mit Dronabinol sei als Methode vom zuständigen Bundesausschuss noch nicht empfohlen worden und könne daher nach der ständigen Rechtsprechung von der Krankenkasse auch nicht geleistet werden. In der Unterlassung der Beurteilung durch den Bundesausschuss liege auch kein Systemversagen, woraus sich ein Anspruch der Klägerin herleiten könne. Auch fehle es am generellen Nachweis der Wirksamkeit des Mittels, wie sich aus den vorgelegten Studien ergebe. Allein der Umstand, dass die Klägerin offensichtlich auf das Mittel positiv anspreche, führe nicht zur Versorgungspflicht der Beklagten.
Mit der dagegen am 24.05.2006 eingelegten Berufung vergleicht die Klägervertreterin die Situation der Klägerin mit der in dem allen Beteiligten bekannten Beschluss vom 06.12.2005 des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr.5 - und zieht daraus den Schluss, dass bei der Klägerin mangels ausreichender zugelassener Medikamente für ihre Krankheit das verordnete Dronabinol beansprucht werden könne. Die Beklagte, gestützt auf eine Beurteilung des MDK vom 23.06.2006, verneint dagegen die unmittelbare Bedrohung des Lebens bei MS bzw. einen regelmäßig tödlichen Verlauf. Auch würden anerkannte medizinische Standards zur Behandlung vorliegen, die allerdings im vorliegenden Falle ausgeschöpft erschienen.
Nachdem am 27.03.2007 das Bundessozialgericht in zwei Urteilen, B 1 KR 17/06 R und 30/06 R, den Einsatz von cannabinoidhaltigem Arzneimittel zur Schmerztherapie bzw. Immunglobulinen zur MS-Therapie zu Lasten der Krankenversicherung für nicht notwendig erachtet hat, ist unter den Beteiligten streitig, wie weit die dort gefundenen Lösungen auf den vorliegenden Fall übertragbar sind bzw. ob sie für die bei der Klägerin vorhandene Erscheinungsform der MS gelten können.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 01.12.2005 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 22.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bislang angefallenen Kosten für die Beschaffung des Medikaments Dronabinol in Höhe von 2.357,85 EUR zu erstatten und festzustellen, dass sie dem Grunde nach von der Beklagten mit diesem Arzneimittel auch in der Zukunft zu versorgen ist.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und beruft sich auf die Ausführungen des MDK vom 23.06.2006.
Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der vorliegenden Akten und in Sonderheit der darin befindlichen Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerechte Berufung (§§ 144 ff. SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Sie betrifft zwei Streitgegenstände, nämlich einmal die Erstattung bereits angefallener Ausgaben, die die Klägerin auch aktuell beziffert hat und zum anderen die Feststellung bzw. Verpflichtung der Beklagten, auch in der Zukunft bei entsprechendem Bedarf die Arznei als Sachmittel zur Verfügung zu stellen.
Dieser zweite Klageantrag gerichtet auf eine Feststellung ist zulässig im Sinne von § 155 SGG, denn der Klägerin ist es nicht zuzumuten, sich jedesmal das Mittel zu verschaffen und dann auf seine Erstattung zu klagen.
Die Erstattung, wie aber auch die begehrte Feststellung, scheitern beide daran, dass für die Klägerin kein Anspruch auf Versorgung mit den Dronabinol Tropfen im Rahmen der §§ 2, 12, 27 und 31 SGB V besteht und zwar auch nicht nach dem Maßstab grundgesetzlich unmittelbarer Auslegung des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 06.12.2005. Dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, auf den die Berufung vorrangig abstellt, war den Beteiligten und dem Sozialgericht bei Erlass des Urteils am 01.12.2005 noch nicht bekannt. Die das Urteil tragenden Gründe des sozialgerichtlichen Urteils sind zutreffend und entsprechen der Rechtslage, so dass der Senat darauf Bezug nimmt im Sinne von § 153 Abs.2 SGG.
Daneben gilt unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht a.a.O. aufgestellten Grundsätzen und der Übertragung derjenigen des BSG in den beiden benannten Urteilen vom 27.04.2007 nichts anderes.
Für die Kosten der von der Klägerin begehrten und vom Behandlungszentrum MS-Kranke befürwortete Dronabioltherapie hat die Krankenkasse nicht einzustehen.
