Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 AS 2010/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 567/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Februar 2008 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab 11. Januar 2008 bis zum 31. Mai 2008 monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 200,- EUR zu gewähren. Die Leistungsverpflichtung des Antragsgegners entfällt bei vorherigem Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder vorheriger Ausreise aus dem Bundesgebiet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Gründe:
Wegen der Dringlichkeit der Sache war in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Vorsitzenden zu entscheiden.
Die Beschwerde des Antragstellers, mit der er seinen erstinstanzlich gestellten Antrag weiter verfolgt, den Antragsgegner im Wege einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) zu verpflichten, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet und war zurückzuweisen.
Sofern der Antragsteller mit seinem Rechtsschutzantrag eine Regelungsanordnung bereits ab dem Zeitpunkt des Wegfalls der von dem Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf gewährten Leistungen , d. h. ab 1. November 2007, geltend macht, fehlt es an dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu fordernden eiligen Regelungsbedürfnis für die Zeit bis zum Eingang des Antrags bei dem Sozialgericht (SG; 11. Januar 2008) schon deshalb, weil eine gerichtliche "Notfallhilfe" für Zeiträume vor dem Antragseingang bei Gericht regelmäßig nicht in Betracht kommt. Ein besonderer Nachholbedarf oder eine Fortwirkung der Nichtgewährung von Leistungen in der Vergangenheit in die Gegenwart sind nicht dargetan. Ein Anordnungsgrund ist auch für die Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung nicht glaubhaft gemacht. Denn der Antragsteller hat in seiner Antragsschrift ausgeführt, "obdachlos" zu sein. Dass ihm konkret Kosten für Unterkunft und Heizung anfallen, hat er nicht vorgetragen.
Für die Zeit ab Antragseingang besteht hingegen ein Anordnungsgrund und nach einer vorzunehmenden Folgenabwägung auch ein Anordnungsanspruch in der tenorierten Höhe bis zum 31. Mai 2008. Der Antragsteller hat das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet. Er ist hilfebedürftig. Ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II), hängt von einem Aufenthaltstitel ab (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 – B 11b AS 37/06 R – veröffentlicht in juris). Im vorliegenden Eilverfahren kann der aufenthaltsrechtliche Status des Antragstellers nicht abschließend geklärt werden. Der mit Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) – Ausländerbehörde - vom 5. Dezember 2007 festgestellte Verlust des Einreise- und Aufenthaltsrechts ist noch nicht bindend; der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid Klage eingereicht und um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Die Ausreisepflicht ist derzeit nicht vollziehbar. Es kommt indes vorliegend mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU -) in Betracht, weil sich der Antragsteller, der seit 1. Januar 2007 EU-Bürger ist, bereits mehr als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Ausstellung einer entsprechenden Freizügigkeitsbescheinigung scheiterte bislang lediglich daran, dass der Antragsteller keinen r Pass vorlegen konnte, um dessen Erhalt er sich derzeit glaubhaft bemüht (vgl. Begründung des Bescheides des LABO vom 5. Dezember 2007). Allerdings begegnet die Entscheidung des LABO auch im Übrigen erheblichen rechtlichen Bedenken. Denn der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen festgestellt werden (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU), bei einem – wie im Falle des Antragstellers – mehr als zehnjährigen Aufenthalt in Deutschland sogar nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit. Die in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU insoweit abschließend aufgezählten zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen bei dem Antragsteller ersichtlich nicht vor. Wird der Pass, Personalausweis oder sonstige Passersatz ungültig, so kann dies die Aufenthaltsbeendigung zudem nicht begründen (§ 6 Abs. 7 FreizügG/EU). Bei Erhalt und Vorlage des Passes ist dem Antragsteller daher unverzüglich (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU) eine Freizügigkeitsbescheinigung zu erteilen. Der Aufenthaltstitel würde sich dann gerade nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergeben, so dass auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht zum Tragen kommt.
