L 6 R 348/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 R 460/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 348/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten volle Erwerbsminderungsrente statt teilweiser Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit, die ihm durch den angefochtenen Widerspruchsbescheid gewährt wurde.

Der Kläger ist 1949 geboren. Er war von 1973 bis Dezember 2002 versicherungspflichtig beschäftigt und im Anschluss daran krank bzw. arbeitslos.

Seinen Rentenantrag vom 24.11.2003 lehnte die Beklagte mit Be-scheid vom 05.02.2004 aus medizinischen Gründen ab. Auf den Widerspruch hat sie mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2004 dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zugesprochen, in Bezug auf volle Erwerbsminderungsrente den Widerspruch jedoch zurückgewiesen.

Mit Ausführungsbescheid vom 26.04.2004 gewährte die Beklagte dem Kläger dem Grunde nach Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab Dezember 2003. Die Rente kam jedoch wegen Hinzuverdienstes - Arbeitslosengeld - ab 01.06.2004 nicht zur Auszahlung.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) München am 22.03.2004.

Das SG beauftragte den Orthopäden Dr.K. mit einer Begutachtung. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 11./20.02.2005 beim Kläger im Wesentlichen ein chronisch-degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit ausgeprägtem Wirbelgleiten L5/S1, mitt-lerweile schon eingesteift, fest mit geringer Funktionseinschränkung und ohne neurologische Ausfälle. Auch an den Hüftgelenken, rechts mehr als links, an den Knien sowie am linken Schultergelenk stellte der Sachverständige degenerative Erscheinungen fest. Das Leistungsvermögen gab er an mit leichten bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten vollschichtig mit qualitativen Einschränkungen.

Auf Antrag des Klägers holte das SG ein Gutachten gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beim Chirurgen Dr.R. ein. Dieser kommt im Gutachten vom 21.06./18.07.2005 zur Feststellung erheblicher degenerativer Erscheinungen an allen Gelenken. Der Sachverständige hebt insbesondere das Dilemma hervor, dass der Kläger von Seiten der Knie überwiegend sitzend tätig sein müsse, wohingegen das Wirbelsäulenleiden einen häufigen Wechsel der Körperhaltungen nahelege. Aufgrund dessen sah Dr.R. das Leistungsvermögen des Klägers nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ auf unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für jegliche Arbeiten eingeschränkt.

Die Beklagte (Dr.P.) schloss sich diesem Gutachten nicht an. Das SG wies mit Urteil vom 12.01.2006 die Klage ab. Es folgte dem Gutachten Dr.K ...

In seiner Berufung vom 23.05.2006 stützte sich der Kläger auf das Gutachten Dr.R ...

Der Senat holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein, so des Rheumatologen Dr.K. und der Lungenärztin Dr.K ...

Der Senat beauftragte den Orthopäden Dr.G. mit einer Begutachtung. Dieser sah in seinem Gutachten vom 15./22.02.2007 gegenüber der Vorbegutachtung Dr.K. keine gravierenden Änderungen, vielmehr nur "tendenzielle Verschlechterungen im Bereich des rechten Hüftgelenks". Die Gleitwirbelsituation sei bei vollständigem Aufbrauch der Bandscheibe ankylotisch fixiert und damit stabilisiert, was zu einer Reduktion der Beschwerden führe. Der Befund der beiden Kniegelenke sei seitengleich ohne wesentliche Funktionseinschränkung. Mittelfristig sei eine Endoprothese indiziert. Der Kläger zeige ein Gangbild mit nor-mal raumgreifender Schrittlänge. Fachfremd bestehe eine obstruktive Ventilationsstörung. Der Kläger könne noch sechs Stunden täglich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit frei wählbarem Wechselrhythmus verrichten.

Der Senat beauftragte den Internisten Dr.E. mit einer weiteren Begutachtung. Dr.E. kommt in seinem Gutachten vom 17./27.07.2007 im Rahmen einer Gesamtbeurteilung zum Ergebnis, dass der Kläger noch sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit einem gelegentlichen Positionswechsel, ohne Zeitdruck und mit weiteren qualitativen Einschränkungen verrichten könne. Im Vordergrund stünden Gelenkbeschwerden wohl im Sinne einer Polyarthrose bei fehlenden Entzündungsaktivitäten. Eine rheumatische Polyarthritis schloss der Sachverständige mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Bei geringer Schmerztherapie sah er kein schwerwiegendes Schmerzsyndrom. Die geklagte Belastungsatemnot beruhe auf einer deutlich obstruktiven und mäßig restriktiven Ventilationsstörung mit Lungenemphysem und geringer Partialinsuffizienz. Daneben bestehe ein Bluthochdruck, aber keine schwere coronare Herzerkrankung. Der Kläger sei fünf Minuten lang mit 100 Watt belastbar gewesen. "Eine dauerhafte quantitative Leistungseinschränkung" lasse sich bei der heute dokumentierten Belastbarkeit nicht bestätigen.

Diesem Gutachten hielt der Kläger das Ergebnis des Gutachtens Dr.R. entgegen. Dessen Beurteilung "lediglich leichte Arbeiten mit möglichst häufig wechselnden Belastungsmustern" bedeute praktisch, "dass Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert schon aus orthopädischer Sicht nicht mehr erbracht werden können". Die dem Kläger von Dr.E. noch zugemuteten leichtesten Tätigkeiten stellten "allenfalls Beschäftigungstherapie, aber keine Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von wirtschaftlichem Wert" dar. Der Kläger vermisste weiterhin eine Gesamtschau der Gutachten im Rahmen eines Obergutachtens. Er legte eine Bescheinigung von Dr.P. vor und beantragte die Einholung eines neurologischen Fachgutachtens. Die genannte ärztliche Bescheinigung hat folgenden Wortlaut: "Der oben genannte Patient steht in meiner ambulanten Behandlung. Meines Erachtens nach sollte beim oben genannten Patienten ein neurologisches Gutachten erbracht werden."

