L 20 R 449/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 363/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 449/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.07.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, insbesondere nach dem bis zum Jahre 2000 geltenden Recht wegen Berufs (BU)- bzw. Erwerbsunfähigkeit (EU).

Der 1962 geborene Kläger hat den Beruf eines Fleischers erlernt (Gesellenprüfung 1980) und war bis 1983 in diesem Beruf tätig. Nach seinen Angaben wechselte er "wegen besseren Verdienstes" in eine Tätigkeit als Maschinenarbeiter und übte diese bis 1989 aus. Von 1989 bis 1992 war er nach seinen Angaben als Schleifer bei der Fa. S. in S. beschäftigt. Von 1992 bis 1996 war er bei dieser Firma als Küchenhelfer eingesetzt, von 1996 bis 2002 als Metzger. Seit 01.05.2002 ist er weiterhin bei der Fa. S. als Qualitätsprüfer in Vollschicht tätig. Die Entlohnung erfolgt nach der innerbetrieblichen Lohngruppe 8, entsprechend der Lohngruppe 7 nach dem Bayer. Metalltarifvertrag.

Am 30.10.2000 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen BU bzw. EU. Die Beklagte ließ ihn untersuchen durch den Orthopäden Dr.S. , der im Gutachten vom 04.12.2000 zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger überwiegend im Sitzen noch mittelschwere Arbeiten in Vollschicht leisten könne. Mit Bescheid vom 14.12.2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Der Kläger könne mit dem vorhandenen Leistungsvermögen zwar nicht mehr im erlernten Beruf als Fleischer arbeiten, jedoch unter Berücksichtigung der Kenntnisse und Fähigkeiten eine zumutbare Verweisungstätigkeit als Registrator, Lagerverwalter oder Verkäufer in einer Wurst- oder Fleischabteilung verrichten. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 20.04.2001 zurück. Sie verwies den Kläger nunmehr auf Tätigkeiten als Fertigungskontrolleur in einer Fleischfabrik oder als Registrator.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 09.05.2001 Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, dass ihm eine vollschichtige Erwerbstätigkeit nicht möglich und zumutbar sei. Das gelte sowohl für den allgemeinen Arbeitsmarkt wie auch für die von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten. Eine Erwerbstätigkeit sei, wenn überhaupt, lediglich stundenweise täglich möglich. Das SG hat Befundberichte des Orthopäden Dr.H. und des Allgemeinarztes Dr.Y. zum Verfahren beigenommen und eine Auskunft der Fa. S. eingeholt. Auf Veranlassung des SG hat der Internist und Arbeitsmediziner Dr.S. das Gutachten vom 02.07.2003 erstattet. Er hat als Diagnosen genannt: Beiderseitiges Sulcus-Syndrom des Ulnarisnerven mit Sensibilitätsstörungen der Finger IV und V links sowie V rechts und der Innenseite des linken Unterarmes, geringe Sehminderung des rechten Auges im Grenzbereich zu normalem Sehvermögen, leichte Hörminderung beidseits (nach Angabe des Klägers), mäßiggradige schmerzhafte Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule ohne wesentliche muskuläre oder nervale Reizerscheinung, schwere Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks mit multiplen, unfallbedingten Knochenabsplitterungen mit mittelgradiger Funktionseinschränkung und ausgeprägten Belastungsbeschwerden, mäßiggradige Adipositas. Der Kläger könne zumindest noch leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen in Vollschicht verrichten bei nur gelegentlicher, geringer Steh- und Gehbelastung. Die vom Kläger noch ausgeübte Tätigkeit als Qualitätsprüfer in der Metallbranche sei für ihn geeignet, wenn diese Tätigkeit im Wesentlichen im Sitzen verrichtet werden könne. Er, der Sachverständige, gehe aus arbeitsmedizinischer Sicht davon aus, dass mindestens die Hälfte der diesbezüglichen Arbeitsplätze in diesem zumutbaren Rahmen liegen. Dem Kläger sei ein Anmarschweg zu Fuß zur Arbeitsstelle von 300 