L 4 KR 246/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KR 89/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 246/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin in der Zeit vom 12.04.1996 bis 31.05.2002 bei der Beklagten versichert war.

Die 1942 geborene Klägerin ist seit 12.04.1996 Eigentümerin des land- und forstwirtschaftlichen Unternehmens A. mit knapp 70 ha Wald. Sie lebt in Z. und hat in der streitgegenständlichen Zeit dort ihren Hauptwohnsitz gehabt und als Lehrerin gearbeitet. Sie war bei der S. Gesundheitsorganisation in der Schweiz krankenversichert. Nach ihren Angaben besteht in der Schweiz eine gesetzliche Verpflichtung zum Krankenversicherungsschutz mit der Möglichkeit, freiwillige Zusatzleistungen zu versichern. Von dieser Möglichkeit habe sie Gebrauch gemacht.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 28.11.2000 festgestellt, die Klägerin sei ab 12.04.1996 als landwirtschaftliche Unternehmerin, deren Unternehmen die Mindestgröße im Sinne des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte erreicht, bei ihr kranken- und pflegeversichert. Sie forderte für die Zeit vom 12.04.1996 bis 31.10.2000 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 7.586,85 DM nach und ab 01.11.2000 Beiträge von insgesamt 146,94 DM monatlich. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie ausführte, es sei zwar richtig, dass sie seit 12.04.1996 Eigentümerin des Besitzes A. sei, sie lebe aber ständig im Ausland und sei auch dort krankenversichert. Eine doppelte Krankenversicherung sei nicht zumutbar. Eine Pflichtversicherung, die keine Behandlung im Ausland ermögliche, sei außerdem ein Anachronismus. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2001 zurückgewiesen. Die Klägerin sei gemäß § 2 Abs.1 Nr.1 KVLG 1989 Kraft Gesetzes in der Krankenversicherung der Landwirte als Unternehmerin versichert, weil das Unternehmen die Mindestgröße im Sinne des § 1 Abs.5 ALG erreiche. Die Mitgliedschaft entfalle nach § 3 Abs.1 KVLG 1989 nur dann, wenn nach anderen gesetzlichen Vorschriften für den Fall der Krankheit eine vorrangige Versicherungspflicht gegeben sei. Hierzu habe das Bundessozialgericht bereits mit Urteil vom 09.02.1984 (12 RK 11/82) entschieden, dass ausländische Rechtsvorschriften keine gesetzlichen Vorschriften im Sinne des § 3 Abs.1 Satz 1 KVLG 72 bzw. 89 seien. Deshalb führe die Krankenversicherung in der Schweiz, die zwar im Wesentlichen die gleichen Leistungen wie die LKK erbringe, nicht zum Wegfall der Versicherungspflicht. Im Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz über soziale Sicherheit sei keine Regelung zur vorliegenden Falllage getroffen. Es finde Artikel 5 des Abkommens Anwendung, dessen Abs.1 bestimme, dass, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit im Gebiet einer Vertragspartei ausgeübt werde, gelten für die Pflichtversicherung die Rechtsvorschriften dieser Vertragspartei. In der Bundesrepublik bestehe keine ausschließende Vorrangversicherung. Die Klägerin sei landwirtschaftliche Unternehmerin, weil sie auch während ihres Auslandaufenthaltes ihr landwirtschaftliches Unternehmen auf ihre Rechnung weiterführen lasse und das Risiko für ihren landwirtschaftlichen Betrieb behalten habe. Das BSG habe auch mit Urteil vom 17.08.2000 - B 10 KR 2/99 R Breith 01, 31 bei einem Kläger, der sein landwirtschaftliches Unternehmen mit insbesondere forstwirtschaftlichen Flächen im Inland bewirtschafte und seinen Wohnsitz in den USA hat, Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer festgestellt. Die rückwirkende Beitragserhebung ab 12.04.1996 verstoße nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Nach ständige Rechtsprechung könne grundsätzlich jede Beitragsforderung zu Recht geltend gemacht werden, die noch nicht verjährt sei. Die vom Unternehmer selbst zu tragenden Beiträge könnten deshalb nachgefordert werden und seien von der Klägerin zu zahlen.

Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 06.04.2001 beim Sozialgericht eingegangene Klage, zu deren Begründung die Klägerin vortrug, die Beklagte übersehe bei ihrer Entscheidung den Sinn und Zweck einer gesetzlichen Krankenversicherung und kehre diesen im Ergebnis in sein genaues Gegenteil um. Der Forstbesitz in A. sei nicht ihre Existenzgrundlage. Sie sei keine Unternehmerin und habe keine Aufträge im Wald erteilt, sondern habe den gesamten Wald an einen eigenständigen Forstunternehmer übertragen, der in eigener Regie die Waldarbeiten durchführt und auf eigene Rechnung das Holz verkauft habe. Der Forstunternehmer sei selbst bei der LKK versichert. Diese Form der Bewirtschaftung sei wirtschaftlich gleichzustellen mit einer Verpachtung des Waldes und führe zu einer Befreiung von der Versicherungspflicht. Ihre Schweizer Krankenversicherung decke jeden Krankheitsfall in der ganzen Welt, soweit sie bei Aufenthalten in Deutschland ärztliche Hilfe in Anspruch genommen habe, habe die schweizer Krankenversicherung bezahlt. Im Laufe des Sozialgerichtsverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 11.08.2003 festgestellt, dass die Mitgliedschaft der Klägerin als landwirtschaftliche Unternehmerin mit Ablauf des 31.05.2002 beendet war. Für die Zeit vom 01.10.2000 bis 31.05.2002 werden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.534,52 EUR gefordert.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.05.2005 abgewiesen. Nach § 2 Abs.1 Nr.1 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) sei die Klägerin als Unternehmerin der Land- und Forstwirtschaft versicherungspflichtig. Das landwirtschaftliche Unternehmen erreiche unstreitig die Mindestgröße im Sinne des § 1 Abs.5 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Das forstwirtschaftliche Unternehmen werde von der Klägerin auch über den 31.07.1999 hinaus betrieben. Es sei nicht einer Verpachtung gleichzusetzen, dass die Klägerin seit 01.08.1999 keine eigenen Arbeitnehmer mehr beschäftige und für Dienstleitungen, die im Wald zu erbringen sind, einen selbständigen Forstunternehmer beauftragt habe. Die Klägerin bleibe als Eigentümerin Nutzungsberechtigte. Unerheblich sei auch, dass die Klägerin in der Schweiz auf Grund ihrer dortigen Tätigkeit versicherungspflichtig ist. Das bis 31.05.2002 geltende Abkommen über soziale Sicherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz regele, dass die Rechtsvorschriften der Vertragspartei gelten, in denen die Tätigkeit ausgeübt wird.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 29.08.2005 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung, zu deren Begründung die Klägerin vorträgt, es verstoße gegen das Grundgesetz und gegen europäisches Recht, wenn ihr eine Pflichtversicherung aufgebürdet und gleichzeitig mitgeteilt werde, dass sie wegen des Wohnsitzes im Ausland keinen Anspruch auf Erstattung von Krankheitskosten habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.05.2005 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 28 11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2001 aufzuheben, hilfsweise die Klägerin im streitigen Zeitraum von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das von der Klägerin zitierte Urteil nicht für einschlägig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet

Die Beklagte und das Sozialgericht haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin in der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig war und verpflichtet ist, Beiträge zu bezahlen. Die Versicherungspflicht ergibt sich aus § 2 Abs.1 Nr.1 KVLG 1989, wonach Unternehmer der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Wein- und Gartenbaus sowie der Teichwirtschaft und Fischzucht (landwirtschaftliche Unternehmer), deren Unternehmen, unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, auf Bodenbewirtschaftung beruht und die Mindestgröße erreicht, versicherungspflichtig sind. Die Klägerin war in der streitgegenständlichen Zeit Unternehmerin der Forstwirtschaft. Dass ihr Unternehmen die Mindestgröße erreicht, steht fest und ist unbestritten. Es handelt sich um ein forstwirtschaftliches Unternehmen, das die Klägerin in Deutschland im Geltungsbereich des SGB selbständig als Unternehmerin betreibt (§ 2 Abs.3 Satz 1 KVLG 1989). Unternehmer der Forstwirtschaft ist, wer sich forstwirtschaftlich betätigt. Für die Unternehmereigenschaft spielt keine Rolle, ob die Klägerin eigene Arbeitnehmer beschäftigt oder selbständige Dienstleister beauftragt. Damit hat die Klägerin, anders als bei einer Verpachtung, die unternehmerische Entscheidungsmöglichkeit nicht aus der Hand gegeben.

Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 17.08.2000 (a.a.O.) hierzu festgestellt, dass die gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung im SGB IV die Anwendung des § 2 Abs.1 Nr.1 KVLG 1989 auf einen Fall wie den der Klägerin rechtswirksam vorschreiben. Es führt aus, dass unbeschadet des in § 30 Abs.1 SGB 1 verankerten Wohnsitzprinzips hier gemäß § 37 Satz 1 SGB I die in § 3 SGB IV aufgestellte Bestimmung des persönlichen und räumliche Geltungsbereiches anzuwenden ist:

"Die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung gelten,

1. soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich diese Gesetzes beschäftigt oder selbständig tätig sind,

2. soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit nicht voraussetzen, für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich diese Gesetzes haben."

