L 7 SO 5151/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 3321/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 5151/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 2. August 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum.

Der am 1959 geborene Kläger, der zuletzt als Unternehmensberater selbständig tätig war, bezog seit August 2001 eine Verletztenrente von der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG). Im Hinblick auf eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung zugunsten des Finanzamtes gab die VBG diesem gegenüber unter dem 7. April 2003 eine Drittschuldnererklärung ab, wonach sich bezüglich der gewährten Rente ein pfändbarer Betrag i.H.v. EUR 224.- ergebe. Der Kläger beantragte daraufhin beim zuständigen Sozialamt (Stadt Korntal-Münchingen als Delegationsgemeinde) eine Bescheinigung über seinen sozialhilferechtlichen Bedarf. Verwendet wurde hierfür ein Formularantrag auf Gewährung einmaliger Sozialhilfe, wobei letzteres durchgestrichen und handschriftlich durch "Festsetzung des sozialhilferechtlichen Bedarfs" ersetzt worden war. Der Kläger gab hierin Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. EUR 825,50 sowie Versicherungsbeiträge in Gesamthöhe von EUR 375,74 monatlich an. Gleichzeitig äußerte der Kläger seine Absicht, umgehend in eine günstigere Wohnung umziehen zu wollen. Als Höhe der Verletztenrente wurden "aktuell" EUR 1.253,61 angegeben mit dem Zusatz, dass voraussichtlich eine Erhöhung der MdE von 30 auf 50 erfolge. Unter dem 14. April 2003 stellte das Sozialamt die begehrte Bescheinigung über einen sozialhilferechtlichen Bedarf i.H.v. EUR 1.500.- aus. Der Vorlage der Bescheinigung folgte eine Korrespondenz zwischen dem Kläger und der VBG über die Auszahlung der Rente; die Rente wurde von der VBG zunächst gar nicht, auch nicht in der pfändungsfreien Höhe ausgezahlt. Im Schreiben vom 30. April 2003 forderte der Kläger die VBG zur Zahlung auf, da er ansonsten der Sozialhilfe "anheimfalle"; dort sei bereits ein Termin am 2. Mai 2003 vereinbart. Im Anwaltsschriftsatz vom 5. Mai 2003 wies der Kläger die VBG darauf hin, dass er Sozialhilfe beantragen werde.

Unter Vorlage der Korrespondenz beantragte der Kläger anschließend beim zuständigen Sozialamt Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt. Mit Bescheid vom 6. Mai 2003 wurde dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen gem. § 15a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) i.H.v. EUR 1.500.- "gemäß Bescheinigung vom 14.04.2003" gewährt. Das Darlehen sei mit Zahlung bzw. Nachzahlung der Rente zu tilgen. Der Bescheid wurde nicht angefochten. Am 15. Mai 2003 hat der Kläger das Darlehen i.H.v. EUR 1.029.- bar getilgt. In der Folgezeit wandte sich der Kläger nicht mehr an das Sozialamt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 9. Januar 2004 wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet.

Am 9. August 2004 beantragte der Kläger die Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt sowie mit Schreiben vom 9. August 2004 einen Mietkostenzuschuss, da er zwar für die Begleichung der Junimiete noch habe Geld leihen können, aber ab Juli nicht mehr zur Zahlung in der Lage sei. Nach anfänglicher Ablehnung wurde dem Kläger mit Abhilfebescheid vom 5. Januar 2005 Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 9. August bis 31. Dezember 2004 bewilligt.

Bereits mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 hatte der Kläger die Nachzahlung der Differenz zwischen dem festgestellten sozialhilferechtlichen Bedarf und dem ihm zur Verfügung stehenden Einkommen seit Feststellung des Bedarfs beantragt. Zur Begründung führte er später aus, das Sozialamt habe ihn in Kenntnis seiner finanziellen Situation nicht darauf hingewiesen, dass ihm Hilfe zum Lebensunterhalt zustehe, zumal er auch daraufhin ein Darlehen beantragt habe.