m zumutbar, er könne jedoch einen Pkw oder öffentliche Verkehrsmittel auch in der Hauptverkehrszeit benützen. Gegenüber dem Gutachten des Dr.S. vom Dezember 2000 sei eine Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens mit einer mäßiggradigen schmerzhaften Funktionseinschränkung hinzugekommen. Hierdurch ergebe sich jedoch keine bedeutsame Änderung der sozialmedizinischen Beurteilung, insbesondere nicht in zeitlicher Hinsicht. Mit Urteil vom 02.07.2003 hat das SG die Klage - gerichtet auf Gewährung von Rente wegen BU oder EU - abgewiesen. Es hat sich in der Leistungsbeurteilung dem Gutachten des Dr.S. angeschlossen. Der Kläger sei zwar nach seinem beruflichen Werdegang als gelernter Metzger und somit als Facharbeiter zu beurteilen. Er übe jedoch eine zumutbare Verweisungstätigkeit aus und habe auch einen entsprechenden Arbeitsplatz inne. Er werde wie ein Facharbeiter bezahlt. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Tätigkeit als Qualitätsprüfer in etwa sechs Wochen Einarbeitungszeit (eigene Einlassung des Klägers) erlernbar sei, so sei dennoch für die Beurteilung die vom Arbeitgeber und den Tarifpartnern vereinbarte Einstufung von maßgeblicher Bedeutung. Die von der Fa. S. nach der Analytischen Arbeitsbewertung festgesetzte Lohngruppe 8 entspreche der klassischen Lohngruppe 7 des Manteltarifvertrags der Bayer. Metallindustrie und sei deshalb als Facharbeiterlohngruppe zu bewerten. Selbst wenn man diese Tätigkeit lediglich als Anlerntätigkeit im Rahmen des Vierstufenschemas betrachten würde, wäre die ausgeübte Tätigkeit als Qualitätsprüfer eine zumutbare Verweisungstätigkeit für einen Facharbeiter.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 25.08.2003 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Auch wenn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Frage einer EU-Rente nicht positiv beurteilt werden könne und er derzeit vollschichtig die Tätigkeit als Qualitätsprüfer verrichte, sei dennoch eine EU-Rente/BU-Rente zu gewähren. Das SG habe nicht berücksichtigt, dass er seine Tätigkeiten auf Kosten der Gesundheit verrichte. Der Kläger erstellte eine Zeitkontenübersicht mit Fehlzeiten für die Jahre 1999 bis 2003 (mit Lücken) und verwies auf seine "massiven Fehlzeiten". Er hat eine Auskunft der Fa. S. vom 22.12.2004 vorgelegt, nach der die Einarbeitungszeit als Qualitätsprüfer für einen ungelernten Arbeiter ca. acht Wochen betrage. Der Senat hat die Auskunft dieses Arbeitgebers vom 20.05.2005 eingeholt. Der Kläger sei als Qualitätsprüfer in der Massivteilefertigung tätig. Es sei eine Ausbildungs-/Anlernzeit von ca. sechs Monaten ausreichend gewesen. Die Entlohnung erfolge nach der internen Lohngruppe AWG 308, entsprechend ca. Tarifgruppe 7 des Tarifvertrags der Bayerischen Metall-/Elektroindustrie. Die Einstufung sei nach einer analytischen Arbeitsplatzbewertung erfolgt. Der Kläger legte eine weitere Bestätigung der Fa. S. vom 14.07.2005 vor. Danach wäre für eine (geplante) Tätigkeit des Klägers als Messzeugeinsteller eine Anlernzeit von sechs Monaten erforderlich gewesen. Für den Kläger habe die tatsächliche Anlernzeit als Qualitätsprüfer acht Wochen betragen.

Der Senat hat Befundberichte des Orthopäden Dr.H. vom 27.09.2005 und des Allgemeinarztes Dr.Y. vom 17.01.2006 zum Verfahren beigenommen. Orthopädischerseits wurde eine Behandlungszeit von November 2003 bis September 2005 bestätigt; eine wesentliche Veränderung in den Befunden sei nicht eingetreten. Von allgemeinärztlicher Seite wurde bestätigt, dass im gesamten Verlauf der Behandlung, etwa ab 2003, keine Besserung der Beschwerden eingetreten sei, es sei vielmehr eine schleichende Verschlechterung anzunehmen. Der Kläger hat schließlich den Bescheid des ZBFS Bayern - Versorgungsamt W. - vom 28.10.2005 vorgelegt, mit dem ein GdB von 50 sowie das Merkzeichen G bescheinigt wurden.