Der Antragsteller ist im Rahmen der vorzunehmenden Folgenabwägung auch als erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II anzusehen. Bei Erteilung einer Freizügigkeitsbescheinigung bestünde für ihn ein unbeschränkter Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, weil ihm bereits im Jahr 2000 eine unbefristete Arbeitsberechtigung erteilt worden ist, die nach § 105 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz als uneingeschränkte Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme einer Beschäftigung gilt. Das FreizügigG/EU ist auf den Antragsteller, der die r Staatsangehörigkeit besitzt und damit Staatsangehöriger eines Beitrittsstaates ist, deshalb auch anwendbar (vgl. § 13 FreizügG/EU).
Bei der unter Berücksichtigung der genannten Maßgaben vorzunehmenden Folgenabwägung war zu berücksichtigen, dass eine Beeinträchtigung der grundgesetzlich gewährleisteten Existenzsicherung des Antragstellers droht, die bei einem späteren Obsiegen im Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig zu machen wäre. Denn der elementare Lebensbedarf eines Menschen kann grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -). Demgegenüber hat das – öffentliche – Interesse des Antragsgegners, keine steuerfinanzierten Geldleistungen ohne Rechtsgrundlage zu gewähren, zurückzutreten. Denn der Antragsteller hat die an ihn gezahlten Leistungen zu erstatten, sofern sich im Hauptsacheverfahren ein Rechtsanspruch auf diese Leistungen nicht ergeben sollte. Um im Hinblick auf die nicht abschließend mögliche Klärung der Sach- und Rechtslage im Wege der einstweiligen Anordnung nur das unabweisbare Existenzminimum des Antragstellers zu sichern, hat sich das Gericht bei der ausgeworfenen Leistungshöhe am Asylbewerberleistungsgesetz orientiert. Sollte die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Antragstellers eintreten oder dieser tatsächlich ausreisen, entfällt die vorläufige Leistungspflicht des Antragsgegners. Da eine alsbaldige Klärung der Passangelegenheit zu erwarten ist, hat das Gericht die Anordnung im Übrigen auf einen Zeitraum bis 31. Mai 2008 begrenzt. Es steht dem Antragsteller frei, nach einem Ablauf der Frist gegebenenfalls erneut um einstweiligen Rechtsschutz bei dem SG Berlin nachzusuchen. Gleiches gilt, falls ihm zwischenzeitlich tatsächlich Kosten für eine Unterkunft anfallen sollten.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Wegen der Dringlichkeit der Sache war in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Vorsitzenden zu entscheiden.
Die Beschwerde des Antragstellers, mit der er seinen erstinstanzlich gestellten Antrag weiter verfolgt, den Antragsgegner im Wege einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) zu verpflichten, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet und war zurückzuweisen.
Sofern der Antragsteller mit seinem Rechtsschutzantrag eine Regelungsanordnung bereits ab dem Zeitpunkt des Wegfalls der von dem Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf gewährten Leistungen , d. h. ab 1. November 2007, geltend macht, fehlt es an dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu fordernden eiligen Regelungsbedürfnis für die Zeit bis zum Eingang des Antrags bei dem Sozialgericht (SG; 11. Januar 2008) schon deshalb, weil eine gerichtliche "Notfallhilfe" für Zeiträume vor dem Antragseingang bei Gericht regelmäßig nicht in Betracht kommt. Ein besonderer Nachholbedarf oder eine Fortwirkung der Nichtgewährung von Leistungen in der Vergangenheit in die Gegenwart sind nicht dargetan. Ein Anordnungsgrund ist auch für die Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung nicht glaubhaft gemacht. Denn der Antragsteller hat in seiner Antragsschrift ausgeführt, "obdachlos" zu sein. Dass ihm konkret Kosten für Unterkunft und Heizung anfallen, hat er nicht vorgetragen.