Mit Bescheid vom 9. Februar 2005 wurde eine Nachzahlung abgelehnt. Bei der Vorsprache am 14. April 2003 habe der Kläger gezielt nur eine Bescheinigung zur Feststellung des sozialhilferechtlichen Bedarfs beantragt; dabei würden die Einkommensverhältnisse nicht geprüft. Nach seiner damaligen Aussage sei für ihn ein Antrag auf Sozialhilfe nicht in Betracht gekommen; Anhaltspunkte für eine Bedürftigkeit hätten insgesamt nicht bestanden; der Kläger habe sich auch nach der Rückzahlung des Darlehens nicht mehr gemeldet.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2005, zugestellt am 12. September 2005, zurück. Sozialhilfe setzte erst bei Kenntnis des Sozialhilfeträgers von der Notlage ein. Bei der Ausstellung einer Bescheinigung über den sozialhilferechtlichen Bedarf werde die Bedürftigkeit, insbesondere vorhandenes Einkommen und Vermögen, nicht geprüft. Dem Kläger sei auf Antrag für Mai 2003 Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen gewährt worden; dieser Bescheid sei mangels Anfechtung bestandskräftig geworden. Die weitgehende Tilgung des Darlehens bereits am 15. Mai 2003 habe ebenfalls gegen eine weitere Hilfebedürftigkeit gesprochen. Gleiches gelte für den Umstand, dass der Kläger sich in der Folgezeit nicht mehr an den Beklagten gewandt hatte. Die eigenen Angaben des Klägers, dass er auf die Auszahlung der Rente warte und in eine günstigere Wohnung umziehen wolle, hätten nur eine vorübergehende Notlage erkennen lassen. Eine rückwirkende Gewährung auf den Antrag vom 9. August 2004 widerspreche dem Zweck der Sozialhilfe, aktuelle Notlagen zu überbrücken. Der Bescheid vom 6. Mai 2003 könne daher, selbst wenn er rechtswidrig gewesen sein sollte, nicht zurückgenommen werden.

Die hiergegen am 12. Oktober 2005 erhobenen Klage, mit der der Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 7. Mai 2003 bis 7. August 2004 begehrt hat, hat das Sozialgericht Heilbronn (SG) durch Urteil vom 2. August 2007 zurückgewiesen. Ergänzend zu den Gründen der angefochtenen Bescheide führte es zur Begründung aus, aufgrund des für die Bescheinigung vom 14. April 2003 nur abstrakt geprüften sozialhilferechtlichen Bedarfs habe das Sozialamt nicht erkennen können, ob eine Bedarfslage tatsächlich vorliege. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide daher schon tatbestandlich aus. Aufgrund des im Mai 2003 gestellten Antrages sei mit Bescheid vom 6. Mai 2003 aufgrund der näheren Umstände zurecht nur eine vorübergehende Notlage angenommen worden; der Bescheid sei daher rechtmäßig. Das Urteil ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 22. Oktober 2007 zugestellt worden.

Mit der am 29. Oktober 2007 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren für die Zeit ab dem 1. Juni 2003 weiter. Er hält an seiner Auffassung fest, dem Beklagten sei die Notlage aus den Anträgen bekannt gewesen. Zumindest hätte der Beklagte den Kläger darauf hinweisen müssen, dass eine ausdrückliche Antragstellung notwendig sei. Aus der vom Kläger vorgelegten Korrespondenz und der ausgestellten Bescheinigung sei ein sozialhilferechtlicher Bedarf ersichtlich gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 2. August 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2005 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 1. Juni 2003 bis 7. August 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend führt er aus, der Kläger verwechsle den sozialhilferechtlichen Bedarf mit dem sozialhilferechtlichen Anspruch. Die Bescheinigung vom 14. April 2003 habe lediglich den Bedarf festgestellt; Einkünfte seien nicht geprüft, insbesondere auch keine Nachweise angefordert worden. Darüber hinaus seien die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch und daher nicht in dieser Höhe zu übernehmen gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- sowie der SG-Akten (S 2 SO 3321/05) und die Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft, weil die Berufung laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Hilfeleistung in der streitigen Zeit vom 1. Juni 2003 bis 7. August 2004. Hilfe zum Lebensunterhalt ist dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann (§ 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG i.d.F. vom 23. Juli 1996). Nach § 5 Abs. 1 BSHG in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung setzt die Sozialhilfe ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen.

Diese Vorschrift enthält den so genannten Kenntnisgrundsatz der Sozialhilfe. Danach ist für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen ein Antrag nicht erforderlich. Sozialhilfe wird von Amts wegen gewährt, sobald bekannt wird, dass die Voraussetzungen für ihre Gewährung vorliegen. § 5 Abs. 1 regelt jedoch auch, dass die Sozialhilfe frühestens dann einsetzten kann, wenn die Voraussetzungen für ihre Gewährung bekannt sind. Da Sozialhilfe Hilfe in gegenwärtiger Not ist, folgt hieraus, dass eine Hilfe für die Vergangenheit, das heißt für die Zeit vor dem Bekanntwerden der Notlage nicht beansprucht werden kann. Hierbei handelt es sich um eine vom Gesetz gezogene zeitliche Grenze, die es ausschließt, einen vor dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens entstandenen Bedarf sozialhilferechtlich zu berücksichtigen. Bei zeitraumbezogenen Bedarfslagen, wie hier zur Sicherung des - monatlichen - laufenden Lebensunterhalts, entfällt die aktuelle Notlage allein durch den Zeitablauf (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) FEVS 43, 59; 45, 138; 45, 408). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des BVerwG für das BSHG an.