Der Senat hat die Zeugin B. W. von der Personalabteilung der Fa. S. zur Berufstätigkeit des Klägers einvernommen; wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 08.08.2007 verwiesen.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.07.2003 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.12.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2001 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte des SG Würzburg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Berufsunfähigkeit gemäß §§ 44, 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung nicht zusteht. Es hat in fehlerfreier Auswertung des Sachverständigengutachtens des Internisten und Arbeitsmediziners Dr.S. herausgestellt, dass der Kläger noch in der Lage ist, die von ihm tatsächlich verrichtete Berufstätigkeit des Qualitätsprüfers auch weiterhin auszuüben. Die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hat dieses vom SG gefundene Ergebnis bestätigt. Den vom Senat eingeholten Befundberichten ist zu entnehmen, dass es seit 2003 zu keiner, jedenfalls zu keiner wesentlichen Veränderung des Gesundheitszustandes des Klägers gekommen ist (Berichte des Dr.H. wie auch des Dr.Y.). Die Zeugin W. hat bekundet, dass die Tätigkeit des Qualitätsprüfers, auch im Falle des Klägers, überwiegend sitzend ausgeübt wird und dass besondere körperliche Fähigkeiten dafür nicht erforderlich sind. Der Kläger verrichtet seine Tätigkeit nach Aussage der Zeugin vollwertig, wobei seine Fehlzeiten derzeit nicht außergewöhnlich hoch sind. Die vom Kläger aufzunehmenden Metallwerkstücke haben ein Gewicht bis zu 5 kg; eine höhere Gewichtsbelastung ist ausgeschlossen. Die Arbeit des Klägers erfolgt im Einschichtbetrieb. Seine Bezahlung erfolgt nach der Analytischen Arbeitsplatzbewertung, Firmenlohngruppe 8; dies entspricht der Lohngruppe 7 des Bayer. Manteltarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie. Ausdrücklich hat die Zeugin bestätigt, dass es sich bei den Arbeitsplätzen der Qualitätsprüfer regelmäßig um Schonarbeitsplätze handelt. Diese werden an Beschäftigte vergeben, die aus gesundheitlichen Gründen bei der Ausübung einer anderen Tätigkeit beeinträchtigt sind und denen ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen nur ein Einschichtbetrieb zuzumuten ist. Für den Senat besteht keine Veranlassung, an der klaren Aussage der Zeugin zu zweifeln. Aus dem Versicherungsverlauf vom 01.08.2007 ergibt sich zudem, dass der Kläger seit Aufnahme der Tätigkeit als Qualitätsprüfer (2002) nicht nur keinen Minderverdienst gegenüber früher zu verzeichnen hat, sondern dass der jährliche Bruttolohn kontinuierlich angestiegen ist (mit Ausnahme des Jahres 2005). Wenn vonseiten des Klägers vorgebracht wird, dass es sich bei seinem Arbeitsplatz um einen "absoluten Schonarbeitsplatz" handelt (Schriftsatz vom 22.10.2003), ist lediglich festzuhalten, dass er einen solchen Arbeitsplatz inne hat und seine Arbeit nach wie vor vollwertig ausübt. Dies wurde auch von der Zeugin W. auf ausdrückliches Befragen bestätigt. Soweit der Kläger geltend macht, dass er seine derzeitige Tätigkeit "auf Kosten der Gesundheit" verrichtet, ist der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 14.09.1978, Az: 11 RA 86/77 in BSGE 47, S.57 ff) der Auffassung, dass bei Ausübung einer Ganztagsbeschäftigung der Arbeitsmarkt auch dann nicht als verschlossen anzusehen ist, wenn der innegehabte Arbeitsplatz das gesundheitliche Leistungsvermögen des Versicherten übersteigen sollte.

Der Kläger ist demnach nicht berufsunfähig iS des § 43 SGB VI aF und schon gar nicht erwerbsunfähig iS des § 44 SGB VI aF. Seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 02.07.2003 war zurückzuweisen mit der Folge, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind (§ 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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