§ 3 SGB IV stellt damit in Fragen der Versicherungspflicht (hier gemäß § 2 KVLG 1989) klar, dass der Wohnsitz oder ständige Aufenthalt im Ausland u.a. dann nicht den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Entscheidung gibt, ob deutsches Sozialversicherungsrecht anwendbar ist, wenn eine selbständige Tätigkeit zur Beurteilung steht. Die Klägerin übt ihre selbständige Tätigkeit als Forstwirtschaftliche Unternehmerin im Geltungsbereich des SGB IV aus. Für die Abgrenzung des persönlichen und räumlichen Geltungsbereichs der Versicherung bezieht sich § 3 Nr1 SGB IV auf die gesetzlichen Definitionen, die zur Beschäftigung und selbständigen Tätigkeit in den §§ 7 bis 13 SGB IV getroffen sind. Eine eigene Bestimmung des Tätigkeitsortes trifft das Gesetz in § 11 SGB IV indessen nicht, sondern ordnet die entsprechende Geltung der Vorschriften über den Beschäftigungsort an, soweit sich nicht aus § 11 Abs.2 SGB IV Abweichendes ergibt. Eine forstwirtschaftliche Tätigkeit kann im Schwerpunkt nur dort tatsächlich ausgeübt werden, wo die bewirtschafteten Nutzflächen liegen. Damit übt die Klägerin ihre Tätigkeit als forstwirtschaftliche Unternehmerin auf ihren in Deutschland gelegenen forstwirtschaftlichen Flächen dort und nicht an ihrem Wohnsitz in der Schweiz aus. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass die Klägerin zur Ausübung ihrer tatsächlichen Tätigkeit nicht ihren Wohnsitz in der Schweiz verlassen und sich dazu nicht vor Ort nach Deutschland begeben muss. Der maßgebliche Begriff der selbständigen unternehmerischen Tätigkeit hat das Betreiben des forstwirtschaftlichen Unternehmens im Ergebnis im Blick und kann damit nicht von dem Betrieb im materiellen Sinn vor Ort gelöst werden. Damit liegt der Schwerpunkt der forstwirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin dort, wo die konkreten Bewirtschaftungsmaßnamen erfolgen, nämlich auf den Grundstücken in Deutschland. Der Versicherungspflicht der Klägerin stand im streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht über- oder zwischenstaatliches Recht entgegen. Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits ist erst am 01.07.2002 in Kraft getreten, so dass erst ab diesem Tag die EWG-Verordnung 1408/71 auch im Hinblick auf die Schweiz Anwendung findet. Nach dem Grundsatz des Artikel 14 c Buchstabe a dieser Verordnung ist vorrangig die Pflichtversicherung als Arbeitnehmer in der Schweiz. Dieser neuen Rechtslage folgend, hat die Beklagte die Pflichtmitgliedschaft zum 31.05.2002 beendet.

Das Bundessozialgericht hat im oben zitierten Urteil auch entschieden, dass gegen die Beitragspflicht ohne Möglichkeit, Leistungen in Anspruch zu nehmen, keine unüberwindlichen verfassdungsrechtlichen Bedenken bestehen. Auch wenn die Klägerin wegen ihrer Pflichtversicherung in der Schweiz des Schutzes der deutschen Krankenversicherung nicht bedarf, bleibt sie als forstwirtschaftliche Unternehmerin in Deutschland Teil der hiesigen Wirtschafts- und Solidargemeinschaft. Es liegt daher, wie das Bundessozialgericht ausführt, auch im staatliche Interesse an einer gerechten Wettbewerbsordnung, wenn die Heranziehung zur Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung alle landwirtschaftlichen Unternehmen gleichermaßen trifft.

Die Klägerin ist auch nicht durch einen anderen gesetzlichen Tatbestand von der Versicherungspflicht und den belastenden Beiträgen befreit. Sie erfüllt keine der in den § 3a, 4 KVLG 1989 vorgesehenen Tatbestandsvoraussetzungen. Damit war die Klägerin im streitgegenständliche Zeitraum zur Zahlung von Beiträgen gemäß § 47 KVLG verpflichtet. Damit ist auch der Bescheid vom 11.08.2003, den die Klägerin wohl nur insoweit angreift, als Beiträge verlangt werden und nicht, als er die Mitgliedschaft beendet, rechtmäßig. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.

Gründe die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind schon wegen der geänderten Gesetzeslage nicht gegeben, der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Rechtskraft
Aus
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