Der Senat holte eine ergänzende Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen Dr.E. ein. Dieser präzisierte seine zeitliche Leistungsbeurteilung dahingehend, dass der Klägers noch "mindestens sechs Stunden" arbeiten könne. Eine neurologische Begutachtung hielt Dr.E. nicht für erforderlich.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.01.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.02.2004 aufzuheben und den Widerspruchsbescheid vom 11.03.2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.12.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG sowie die Berufungsakte hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger ist nicht voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs.2 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI), weil er noch täglich sechs Stunden zu arbeiten in der Lage ist. Sein Rechtsmittel konnte daher keinen Erfolg haben.

Die nochmalige umfassende Beweisaufnahme durch den Senat auf internistischem und orthopädischem Fachgebiet hat das in erster Instanz eingeholte Gutachten Dr.K. bestätigt.

Im Anschluss an die gerichtlichen Sachverständigen Dr.G. und Dr.E. geht auch der Senat davon aus, dass im Vordergrund beim Kläger Gelenkbeschwerden stehen, die wohl als Polyarthrose aufzufassen sind. Die chronische Lumboischialgie beruht auf degenerativen Veränderungen. Die Funktionseinschränkung ist jedoch nur gering; neurologische Ausfälle liegen nicht vor. Das ausgeprägte Wirbelgleiten ist nach überzeugender Darstellung durch die Sachverständigen stabilisiert und macht keine gravierenden Beschwerden mehr. Verschlechtert ist das Hüftarthroseleiden. Das Gehvermögen wird schließlich durch die beiderseits bestehenden Knieknorpelschäden beeinträchtigt. Einschränkungen bestehen weiterhin von Seiten der linken Schulter aufgrund eines sowohl anlagebedingten als auch posttraumatischen Leidens. Auch zusammengenommen sind diese orthopädischen Beeinträchtigungen, wie dargestellt, jedoch nicht in der Lage, die zumutbare tägliche Arbeitszeit des Klägers zu beschränken.

Dies gilt auch, wenn man die internistischen Erkrankungen in die Betrachtung einbezieht, wie von Dr.E. überzeugend getan. Hier ist insbesondere das Lungenleiden zu nennen, welches zu Belastungsatemnot führt und durch eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung erklärt wird. Dieses hat sich in der Tat auch etwas verschlechtert im Sinne einer deutlich obstruktiven und mäßig restriktiven Ventilationsstörung. Von Seiten des Herzens liegt ein Bluthochdruck, aber keine schwerwiegende coronare Herzerkrankung vor. Insgesamt gestattet das Herz-Kreislauf-System dem Kläger noch eine Belastung von 100 Watt, die über fünf Minuten toleriert wird. Das Leistungsvermögen des Klägers reicht mithin auch internistischerseits aus für leichte Arbeiten, so dass Dr.E. "eine quantitative Leistungseinschränkung" nicht fordert. Dem folgt der Senat.

Nicht überzeugend erscheint hingegen das Gutachten gemäß § 109 von Dr.R ... Dieser beschreibt zwar nachvollziehbar die Tatsache, dass die verschiedenen Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates einen untrennbaren Zusammenhang bilden. Auch erscheint plausibel, dass die qualitativen Einschränkungen von Seiten der Knie - überwiegendes Sitzen - andere sind als die von Seiten der Wirbelsäule - häufiger Wechsel der Körperhaltungen. Dies führt jedoch nicht zu der von Dr.R. gezogenen Schlussfolgerung einer "Summierungswirkung" in der Form, dass der Kläger nur mehr unter drei Stunden täglich arbeiten könnte. Diese Schlussfolgerung erscheint dem Senat logisch nicht nachvollziehbar.

Den von Dr.R. geschilderten Problemen kann vielmehr durch qualitative Leistungseinschränkungen ausreichend Rechnung getragen werden. Dies bedeutet insbesondere, dass der Kläger keine ausschließlich oder auch wesentlich überwiegend sitzende Tätigkeit verrichten darf. Es muss ihm vielmehr die Möglichkeit häufigen Positionswechsels eingeräumt sein. Derartige Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltungen existieren jedoch in einer Vielzahl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es in diesem Zusammenhang nicht.

Die Einwendungen des Klägers gegen diese Gutachten greifen nicht durch. Es ist gerade die Gleichsetzung von qualitativen Einschränkungen ("lediglich leichte Arbeiten mit möglichst häufig wechselnden Belastungsmustern") und dem Ausschluss aller Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert, die im Gutachten Dr.R. erheblichen Bedenken begegnen. Auch eine Gleichsetzung von leichtesten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mit "Beschäftigungstherapie" ist nicht sachgerecht. Schließlich sind Gesichtspunkte, die Ermittlungen auf anderen Fachgebieten, etwa der Neurologie, erfordern, besonders nach der Stellungnahme Dr.E. nicht ersichtlich. Die Berufung konnte nach all dem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung entspricht der Entscheidung in der Hauptsache (§ 183, 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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