L 2 P 3/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 P 8/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 3/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger über den 30.09.2004 hinaus Leistungen wegen häuslicher Pflege nach der Pflegestufe III zustehen.

Der 1935 geborene Kläger erlitt am 15.04.2003 einen Hirninfarkt. Wegen eines Hirnödems wurde eine Schädeltrepanation vorgenommen. Nach Klinik- und Rehabilitations-Aufenthalten kehrte der Kläger am 12.08.2003 nach Hause zurück. Auf seinen Antrag vom 21.07.2003 wegen Leistungen der Pflegeversicherung untersuchte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) den Kläger am 20.08.2003. Dieser stellte eine komplette spastische Halbseitenlähmung rechts, Immobilität, komplette Harn- und Stuhlinkontinenz, Verlust des Sprach- und Schreibvermögens und zeitweise Verwirrtheit fest. Den Hilfebedarf bei der Körperpflege schätzte der MDK auf 164 Minuten, bei der Ernährung auf 90 Minuten und der Mobilität auf 79 Minuten, insgesamt auf 333 Minuten bei der Grundpflege pro Tag ein. In allen Bereichen sei eine vollständige Übernahme der Verrichtung erforderlich. Eine Wiederholungsbegutachtung nach einem Jahr werde empfohlen.

Die Beklagte gewährte dementsprechend mit Bescheid vom 11.09.2003 Leistungen wegen häuslicher Pflege nach Stufe III ab 12.08.2003, zunächst bis 31.01.2004, später darüber hinaus.

Sie beauftragte den MDK mit einer weiteren Begutachtung. Dieser fand den Kläger beim Hausbesuch am 16.08.2004 in gebessertem Allgemeinzustand. Er habe gelernt, mit der linken Hand zu essen. Bei der Ernährung sei deutlich weniger Hilfe notwendig. Nächtliche Pflege und Umlagern fielen nicht mehr an. Der Kläger könne sich im Bett selbst umdrehen. Ein Sprachtraining habe noch keine große Verbesserung erbracht. Ein Gehtraining sei bislang noch nicht erfolgt. Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie fänden regelmäßig im häuslichen Bereich statt. Für Unterstützung bei der Körperpflege seien 111 Minuten (zuvor 164 Minuten), für Ernährung 20 Minuten (zuvor 90 Minuten) für Mobilität 55 Minuten (zuvor 79 Minuten) zu veranschlagen, insgesamt im Grundpflegebereich somit 186 Minuten. Ab September 2004 werde Pflegestufe II empfohlen. Eine weitere Besserung sei nicht auszuschließen.

Nach Anhörung gewährte die Beklagte ab 01.10.2004 nur noch Leistungen nach Pflegestufe II. Auf den Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, er könne nach wie vor nichts selbstständig ausführen, begutachtete der MDK erneut und kam am 21.10.2004 nach Aktenlage zum Ergebnis, dem aktuellen Reha-Entlassungsbericht der Neurologischen Klinik Bad N. sei zu entnehmen, dass die Selbstständigkeit verbessert werden konnte. Der Kläger könne Oberkörperbekleidung selbst an- und ausziehen, mit Hilfe der linken Hand Gesichtspflege durchführen und Speisen sowie Getränke nach Vorbereitung zu sich nehmen. Es bleibe bei der letzten Beurteilung. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2005 zurück.