Das cannabinoidhaltige Mittel wird in Deutschland als Rezeptursubstanz hergestellt und an die Apotheken ausgeliefert unter Beachtung des Betäubungsmittelrechts. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann das zubereitete Medikament von den Apotheken an Käufer abgegeben werden. Die Krankenkassen dürfen jedoch ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit solch einem Rezepturarzneimittel nicht gewähren, wenn es vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht empfohlen worden ist, weil sie an das Verbot des § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden sind. Für die gewünschte Versorgung liegt aber eine entsprechende Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vor (so BSG im Urteil B 1 KR 30/06 R vom 27.03.2007, Rz.12).
Es ist auch nicht so, dass der Bundesausschuss systemwidrig die an sich gebotene Empfehlung unterlassen hat und deswegen die Behandlungsmethode mit Dronabinol der Klägerin zur Verfügung zu stellen ist. Auch insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des BSG im zuletzt genannten Urteil unter Ziffer 13 an. So ist ein sog. Systemversagen anzunehmen, wenn die Anerkennung eines neuen Verfahrens vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden ist. Ein solcher Prüfantrag für cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel ist bislang jedoch nicht gestellt worden und es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass aus sachfremden oder willkürlichen Erwägungen es dazu nicht gekommen ist. Insoweit wird auf das angefochtene SG-Urteil noch einmal ausdrücklich Bezug genommen.
Von den verschiedenen Formen der MS-Erkrankung leidet die Klägerin vermutlich an der primär-chronisch progredienten, allerdings ist in den medizinischen Unterlagen der Klägerin auch vom Auftreten von Schüben im Krankheitsverlauf die Rede, was auf die sekundär-progrediente Verlaufsform hinweist. Eine genaue Zuordnung - so sie überhaupt möglich ist - ist aber im vorliegenden Fall entbehrlich, denn die Verwendung der begehrten Tropfen ist generell aus medizinischen Gründen, unabhängig von ihrer formalen Zulassung, zur Einwirkung auf die klägerische Spastik abzulehnen. Der Senat orientiert sich hier wie auch das BSG im Urteil B 1 KR 17/06 R an den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, zuletzt aktualisiert am 16.10.2004 und recherchiert unter www.uni-düsseldorf.de/AWMF/ll/030-050.htm. Dort heißt es auf Seite 17: "Eine Behandlung der Spastik mit oralen Cannabinoiden, wie sie von Patienten oft angesprochen wird, kann derzeit nicht empfohlen werden, da anhand der vorliegenden Studien keine eindeutige Wirkung belegt werden konnte (Killestein et al. 2004, Zajicek et al. 2003)." Dieser Beurteilung hat sich auch der MDK angeschlossen. Verständlicherweise wird die Klägerin diese Einschätzung nicht teilen und auf die von ihr verspürte positive Wirkung hinweisen, die von dem Behandlungszentrum für MS-Kranke bestätigt worden ist. Es gibt aber keinen Grundsatz, dass von der Krankenkasse stets all das zu leisten ist, was einem Versicherten von Nutzen ist. Ein im Einzelfall eingetretener Behandlungserfolg, der hier in der Vermeidung von Rollstuhlbenutzung liegen soll, auch wenn nachgewiesen ist, worauf genau er zurückzuführen ist, reicht zur Leistungspflicht nicht aus, wenn die streitige Therapie wissenschaftlich nicht ausreichend anerkannt ist, um den sich für den Behandlungs- und Versorgungsanspruch aus § 2 Abs.1 und § 12 Abs.1 ergebenden Einschränkungen genügen zu können (BSG vom 27.03.2007 B 1 KR 17/06 Rz.17). Verneinen aber die Leitlinien die Wirksamkeit des aus Hanfblüten gewonnenen Mittels, kann von einer wissenschaftlichen Anerkennung nicht die Rede sein. Daher orientiert sich der Senat in Ermangelung verbindlicher Regelung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss - Bewertungen nach den zum 01.04.2007 eingeführten § 35b SGB V liegen noch nicht vor - an eben diesen Aussagen der Leitlinien der dazu berufenen Gesellschaft für Neurologie.