Vor dem Hilfeantrag vom 9. August 2004 hatte das zuständige Sozialamt keine Kenntnis von einer dauerhaften Notlage des Klägers. Wie das SG und der Beklagte zurecht bereits ausgeführt haben, enthält die Bescheinigung vom 14. April 2003 nur die Feststellung des sozialhilferechtlichen Bedarfs des Klägers. Damit ist aber noch keine Aussage über seine Hilfebedürftigkeit, also einen etwaigen Sozialhilfeanspruch getroffen. Dies erforderte eine weitergehende Prüfung, ob oder inwieweit der festgestellte Bedarf durch Einkommen oder Vermögen oder sonstige Hilfeleistungen Dritter gedeckt ist. Eine solche Prüfung hatte der Kläger ausdrücklich nicht beantragt oder überhaupt erkennbar begehrt. Das von ihm ausgefüllte und unterschriebene Antragsformular wurde durch handschriftliche Streichungen und Einfügungen ausdrücklich als Antrag auf Festsetzung des sozialhilferechtlichen Bedarfs bezeichnet. Dass der Kläger auch tatsächlich keine Prüfung seiner Bedürftigkeit begehrte, ergibt sich aus dem Zusammenhang des Antrags mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugunsten des Finanzamtes und der von der VBG abgegebenen Drittschuldnererklärung. Dem Kläger ging es danach allein um die Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen. Auf eine Kenntnis des Sozialhilfeträgers unabhängig vom erkennbaren Begehren des Klägers kann der Anspruch ebenfalls nicht gestützt werden. Zwar enthielt der Antrag des Klägers vom April 2003 Angaben zu seinem Einkommen, das den festgestellten Bedarf nicht vollständig zu decken geeignet war. Daraus konnte der Sozialhilfeträger jedoch noch nicht die Hilfebedürftigkeit erkennen. Zum einen hatte der Kläger unstreitig angeben, in eine günstigere Wohnung umziehen zu wollen, was seinen Bedarf gesenkt hätte. Entgegen dem Vorbringen des Klägers musste das Sozialamt auch allein aufgrund der Kenntnis der Verletztenrente nicht davon ausgehen, dass der zu einem solchen Umzug nicht in der Lage gewesen sein soll. Zum anderen hatte der Kläger zwar Angaben zu seinem Einkommen gemacht, nicht aber zu seinem Vermögen. Auch über eventuelle Hilfeleistungen Dritter bestand keine Klarheit. Schließlich ergibt sich aus dem Schreiben des Klägers an die VBG vom 30. April 2003, dass er selbst bis zu diesem Zeitpunkt gerade noch keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen wollte.

Eine andauernde Hilfebedürftigkeit war auch nicht auf den Antrag vom Mai 2003 hin zu erkennen. Dieser war vom Kläger gestellt worden, nachdem die VBG die laufende Rente zunächst gar nicht ausgezahlt hatte. Dies ergibt sich auch aus der zur Untermauerung des Antrags vorgelegten Korrespondenz. Dementsprechend war mit Bescheid vom 6. Mai 2003 die Hilfe zum Lebensunterhalt für Mai nur als Darlehen bewilligt und als Tilgungszeitpunkt die Nachzahlung der Rente geregelt worden. Dies war vom Kläger nicht angefochten worden. Vielmehr hatte er bereits am 15. Mai 2003 das Darlehen durch Bareinzahlung weitgehend getilgt, offenbar i.H.d. von der VBG als unpfändbar angesehenen, nun ausgezahlten Rente. Danach haben bis 9. August 2004 keine Kontakte mehr mit dem Sozialamt bestanden. Der Kläger hat, wie bereits zuvor, auch anschließend zu keiner Zeit erkennen lassen, dass die ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichten, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Bis zum 9. August 2004 hatte der Sozialhilfeträger somit keine Kenntnis von den Voraussetzungen für die Leistungsgewährung.

Auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kann der Kläger sein Begehren ebenfalls nicht stützen. Ein Beratungsfehler, wie ihn dieses Rechtsinstitut tatbestandlich voraussetzt, könnte nur angenommen werden, wenn der Beklagte bzw. das damals zuständige Sozialamt hätte erkennen können, dass die Voraussetzungen für die Hilfeleistung vorliegen. In diesem Fall bedürfte es aber nicht des Herstellungsanspruches, da der Sozialhilfeträger bereits aufgrund der bloßen Kenntnis zur Leistung verpflichtet wäre, ohne dass es auf einen - zu fingierenden - Antrag ankäme. Aus den oben genannten Gründen lag eine solche Kenntnis jedoch gerade nicht vor.

Schließlich ist es dem Kläger auch tatsächlich gelungen, seinen Lebensunterhalt in der Folgezeit sicherzustellen, auch wenn er hierzu nach eigenen Angaben auf private Darlehen zurückgegriffen habe. Aus dem Schreiben des Klägers vom 9. August 2004 ergibt sich insbesondere, dass er in der Lage war, bis einschließlich Juni 2004 seine Miete zu zahlen. Die Rückstände ab Juli 2003 wurden dem Sozialhilfeträger erst durch genanntes Schreiben angezeigt.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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