L 4 KR 287/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 218/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 287/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 22. September 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme für eine funktionsanalytische und funktionstherapeutische zahnärztliche Behandlung (1.410,87 Euro).

Die 1952 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin ließ von dem Zahnarzt Dr. F. (A.) am 10. März 2005 einen privatzahnärztlichen Heil- und Kostenplan erstellen. Das zahnärztliche Honorar wurde mit 1.103,25 Euro, die Auslagen wurden mit 420,29 Euro geschätzt (Gesamtkosten 1.523,54 Euro). Der Heil- und Kostenplan enthielt die Patientenerklärung nach § 7 Abs. 2 Ersatzkassenvertrag - Zahnärzte, mit der der Klägerin mitgeteilt wurde, dass der Zahnarzt sie über eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Behandlung in Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung informiert habe, sie ausdrücklich eine darüber hinausgehende Versorgung entsprechend dem Behandlungsplan als Privatpatientin wünsche und sich verpflichte, die Kosten selbst zu tragen. Die Klägerin übersandte am 13. März 2005 der Beklagten den Heil- und Kostenplan.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12. April 2005 die Kostenübernahme für die funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Maßnahmen ab, sie seien nicht Teil der zahnärztlichen Behandlung und dürften von den Krankenkassen nicht bezuschusst werden.

Die Klägerin machte mit dem dagegen am 12. Mai 2005 eingelegten Widerspruch geltend, der von ihr zunächst konsultierte Kieferchirurg habe eine regelwidrige Gebissfunktion (graniomandibuläre Dysfunktion) festgestellt und sie an einen hierfür spezialisierten Zahnarzt überwiesen. Es sei nicht verständlich, dass sie Kosten für die ursächliche Schmerzbeseitigung zu tragen habe.

Die Beklagte gab der Klägerin mit Schreiben vom 8. Juni 2005 eine Zwischenmitteilung und wies mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2005 den Widerspruch zurück; funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen seien gesetzlich ausdrücklich aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen und dürften von den Krankenkassen nicht bezuschusst werden. Auch die hierbei geplante spezielle Aufbissschiene sei im Rahmen der Funktionstherapie keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse.

Die Klägerin hat mit der Klage vom 6. Juli 2005 beim Sozialgericht Augsburg (SG) geltend gemacht, durch den Fehlbiss des Kiefers werde nur ein Kontakt zwischen Ober- und Unterkiefer hergestellt; dies habe zur Folge, dass sich Muskeln verspannen, den Nerv reizen und eine Überlastung des Zahnes eintrete. Ihr Zahnarzt habe mitgeteilt, dass die Behandlungskosten von der Krankenkasse nicht übernommen würden. Nach der funktionstherapeutischen Behandlung sei beim Biss der Kontakt wieder hergestellt, und die Schmerzen seien nicht mehr aufgetreten. Die Beklagte sei zur Kostenübernahme (1.410,87 Euro) verpflichtet.

Das SG hat die Klägerin mit Schreiben vom 20. Juli 2005 auf den gesetzlichen Leistungsausschluss für funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen hingewiesen und den Erlass eines Gerichtsbescheids angekündigt. Die Klägerin hat sich hierzu nicht mehr geäußert.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 22. September 2005 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten in Höhe von 1.410,87 Euro. Der Gesetzgeber habe zur Vermeidung einer gravierenden Kostensteigerung in der gesetzlichen Krankenversicherung den Leistungskatalog in der zahnärztlichen Versorgung durch Herausnahme der funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Maßnahmen eingeschränkt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 14. Oktober 2005, mit der sie erneut auf ihren Behandlungsanspruch nach dem SGB V, den Erfolg der Behandlung, die der Schmerztherapie und Zahnerhaltung gedient habe, und eine Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit vom 15. Dezember 2005 Bezug nimmt. Im Anhang zu dieser Auskunft weist das Bundesministerium für Gesundheit darauf hin, dass außervertragliche Leistungen wie implantologische, funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen nicht in den Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung fallen und daher von den Krankenkassen weder getragen noch bezuschusst werden können.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 22. September 2005 sowie des Bescheids vom 12. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2005 zu verurteilen, die Kosten für die funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Maßnahmen in Höhe von 1.410,87 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht, in der von den Beteiligten niemand erschienen ist, wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 Euro (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden.

Das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten der privatzahnärztlich durchgeführten funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Maßnahmen abgelehnt.

Anspruchsgrundlage ist hier § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V), wonach die Krankenkasse Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten hat, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung entweder nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und die Leistung notwendig war.

Unter die Unaufschiebbarkeit (erste Alternative) der ärztlichen Leistung zählen insbesondere krankenversicherungsrechtliche Notfälle (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V), die hauptsächlich dann vorliegen, wenn die Behandlung durch einen Vertragsarzt nicht möglich oder nicht zumutbar und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nicht-Vertragsarztes angewiesen ist. Unaufschiebbarkeit wird auch angenommen bei anderen dringlichen Bedarfslagen, wie z.B. Systemversagen, Systemstörungen oder Versorgungslücken. Derartige Umstände sind von der Klägerin weder geltend gemacht worden noch aus den Akten ersichtlich.