Aber auch wenn man auf den Einzelfall hinsichtlich der positiven Wirkung der Tropfen abstellt, untermauert durch die Therapieerfolge des MS-Kompetenzzentrums, führt dies nicht zur Leistungspflicht der Beklagten. Denn die Auslegungsgrundsätze des Leistungsumfanges nach dem SGB V durch das Bundesverfassungsgericht im erwähnten Beschluss lassen sich im Falle der Klägerin nicht heranziehen. Danach lassen sich die Leistungseinschränkungen aus § 135 SGB V dann beiseite schieben, wenn neben weiteren Voraussetzungen eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Hier hat die danach ergangene Rechtsprechung des BSG, bestätigt im Urteil B 1 KR 30/06 vom 27.03.2007 unter Rz.16, strenge Kriterien für erforderlich erachtet, um von einer lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung ausgehen zu können, denn nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung wird irgendwann zu einem letalen Ausgang führen. Dass die MS bei der Klägerin eine schwerwiegende Beeinträchtigung darstellt, steht außer Zweifel. Ohne die schweren Einschränkungen bei der Klägerin in irgendeiner Weise bagatellisieren zu wollen, ist jedoch festzustellen, dass die von der Klägerin bereits schon viele Jahre ertragene Krankheit insgesamt nicht als regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit angesehen wird. Die Klägerin befindet sich also nicht in einer notstandsähnlichen Situation im Sinne einer "in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik sich befindet, der tödliche Ausgang also absehbar wäre, wenn die besagten Tropfen nicht gegeben würden". Die Lebenserwartung der Patienten mit Multipler Sklerose hat sich in den letzten Jahrzehnten ständig verbessert (so Suchenwirth u.a., Neurologische Begutachtung, 3. Auflage 2000, S.358 oder Schmidt, Multiple Sklerose, 2. Auflage, Jena 1992, S.60 oder Aufsatz "Was ist Multiple Sklerose?", Internet unter http://www.myelin.de/beschreibungen/was ist multiple sklerose mit dem Hinweis, dass sich in der Regel ab einem bestimmten Punkt die Multiple Sklerose nicht weiter verschlimmere (in diesem Sinne auch 5. Senat BayLSG vom 31.07.2007 L 5 KR 322/06). Ist also das Merkmal "regelmäßig tödlicher Verlauf" zu verneinen, bleibt es bei dem Ergebnis, dass die Behandlung mit Dronabinol von dem dafür zuständigen Bundesausschuss nicht empfohlen worden ist, die Leitlinien der Gesellschaft für Neurologie einen Nutzen verneinen und somit die Krankenkasse ihrer Versicherten das Mittel nicht zur Verfügung zu stellen hat. Der mit der Gabe von Dronabinol begründete, gelegentliche Verzicht auf den Rollstuhl lässt sich wertungsmäßig nicht mit einer tödlichen Bedrohung gleichsetzen, so dass auch aus dieser Überlegung heraus die Beklagte nicht zu der begehrten Leistung verpflichtet werden kann.
Angesichts des Verfahrensausgangs besteht kein Anlass, der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision ist in Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung nicht zuzulassen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit dem auf Cannabisbasis wirkenden Rezepturarzneimittel Dronabinol.
Dieses Mittel war der Klägerin auf Empfehlung der M.-Klinik, Behandlungszentrum für MS-Kranke, von ihrem Hausarzt zur Linderung der seit 1991 bestehenden Multiplen Sklerose (MS) wiederholt zu Lasten der Beklagten verordnet worden. Nachdem dieser auf die fehlende Verordnungsfähigkeit hingewiesen worden ist, erneuert er die Verordnung nur noch auf Privatrezept. Die direkt angegangene Beklagte lehnt einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesem Arzneimittel ab (Bescheid vom 22.02. und Widerspruchsbescheid vom 21.04.2005), weil ausreichende Erkenntnisse zur Wirksamkeit einerseits und Unbedenklichkeit der Behandlung andererseits der mit der MS einhergehenden Schmerzen und Spastik bislang nicht vorlägen. Die gewählte Behandlungsmethode sei daher von ihr nicht zu leisten. Im Laufe des daraufhin am 20.05.2005 von der Klägerin angestrengten Klageverfahrens hat sie immer wieder die helfende Wirkung des Mittels gegen ihre Schmerzen und Spastiken hervorgehoben. Sie lässt es sich inzwischen etwa alle drei bis vier Monate privat verordnen und zahlt jeweils ca. 270,- EUR für 20 mg ölige Tropfen Dronabinol.
Dazu erneuerte das Behandlungszentrum für MS-Kranke am 12.04.2005 seine Befürwortung des Mittels, weil beim Aufenthalt 2003 das Absetzen der Tropfen zu einer deutlichen Verschlechterung geführt habe. Daher sei die Gabe des Mittels indiziert; zugelassene Mittel hätten keine vergleichbaren Effekte erzielt. Die Beklagte dagegen beruft sich auf eine Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen - MDK - Westfalen-Lippe vom 28.09.2004, wonach Cannabionoide nur im Rahmen von kontrollierten Prüfungen unbedenklich verabreicht werden könnten. Inzwischen war die Klägerin Anfang 2005 und wieder im April und Sommer 2005 im MS-Zentrum stationär u.a. mit Dronabinol Tropfen mit guten Ergebnissen behandelt worden.
Das Sozialgericht hat nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 01.12.2005 die Klage abgewiesen und dazu ausgeführt: Die Behandlung mit Dronabinol sei als Methode vom zuständigen Bundesausschuss noch nicht empfohlen worden und könne daher nach der ständigen Rechtsprechung von der Krankenkasse auch nicht geleistet werden. In der Unterlassung der Beurteilung durch den Bundesausschuss liege auch kein Systemversagen, woraus sich ein Anspruch der Klägerin herleiten könne. Auch fehle es am generellen Nachweis der Wirksamkeit des Mittels, wie sich aus den vorgelegten Studien ergebe. Allein der Umstand, dass die Klägerin offensichtlich auf das Mittel positiv anspreche, führe nicht zur Versorgungspflicht der Beklagten.
Mit der dagegen am 24.05.2006 eingelegten Berufung vergleicht die Klägervertreterin die Situation der Klägerin mit der in dem allen Beteiligten bekannten Beschluss vom 06.12.2005 des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr.5 - und zieht daraus den Schluss, dass bei der Klägerin mangels ausreichender zugelassener Medikamente für ihre Krankheit das verordnete Dronabinol beansprucht werden könne. Die Beklagte, gestützt auf eine Beurteilung des MDK vom 23.06.2006, verneint dagegen die unmittelbare Bedrohung des Lebens bei MS bzw. einen regelmäßig tödlichen Verlauf. Auch würden anerkannte medizinische Standards zur Behandlung vorliegen, die allerdings im vorliegenden Falle ausgeschöpft erschienen.
Nachdem am 27.03.2007 das Bundessozialgericht in zwei Urteilen, B 1 KR 17/06 R und 30/06 R, den Einsatz von cannabinoidhaltigem Arzneimittel zur Schmerztherapie bzw. Immunglobulinen zur MS-Therapie zu Lasten der Krankenversicherung für nicht notwendig erachtet hat, ist unter den Beteiligten streitig, wie weit die dort gefundenen Lösungen auf den vorliegenden Fall übertragbar sind bzw. ob sie für die bei der Klägerin vorhandene Erscheinungsform der MS gelten können.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 01.12.2005 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 22.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bislang angefallenen Kosten für die Beschaffung des Medikaments Dronabinol in Höhe von 2.357,85 EUR zu erstatten und festzustellen, dass sie dem Grunde nach von der Beklagten mit diesem Arzneimittel auch in der Zukunft zu versorgen ist.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und beruft sich auf die Ausführungen des MDK vom 23.06.2006.
Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der vorliegenden Akten und in Sonderheit der darin befindlichen Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerechte Berufung (§§ 144 ff. SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Sie betrifft zwei Streitgegenstände, nämlich einmal die Erstattung bereits angefallener Ausgaben, die die Klägerin auch aktuell beziffert hat und zum anderen die Feststellung bzw. Verpflichtung der Beklagten, auch in der Zukunft bei entsprechendem Bedarf die Arznei als Sachmittel zur Verfügung zu stellen.
Dieser zweite Klageantrag gerichtet auf eine Feststellung ist zulässig im Sinne von § 155 SGG, denn der Klägerin ist es nicht zuzumuten, sich jedesmal das Mittel zu verschaffen und dann auf seine Erstattung zu klagen.