Dagegen wurde Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Der Kläger sei nach wie vor bei allen Verrichtungen auf Hilfe angewiesen und könne nicht allein gelassen werden. Er könne sich nur im Rollstuhl fortbewegen. Es sei keinerlei Verbesserung nach der Erstuntersuchung eingetreten. Für den Kläger sei seit 27.08.2003 Betreuung angeordnet. Zur Betreuerin sei seine Ehefrau bestellt worden. Es wurden Berichte der Neurologischen Klinik Bad N. über stationären Aufenthalt in der Abteilung für weiterführende Rehabilitation vom 03.09. bis 08.10.2004 und des Klinikums A. , Neurologische Abteilung, über stationäre Behandlung vom 30.12.2004 bis 06.01.2005 vorgelegt. Das SG holte Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr.W. und Dr.H. ein. Die Beklagte legte ein vom MDK am 29.03.2006 nach Hausbesuch am 28.03.2006 erstattetes Gutachten vor. Darin wurde Hilfebedarf von 197 Minuten bei der Grundpflege (117 Minuten Körperpflege; 20 Minuten Ernährung; 60 Minuten Mobilität) bescheinigt. Der Kläger könne mit der linken Hand halten und greifen, aber die Einschränkungen in Folge der spastischen Lähmung rechts wenig kompensieren, da er Rechtshänder sei. Er sei auf den Rollstuhl angewiesen. Er müsse mit Windeln versorgt werden. Bei der Nahrungsaufnahme müsse er beaufsichtigt werden. Mit einer Veränderung des Hilfebedarfs sei mittelfristig nicht zu rechnen.

Im Auftrag des SG erstattete der Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Dr. H. am 20.06.2006 nach Hausbesuch am 03.05.2006 ein Gutachten. Er ging von folgendem Hilfebedarf aus: Körperpflege: Ganzkörperwäsche 6 x wöchentl. 25 Minuten = 22 Minuten Teilwäsche Unterkörper täglich = 15 Minuten regelmäßige Zahnpflege findet nicht statt Teilwäsche der Hände 6 x täglich = 6 Minuten Baden 1 x wöchentlich a` 35 Minuten = 5 Minuten Rasieren 1 x täglich = 5 Minuten Windelwechsel nach Stuhlgang und Wasserlassen (im Bett) einschließlich Richten der Bekleidung = 48 Minuten - insgesamt 101 Minuten

Ernährung: mundgerechte Zubereitung 4 x täglich = 12 Minuten Trinken = 4 Minuten - insgesamt 16 Minuten

Mobilität: Aufstehen/Zu-Bett-gehen (morgens, mittags, abends)=12 Minuten An- und Auskleiden (morgens, mittags, abends) =36 Minuten Transfers 12 x = 12 Minuten - insgesamt 60 Minuten Damit erreiche der Grundpflegebedarf insgesamt 177 Minuten.

Auf Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ernannte das SG Dr.S. (Neurologe) zum Sachverständigen. Dieser schätzte im Gutachten vom 04.10.2006 nach Hausbesuch am 13.09.2006 den Hilfebedarf bei der Körperpflege auf 128 Minuten Ernährung auf 24 Minuten Mobilität auf 60 Minuten - insgesamt auf 212 Minuten

Hinzukomme der Hilfebedarf bei der Hauswirtschaft.

Die Betreuerin erklärte, der Kläger werde nicht einmal, sondern zweimal pro Woche gebadet. Bei der Nahrungszubereitung seien jeweils 3 Minuten anzusetzen. Insgesamt sei der Hilfebedarf damit weit höher.

Mit Urteil vom 18.12.2006 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für Herabsetzung der Leistungen von Pflegestufe III auf Stufe II gem. § 48 des Zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB X) seien erfüllt. Nach dem Gutachten des Dr. H. seien weniger als 240 Minuten an Hilfe erforderlich, selbst wenn für weiteres Baden auf den Tag umgerechnet noch zusätzlich 5 Minuten und damit insgesamt 182 Minuten anzusetzen wären. Dr.S. komme im Grunde zu identischen Zeiteinschätzungen.