Für die Zeit ab Antragseingang besteht hingegen ein Anordnungsgrund und nach einer vorzunehmenden Folgenabwägung auch ein Anordnungsanspruch in der tenorierten Höhe bis zum 31. Mai 2008. Der Antragsteller hat das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet. Er ist hilfebedürftig. Ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II), hängt von einem Aufenthaltstitel ab (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 – B 11b AS 37/06 R – veröffentlicht in juris). Im vorliegenden Eilverfahren kann der aufenthaltsrechtliche Status des Antragstellers nicht abschließend geklärt werden. Der mit Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) – Ausländerbehörde - vom 5. Dezember 2007 festgestellte Verlust des Einreise- und Aufenthaltsrechts ist noch nicht bindend; der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid Klage eingereicht und um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Die Ausreisepflicht ist derzeit nicht vollziehbar. Es kommt indes vorliegend mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU -) in Betracht, weil sich der Antragsteller, der seit 1. Januar 2007 EU-Bürger ist, bereits mehr als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Ausstellung einer entsprechenden Freizügigkeitsbescheinigung scheiterte bislang lediglich daran, dass der Antragsteller keinen r Pass vorlegen konnte, um dessen Erhalt er sich derzeit glaubhaft bemüht (vgl. Begründung des Bescheides des LABO vom 5. Dezember 2007). Allerdings begegnet die Entscheidung des LABO auch im Übrigen erheblichen rechtlichen Bedenken. Denn der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen festgestellt werden (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU), bei einem – wie im Falle des Antragstellers – mehr als zehnjährigen Aufenthalt in Deutschland sogar nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit. Die in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU insoweit abschließend aufgezählten zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen bei dem Antragsteller ersichtlich nicht vor. Wird der Pass, Personalausweis oder sonstige Passersatz ungültig, so kann dies die Aufenthaltsbeendigung zudem nicht begründen (§ 6 Abs. 7 FreizügG/EU). Bei Erhalt und Vorlage des Passes ist dem Antragsteller daher unverzüglich (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU) eine Freizügigkeitsbescheinigung zu erteilen. Der Aufenthaltstitel würde sich dann gerade nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergeben, so dass auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht zum Tragen kommt.
Der Antragsteller ist im Rahmen der vorzunehmenden Folgenabwägung auch als erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II anzusehen. Bei Erteilung einer Freizügigkeitsbescheinigung bestünde für ihn ein unbeschränkter Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, weil ihm bereits im Jahr 2000 eine unbefristete Arbeitsberechtigung erteilt worden ist, die nach § 105 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz als uneingeschränkte Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme einer Beschäftigung gilt. Das FreizügigG/EU ist auf den Antragsteller, der die r Staatsangehörigkeit besitzt und damit Staatsangehöriger eines Beitrittsstaates ist, deshalb auch anwendbar (vgl. § 13 FreizügG/EU).
Bei der unter Berücksichtigung der genannten Maßgaben vorzunehmenden Folgenabwägung war zu berücksichtigen, dass eine Beeinträchtigung der grundgesetzlich gewährleisteten Existenzsicherung des Antragstellers droht, die bei einem späteren Obsiegen im Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig zu machen wäre. Denn der elementare Lebensbedarf eines Menschen kann grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -). Demgegenüber hat das – öffentliche – Interesse des Antragsgegners, keine steuerfinanzierten Geldleistungen ohne Rechtsgrundlage zu gewähren, zurückzutreten. Denn der Antragsteller hat die an ihn gezahlten Leistungen zu erstatten, sofern sich im Hauptsacheverfahren ein Rechtsanspruch auf diese Leistungen nicht ergeben sollte. Um im Hinblick auf die nicht abschließend mögliche Klärung der Sach- und Rechtslage im Wege der einstweiligen Anordnung nur das unabweisbare Existenzminimum des Antragstellers zu sichern, hat sich das Gericht bei der ausgeworfenen Leistungshöhe am Asylbewerberleistungsgesetz orientiert. Sollte die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Antragstellers eintreten oder dieser tatsächlich ausreisen, entfällt die vorläufige Leistungspflicht des Antragsgegners. Da eine alsbaldige Klärung der Passangelegenheit zu erwarten ist, hat das Gericht die Anordnung im Übrigen auf einen Zeitraum bis 31. Mai 2008 begrenzt. Es steht dem Antragsteller frei, nach einem Ablauf der Frist gegebenenfalls erneut um einstweiligen Rechtsschutz bei dem SG Berlin nachzusuchen. Gleiches gilt, falls ihm zwischenzeitlich tatsächlich Kosten für eine Unterkunft anfallen sollten.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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