Die Erstattung, wie aber auch die begehrte Feststellung, scheitern beide daran, dass für die Klägerin kein Anspruch auf Versorgung mit den Dronabinol Tropfen im Rahmen der §§ 2, 12, 27 und 31 SGB V besteht und zwar auch nicht nach dem Maßstab grundgesetzlich unmittelbarer Auslegung des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 06.12.2005. Dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, auf den die Berufung vorrangig abstellt, war den Beteiligten und dem Sozialgericht bei Erlass des Urteils am 01.12.2005 noch nicht bekannt. Die das Urteil tragenden Gründe des sozialgerichtlichen Urteils sind zutreffend und entsprechen der Rechtslage, so dass der Senat darauf Bezug nimmt im Sinne von § 153 Abs.2 SGG.
Daneben gilt unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht a.a.O. aufgestellten Grundsätzen und der Übertragung derjenigen des BSG in den beiden benannten Urteilen vom 27.04.2007 nichts anderes.
Für die Kosten der von der Klägerin begehrten und vom Behandlungszentrum MS-Kranke befürwortete Dronabioltherapie hat die Krankenkasse nicht einzustehen.
Das cannabinoidhaltige Mittel wird in Deutschland als Rezeptursubstanz hergestellt und an die Apotheken ausgeliefert unter Beachtung des Betäubungsmittelrechts. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann das zubereitete Medikament von den Apotheken an Käufer abgegeben werden. Die Krankenkassen dürfen jedoch ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit solch einem Rezepturarzneimittel nicht gewähren, wenn es vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht empfohlen worden ist, weil sie an das Verbot des § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden sind. Für die gewünschte Versorgung liegt aber eine entsprechende Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vor (so BSG im Urteil B 1 KR 30/06 R vom 27.03.2007, Rz.12).
Es ist auch nicht so, dass der Bundesausschuss systemwidrig die an sich gebotene Empfehlung unterlassen hat und deswegen die Behandlungsmethode mit Dronabinol der Klägerin zur Verfügung zu stellen ist. Auch insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des BSG im zuletzt genannten Urteil unter Ziffer 13 an. So ist ein sog. Systemversagen anzunehmen, wenn die Anerkennung eines neuen Verfahrens vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden ist. Ein solcher Prüfantrag für cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel ist bislang jedoch nicht gestellt worden und es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass aus sachfremden oder willkürlichen Erwägungen es dazu nicht gekommen ist. Insoweit wird auf das angefochtene SG-Urteil noch einmal ausdrücklich Bezug genommen.
Von den verschiedenen Formen der MS-Erkrankung leidet die Klägerin vermutlich an der primär-chronisch progredienten, allerdings ist in den medizinischen Unterlagen der Klägerin auch vom Auftreten von Schüben im Krankheitsverlauf die Rede, was auf die sekundär-progrediente Verlaufsform hinweist. Eine genaue Zuordnung - so sie überhaupt möglich ist - ist aber im vorliegenden Fall entbehrlich, denn die Verwendung der begehrten Tropfen ist generell aus medizinischen Gründen, unabhängig von ihrer formalen Zulassung, zur Einwirkung auf die klägerische Spastik abzulehnen. Der Senat orientiert sich hier wie auch das BSG im Urteil B 1 KR 17/06 R an den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, zuletzt aktualisiert am 16.10.2004 und recherchiert unter www.uni-düsseldorf.de/AWMF/ll/030-050.htm. Dort heißt es auf Seite 17: "Eine Behandlung der Spastik mit oralen Cannabinoiden, wie sie von Patienten oft angesprochen wird, kann derzeit nicht empfohlen werden, da anhand der vorliegenden Studien keine eindeutige Wirkung belegt werden konnte (Killestein et al. 2004, Zajicek et al. 2003)." Dieser Beurteilung hat sich auch der MDK angeschlossen. Verständlicherweise wird die Klägerin diese Einschätzung nicht teilen und auf die von ihr verspürte positive Wirkung hinweisen, die von dem Behandlungszentrum für MS-Kranke bestätigt worden ist. Es gibt aber keinen Grundsatz, dass von der Krankenkasse stets all das zu leisten ist, was einem Versicherten von Nutzen ist. Ein im Einzelfall eingetretener Behandlungserfolg, der hier in der Vermeidung von Rollstuhlbenutzung liegen soll, auch wenn nachgewiesen ist, worauf genau er zurückzuführen ist, reicht zur Leistungspflicht nicht aus, wenn die streitige Therapie wissenschaftlich nicht ausreichend anerkannt ist, um den sich für den Behandlungs- und Versorgungsanspruch aus § 2 Abs.1 und § 12 Abs.1 ergebenden Einschränkungen genügen zu können (BSG vom 27.03.2007 B 1 KR 17/06 Rz.17). Verneinen aber die Leitlinien die Wirksamkeit des aus Hanfblüten gewonnenen Mittels, kann von einer wissenschaftlichen Anerkennung nicht die Rede sein. Daher orientiert sich der Senat in Ermangelung verbindlicher Regelung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss - Bewertungen nach den zum 01.04.2007 eingeführten § 35b SGB V liegen noch nicht vor - an eben diesen Aussagen der Leitlinien der dazu berufenen Gesellschaft für Neurologie.