Dagegen legte der Kläger Berufung ein, die er im Schriftsatz vom 05.03.2007 damit begründete, dass die von Dr. H. angenommenen Zeitwerte zu niedrig seien. Dr.S. habe versehentlich nicht berücksichtigt, dass er mittags wieder zu Bett gehe und später nochmals aufstehe. Der Hilfebedarf beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen sowie beim An- und Auskleiden müsse entsprechend verdoppelt, also weitere 40 Minuten hinzugerechnet werden. Hinzu komme der Zeitansatz für zweimaliges Baden pro Woche. Hierfür seien weitere 8 Minuten pro Tag anzusetzen. Der korrigierte Hilfebedarf belaufe sich dann auf 260 Minuten statt 212 Minuten.

Die Beklagte wandte dagegen ein, für die Ermittlung des Pflegeaufwandes existierten Zeitorientierungswerte in den Pflegerichtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen. Die von Dr. H. angesetzten Pflegezeiten lägen bereits durchweg am oberen Rand dieser Orientierungwerte. So würden von ihm 35 Minuten für das Baden angesetzt, während die Orientierungswerte nur 20 bis 25 Minuten vorsähen. Für Aufstehen und Zu-Bett-Gehen würden üblicherweise 1 bis 2 Minuten berechnet, durch den Gutachter seien insgesamt 12 Minuten berechnet worden. Selbst wenn man diese Verrichtung wegen des Mittagsschlafs verdoppelte, würden die Voraussetzungen für die Pflegestufe III nicht erreicht. Dr. S. begründe nicht, aufgrund welcher individueller Besonderheiten er zum Beispiel den Zeitwert für Baden mit 60 Minuten angesetzt habe. Tatsächlich lägen nachweisbar Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse vor, weil der Kläger inzwischen gelernt habe, die linke Hand einzusetzen.

Auf Hinweis des Senats, dass auch unter Berücksichtigung eines zweimal wöchentlichen Bades mit einem Mehrbedarf von 8 Minuten der Hilfeumfang von 240 Minuten, wie er für Pflegestufe III erforderlich sei, nicht erreicht werde und von allen Gutachtern eine gut erhaltene Funktion des linken Arms und der linken Hand bescheinigt werde, erwiderte der Kläger, er könne die linke Hand bei Verrichtungen wie Essen und Waschen nicht einsetzen. Für Aufstehen und Zu-Bett-Gehen seien 20 Minuten, für An- und Auskleiden viermal 10 Minuten (= 40 Minuten) und für Transfers 36 Minuten zu veranschlagen. Insgesamt überschreite der Hilfebedarf damit 240 Minuten pro Tag. Zum Mittagsschlaf müsse er vollständig an- und ausgekleidet werden.

Die Beklagte teilte auf Anfrage des Senats mit, der Kläger habe nur im November 2004 zweimal wöchentlich Pflegedienste für Ganzkörperwäsche in Anspruch genommen, ansonsten ein- bis höchstens dreimal pro Monat. Der Kläger erklärte, nur soweit seine Tochter beim Baden nicht habe helfen können, sei der Pflegedienst gerufen worden.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 124 Abs. 2 SGG einverstanden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18. Dezember 2006 sowie den Bescheid vom 13. September 2004 i. d. F. des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2005 aufzuheben und ihm über den 30.09.2004 Leistungen nach Pflegestufe III zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18. Dezember 2006 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gem. § 136 Abs. 2 SGG auf die Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Der Senat sieht gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung im Wesentlichen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des SG als unbegründet zurückweist.

Anders als das SG meinte, sieht er es nicht für notwedig an, dass der Nachweis einer wesentlichen Änderung geführt werden müsse. Der Senat schließt sich der Auffassung des BSG (Urteil vom 07.03.2005 - B 3 P 12/04 R) an, wonach im Anschluss an einen befristeten Leistungsbescheid eine Bewilligungsentscheidung, mit der geringere Leistungen als zuvor gewährt wurden, als Leistungsablehnungsentscheidung anzusehen ist. Maßgebend hierfür ist, dass der Bescheid vom 11.09.2003 Bestandskraft erlangte und Leistungen nach der Pflegestufe III befristet auf den 31.01.2004 zusicherte. Ob die Befristung einen hinreichenden Rechtsgrund hatte, kann dahinstehen, weil der Bescheid vom Kläger nicht angefochten worden war. Er erlangte damit Bestandskraft. Damit war für die Beklagte der Weg frei, nach Ablauf der Befristung neu über den Anspruch des Klägers zu entscheiden. Dass sie tatsächlich über das Fristende Leistungen nach der Pflegestufe III weiterzahlte, ändert nichts. Die Zahlungen waren dann ohne Rechtsgrund erfolgt.