Es geht vielmehr um den Umfang des Versicherungsschutzes, d.h. um die Frage, ob die bei der Klägerin durchgeführte funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahme (Aufbissschiene) überhaupt Gegenstand der vertragszahnärztlichen Versorgung ist. Dies ist zu verneinen. Die Beklagte hat die streitige Leistung zu Recht abgelehnt (§ 13 Abs. 3 Satz 1 zweite Alternative SGB V). Die Klägerin verweist zwar auf §§ 27, 28 SGB V. Danach umfasst der globale Anspruch auf Krankenbehandlung die Leistungen, die notwendig sind, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Hierzu gehört gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V auch die zahnärztliche Behandlung. § 28 Abs. 2 SGB V konkretisiert diesen Leistungsanspruch für den Bereich der zahnärztlichen Versorgung. Er steht, wie alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, unter dem Vorbehalt des Wirtschaftlichkeitsgebotes des § 12 Abs. 1 SGB V, der die Leistungen auf das zweckmäßige und medizinisch Notwendige begrenzt. Nach § 28 Abs. 2 SGB V umfasst die zahnärztliche Behandlung die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Das SGB V enthält gemäß § 28 Abs. 2 Satz 8 aber einen Leistungsausschluss der zahnärztlichen Behandlung für funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen, d.h. sie gehören nicht zu den von der Krankenkasse zu gewährenden zahnärztlichen Leistungen und dürfen auch nicht bezuschusst werden. Damit ist auch eine teilweise Kostenübernahme von vornherein ausgeschlossen.

Die klinische Funktionsanalyse dient der Überprüfung des funktionellen Zustands und des Zusammenwirkens von Zähnen, Kiefergelenken und (Kau-) Muskulatur und zur Ermittlung von Fehlfunktionen im craniomandibulären System. Der streitige Leistungsausschluss stellt klar, das funktionsanalytische und funktionstherapeutische Leistungen nicht Teil der zahnärztlichen Behandlung in der gesetzlichen Krankenversicherung sind und entgegen einer bis dahin zum Teil geübten Praxis von den Krankenkassen nicht übernommen oder bezuschusst werden dürfen. Die Regelung beruht auf der generellen Erwägung, dass die Leistungen nicht notwendig sind im Sinne des § 12 SGB V, weil andere, wesentlich wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Demnach schließt die Regelung die Gewährung als Sachleistung vollständig aus und lässt ferner auch die Bewilligung von Zuschüssen nicht zu. Auch Teilleistungen, z.B. entsprechende Mehrkostenregelung wie für Füllungen nach § 28 Abs. 2 Satz 2 bis 5 SGB V, sind somit nicht zulässig. Gegenstand des Ausschlusses sind u.a. Maßnahmen zur Feststellung und Beeinflussung der Gebissfunktion entsprechend Nr. 800 ff. GOZ; hierzu gehören z.B. die Befunderhebung des stomatognathen Systems (= Gesamtheit des Kauorgans), das Registrieren der Zentrallage des Unterkiefers, Modellmontagen (Kassler Kommentar-Höfler, § 28, Rn. 21, 22 m.w.N.). Auch die Aufbisshilfe gemäß Nr. 701 GOZ rechnet zu den funktionstherapeutischen Maßnahmen. Aufbissbehelfe und Schienen sind von ihrer Zuordnung und Indikation innerhalb der verschiedenen zahnärztlichen Fachdiszipline unterschiedliche Behandlungsmaßnahmen. Aufbissbehelfe werden in der Regel im Zusammenhang mit Funktionsstörungen des Kauorgans sowohl diagnostisch als auch therapeutisch angewandt. Es gibt mehrere Möglichkeiten der therapeutischen Anwendung der instrumentellen Funktionsanalyse; als Therapiemöglichkeit wird hier z.B. die Herstellung von Aufbisshilfen, die sogenannte Schienentherapie, angegeben (Liebold/Graf/Wissing, GOZ, Nr. 700, 701, 702, Ziff. 1.; Nr. 800, Ziff. 1.b).

Damit sind die im Befund- und Behandlungsplan angegebenen einzelnen funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Leistungen nicht im Behandlungsanspruch der Klägerin enthalten.

Dies ist der Klägerin auch bekannt gewesen, da sie von dem behandelnden Zahnarzt die Patientenerklärung nach § 7 Abs. 7 Ersatzkassenvertrag - Zahnärzte erhalten hat, wonach die geplante Versorgung als Privatbehandlung abgerechnet wird, weil sie von der Leistungspflicht der Krankenkasse nicht umfasst ist.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2).
Rechtskraft
Aus
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