Aber auch wenn man auf den Einzelfall hinsichtlich der positiven Wirkung der Tropfen abstellt, untermauert durch die Therapieerfolge des MS-Kompetenzzentrums, führt dies nicht zur Leistungspflicht der Beklagten. Denn die Auslegungsgrundsätze des Leistungsumfanges nach dem SGB V durch das Bundesverfassungsgericht im erwähnten Beschluss lassen sich im Falle der Klägerin nicht heranziehen. Danach lassen sich die Leistungseinschränkungen aus § 135 SGB V dann beiseite schieben, wenn neben weiteren Voraussetzungen eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Hier hat die danach ergangene Rechtsprechung des BSG, bestätigt im Urteil B 1 KR 30/06 vom 27.03.2007 unter Rz.16, strenge Kriterien für erforderlich erachtet, um von einer lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung ausgehen zu können, denn nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung wird irgendwann zu einem letalen Ausgang führen. Dass die MS bei der Klägerin eine schwerwiegende Beeinträchtigung darstellt, steht außer Zweifel. Ohne die schweren Einschränkungen bei der Klägerin in irgendeiner Weise bagatellisieren zu wollen, ist jedoch festzustellen, dass die von der Klägerin bereits schon viele Jahre ertragene Krankheit insgesamt nicht als regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit angesehen wird. Die Klägerin befindet sich also nicht in einer notstandsähnlichen Situation im Sinne einer "in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik sich befindet, der tödliche Ausgang also absehbar wäre, wenn die besagten Tropfen nicht gegeben würden". Die Lebenserwartung der Patienten mit Multipler Sklerose hat sich in den letzten Jahrzehnten ständig verbessert (so Suchenwirth u.a., Neurologische Begutachtung, 3. Auflage 2000, S.358 oder Schmidt, Multiple Sklerose, 2. Auflage, Jena 1992, S.60 oder Aufsatz "Was ist Multiple Sklerose?", Internet unter http://www.myelin.de/beschreibungen/was ist multiple sklerose mit dem Hinweis, dass sich in der Regel ab einem bestimmten Punkt die Multiple Sklerose nicht weiter verschlimmere (in diesem Sinne auch 5. Senat BayLSG vom 31.07.2007 L 5 KR 322/06). Ist also das Merkmal "regelmäßig tödlicher Verlauf" zu verneinen, bleibt es bei dem Ergebnis, dass die Behandlung mit Dronabinol von dem dafür zuständigen Bundesausschuss nicht empfohlen worden ist, die Leitlinien der Gesellschaft für Neurologie einen Nutzen verneinen und somit die Krankenkasse ihrer Versicherten das Mittel nicht zur Verfügung zu stellen hat. Der mit der Gabe von Dronabinol begründete, gelegentliche Verzicht auf den Rollstuhl lässt sich wertungsmäßig nicht mit einer tödlichen Bedrohung gleichsetzen, so dass auch aus dieser Überlegung heraus die Beklagte nicht zu der begehrten Leistung verpflichtet werden kann.
Angesichts des Verfahrensausgangs besteht kein Anlass, der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision ist in Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung nicht zuzulassen.
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