Folgerichtig entschied die Beklagte auch nur, dass ab 01.10.2004 ausschließlich Leistungen nach der Stufe II zustehen; den vorangegangenen Bescheid vom 11.09.2003 hob sie nicht auf. Dieses Vorgehen ist in sich schlüssig und offenbart, dass die Beklagte der Meinung war, sie sei berechtigt, eine erste Entscheidung ohne Bindung an frühere Entscheidungen treffen zu können. Eine Umdeutung des angefochtenen Bescheids in eine wirksame Leistungsablehnungentscheidung, wie in dem vom BSG entschiedenen Rechtsstreit, ist hier nicht erforderlich.

Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 13.09.2004 i. d. F. des Widerspruchsbescheids vom 24.01.2005 eine Leistungsablehnung ausgesprochen hat. Auf den Nachweis einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zur maßgeblichen Vorbegutachtung kommt es nicht an, obwohl eine solche nach den Gutachten eingetreten ist. Der Kläger hat gelernt, seine intakte linke Hand einzusetzen, wie dem Gutachten des MDK und des Dr. H. zu entnehmen ist. Die Rechtmäßigkeit der vorgenannten Bescheide hängt jedoch davon ab, ob ab 01.10.2004 für die Pflege der Klägers mindestens 240 Minuten erforderlich waren und sind. Diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Pflegegeld nach der Pflegestufe III gem. §§ 37 Abs. 1 Ziff. 2, 15 Abs. 1 Ziff.3 SGB XI gezahlt werden kann.

Nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. und Dr. S. benötigt der Kläger ab 01.10.2004 keine fremde Hilfe von mindestens 240 Minuten im Bereich der Grundpflege, sondern 177 Minuten bzw. 212 Minuten täglich im Wochendurchschnitt. Die für Stufe II erforderlichen 240 Minuten würden auch dann nicht erreicht, wenn man es für erwiesen hielte, dass der Kläger zweimal pro Woche gebadet worden ist. Denn dann wäre eine Ganzkörperwäsche nur fünfmal pro Woche notwendig und die dafür erforderliche Hilfe würde sich von 22 auf 18 Minuten täglich reduzieren. Für Baden wären weitere 5 Minuten, allenfalls (so Dr. S.) 8 Minuten dazuzurechnen. Der Hilfebedarf würde sich nur um 4 Minuten erhöhen. Ebensowenig werden 240 Minuten erreicht, wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, er müsse für den Mittagsschlaf vollständig an- und ausgezogen und ein weiteres Mal zu Bett gebracht werden. Zum einen berücksichtigt Dr. H. bereits Hilfe beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen sowie An- und Auskleiden morgens, mittags und abends, also dreimal täglich und setzt hierfür 12 und 36 Minuten (= 48 Minuten) an. Zum anderen ist die von Dr. S. für erforderlich gehaltene Zeit von 212 Minuten bei der Grundpflege nicht nachvollziehbar. Hier ist der Beklagten zuzustimmen, dass der Sachverständige nicht erläutert, weshalb die Zeitkorridore nicht ausreichen und wesentliche Überschreitungen befundangemessen seien.

Der Senat kommt damit zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für Leistungen nach der Pflegestufe III ab 01.10.2004 nicht mehr vorgelegen haben und darüberhinaus auch nicht vorliegen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 18.12.2006 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved